Ist die AfD eine Bürgerliche Partei?
Anlässlich der Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg Anfang September 2019 kam es zu einer erregten öffentlichen Diskussion über die Frage: Ist die AfD eine Bürgerliche Partei ? Anlass war die Frage der MDR-Moderatorin Wiebke Binder an den CDU-Politiker Marco Wanderwitz, ob nicht ein mögliches Bündnis aus AfD und CDU als bürgerliche Koalition möglich wäre. Wanderwitz reagierte empört und betonte, dass die AfD aus seiner Sicht keine Bürgerliche Partei sei. Bald echauffierten sich auch Politiker anderer Parteien, dass die AfD als Bürgerliche Partei bezeichnet wurde. Der MDR ruderte schon bald reumütig zurück und entschuldigte sich für die Formulierung. Alexander Gauland von der AfD reklamierte dagegen den Status einer Bürgerlichen Partei für seine AfD. In diesem Artikel wollen wir untersuchen was mit dem Begriff Bürgerliche Partei eigentlich gemeint sein könnte, ob dieser Begriff überhaupt sinnvoll ist und ob die AfD und/oder die anderen Parteien nun Bürgerliche Parteien sind.
Inhaltsverzeichnis
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1 Der Begriff bürgerlich
- Der Begriff bürgerlich wird auf verschiedenen Bedeutungsebenen verwandt:
- 1.) Im Begriff Staatsbürger bezeichnet er einfach die sich aus der Staatsangehörigkeit ergebenden Rechte und Pflichten einer natürlichen Person in dem Staat, dem sie angehört. In diesem Sinne ist die Frage nach der Staatsangehörigkeit mit der Staatsbürgerschaft zu beantworten, der rechtlichen Zugehörigkeit zur Gemeinschaft von Bürgern eines Staates. Die Staatsbürgerschaft kann man durch Abstammung, Geburt oder Einbürgerung erwerben. Das Grundgesetz verbietet in Artikel 16 Abs. 1 Satz 1 den Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit. Ein deutscher Staatsbürger ist also jede Person mit der deutschen Staatsangehörigkeit. Die politischen Überzeugung einer Person ist ebenso wie soziale, religiöse oder sonstige Kriterien für die Staatsbürgerschaft irrelevant. Ein Staatsbürger kann ebenso CDU-Anhänger wie Kommunist, Neonazi, Hartz IV-Empfänger, verurteilter Verbrecher, ein erfolgreicher Unternehmer, Christ, Muslim oder Buddhist sein. Man kann auch ein totales Arschloch sein und ist dennoch ein Staatsbürger. In Bezug auf die Wortbedeutung bürgerlich im Sinne von Staatsbürger macht also die Frage ob die AfD oder irgendeine andere Partei nun eine Bürgerliche Partei sei absolut keinen Sinn.
- 2.) Das römische Bürgerrecht war anfangs wie in den griechischen Polis nur auf die Einwohner der Stadt Rom und die Bauern der umgebenden Landstriche beschränkt. Das Stimmrecht der römischen Bürger war von deren Vermögen abhängig. In der mittelalterlichen Verfassung einer Stadt war ein Bürger ein vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft. Wichtigste und unabdingbare Voraussetzung für die Bürgerschaft war der Immobilienbesitz. Weitere Voraussetzungen waren ein Mindestvermögen und die ehrliche Geburt, das heißt dass man ehelich geboren sein musste und nicht von Henkern, Totengräbern und sonstigen unehrlichen Berufen abstammte. Die Anzahl der Bürger war damit im Vergleich zur Zahl der Einwohner relativ gering. Da heute jeder Staatsbürger unabhängig von Einkommen, Grundbesitz und seiner Abstammung wählen darf und gewählt werden kann, ist die antike und mittelalterliche Begriffsdefinition in Bezug auf die Frage ob die AfD eine Bürgerliche Partei ist bedeutungslos.
- 3.) Mit der Französischen Revolution begehrten wirtschaftlich erfolgreiche Händler, Kaufleute, Handwerker und Akademiker gegen ihre politische Rechtlosigkeit gegenüber dem Adel und Klerus auf. Es bildete sich der Begriff Bürger (citoyen) bzw. Bürgertum als Gegensatz zum Adel und Klerus, aber auch zu den einfachen und verarmten Bauern, Handwerkern und Tagelöhnern. Das Bürgertum war damals in seinem Kampf gegen Adel und Klerus eine durchaus progressive Kraft. Allerdings dachte es nicht im entferntesten daran, auch das einfache und verarmte Volk an der Macht im Staat partizipieren zu lassen. Das Wahlrecht war weiterhin an den Besitz gekoppelt. Im Laufe der nächsten 100 Jahre stieg das Bürgertum zur gesellschaftlich und wirtschaftlich dominierenden Macht auf. Es entwickelten sich nun für das aus Unternehmern, erfolgreichen Kaufleuten, höheren Beamten und Freiberuflern bestehende Bürgertum typische Einstellungen und Lebensformen. Wichtig waren dabei bürgerliche Tugenden wie Leistungswillen, Fleiß und Sparsamkeit, aber auch die selbstbewusste aber nicht protzige Zurschaustellung des eigenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs durch gediegene Wohnungseinrichtung, Kleidung und Haltung. Auch eine bürgerliche Kulturausübung mit Klassischer Literatur, Klassischer Musik, Theater- und Konzertbesuch, Kuraufenthalten, Hausangestellten, Klavierunterricht für die Töchter und humanistischer Bildung erwartete man von einem Angehörigen des Bürgertums. Duese Lebensform würden heutige junge Menschen als eine Mischung aus elitär und spießig bezeichnen. Auf jeden Fall aber wäre sie für sie uncool. Das Bürgertum wurde nun immer konservativer. Typische Einstellungen des Bürgertums waren unbedingte Staatstreue, die Ablehnung von sozialen Reformen oder gar revolutionären Unruhen, das unbeschränkte Recht auf Besitz und wirtschaftliche Aktivität, eine freie kapitalistische Marktwirtschaft ohne Einmischung des Staates, die Forderung nach möglichst niedrigen Steuersätzen, eine gemäßigter Liberalismus, ein oft bis zum Nationalismus gehender Nationalstolz und das verächtliche Herabschauen auf das einfache Volk, das Proletariat, dessen Aufbegehren man stets fürchtete. Das Bürgertum war nun zu einer konservativen bis reaktionären Kraft geworden.
- 4.) Spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg löste sich das Bürgertum als soziale Klasse zunehmend auf. Bis in die 1970er- und 1980er-Jahre war es noch üblich CDU/CSU und FPD in Abgrenzung zur "linken" SPD als Bürgerliche Parteien zu bezeichnen. Aber diese Unterschidung war schon damals eher Propaganda von CDU/CSU und FPD, da die SPD sich bereits 1959 mit ihrem Godesberger Programm zumindest theoretisch von kommunistischen Vorstellungen verabschiedet hatte und CD/CSU wie auch FDP verstärkt eine Sozialpolitik auch für finanziell schlechter gestellte Schichten betrieben. Es gibt heute zwar immer noch soziale Schichtungen nach Beruf, Bildung und Einkommen, aber die Grenzen zwischen den einstigen Klassen sind durchlässiger geworden und ein Auf- bzw. Abstieg in höhere bzw. niedrigere soziale Bereiche ist viel leichter als früher. Einen Macht ausübenden Adel gibt es nicht mehr und auch das einstige Proletariat existiert kaum noch. Stattdessen gibt es alle möglichen Abstufungen vom Hilfsarbeiter bis zum gut bezahlten Facharbeiter, vom einfachen bis hohen Beamten und vom arbeitslosen Akademiker bis zum studierten Spitzenverdiener. Auch den einstigen kulturellen Komplex des Bürgertums aus Theater- bzw. Konzertbesuch in Frack sowie gediegener Kleidung und Habitus gibt es im 21. Jahrhundert nicht mehr. Der Geringverdiener geht in Jeans in ein klassisches Konzert und der erfolgreiche Abteilungsleiter wälzt sich in seiner Freizeit beim Wacken Open-Air zum Heavy Metal-Längen im Schlamm. Der gut verdienende Manager kann in seiner Freizeit typisch proletarischen Hobbies wie Fußball, Grillen oder Kneipenbesuch frönen oder sich daheim ökologisch-alternativ einrichten. Man kann auch als arbeitsloser arabischer "Flüchtling" bequem auf Staatskosten leben und sich mittels Hartz IV und ein wenig Schwarzarbeit ein durchaus bürgerliches Leben mit großer Wohnung, schicken Klamotten und teurem Auto leisten. Das Bürgertum existiert nach einhelliger Überzeugung von Soziologen als gesellschaftliche und kulturelle Klasse heutzutage nicht mehr.
2 Welche Parteien sind Bürgerliche Parteien?
- Kommen wir zur Frage, welche politischen Parteien in Deutschland denn nun als Bürgerliche Parteien bezeichnet werden können. Es gibt eigentlich keine politische Partei mehr, die sich ausschließlich an ein dem einstigen Bürgertum ähnelndes Wählerklientel wendet. CDU, SPD, FDP, Die Grünen, Die Linke wie auch die AfD wollen eigentlich alle Wählergruppen vom einfachen Arbeiter bis zum Millionär ansprechen. Die Parteien versprechen deshalb dem Geringverdiener mehr staatliche Subventionen, dem Durchschnittsverdiener finanzielle Erleichterungen, dem vermögenden Wähler Steuerersparniss, dem Öko-Freak mehr Umweltschutz, dem Autofahrer bessere Straßen, kinderreichen Famillien mehr Kindergeld und bessere Kitas, allen Wählern schnellere Internetverbindungen und jedem Menschen bessere Lebensbedingungen. Für jeden soll schließlich (auch wenn das nicht umsetzbar bzw. finanzierbar ist) etwas dabei sein! Auch in allen Parteien sind Menschen unterschiedlichster Herkunft und sozialer Klasse vertreten.
- Die Partei Die Linke widerspricht mit ihren Forderungen nach Enteignungen von Immoblienbsitzern, erhöhten Spitzensteuersätzen und den Forderungen nach permanenter sozialer Umverteilung sowie einem Bedingunslosem Grundeinkommen den Vorstellungen des einstigen Bürgertums am meisten. Bürgertum und Kommunismus sind nun mal wie Feuer und Wasser. Sagte nicht schon Lenin, das große Vorbild und Idol der Partei Die Linke einst: "Um die bürgerliche Gesellschaft zu zerstören, muss man ihr Geldwesen verwüsten."
- Auch die SPD mit ihrer Geschichte als Arbeiterpartei, ihrer Schulz-Kampagne zur angeblich so ungerechten deutschen Gesellschaft und ihren Forderungen nach Gesamtschulen und höherer Besteuerung der Besserverdienenden hätte dem einstigen Bürgertum gar nicht gefallen.
- Die Grünen mit ihrer Herkunft aus dem asozialen 68er-Millieu und ihrem Hang zu gewalttätigen Demonstrationen, übermäßigen staatlichen Reglementierungen und Verboten wäre beim liberalen Bürgertum auch auf Ablehnung gestoßen. Diese drei Parteien sind also in keinster Weise Bürgerliche Parteien.
- Die CDU/CSU konnte man früher schon eher als Bürgerliche Partei sehen. Hier wird etwas weniger Umverteilung und staatliche Reglementierung gefordert. Aber auch in der CDU/CSU haben spätestens in der Ära Merkel sozialistische Vorstellungen und der Hang zu staatlicher Regulierung überhand genommen. Mit einer wirklicher Bürgerlichen Partei haben auch CDU/CSU wenig zu tun.
- Die liberale FDP entspricht noch am ehesten den Vorstellungen des einstigen Bürgertums: Vorrang des Einzelnen und seiner Rechte vor der Allmacht des Staates, freie Marktwirtschaft mit möglichst wenig staatlichen Eingriffen und Subventionen, niedrige Spitzensteuersätze, keine Umverteilung von oben nach unten und keine Ideologisierung der Bevölkerung sondern sachliche Entscheidungsfindung. Das hätte dem Bürgertum des frühen 20. Jahrhunderts gefallen!
3 Ist die AfD eine Bürgerliche Partei?
- Die AfD ähnelt in vielen ihrer Forderungen der FDP: Niedrige Spitzensteuersätze und weniger staatliche Reglementierungen, keine soziale Umverteilung und auch keine ideologische Indoktrinierung des Einzelnen durch den Staat. Auch tritt die AfD für verstärkte innere Sicherheit, Meinungsfreiheit und die Einhaltung der Gesetze ein. Das sind typische Vorstellungen des einstigen Bürgertums. Der AfD wird häufig zu Unrecht vorgeworfen dass sie nationalistisch, fremden- und islamfeindlich, antisemitisch sowie rechtsradikal sei. Nehmen wir nur mal für fünf Sekunden an, dass diese Vorwürfe zutreffend wären! Hätten diese Einstellungen den Vorstellungen des einstigen Bürgertums widersprochen? Die Antwort ist Nein: Das Bürgertum des frühen 20. Jahrhunderts war sehr nationalbewusst bis nationalistisch eingestellt. Man freute sich über die deutschen Kolonien in Afrika und folgte dem Kaiser mit Begeisterung in den Ersten Weltkrieg gegen den Erbfeind Frankreich. Der Spruch Am deutschen Wesen soll die Welt genesen erfreute sich speziell im Bürgertum großer Beliebtheit. Später wählten auch viele Menschen aus dem Bürgertum die NSDAP und folgten der antisemitischen Politik Adolf Hitlers. Andere Völker galten auch im Bürgertum als dem Deutschen unterlegen (die Südländer sind faul und dreckig, die Franzosen dekadent, die Engländer und Juden geldgierig, die Afrikaner dumm, die Russen barbarisch und die US-Amerikaner unkultiviert). Die Frage ob man eine Massseneinwanderung von Muslimen oder Afrikanern nach Deutschland hinnehmen will oder gar befürwortet stellte sich damals gar nicht. Man kann aber davon ausgehen, dass das Bürgertum diese Massenzuwanderung und die damit einhergehende Islamisierung seiner Heimat vehement abgelehnt hätte.
4 Fazit
- Die Frage, ob die AfD oder die anderen Parteien nun Bürgerliche Parteien oder Nichtbürgerliche Parteien sind, macht seit Anfang des 21. Jahrhunderts wenig Sinn, da kein traditionelles Bürgertum mehr gibt. Am ehesten entsprechen aber heute noch die Vorstellungen und Ziele von FDP und AfD dem einstigen bürgerlichen Weltbild. Die Versuche der CDU/CSU, SPD, Die Grünen, Die Linke und FDP sowie der Medien, die AfD als Nichtbürgerliche Partei abzuqualifizieren, kann man getrost als billige politische Propaganda abtun und muss ihr keine größere Bedeutung zumessen. Das ist nur ein billiges Manöver, auf das der unwissende Teil der Bevölkerung reinfällt, der keine Ahnung von den letzten 300 Jahren europäischer Geschichte hat oder aus Bequemlichkeit einfach nicht kritisch hinterfragt, was ihm Journalisten so auftischen.
5 Weblinks
- Sind die Grünen eine bürgerliche Partei? - Robert Habeck will Geschichte umschreiben
- Weil sie AfD als bürgerliche Partei bezeichnete: Widerliches Mobbing der Verliererparteien gegen MDR-Moderatorin
- Hexenjagd auf MDR-Moderatorin Wiebke Binder muss beendet werden
- Ist die AfD „bürgerlich“? - Wenn ein Schimpfwort zum Ehrbegriff wird
- Moderatorin bezeichnet Alternative für Deutschland als "bürgerlich" - Wortwahl löst Sturm der Entrüstung aus
- AfD - Die selbst ernannten Bürgerlichen
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