Ist eine gerechte und egalitäre Welt möglich?

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1 Vorwort

Gerhard Schröder verkündet auf einem Wahlplakat der SPD "Wer Gerechtigkeit will, muss das Soziale sichern" - die CDU fordert "Freiheit - Solidarität - Gerechtigkeit" - Die Linke schließlich ist fleißig: "Unermüdlich. Unerlässlich. Für soziale Gerechtigkeit" - selbst die FDP als Partei der Besserverdiener springt auf den Gerechtigkeitszug auf: "Gerechtigkeit statt Umverteilung" tönt Guido Westerwelle auf einem Plakat. Der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz stellte sogar fast seinen ganzen Wahlkampf unter das Motto "Mehr Gerechtigkeit"; kein Interview oder Talkshowauftritt in dem er das Wort Gerechtigkeit nicht mindestens zehn 10 oder 15 mal fallen ließ. Jeder will Gerechtigkeit und am besten davon immer mehr:

Es ist gerecht, mehr Hartz IV-Leistungen zu erhalten oder die alten Sätze so zu belassen - Frauenqoten einzuführen oder auch nicht - für einzelne Einkommensklassen höhere oder niedrigere Steuersätze zu beschließen - einen Straftäter zu 5 Jahren Haft oder nur zu einer Bewährungsstrafe zu verurteilen - Flüchtlinge und Wirtschaftsmigranten ins Land zu lassen oder lieber auszusperren - Mindestlöhne festzulegen oder nicht weil dies das Leistungsprinzip beseitige und der Wirtschaft schade - sozial benachteiligte Menschen staatlich zu förden oder lieber an den Einzelnen zu appelieren sich gefälligst selber anzustrengen - Peter eine Kugel Eis und Max zwei Kugeln Eis zu kaufen oder beiden lieber je drei Kugeln oder gar nichts zu spendieren.

Auch mehr Gleichheit (Egalität) einzufordern ist in Mode: Die taz behauptet: "Gleichheit macht glücklich" weil "eine egalitärere Wohlstandsverteilung die Nachfrage hebt, weil mehr Menschen dann ihre Talente entwickeln können" - skeptischer das Magazin Cicero mit dem Titel "Freiheit oder Gleichheit" - unzählige Sozialwissenschaftler, Politologen und Pädagogen fordern in Büchern und Aufsätzen teilweise in verquastem und unverständlichen Soziologen-Slang mehr Egalität, Teilhabe, Gerechtigkeit dazu noch kostenlos Brot und Spiele für alle - die Matriarchatsforscherin (gibt es so was auch) Heide Göttner-Abendroth sieht das aus feministischer Sicht so: "Der Weg zu einer egalitären Gesellschaft ist ein matriarchaler Lebensentwurf, der helfen will, das patriarchale Gesellschaftsmodell abzulösen" - die Friedrich-Ebert-Stiftung der SPD warnt: "Die soziale Ungleichheit wächst! Sie gefährdet die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt" - der Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty will "mehr Gleichheit wagen" und tritt gleich für nicht weniger als eine "globale Transformation des Kapitalismus" ein.

2 Themenspektrum und Fragen

Von der linken Seite des politischen Spektrums wird seit der Aufklärung und Französischen Revolution[1] und verstärkt seit Aufkommen des Sozialismus mit Karl Marx permanent mehr soziale Gerechtigkeit und mehr Gleichheit (Egalität) eingefordert. Programmatisches Ziel aktueller deutscher Parteien wie SPD, Die Linke oder Bündnis 90/Die Grünen ist die Verwirklichung einer gerechteren, d.h. auch egalitären Gesellschaft mit gleichen oder zumindest aneinander angeglichenen Löhnen und Bildungschancen, gleicher Wirtschaftsstärke der Regionen Deutschlands, absoluter Gleichbehandlung von Männern und Frauen und der Förderung von vorgeblich benachteiligten Personen (Frauen, Behinderte Einwanderer, Homosexuelle, usw.) zwecks sozialer, rechtlicher und wirtschaftlicher Gleichstellung. Jegliche, auch noch so kleine Ungleichbehandlung wird mit dem populären Begriff Diskriminierung gebrandmarkt und scharf bekämpft. Aber auch die Gerechtigkeit und Egalität in den anderen Staaten der Welt soll von der deutschen Außenpolitik voran getrieben werden. Auch andere Gruppen wie Gewerkschaften, Kirchen, Bürgerinitiativen, Sozialverbände und viele mehr fordern mehr Gerechtigkeit und Egalität ein. Skeptiker und Kritiker aus dem liberalen und konservativen Spektrum bezweifeln dagegen, dass sich Gerechtigkeit und Egalität im größerem Umfang verwirklichen lässt.

In diesem Essay sollen diese Forderungen nach Gerechtigkeit und Egalität aus philosophischer, historischer und systemischer Sicht beleuchtet und auf ihre theoretische und praktische Umsetzbarkeit untersucht werden. Wie ist es in der belebten und unbelebten Natur und der vom Menschen geformten Kulturwelt um Gerechtigkeit und Egalität bestellt? Funktioniert die Natur nach den Prinzipien von Gerechtigkeit und Egalität oder nicht? Welche Erfahrungen haben Menschen in der Geschichte mit Gerechtigkeit und Egalität gemacht und wie haben sie versucht diese beiden Werte umzusetzen oder auch nicht weiter beachtet? Inwieweit sind diese Versuche gelungen und wo und an was sind sie gescheitert? Was hat man in unterschiedlichen Epochen konkret unter Gerechtigkeit und Egalität verstanden? Wie sah und sieht es mit Gerechtigkeit und Egalität un den Teilbereichen Politik, Wirtschaft, Sozialleben, Kultur und Religion aus?

3 Definitionsversuche

Bevor wir über diese beiden Ideale in ihren praktischen Ausprägungen in der Natur und Menschheitsgeschichte nachdenken müssen wir versuchen diese Begriffe zu definieren und den Wert der Definitionen dann kritisch reflektieren. Die deutsche Wikipedia definiert Gleichheit zu Anfang des gleichnamigen Artikels folgendermaßen:[2]

Gleichheit bedeutet sinngemäß die Übereinstimmung von zwei (oder mehr) Dingen (z.B. Gegenständen, Personen, Sachverhalten) in einem oder mehreren Merkmalen (bei möglicher Verschiedenheit in anderen Merkmalen). Identiät bedeutet eine völlige Übereinstimmung, das heißt Ununterscheidbarkeit in Hinsicht auf jedes Merkmal.

Eine schöne theoretische Definition, die uns jedoch praktisch auch nicht viel weiter führt: Jedes Objekt, jeder Mensch, Sachverhalt oder Vorgang den man zwecks Vergleich einander gegenüber stellt weißt viele, häufig unzählige Aspekte auf. Selten werden die Mehrzahl oder gar fast alle Aspekte der beiden zu vergleichenden Objekte übereinstimmen. Welche Übereinstimmungen sind aber nun relevant um von einer Gleichheit der beiden Objekte sprechen zu dürfen. Dazu ein Beispiel:

Peter und Bernd sind nahezu gleich alt, haben beide Informatik studiert und fünf Jahre Berufserfahrung gesammelt. Nun werden beide von der Firma IT-Füchse für 4.000€ brutto monatlich als Java-Progrmmierer mit einem sehr ähnlichen Tätigkeitsfeld eingestellt. Bernd erweist sich aber spätestens nach viermonatiger Arbeitszeit als der deutlich fähigere Programmierer: Er löst Probleme doppelt so schnell wie Peter, die von ihm geschriebenen Programme sind stabiler sowie effizienter und auch beim Schreiben der Benutzerhandbücher ist er besser als Peter. Dieser zeigt sich dafür etwas teamfähiger und kommt pünktlicher zur Arbeit. Nun beschließt der Chef von IT-Füchse dass Bernd eine Gehaltserhöhung von 500€ monatlich erhalten soll welche Peter verweigert wird. Veletzt das den Gleichheitsgrundsatz? Immerhin haben beide dasselbe Studium absolviert und gleichlange Berufserfahrung. Hier liegt also nach Wikipedia-Definition eine "Übereinstimmung von zwei Dingen" als Bedingung für Gleichheit und folglich Gleichbehandlung vor. Andererseits unterscheiden sich Peter und Bernd in Bezug auf die tatsächliche Qualität ihrer Arbeitsleistung voneinander. Die Arbeitsleistung von Bernd bringt dem Betrieb unterm Strich halt einfach mehr. Ist es deshalb nicht auch folgerichtig beide Programmierer auch ungleich zu entlohnen?

Wir sehen: Die Konstatierung von Gleichheit zwischen Objekten und Sachverhalten sowie die daraus abgeleitete Forderung nach Gleichbehandlung ist sehr subjektiv.

Nun zur Gerechtigkeit: Die deutsche Wikipedia meint dazu u.a.:[3]

Gerechtigkeit ist nach klassischer Auffassung ein Maßstab für ein individuelles menschliches Verhalten. Die Grundbedingung dafür, dass ein menschliches Verhalten als gerecht gilt, ist, das Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt wird.

Aus dem ersten Satz dieser Definition folgern wir, dass Gerechtigkeit eine vom Menschen geschaffene Vorstellung ist. Es macht keinen Sinn diesen Begriff in menschlicher Weise auf die Natur zu übertragen. Die Natur kennt keine Gerechtigkeit. Dennoch philosophieren machen Menschen gerne über solche sinnfreien Fragen wie z.B. "Ist es gerecht das die Katze arme und unschuldige kleine Mäuse fängt und dann brutal zerfleich?" So wird im Abschnitt zur Natur weiter unten in diesem Essay auch von mir - allerdings nur rein provokativ - ab und an die Frage gestellt ob ein Vorgang in der unbelebten oder belebten Natur (Tierwelt) gerecht oder ungerecht ist.

Der zweite Satz der Definition baut auf dem Begriff der Gleichheit auf. Daraus folgt dass die oben beschriebenen Probleme bei einer praktischen Bestimmung von Gleichheit in die praktische Bestimmung von Gerechtigkeit vererbt werden.

So verwundert es kaum, dass einzelne Individuen und auch Gruppen ganz verschiedene Zustände und Vorgänge subjektiv und oft recht willkürlich für gerecht oder ungerecht erachten. Ein Beispeil: Der ungelernte Produktionsmitarbeiter Olaf mit 1.500€ brutto monatlich und seine Gewerkschaft empfinden es als schreiende Ungerechtigkeit, dass er 20% Einkommenssteuer zahlen muss während Olafs Chef, der Unternehmer Jürgen 20.000€ brutto monatlich verdient und dafür nur 40% Einkommenssteuer abdrücken muss, der reiche Bonze. Jürgen und die von diesem favorisierte FDP sehen dies ganz anders: Ist es nicht sehr gerecht dass Jürgen mehr verdient als Olaf weil er ja jahrelang BWL studiert hat und nun die ganze Verantwortung für das Unternehmen trägt? Und ist es nicht ungerecht dass er prozentual gesehen doppelt so viel Steuern zahlen muss wie sein Angestellter Olaf?

Die Gerechtigkeitsvorstellungen der Menschen und Gruppen muss man sich wie Kreise in der Mengenlehre vorstellen: Jeder Kreis umfasst Sachverhalte, die ein Individuum oder Gruppe als gerecht oder ungerecht einstuft. Manche Kreise überlappen dabei in Teilbereichen mit einem oder mehreren der anderen Kreise. Andere Kreise stehen dagegen ganz isoliert ohne Überlappungen im Werteraum. In einigen wenigen Bereichen kann sich auch die Mehrzahl der Kreise überlappen. Dann kann man von einem gesellschaftlichen Konsens sprechen. So werden wohl die meisten Menschen zustimmen, dass Männer und Frauen bei identischer Qualifikation, Berufsweg und Tätigkeit dasselbe verdienen sollten. Und die überwiegende Mehrhheit wird auch zustimmen dass ein Totschlag von den Gerichten härter zu bestrafen ist als das Mitgehen lassen einer Zigarettenpackung im Supermarkt. In den meisten Fällen beurteilen Individuen die Frage "Ist das nun gerecht oder Ungerecht?" sehr unterschiedlich und subjektiv. Die Vorstellungen einer Gesellschaft, Nation oder eines Kulturraumes zur Frage "Gerecht oder Ungerecht" weisen wie dargestellt ja Zonen der mehrhheitlichen Übereinstimmung auf. Diese Kernzonen des Konsens können aber in anderen Ländern, Kulturen oder Jahrhunderten ganz anders aussehen: So haben wir in der Westlichen Welt sicher andere Konsensbereiche zur Frage Gleichberechtigung des Frau als der arabisch-muslimische Kulturraum. Und unsere gemeinsamen Wertvorstellungen in Bezug auf Demokratie oder Sozialstaat hatten weder Antike noch Mittelalter.

Fazit: Die Vorstellungen was Gleichheit und Gerechtigkeit ist bzw. wie sie verwirklicht werden sollte wurde und sind individuell, nach Gruppe, Nation, Kulturraum und historischer Epoche sehr unterschiedlich. Ein einheitliche, von allen Menschen akzeptierte Definition von Gleichheit und Gerechtigkeit existiert nicht.

4 Wandel und Dynamik in der Natur

Wir stellen uns hier die Frage: Ist die Natur eher gerecht und egalitär oder ungerecht und nicht egalitär aufgebaut?

4.1 Weltall

Der ganze Kosmos inklusive unserer Erde und ihrer Natur ist dynamisch ausgelegt, d.h. in ständigem Wandel begriffen. Wäre dies nicht so; hätten wir ein statisches Universum in dem eine für alle Zeiten ausbalancierte und ewige Harmonie herrschen würde. Es gäbe weder Wandel noch Bewegung oder gar Fortentwicklung und die Lebewesen müssten im Prinzip ewig leben ohne Nachkommen zu zeugen. Dieses statische Universum wäre aber auch ein steriles und totes Universum: Wie jedermann unschwer erkennen kann, ist das Universum aber nicht statisch sondern dynamisch auf Wandel, Geburt, Entstehung, Wachstum und Entwicklung, Niedergang, Tod und erneutes Entstehen hin konzipiert. Oswald Spengler hat diese Zyklen von Wachsen und Vergehen in Bezug auf die Kulturwelt des Menschen in seinem Buch Der Untergang des Abendlandes]] gut dargestellt. Das dynamische Prinzip können wir im Makrokosmos ebenso wie im Mikrokosmos, im Weltall wie bei uns auf der Erde überall beobachten:

Das Universum expandiert seit dem Urknall, Sterne entstehen, strahlen große Mengen von Energie ab, kreisen im Universum, brennen aus und verglühen, explodieren oder schrumpfen und verwandeln sich mitunter in Schwarze Löcher. Planeten und Kometen kollidieren mit anderen Objekten, schlagen große Teile aus diesen heraus, die dann auf neuen Bahnen durch das Weltall ziehen. Interstellare Gaswolken kumulieren zu Planeten. Im Kosmos herrcht also - wenn auch in für den Menschen fast nicht nachbollziehbaren langen Zeiträumen - ein ständiger Wandel. Hier ist nichts statisch und auf Harmonie und ewige Existenz angelegt.

4.2 Geologie der Erde

Gleiches gilt für unseren blauen Heimatplaneten. Vor Milliarden von Jahren hat er sich aus kosmischer Materie gebildet und ist seitdem ständigem Wandel unterworfen: Die gewaltige Hitze aus dem Erdkern treibt Lava in höhere Schichten, an den Spalten der Erdplatten tritt neues Material hervor und durch die Kontinentalverschiebung wird Material der Oberfläche in die Tiefe verschluckt. Die Erdplatten sind in ständiger Bewegung, wandern auf der Erdkugel, kollidieren mit anderen Platten und türmen neue Gebirge auf, welche die Erosion dann wieder abträgt.

4.3 Klima und Wetter

Auch Wetter und Klima unterliegen saisonalem wie langfristigem Wandel: Sonnenzyklen und andere Faktoren bewirken sich abwechselnde kleinere und größere Eiszeiten und Warmzeiten. Gebiete die grün bewaldet waren können später von riesigen Eispanzern bedeckt sein und trockene Wüsten sich in fruchtbares Land verwandeln. Aufgrund dem von geologischen Kräften geschaffenen veilgestaltigen Oberflächenprofil der Erde bilden sich unterschiedliche Klimaverhältnisse aus: Manche Gebiete liegen im Windschatten hoher Gebirge in denen die Wolken abregnen. Sie erhalten dann sehr wenig Regen und dörren aus. Andere Regionen liegen günstiger und werden vom Klima von milden Temperaturen und ausrechend Niederschlag verwöhnt. Aber auch in kürzeren Zeiträumen ist das Wetter ständig im Fluss. Nachts kühlt die Erde aus um sich tagsüber wieder aufzuwärmen. Es bilden sich komplexe Hoch- und Tiefdruckgebiete, die sich tagtäglich ändern und so verworren sind, dass die Meterologen große Probleme haben, dass Wetter auch nur für die nächsten drei Tage halbwegs sicher vorherzusagen. Bedingt durch Klimaänderungen aber auch geologische Faktoren wird die Erdoberfläche mannigfaltig umgestaltet: Flüsse ändern ihren Lauf, Küstenabschnitte versinken wegen Sturmfluten im Meer, riesige Wälder brennen ab um später einer neuen, möglicherweise anderen Besiedlung durch Pflanzen und Tiere Raum zu bieten.

4.4 Tier- und Pflanzenwelt

Pflanzen- und Tierwelt unterliegen auch ständigem Wandel: Bedingt durch klimatische oder geologische Änderungen wird die eine Pflanze in ihren Überlebensgrundlagen begünstigt und eine andere benachteilgt. Dies führt zur Veränderung der Besiedlungstruktur durch die Planzenwelt, der Verdrängung einer Pflanze in ökologische Nischen oder gar zu deren Ausstreben, wohingegen andere Pflanzen sich hemmungslos auf Kosten der anderen ausbreiten. Dasselbe in der Tierwelt: Aufgrund veränderter Umweltbedingungen steigt beispielweise die Population eines fleischfressenden Jägers. Dies führt zu erhöhtem Jagddruck auf seine häufig pflanzenfressenden Beutetiere, die dezimiert oder gar ganz ausgerottet werden. Deren Nachteil kann aber wieder zum Vorteil einer anderen Gattung werden von der das Jagdopfer sich ernährt hat. Ungestört kann diese Gattung sich dann entwickeln und ausbreiten. Die Kausalketten in einem Ökosystem sind hochkomplex und mehrdimensional und von der Wissenschaft immer noch nur in Ansätzen erforscht. Eine kleine Änderung bei einer Gattung kann Auswirkungen auf viele andere Gattungen haben.

Als zweiter Faktor des permanenten Wandels kommt die Evolution nach Charles Darwin hinzu: Durch Mutationen verändern sich einzelne Lebewesen und mittels natürlicher Auslese (survival of the fittest) überleben langfristig die besser an die Umwelt angepassten Exemplare und die weniger gut angepassten führen ein Nischendasein oder sterben ganz aus. Dies bewirkt über Millionen von Jahre eine ständige (Fort)entwicklung der Tier- und Pflanzenwelt: Aus Einzellern entwickeln sich Reptilien, Meeresbewohner besiedeln das Land, andere Tiere erobern den Luftraum, aus Reptilien gehen Säugetiere hervor und aus diesen wiederum die Primaten und letztendlich wir, der Mensch, die Krone oder das destruktive Scheißhaus der Schöpfung.

4.5 Ist die Natur gerecht und/oder egalitär

Ist es gerecht, dass die Dinosaurier durch einen Kometeneinschlag alle gestorben sind? Ist es gerecht, dass eine Raubtiergattung begünstigt durch externe Faktoren sich plötzlich explosionsartig ausbreitet und die Gattung ihrer Jagdbeute brutal dezimiert? Entspricht es unseren Vorstellungen von Gleichheit (Egalität), dass eine Tierart im fruchtbaren Urwald mit reichlich Regen und ständig verfügbarer Nahrung ein luxuriöses Leben führt während eine andere Gattung in einer trockenen Wüste tagtäglich um die karge Nahrung und ihr Überleben kämpfen muss? Wo bleibt die Gleichheit (Egalität) wenn der Leitwolf eines Rudels alle Weibchen des Rudels begatten darf und seine Rivalen in Rangkämpfen brutal zurichtet, diese Rivalen aber keine Weibchen haben und ständig Prügel von ranghöheren Tiere einstecken müssen?

Die Antwort auf obige Frage ist also einfach: Die Natur ist selten gerecht und auch nicht auf Gleichheit (Egalität) hin konzipiert. Ja, man kann sogar sagen "Die Natur kennt den Begriff der Gerechtigkeit nicht" und "Die Natur liebt die Ungleichheit". Aber warum ist das so, muss das so sein, und wie könnte eine gerechte und auf Gleichheit beruhende Natur aussehen und konzipiert sein? Wie könnte sie funktionieren? Oder ist es allein schon systemisch gar nicht möglich dass die Natur gerecht und egalitär ist?

4.6 Ist eine gerechte und/oder egalitäre Natur möglich?

Eine gerechte und egalitäre Natur müsste eine Natur ohne Wandel/Veränderung sein, da durch die meisten Veränderungen der Rahmenbedingungen einzelne Gattungen aber auch Einzelwesen bevorzugt oder benachteiligt werden. So dürfte sich ein existierendes Reptil oder Säugetier nie weiterentwickeln, da dies ja Auswirkungen auf die Lebenschancen anderer Spezies haben kann. Auch müsste die Erde ohne geologische Veränderungen existieren und das Klima und Wetter müsste immer und in allen Regionen gleichmäßig und konstant sein. Eine Evolution dürfte es nicht mehr geben. Das heißt aber, dass es auch keine (Fort)entwicklung mehr geben dürfte.

Weil Bewegung zwangsläufig Ungleichheit bewirkt müsste die egalitäre Natur eine Welt sein in der jedes Objekt isoliert für sich bewegungslos im Raum steht ohne auf andere Objekte einzuwirken oder selber von diesen beeinflusst zu werden. Mann müsste sich diese Welt wie eine vollkommen homogene Gaswolke denken, auf die keinerlei Einflüsse von außerhalb möglich sind. Um die Bewegung der Moleküle auszuschließen, müsste sich diese Gaswolke am absoluten Nullpunkt von minus 273,15 Grad Celsius befinden. Aber selbst in dieser "eingefroreren" Gaswolke müsste man dann noch irgendwie die Bindekräfte zwischen den die Moleküle formenden Atomen eliminieren, um jegliche Wechselwirkung, d.h. Ungleichheit zu beseitigen.

Natürlich wäre solch eine statische Welt theoretisch möglich. Es wäre aber eine tote Welt, eine Welt ohne Lebendigkeit, ohne Entwicklung, ohne Tiere die sich zum Menschen mit Intelligenz und Bewusstein weiter entwickeln, ohen die hunderte von wechselnden Farben der Natur, ohne Sonnenauf- und -untergang, ohne das Lächeln eines neugeborenen Babys oder die Meeresbrandung, eine Welt ohne Freude und Leid und ohne Kultur, Literatur, Musik und Malerei. Wir können in Vorgriff auf die weiteren Ausführungen dieses Artikels schon mal festhalten, dass die Verwirklichung absoluter Gerechtigkeit und Gleichheit (Egalität) eine trübe, traurige, tote und hoffnungslose Welt auch für den Menschen, den es wie schon bemerkt allerdings ohne Evolution gar nicht gäbe, zur Folge hätte.

5 Wandel und Dynamik in der Menschenwelt

Wir stellen uns hier die Frage: Ist die Menschenwelt, also die von ihm geschaffenen Kulturwelt(en) eher gerecht und egalitär oder ungerecht und nicht egalitär aufgebaut?

Auch für die vom Menschen geschaffene bzw. vom Menschen überformte Lebenswelt gilt meist dasselbe wie für die Natur. Wohin man auch blickt Ungerechtigkeit und Ungleichheit, gesellschaftliche Verwerfungen, Verschiebungen und Umbrüche.

5.1 Das einzelne Individuum

Es beginnt bereits mit der Geburt des einzelnen Menschen: Die Gene (Vererbung) legen zumindest zum Teil die körperlichen und geistigen Merkmale fest. Ein Baby bekommt von Vater und Mutter eine hohe Intelligenz vererbt, die es dann mit hoher Wahrscheinlichkeit im weiteren Leben in beruflichen und wirtschaftlichen Erfolg ummünzen kann. Der andere kleine Schreihals hat vielleicht schlechtere Startchancen: Weniger Intelligenz oder ein körperliches Handicap werden seinem Berufsweg sicherlich weniger förderlich sein. Diese Ungerechtigkeit und Ungleichheit setzt sich dann im Laufe der Sozialisation des Kindes fort: Der eine wird von seinen gebildeten Eltern auch außerhalb der Schule gefördert während der andere in - möglicherweise in einer Hartz IV-Familie aufwachsend - deutlich schlechtere Entwicklungsmöglichkeiten hat.

Der Staat kann zwar einige aber nicht alle dieser Unterschiede mittels Geld und Förderung kompensieren. Um hier absolute Egalität zu erreichen müsste der Staat dem intelligenter geborenen Kind im weiteren Lebensverlauf gezielt Steine in der Weg legen, d.h. es benachteiligen und diskriminieren. Und um die ungleichen Entwicklungschancen in den Familien absolut zu egalisieren müsste der Staat auch alle Kinder ihren Eltern entziehen und sie in staatlichen Heimen unter absolut gleichen Bedingungen großziehen lassen, wo dann jeder gleich behandelt würde. Es ist offensichtlich, dass diese staatlichen Zwangsmaßnahmen noch viel ungerechter und auch inegalitärer wären als die natürlichen Ungleichheiten durch Vererbung und Kindheit in der Familie.

5.2 Die Menschheitsgeschichte

Aber auch die Menschheitsgeschichte ist ein einziges Panoptikum von Ungerechtikeiten und Ungleichheit. Unternehmen wir einen Streifzug vom Neandertaler bis in unser Computerzeitalter:

5.2.1 Von der Vor- und Frühgeschichte zur Antike

Es beginnt damit, dass der möglicherweise intelligentere oder nur seiner Umwelt angepasstere Homo Sapiens seinen Verwandten den Neandertaler [4] in die Ecke drängt und von der Erde vertreibt. Dann siedeln sich die einen Menschengruppen in klimatisch für die Landwirtschaft günstigen Regionen an, gründen Städte und entwickeln eine arbeitsteilige Gesellschaft sowie Hochkultur und leben (zumindest die Oberschicht, nicht die Bauern oder gar Sklaven) luxuriös in Saus und Braus. Das Leben ist schön - man lässt es sich gut gehen!

In anderen Regionen sieht es dagegen nicht so rosig aus: Zum Beispiel in Gallien oder dem großenteils nach von Wald wald bedeckten Germanien. Auf den kleinen und verstreut liegenden Rodungsinseln lebt man relativ isoliert in kleinen Weilern in einfachen Holzhütten. Den Lebensunterhalt muss man dem kargen Boden mit viel Mühsal abringen. Der Speiseplan wird durch die Jagd aufgepeppt und gelegentlich überfällt man andere Stämme, um ihnen auch noch den spärlichen Besitz zu rauben. Eine harte Welt, in der sich in Abwesenheit eines durchgehenden Rechts der Stärkere durchsetzt und sich nur ein rudimentäres und einfaches kulturelles Leben entwickelt.

Später treffen dann diese unterschiedlichen Welten hart und teilweise brutal aufeinander. Die zentralen Hochkulturen unterwerfen die Randvölker. Die Babylonier, Perser und Ägypter durchdringen weit ausgreifend wirtschaftlich und später auch militärisch die angrenzende und teilweise unterentwickelte Peripherie. Deren Wirtschaft und Gesellschaft wird auf die Bedürfnisse der Zentrale ausgerichtet. Dies ist ein Vorgang, der bis in die Jetztzeit anhält: Die heutigen Afrikaner vernachlässigen ihre Eigenversorgung und liefern dem Westen billig Rohstoffe und Nahrungsmittel.

Die Römer unterwerfen später Nordafrika, den Nahen Osten, Spanien, Gallien und Germanien. Mit der Freiheit und Selbsbestimmung der Gallier (angeblich ja ohne das kleine Dorf mit Asterix und Obelix), Germanen und Berberstämme ist es erst mal vorbei. Dafür gelangen mit Brücken, Straßen und der Badekultur (geheizte Bäder) moderne Techniken in die "Barbarengebiete". Es folgen Römisches Recht, die Lateinische Sprache - die antike Kultur. Das hat unzweifelhaft ja auch seine Vorzüge, oder?

Im Urchristentum wird dann ein Versuch unternommen, die von vielen Menschen für unbarmherzig erachtete antike Herren-und-Sklaven-Moral in Richtung auf Gleichheit, Gerechtigkeit, Brüderlichkeit und Liebe zu überwinden. Aber spätestens mit der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion des Römischen Reiches nach dem Tod von Kaiser Theodosius I. im Jahr 380 waren diese Ziele nur noch schmückendes theoretisches Beiwerk: Nun verfolgte die römische Staatskirche streng jede von ihrer Doktrin abweichende Auslegung der Lehre Jesu als Häresie, Anhänger anderer Religionen und Heiden wurden mit Waffengewalt "bekehrt" und die Ungleichheit sowie die Macht der weltlichen Herrscher wurden von der Kirche noch zusätzlich religiös legitimiert. Wer nun gegen die weltliche Herrschaft aufbegehrte oder mehr Gleichheit forderte war nicht nur ein Revolutionär, sondern auch ein Frevler gegen die gottgewollte Ordnung. Ab auf den Scheiterhaufen mit ihm!

5.2.2 Das Mittelalter

Im Mittelalter dann weiter das immer gleich Spiel wie in der Antike: Führungsstarke Stammesführer steigen zu einer Adelsschicht mit großem Besitz und vielen Privilegien auf. Priester und Mönche gründen Klöster und leben teilweise in Saus und Brau. Der einfache Bauer dagegen haust und schuftet wie immer schon weiter in Armut und Dreck. Wo bleibt hier die Gleichheit? Karl der Große metzelt die noch heidnischen Sachsen nieder, lässt ihren Heiligen Baum fällen und zwingt der Bevölkerung die Lehre Jesu auf. Später rottet der Deutsche Orden die im späteren Ostpreußen beheimateten heidnischen Pruzzen aus und macht es sich dort gemütlich. Die Anhänger Mohammeds fegen im 7. und 8. Jahrhundert wie eine Feuersturm über den Nahen Osten und Nordafrika bis nach Spanien. Wer dann nicht zum Islam konvertiert ist wie die dort ihrem Glauben treu bleibenden Juden und Christen rechtlich diskriminiert und darf auch noch eine extra Kopfsteuer an die neuen Herren entrichten. Ist das egalitär und gerecht?

Die dreigliedrige und von der Kirche religiös begründte Ständeordnung des Mittelalters aus Lehrstand (Bischöfe. Priester und Mönche) - Wehrstand (adlige Grundbesitzer und Ritter) - Nährstand (Bauern und Handwerker) war ein Musterbeispiel für gesellschaftlich fest verankerte Ungleichheit. Für uns heute schwer nach vollziehbar begehren aber selbst die ärmsten der Armen gegen diese vorgeblich gottgewolte und ewige Ordnung fast nie auf. Zu tief hat jeder Mensch des Mittelalters dieses Ordnungsschema seit Jahrhunderten verinnerlicht als dass er es ernsthaft in Zweifel zog und Gleichheit, Freiheit und Demokratie angestrebt hätte. Es gibt zwar mit dem Bauernkrieg Aufstände der wirtschaftlich immer mehr in die Enge gedrängten ländlichen Bevölkerung, bei denen auch Burgen und Klöster verwüstet werden. Die Bauern waren aber meist primär über die Missachtung ihnen gegenüber verbriefter Rechte durch die Grundherren erzürnt. Sie pochten also auf die Befolgung der gottgewollten und ungleichen Ordnung und nicht auf deren Beseitigung. Vorstellungen wie eine anzustrebende politische, rechtliche und wirtschaftliche Gleichberechtigung oder demokratische Mitbestimmungsrechte lagen jenseits dessen was der Mensch des Mittelalters sich vorzustellen vermochte. So gab es auch bis zur Französischen Revolution nie wirkliche Revolutionen.

Den Widerspruch zwischen der extrem ungerechten und ungleichen Realität und der Gerechtigkeit und Gleichheit nach christlicher Theorie löst schon der Kirchenvater Augustinus im 3. Jahrhundert n. Chr. in seinem Buch De civitate Dei (dt.: Der Gottesstatt) mit der Lehre von den Zwei Reichen, civitas dei und civitas terrana, theologisch auf: Auf der Erde (civitas terrana) herrscht keine absolute Gerechtigkeit oder Gleichheit und man muss sich hier der weltlichen Macht fügen. Im Reich Gottes und der Christen (civitas dei) herrscht dann absolute Gleichheit der unsterblichen Seelen und die vollkommene Gerechtigkeit Gottes. Leider kommt man aber erst nach dem Tode in den Genuss dieser beiden Vorzüge.

Da im Mittelalter auch in Bezug auf Rechtsgeschäfte weit weniger schriftlich dokumentiert wurde als in modernen bürokratischen Nationalstaaten war es häufig schwierig bei einem Rechtsstreit die Wahrheit zu eroieren, d.h. zu einem gerechten Urteil zu gelangen. Häufig waren Eide der Betroffenen die einzigen rechtlichen Belege. Ließen auch diese keine eindutiges Urteil zu, mussten andere Wege zur Wahrheitsfindung beschritten werden. Und wer wäre besser geeignet die endgültige Wahrheit zu verkünden als der allmächtige und vollkommen gerechte Gott? Folgerichtig veranstaltete man ein Gottesurteil: Dabei traten beispielsweise die beiden vor Gericht gegeneinander streitenden Kontrahenten in voller Rüstung zu einem Zweikampf gegeneinander an. Der Sieger war ohne Zweifel im Recht, da Gott es ja nie zulassen würde, dass der Ungerechte den Kampf gewinnt, oder? Beliebt waren auch andere Formen des Gottesurteils wie z.B. die Wasserprobe. Die z.B. wegen Hexerei angeklagte Person wurde mit Steinen beschwert ins Wasser geworfen. Konnte sie sich dennoch an der Wasseroberfläche halten, war sie schuldig, weil diese Außerkraftsetzung der Naturgesetze ja nur möglich sei, wenn man mit dem Teufel im Bunde ist. Wenn die Person unterging, war sie unschuldig - und tot, was aber nicht so schlimm ist, weil sie ja jetzt als Unschuldige die Herrlichkeit der Nähe Gottes im Himmel genießt. Uns heutigen Menchen erscheint diese Art von Gerechtigkeitsempfinden befremdlich bis aberwitzig, aber der Mensch des Mittelalters empfand solche Art der Rechts- und Gerechtigkeitsfindung wohl überwiegend als angemessen und okay. Wir sehen: Tempora mutantur (lateinisch für „Zeiten ändern sich“), was als gerecht gilt, ist auch dem Wandel der Zeiten unterworfen.

Im Hochmittelalter erlangen dann die Städte Reichtum und relative Freiheit von den jeweiligen Regionalfürsten: Augsburg, Nürnberg, Brügge, Antwerpen, Florenz, Mailand, Venedig, London, Lübeck, Rostock und Hamburg blühen auf. Mit Handel, vorindustrieller Produktion hochwertiger Produkte, aber auch dem Geldverleih werden riesige Reichtümer aufgehäuft. Und was ist aus diesen Wohlstand im Laufe der nächsten Jahrhunderte geworden? Augsburg, dank der Fugger und anderer Kaufleute einst eine der wirtschaftlichen Hauptmetroplen des Mittelalters, ist heute eine mittelgroße bayrische Stadt mit Industrie, aber ohne jegliche globale Relevanz. Florenz und Venedig, in der Renaissance wirtschaftliche und kulturelle Zentren mit Bedeutung für ganz Europa und den Orient, leben heute fast nur noch vom Tourismus. In anderen einst blühenden Städten der Toskana erinnern heute nur noch halb verfallene Türme und Mauern an die einstige Pracht. Und was ist mit Angkor Wat im heutigen Kambodscha, der riesigen Tempelanlage samt Millionenbevölkerung in den angrenzenden Regionen? Ab dem 10. Jahrhundert für ein paar Jahrhunderte ein blühendes Gemeinwesen, später verlassen und vom Urwald überwuchert - heute von Touristenscharen heimgesucht. Ganz anders die Enwicklung an der Themsemündung: Um Christi Geburt ein menschenarmer, feuchter und nebliger Ort - heute das Finanzzentrum Europas mit Millionen von Einwohnern, die sich (außer Börsenspekulanten, Anwälten und Promis) die astronomisch hohen Mieten nicht mehr leisten können und ins Umland abwandern. Ähnliches an der Nordostküste Amerikas: Noch um 1500 begegnen uns auf einer dicht bewaldeten kleinen Insel nur ein paar Indigene, die dem Reh und Hirsch nachstellen und ihre Fangnetze für Lachse auswerfen. Wo einst ein bescheidener Wigwam stand, finden wir heute gewiefte Spieler und Jongleure an der Wall Street, die nach getaner Arbeit wie Millionen anderer Bewohner des Big Apple in ihre modernen Wigwams zurückkehren.

Alte Handelsrouten verschieben sich und neue etablieren sich - neue Produkte erobern die Märkte und einst sehr gefragte Erzeugnisse will kaum mehr jemand erwerden - alte Handwerke sterben aus und neue Hochtechnologien entstehen - Ritter steigen zu Herzögen auf und wieder ab, Kaufleute verdienen Millionen und verlieren sie wieder - mächtige Reiche werden zerstört und neue, junge und ehrgeizige staatliche Player betreten die Bühne. Einst blühende Metropolen verkümmern zu halbländlichen Siedlungen, und wo einst wenige Jäger und Sammler umher zogenm brettern nun zehntausende von Autos durch die zubetonierte Landschaft und verpesten die Luft. Wir können schon mal vermuten, dass sich dies selten gerecht oder gar egalitär vollzieht.

5.2.3 Die Neuzeit - Aufbruch zu neuen Ufern

Nun könnte man vermuten, dass sich diese Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten mit Aufklärung und Industrialisierung geändert haben: Wissenschaft - Hygiene und moderne Medizin - raffinierte Maschinen machen anstrengende Muskelarbeit überflüssig - erste Ansätze zu demokratischen Strukturen - Wahlrecht und Parlamente - verfassungsrechtlich verankerte Grundrechte, Gleichheit vor dem Gesetz und auch mehr Frauenrechte - Abschaffung der Privilegien des Adels - jeder kann sich über Zeitungen und später das Fernsehen zum kritischen und aufgeklärten Bürger fortbilden. Sollte dies nicht allmählich und zwangsläufig ein Schlaraffenland von Gleichheit und Gerechtigkeit für alle gebären? Pustekuchen! Zuerst vergrößert sich die Ungleichheit noch mehr: In der Frühphase der Industrialisierung strömt die verarmte Landbevölkerung als Industriebproletariat in die Großstädte. Dort darf man dann bis zu 12 Stunden täglich teilweise unter Lebensgefahr in stickigen und schmutzigen Fabriken schuften und sich abends in ein oder zwei Hinterhofzimmer zurück ziehen. Der Fabrikbesitzer richtet sich, wie z.B. die Krupps in Essen die Villa Hügel mit 269 Zimmern auf 8.100 Quadratmetern (natürlich mit Parkanlage, Warmwasser, moderner Heizung, elektrischer Beleuchtung, teuren Gemälden und unzähligen Bediensteten), etwas komfortabler ein.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts etablieren sich allmählich die sozialen Versicherungssysteme: 1883 führt Otto von Bismarck die Krankenversicherung, 1884 die Unfallversicherung und 1889 die Rentenversicherung ein. Etwas mehr Gerechtigkit und Gleichheit, ja - die Auszahlungen waren aber lange Zeit so gering, dass von einem gleichberechtigten oder gar egalitären Leben gar nicht zu sprechen war. Andere Länder führten diese Sicherungssysteme erst später und manche bis heute gar nicht ein. Die Umsetzung der Gleichheit vor dem Gesetz machte im Deutschen Reich Fortschritte. Auch jüdische Menschen genossen nun die vollen Bürgerrechte und ab 1918 erhielten auch Frauen das Wahlrecht.

5.2.4 Unsere Gegenwart

Heutzutage sind die Einkommens- und Besitzungleichheiten realativ betrachtet gewiss nicht geringer, vielleicht sogar noch größer als in früheren Jahrhunderten z.B. zwischen Bauern und Tagelöhnern im Vergleich zum wohlhabenden Kaufmann und Fürsten. Der Unterschied besteht nur darin, dass die Untergrenze des Einkommens heute durch Mindestlöhne und Arbeitslosengeld im Gegensatz zu früher auf ein Niveau angehoben ist, welches den untersten Einkommenschichten zumindest ein Leben ohne Hunger, fehlende ärztlicher Versorgung und Wohnung ermöglicht. Dies wurde aber eher mittels der durch die Industrialisierung erzielten um ein mehrfaches erhöhten Produktivität der Wirtschaft erreicht als dadurch, dass der heutige Mensch nun soviel sozialer, gerechter oder moralischer geworden ist.

Ein Manager verdient heute locker mal das 100-fache dessen, was sein ungelernter Produktionsmitarbeiter erhält, und der Fusballprofi Cristiano Ronaldo wird in Saudi-Arabien mit 200 Millionen € jährlich für seine Künste am runden Leder entlohnt - er hat dann mit einer Woche Arbeit mehr verdient als ein Durchnittsbürger in seinem ganzen Leben. Nun kann man ja sagen: Ein Top-Manager leistet ja auch viel und hat oft einen 12-Stunden-Tag oder mehr. Und Ronaldo beherrscht wie auch Lionel Messi den Ball halt wie kaum ein anderer auf der Welt. Okay, aber was ist mit den ganzen Influencern auf Youtube, Facebook oder Twitter, den B-Promis oder dem englischen Prinzen Harry? Sie alle können eigentlich nichts und leisten nichts, außer dass sie ihre Exaltiertheit, Verschrobenheit oder ihren Körper für Millionen von Euro vermarkten, während die Krankenschwester oder der Automechatroniker wenigstens noch eine Leistung für andere Menschen erbringen und dennoch viel, viel weniger verdienen. Ist das gerecht? Und wo bleibt da die Gleichheit? Und dann werden diese riesigen Vermögen irgendwann noch einfach an die Nachkommen vererbt, von denen etliche noch nie im Leben etwas auf die Reihe bekommen haben. Ist das eine gerechte und gleiche Weitergabe von Vermögen?

Aber wenigstens im politischen Bereich ist doch heute Gleichheit und Gerechtigkeit (zumindest in der Westlichen Welt) verwirklicht? Schließlich gilt bei Wahlen für alle die Regel one man one vote. Und jeder hat das gleiche Recht, sich in Parteien, Verbänden und Bürgerinitiativen politisch einzubringen. Bei näherer Betrachtung der realen Verteilung politischer Macht ergibt sich allerdings ein etwas anderes Bild: Einem Unternehmer, dessen Betrieb wirtschaftlich wichtige regionale Bedeutung zukommt, hat ganz andere und umfassendere Möglichkeiten seine politischen Ansichten einzubringen und durchzusetzen als ein einfacher Angestellter. Ein dezenter Hinweis auf seine Option Arbeitsplätze aus der Region auszulagern, falls der Bürgermeister oder Landrat seinen Wünschen nach Subventionen oder Genehmigungen für Betriebserweiterungen nicht nachkommt hat, häufig starke Wirkung. Welcher Lokalpolitiker will denn schließlich für Arbeitsplatzabbau oder sinkende Wirtschaftskraft in seiner Region gerade stehen müssen? Managern größerer Unternehmen stehen auf nationaler und globaler Ebene noch ganz andere Möglichkeiten einer überproportionalen politischen Einflussnahme offen. Sie können - gerne auch mittels Lobbyisten oder Spenden an die Parteien - politische Entscheidungen bezüglich Steuergesetzgebung, Handelsverträgen, Subventionen, Verbraucherschutzgesetzen und etliches mehr viel stärker zu ihren Gunsten beeinflussen und lenken als der einfache Bürger. Hier gilt also eher one man many votes - another man still only one vote.

Werfen wir nun mal einen Blick in die Medienlandschaft: Der Bürger entscheidet an der Wahlurne ja weniger aufgrund von Erfahrungen und Erkenntnissen aus seiner eignen Lebensumwelt, was oder wem er seine Stimme gibt, sondern eher basierend auf Informationen, Analysen, Interpreatationen und Kommentaren aus Presse, Fernsehen und Internet. Und diese Informationen werden von Menschen erstellt und unters Volk gebracht. Die deutsche Wikipedia schreibt dazu:[5]

Multiplikatoren sind Personen, die aufgrund ihrer Positionen (z. B. Populärwissenschaftler, Intellektuelle, Journalisten, Lehrer, Pfarrer, Politiker) und ihrer Fähigkeiten im Zuge beruflicher Tätigkeit, Informationsübermittlung, sozialer Beziehungen, von Gesprächen und Beeinflussung zur Verbreitung (Multiplizierung) bestimmter Wertvorstellungen, Meinungen, Kenntnisse und Verhaltensmöglichkeiten beitragen.

Lässt sich das Wirtschaftleben, und speziell die Freie Marktwirtschaft, mit Egalität und Gerechtigkeit vereinbaren ? Diese Frage ist wegen der Ungleichverteilung von Einkommen, Besitz und wirtschaftlicher Macht immer aktuell und wird in Talkshows heiß diskutiert.

Was heißt nun Wirtschaft? Es ist die planvolle Befriedigung der Bedürfnisse der Marktteilnehmer, also der Menschen und Unternehmen. Diese Bedürfnisse beruhen immer auf einem subjektiv empfundenen Mangel an Waren und Dienstleistungen. Bereits diese Bedürfnisse sind regional und je nach Gruppe oder Individuum inhomogen, d.h. ungleich verteilt. Der Handel als Teil der Wirtschaft basiert auf der ungleichen Verteilung einzelner Güter, also der Inhomogenität des Wirtschaftsraumes. Eine Region verfügt über einen Überschuss an Weizen den man gar nicht selber konsumieren kann, während in einer anderen Region dringend Weizen benötigt wird. Dafür produziert diese Region dann wiederum über den Eigenbedarf hinaus Textilien, die man woanders sehnlichst vermisst. Dies gilt für fast alle Produkte und auch für Arbeitskräfte, Energie, Finanzmittel und vieles andere. Hätte man einen vollkommen homogenen Wirtschaftsraum in dem alle nachgefragten Güter gleichmäßig auf die Regionen verteilt sind, würde man keinen Handel benötigen. Wir sehen also: Ungleichheiten sind die Basis der menschlichen Wirtschaftstätigkeiten.

Diese Ungleichheiten/Disparitäten erzeugen dann Angebot und Nachfrage (auch in sozialistischen Planwirtschaften) und daraus folgend die frei gebildeten Preise (nur in Freien Marktwirtschaften). Die Preisbildung legt aber nicht nur (wie viele Menschen irrtümlich meinen) fest was wir an der Kasse für ein Produkt bezahlen - sie ist das Instrument welches das ganze Wirtschaftsleben regelt und koordniert: Über den Preis wird entschieden was in welcher Menge produziert und an wen es verteilt wird (Allokation) - Nahrungsmittel, Maschinen, Spielekonsolen, Autoreifen, Kleidung, die Verteilung von Wohnraum, Energie, Arbeitskräfte und deren Löhne, Transportkosten, Goldpreise, Aktienkurse, Wechselkurse, und, und, und ... Dabei sorgt der Preis (vorausgesetzt es gibt keine Marktverzerrungen durch äußere Einflüsse) dafür, dass all diese Produkte optimal auf die Marktteilnehmer verteilt/allokiert werden, wobei mit optimal gemeint ist, dass die Verteilung der Güter über den Preismechanismus die bestmögliche Effizienz und Produktiviät einer Volkswirtschaft garantiert. Dazu zwei Beispiele:

6 Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Anm.: Die Unterscheidung „links – rechts“ im Sinne politischer Richtungsbegriffe findet sich erstmals in der Französischen Nationalversammlung von 1789. Sie geht auf die dortihe Sitzordnung zurück: Adel, Kleriker und Anhänger des Ancien Regime beanspruchten den Platz rechts vom Parlamentspräsidenten. Links saßen die liberalen Bürger und Revolutionäre, die sich gegen die Monarchie wandten und Veränderungen durchsetzen wollten.
  2. https://de.wikipedia.org/wiki/Gleichheit
  3. https://de.wikipedia.org/wiki/Gerechtigkeit
  4. Anm.: Neuere Forschungen legen den Schluss nahe, dass der Neandertaler möglicherweise gleich intelligent wie der Homo Sapiens war.
  5. https://de.wikipedia.org/wiki/Multiplikator_(Bildung)

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