Monetative
Achtung: Bei diesem Artikel handelt es sich (vermutlich) um Theoriefindung. |
Monetative ist die Bezeichnung für eine angedachte aber nicht realisierte vierte Institution in der staatlichen Gewaltenteilung neben den bisherigen „Gewalten“ der Legislative (Gesetzgebung), der Exekutive (Regierung und Verwaltung) und der Judikative (Gerichte als unabhängige rechtsprechende Gewalt). Der Monetative soll die Aufgabe der Geldmengensteuerung uneingeschränkt obliegen; ein etwaiger Gewinn soll in den Staatshaushalt fließen. Ihre Aufgabe entspricht damit grundsätzlich dem einer Notenbank.
Inhaltsverzeichnis
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1 Herkunft der Idee
Die Idee geht unter anderem auf David Ricardo und Robert Torrens zurück und wurde von Irving Fisher unter dem Begriff "100%-Money" vertreten. Später wurde von James Robertson und Joseph Huber der Begriff Vollgeld geprägt und von Hans Christoph Binswanger, dem Doktorvater von Josef Ackermann propagiert.
2 Begriff
Es handelt sich um ein ordnungspolitisches Konzept, das den staatlichen Zentralbanken den rechtlichen Status einer unabhängigen Vierten Gewalt zuweist. Ihnen soll die Aufgabe zukommen, die staatliche Geld- und Währungshoheit uneingeschränkt auszuüben. Das Wort Monetative ist in der entsprechenden Literatur selten zu finden, die Funktionen werden jedoch weitgehend so beschrieben.
Im Bereich des Geld- und Finanzwesens übt der Staat dreierlei Funktionen aus:
- monetäre (auf das Geld bezogen),
- fiskalische (auf die Steuern bezogen)und
- budgetäre (auf den Staatshaushalt bezogen).
Die monetären Funktionen der Schöpfung und Inumlaufbringung der gesetzlichen Zahlungsmittel würden vollständig der Monetative übertragen. Die gesamte reale Geldmenge würde in ihrem Bestand auch in einer Bankenkrise nicht gefährdet. Die Monetative muss ihre Geldpolitik auf gesetzlicher Grundlage betreiben, dabei jedoch operativ unabhängig sein sowohl gegenüber Weisungen der Regierung und des Parlaments als auch unabhängig gegenüber Banken- und Wirtschaftsinteressen.
Die fiskalische Hoheit (Steuer- und Abgabenmonopol) und die budgetäre Verantwortung für die öffentlichen Haushalte verblieben wie bisher im Grundsätzlichen bei der Legislative, in der Durchführung bei der Exekutive.
Die privaten Banken blieben selbständige marktwirtschaftliche Finanzunternehmen, die die Wirtschaft nach Maßgabe von Angebot und Nachfrage mit Krediten und sonstigen Finanzdienstleistungen versorgen.
3 Finanzwissenschaftlicher Hintergrund
Der Begriff der Monetative wurde von dem Ökonomen Bernd Senf geprägt.[1] Das Konzept, das sich damit verbindet, hat eine Geschichte, die so lange zurückreicht wie es frei geschöpftes Zeichengeld gibt (fiat money). Anders als bei einer traditionalen Goldwährung ist die Menge des modernen, frei schöpfbaren Geldes nicht begrenzt. Von daher besteht die Notwendigkeit einer Geldordnung, die eine optimale Versorgung der Wirtschaft mit Geld gewährleistet, ohne damit Inflation zu erzeugen.
Im heutigen zweistufigen Geldsystem sind zum einen die Zentralbanken, zum anderen die Geschäftsbanken dazu autorisiert, Geld in der offiziellen Währung in Umlauf zu bringen. Während die Zentralbanken das Bargeld und die Zahlungsmittel-Reserven für die Banken bereit stellen, kommen die Giroguthaben für den bargeldlosen Zahlungsverkehr des Publikums durch Bankenkredit in Umlauf.
Seit Entstehung der ersten Zentralbanken vor etwa 300 Jahren gibt es zwischen ihnen und den normalen Geschäftsbanken eine Arbeitsteilung mit durchaus wechselhaftem Verlauf. Finanzwissenschaftlich und geldpolitisch ist dieser Verlauf seit den 1830er Jahren begleitet von der Kontroverse zwischen Currency- und Banking-Lehren.[2]
Currency-Theorien in der Nachfolge von David Ricardo und Robert Torrens sehen Geld als ein allgemeines Zahlungsmittel, das ein gesetzliches Zahlungsmittel ist und unter staatlicher Kontrolle stehen soll, wobei der Geldschöpfungsgewinn dem staatlichen Haushalt zukommt. Die Geldordnung gilt als eine Frage von Verfassungsrang. Ein solcher Standpunkt wurde bereits auch von den Vätern der US-amerikanischen Verfassung eingenommen, besonders von Thomas Jefferson, später wieder von Abraham Lincoln.
Demgegenüber betrachten Banking-Theorien in der Nachfolge von Thomas Tooke und John Fullarton Geld als Privatsache. Deshalb soll als Zahlungsmittel alles zugelassen sein, was die Banken und das Publikum als Bezahlung akzeptieren. Anstelle einer staatlichen Kontrolle der Geldmenge solle es den Banken und den Geld- und Kapitalmärkten überlassen bleiben, was sie als Zahlungsmittel in Umlauf geben (welche Währung) und wieviel davon (die Geldmenge). Den Geldschöpfungsgewinn sollen die Banken privat vereinnahmen dürfen.
Die wissenschaftliche und politische Mehrheit zugunsten der Currency-Schule mündete in England in das Peel’sche Bankengesetz von 1844. Es etablierte das Monopol der Zentralbank sowie dadurch auch die Kontrolle der Zentralbank über die Zahlungsmittel der privaten Banken, indem diese sich bei der Zentralbank refinanzieren müssen. Diese Geldordnung wurde von allen Industrienationen übernommen, im Deutschen Reich schrittweise bis 1909.
Banking-Lehren werden vor allem von Bankiers und Bankern selbst vertreten. Wissenschaftler mit ausgeprägtem Banking-Standpunkt finden sich nur vereinzelt, besonders vertreten zum Beispiel durch Friedrich von Hayek (1977), der die radikale Entstaatlichung und Kommerzialisierung des Geldes in der Hand von Banken forderte.
Der Currency-Standpunkt wurde im Laufe der Zeit von namhaften Ökonomen, aber auch Geldreformern, weiter ausgebaut und aktualisiert, darunter Georg Friedrich Knapp (1905), Silvio Gesell (1919), C. H. Douglas in den 1920ern, Ludwig von Mises (1928) als bedeutender Vertreter der Wiener Schule, der Nobelpreisträger Frederick Soddy, John Maynard Keynes (1930), Walter Eucken als Hauptvertreter des Ordoliberalismus der 1930er Jahre (posthum 1959), Irving Fisher (1935), Henry Simons (1948) und Milton Friedman (1959).
Fortgesetzt wurde diese Reihe von Jürgen Pahlke (1970), Rolf Gocht (1975), damals Mitglied im Direktorium der Deutschen Bundesbank, sowie Joseph Huber (1998, 2004) und dem Ökonomen James Robertson (2000).
4 Kritik
Einerseits wird das Konzept der Zentralbanken kritisiert. Diese Kritik kommt aber hauptsächlich aus dem Neoliberalismus und von den Befürwortern der sogenannten Globalisierung. Das Konzept der Monetative sei mit mehr Bürokratie verbunden. Andererseits haben die Notenbanken durch ihre weitgehende Unabhängigkeit schon eine Stellung als „Monetative“; die fachliche Diskussion dreht sich hauptsächlich um die Frage, inwieweit sich diese Stellung bei Wirtschaftskrisen bewährt hat. Dabei wird manchmal das Beispiel des Schweizer Franken genannt. Eine Besonderheit ist die überstaatliche Europäische Zentralbank (EZB), die für bestimmte Maßnahmen der Geldpolitik in der Europäischen Union (EU) zuständig ist. Eine ähnliche Kontruktion ist das Federal Reserve System in den USA. Vor allem das Sytem in den USA wird als Beweis dafür genommen, dass die Idee der Zentralbanken in der Praxis gescheitert sei.
5 Aktualität
Die Aktualität des Themas ergibt sich daraus, dass infolge der Ausbreitung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs die privaten Banken heute zunehmend weniger auf die Zentralbank angewiesen sind. In der Europäischen Währungsunion bestehen nur noch 20 Prozent der Geldmenge aus Bargeld, der große Rest von 80 Prozent dagegen aus Giralgeld.[3] Darüber hinaus benötigen heute gerade die Großbanken nur einen vergleichsweise geringen Bestand an baren Zahlungsreserven, um ihren gesamten Zahlungsverkehr abzuwickeln.
Infolge dieser Entwicklung ist die Geldschöpfung der Kontrolle der Zentralbank faktisch weitgehend entglitten.[4] De facto bestimmen die Banken die Geldmenge durch ihre Kreditvergabepraxis, unter Absehung der jeweiligen Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft. Hierbei verhalten sie sich ausgeprägt prozyklisch, das heißt sie übersteuern die Geldmenge wiederkehrend, indem sie in Wachstumsphasen überschießend zuviel Geld, in Stagnationsphasen zuwenig Geld in Umlauf bringen.
Der Zentralbank - und damit dem Staat - entgeht infolge der großen Giralgeldmenge ein großer Teil des Geldschöpfungsgewinns. Stattdessen realisieren die Banken aus ihrer Giralgeldschöpfung und den Zinsen höhere Gewinne. Die in Frage stehenden Summen bewegen sich in einer Größenordnung bei jährlich 10–30 Milliarden Euro in Deutschland je nach Expansion der Geldmenge. Der Gewinn, der dem Staat entgeht, entspricht in erster Annäherung einem Zuwachs der Bargeldmenge in Proportion zum realen Wirtschaftswachstum. Das ergäbe im Jahr 2008 Größenordnungen von jährlich 25–50 Milliarden Euro.[5]
Infolge der kaum mehr steuerbaren Entwicklung der Geldmengen haben sich die Zentralbanken von der Geldmengenpolitik auf die Zinspolitik verlegt. Gemessen an den Resultaten scheint auch dies weitgehend wirkungslos geblieben zu sein: Im Zeitraum von 1992 bis zum Kriseneinbruch 2008 hat sich die Bargeldmenge in Deutschland um 189 Prozent ausgedehnt. Damit wuchs die Geldmenge fast viermal stärker als das Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen, dessen Zuwachs sich auf 51 Prozent belief, und mehr als achtmal stärker als das preisbereinigte reale Bruttoinlandsprodukt, das um 23 Prozent zulegte.[6]
Hinzu kommt, dass die prozyklisch überschießende Kreditexpansion und damit Giralgeldschöpfung nicht nur anhaltende Inflation nährt, teils schwächer, teils stärker, sondern zunehmend auch reine Finanzgeschäfte über den Bedarf der Realwirtschaft hinaus. Aus diesem Zusammenhang erklärt sich auch die massive Expansion des Investmentbanking in diesem Zeitraum sowie die in allen Teilen der Welt häufiger auftretenden Spekulationsblasen mit schweren Krisenfolgen, in Amerika und Europa vor allem die Dotcom Krise 2000 bis 2001 und die Finanzkrise von 2007 bis 2009, aber auch die Asienkrise von 1997 bis 1998.
Während der Staat diese Prozesse nicht mehr unter Kontrolle hat, muss er in solchen Krisen gleichwohl, um einen Systemkollaps zu verhüten, die allfälligen Verluste der Banken tragen und sich für ihren Bestand verbürgen. Die Gesellschaft in der Breite - der „Steuerzahlen“ - hat die Kosten und Folgelasten zu tragen. Da zugleich die Banken nicht damit aufgehört haben, betreffenden Managern und Mitarbeitern Boni zu zahlen, hat dies nachdrückliche Forderungen nach ‚mehr Kontrolle‘ und ‚strengerer Regulierung‘ der Banken auf den Plan gerufen.
In der Schweiz wollte der Verein Monetäre Modernisierung[7] eine Verfassungsänderung erreichen, dass nur noch die Schweizerische Nationalbank für die Versorgung der Gesellschaft mit Bargeld und Giralgeld zuständig wäre.[8] Diese Initiative wurde am 10. Juni 2018 abgelehnt.
6 Siehe auch
7 Literatur
- Maurice Allais: The Credit Mechanism and its Implications, in: Feiwel, George R. (Ed) 1987, Arrow and the Foundations of the Theory of Economic Policy. Essays in Honor of Kenneth J. Arrow, New York: NYU Press, 491–561.
- Hans Christoph Binswanger Vorwärts zur Mäßigung. Perspektiven einer nachhaltigen Wirtschaft. Murmann, Hamburg 2009, ISBN 978-3-86774-072-2
- Walter Eucken: Grundsätze der Wirtschaftspolitik, Rowohlt, Reinbek 1959.
- Irving Fisher: 100%-Geld, übersetzt von Klaus Karwat, Gauke Verlag für soziale Ökonomie, Kiel 2007, ISBN 978-3-87998-451-0; Original in Englisch zuerst 1935: 100%-money, in: Works Volume 11, ed. by W. J. Barber, Pickering & Chatto, London 1997. ISBN 1851962360
- Milton Friedman: A Program for Monetary Stability, Fordham University Press, New York 1959.
- Silvio Gesell: Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld, Roman Gesell Verlag, Arnstadt/Th. 1919.
- Rolf Gocht: Kritische Betrachtungen zur nationalen und internationalen Geldordnung, Duncker & Humblot, Berlin 1975. ISBN 3-428-03518-6
- Charles A. E. Goodhart: Money, Information and Uncertainty. Macmillan, London 1989. ISBN 0-33347402-3
- Friedrich von Hayek: Entnationalisierung des Geldes, Mohr Siebeck, Tübingen 1977. ISBN 3-16-149224-2; erweiterte Neuauflage 2010: ISBN 3-16-149223-4 und ISBN 978-3-16-149223-5
- Joseph Huber: Vollgeld, Duncker & Humblot, Berlin, 1998. ISBN 3-428-09526-X
- Joseph Huber, James Robertson: Creating New Money, New Economics Foundation, London 2000. ISBN 1-899407-29-4. Auch online als PDF-Datei: Creating New Money; deutsche Übersetzung von K. Karwat: Geldschöpfung in öffentlicher Hand, Gauke Verlag für soziale Ökonomie, Kiel 2008. ISBN 978-3-87998-454-1
- John Maynard Keynes: A Treatise on Money, Macmillan, London 1930; auf Deutsch: Vom Gelde, Duncker & Humblot, Berlin 1931.
- Georg Friedrich Knapp: Staatliche Theorie des Geldes, Duncker & Humblot, Leipzig 1905.
- Ludwig von Mises: Geldwertstabilisierung und Konjunkturpolitik, G. Fischer, Jena 1928.
- Jürgen Pahlke: Steuerbedarf und Geldpolitik in der wachsenden Wirtschaft, Walter de Gruyter, Berlin 1970.
- Bernd Senf: Der Tanz um den Gewinn, Gauke Verlag für Sozialökonomie, Kiel 2004. ISBN 978-3-87998-448-0
- Bernd Senf: Der Nebel um das Geld, Gauke Verlag, Lütjenburg 1996. ISBN 978-3-87998-435-0
- Henry C. Simons: Economic Policy for a Free Society, The University of Chicago Press, 1948.
- Richard A. Werner: New Paradigm in Macroeconomics, Palgrave Macmillan, New York 2005. ISBN 1403920737 und ISBN 1403920745
8 Weblinks
- American Monetary Institute, USA
- Argent et Société, Frankreich
- Association pour les Droits Economiques et Democratiques, Frankreich
- Centro Studi Monetari, Italien
- Forum for Stable Currencies, Großbritannien
- Monetative, Deutschland
- Prosperity, Großbritannien
- Hans Christoph Binswanger in der Financial Times
9 Einzelnachweise und Anmerkungen
- ↑ Seite 64 in Bernd Senf: Der Tanz um den Gewinn. Von der Besinnungslosigkeit zur Besinnung der Ökonomie. Gauke Verlag für
Sozialökonomie, Lütjenburg bei Kiel 2004, ISBN 3-87998-448-4
oder Bankgeheimnis Geldschöpfung (PDF) - ↑ Dennis P. O'Brian: Foundations of Monetary Economics, Volume IV - The Currency School, Volume V - The Banking School, William Pickering, London 1994. ISBN 978-1-85196190-0
- ↑ Monatsberichte der Europäischen Zentralbank, Statistischer Tabellenanhang 2.3.1 sowie Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, Statistischer Tabellenanhang II.2.
- ↑ Vergleiche Richard A. Werner: New Paradigm in Macroeconomics, Palgrave Macmillan, New York 2005. ISBN 1403920737 und ISBN 1403920745
Charles A. E. Goodhart: Money, Information and Uncertainty, Macmillan, London 1989. ISBN 0-33347402-3 - ↑ Seiten 15, 35, 86 in Joseph Huber, James Robertson (Autor): Geldschöpfung in öffentlicher Hand, Gauke Verlag, Kiel 2008. ISBN 978-3-87998-454-1
- ↑ Geldmenge M1 nach den Monatsberichten der Bundesbank, Tab. II.2. Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen nach den Jahrbüchern des Statistischen Bundesamtes. Reales Bruttoinlandsprodukt errechnet nach Zeitreihe JJ5000: VGR - Bruttoinlandsprodukt preisbereinigt. Auch jährliche Inflationsraten der Verbraucherpreise nach Destatis, STATMagazin, Juni 2009.
- ↑ Eidgenössische Volksinitiative ‘Für krisensicheres Geld: Geldschöpfung allein durch die Nationalbank! (Vollgeld-Initiative)’. auf: admin.ch
- ↑ 3-Minuten-Info – Pro-Argumente der Initianten, Kurzinformation zur Vollgeldinitiative auf Web der Initianten (vollgeld-initiative.ch)
10 Andere Lexika
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Erster Autor: A11158 angelegt am 08.01.2010 um 10:13, weitere Autoren: AT, Purodha, Jan eissfeldt, Prius 2, JanPeterHomann, Luckas-bot, WOBE3333
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