Kryptojuden

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Länder mit einer kryptojudischen Tradition (Stand 2017)

Als Kryptojuden werden Menschen bezeichnet, die sich entgegen ihres öffentlichen Religionsbekenntnisses weiterhin dem Judentum zugehörig fühlen. Der Begriff krypto (κρυπτός kryptós) kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet „verborgen“ oder „geheim“. Häufig wird auch der hebräische Ausdruck „Anusim“ (אנוסים, Plural von anús gezwungen) verwendet. Das ist eine juristisch-rabbinische Bezeichnung für Juden, die gegen ihren Willen zum Verlassen des Judentums gezwungen wurden und die, so weit ihnen das unter den repressiven Umständen möglich, das Judentum weiter praktizieren. Er leitet sich vom talmudischen Begriff abera be’ones (Traktat Avoda sara 54a) ab.

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1 Geschichtlicher Hintergrund

Grabstein eines Kryptojuden mit hebräischer Schrift und christlichem Kreuz im Südwesten der USA

Mit der Entwicklung des Christentums zur alleinigen Staatsreligion wurde versucht, auch die Juden zu bekehren. Dies gelang jedoch nicht immer, so dass die jüdischen Gemeinden bald als Sekten eingestuft wurden. Trotzdem versuchten Juden immer wieder, sich nach außen anzupassen.

Hinrichtung der vom Judentum zu Christentum konvertierten und des Rückfalls zum Judentum verdächtigten Francisca Nuñez de Carabajal am 8. Dezember 1596 in Mexiko City

Aufgrund eines Ediktes der spanischen Krone wurden Juden gezwungen, entweder zum Christentum zu konvertieren oder Spanien zu verlassen. Mehr als 100.000 spanische Juden machten sich 1492 aufgrund dieser ethnischen Säuberung in Spanien auf den Weg ins Exil. Manche gingen zunächst nach Portugal, doch von dort wurden sie 1497 ebenfalls ausgewiesen. Die meisten gingen wieder zurück in die Länder der Levante, nach Nordafrika, und wieder andere in Handelsstädte wie Antwerpen und Amsterdam sowie nach Hamburg oder Italien. Der Hauptteil der Flüchtlinge fand im Osmanischen Reich eine neue Heimat.

Kryptojuden Land Beschreibung
Conversos Spanien und Portugal Als Converso (Pl. Conversos) wurden im spanischen und portugiesischen Sprachraum zum katholischen Christentum konvertierte Juden und deren Nachkommen bezeichnet. Konvertiten aus der maurischen Bevölkerung, die vom Islam zum Katholizismus konvertierten, wurden dagegen als Moriscos (zu Deutsch: Morisken) bezeichnet.
Marranen Spanien Marranen oder Marranos (Erläuterung siehe unten), auch Conversos oder Neuchristen (span. cristianos nuevos, port. cristãos-novos), sind iberische Juden und deren Nachkommen, die unter Zwang oder schwerem Druck zum Christentum bekehrt wurden. Oft wurde ihnen vorgeworfen, als Kryptojuden weiterhin jüdische Riten zu praktizieren. Der Begriff tauchte erstmals im spätmittelalterlichen Spanien auf.[1]
Xueta Mallorca, Spanien Die Xuetas sind eine soziale Gruppe auf der spanischen Insel Mallorca. Sie sind Nachfahren der zum Christentum übergetretenen mallorquinischen Juden. Über den gesamten Zeitraum seit dem Übertritt zum Christentum haben sie ein kollektives Bewusstsein über ihre Abstammung erhalten. Denn sie tragen einen der Nachnamen konvertierter Familien, die durch die Inquisition wegen heimlicher Ausübung des jüdischen Glaubens im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts verfolgt wurden. Historisch gesehen sind sie stigmatisiert worden und mussten isoliert leben. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts haben die Familien nur innerhalb der Gruppe geheiratet. Heute tragen zirka 18.000 bis 20.000 Personen auf Mallorca einen der Xueta-Nachnamen.[2]

Viele Juden ließen sich taufen und wanderten von Spanien nach Lateinamerika (Süd-, Mittelamerika mit New Mexiko und Kalifornien) aus. Besonders in die Region New Mexiko wanderten viele Kryptojuden ein. Dieses Kryptojudentum wird seit ungefähr 15 Jahren wissenschaftlich untersucht.[3]

2 Kryptojuden in Deutschland

Gliederung der Herrschaft im Heiligen Römischen Reich im Vergleich zu Hispanien

Im Gegensatz zu Spanien bestand für die Juden im Heiligen Römischen Reich die Möglichkeit sich entweder taufen zu lassen oder in einen anderen Reichsteil des Heiligen Römischen Reiches anzusiedeln. Bei einem judenfeindlichen Edikt, welches z. B. Juden aus dem Kurfürstentum Bayern verwies, konnten sie sich in der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt ansiedeln oder weiter als Kryptojuden leben. Kennzeichen dieser Ausformung des christlichen Kryptojudentums in Deutschland ist, dass kryptojüdische Männer oft Frauen mit jüdischen Vorfahren heirateten. Zudem wurde von der Möglichkeit des Namenswechsels Gebrauch gemacht. So wurden manchmal Berufe, Herkunftsorte oder Kennzeichen von Häusern (wie die Geschichte der Familie Rothschild zeigt) als Nachnamen verwendet und die hebräischen Vornamen lateinisiert oder eingedeutscht.

3 Kryptojuden in Frankreich

Die Inquisition, die ursprünglich dazu instrumentalisiert wurde, um die Häresie der Albigenser zu unterbinden, beschäftigte sich auch bald mit den Juden Süd-Frankreichs. Im März 1273 formulierte Papst Gregor X. folgende Regeln: Juden und Christen, die den Weg des „jüdischen Aberglaubens“ gewählt hatten, sollten von der Inquisition gleichermaßen als Häretiker behandelt werden. Jene, die die Schuldigen aufnehmen oder verteidigen, galten als mitschuldige Anstifter der Abtrünnigkeit und sollten auf gleiche Art und Weise bestraft werden. Entsprechend diesen Bestimmungen fanden sich am 4. Januar 1278 Juden aus Toulouse, die zuvor einen konvertierten Christen in ihrem Friedhof begraben hatten, vor dem Gericht der Inquisition wieder, wobei der Rabbiner Isaac Males für den Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt wurde.[4]

4 Kryptojuden in Russland

Das aus Russland stammende messianische Kryptojudentum erlaubte es, in Verbindung mit dem Christentums das Judentum mit seinen Traditionen zu pflegen. Kennzeichen des messianischen Kryptojudentums ist auch eine Tradition seit vielen Generationen. In der russisch-orthodoxen Kirche gab bzw. gibt es verschiedene Ausprägungen des messianische Kryptojudentums. Es unterscheidet sich in den gottesdienstlichen Formen und im Festkalender vom traditionellen Christentum, im theologischen Grundgehalt vor allem beim Thema "Thoraobservanz".

Bekannt ist, dass nicht nur die Nationalsozialisten eine Kartei führten, wonach 1933 etwa eine halbe Million Menschen als "nichtarische Christen", als Christen jüdischer Herkunft, aufgrund der Nürnberger Gesetzen klassifiziert wurden,[5] sondern es gab auch in der Sowjetunion vergleichbare Listen.

5 Moslemische Kryptojuden

Für Kryptojuden im islamischen Raum wird keine einheitliche Gruppenbezeichnung verwendet.[6] Im 19. Jahrhundert wurde in Maschad (Persien) eine Gruppe zwangsbekehrter Juden unter dem Namen Jadid al-Islam („Neulinge im Islam“) bekannt.

Kryptojuden Land Beschreibung
Dönme Türkei Die Dönme (osmanisch دونمه, „Konvertit“) sind die Mitglieder einer kryptojüdischen kabbalistischen Religionsgemeinschaft in der Türkei, die ein Zweig des Sabbatianismus sind. Ihre Zahl wird auf 30.000 bis 40.000 Mitglieder geschätzt. Nach außen hin praktizieren sie den Islam. Die Gemeinschaft geht auf Schabbtai Zvi (1626–1676) zurück, dessen Tradition einige hundert Familien nach seinem Tod weiterführten. 1683 kam es in Saloniki zu einer Massenkonversion, wodurch die Stadt zum Zentrum des Kults wurde.
Kryptojuden in Afghanistan Afghanistan Viele Juden waren in Afghanistan gezwungen, ihre Identität versteckt zu halten. Seit 1870 waren die Juden Verfolgungen seitens der afghanischen Behörden ausgesetzt, die sie zu vertreiben suchte. Bis 1948 verließen ca. 5000 Juden das Land, und nachdem ihnen 1951 die Auswanderung gestattet wurde, zogen die meisten nach Israel. Gegenwärtig leben mehr als 10.000 Juden afghanischer Herkunft in Israel.

6 Rezeption in der Literatur

Interessant sind z. B. die zwischen 1349 und 1353 entstandenen Novellen des italienischen Frührenaissancedichters Giovanni Boccaccio. Er beschreibt in seiner Novelle Die Geschichte vom Juden Abraham der zum Christentum konvertiert (Bocaccio), wie ein Jude durch die Anregung eines Freundes an den römischen Hof geht, dort das lasterhafte Leben der Geistlichen sieht, nach Paris zurückkehrt und Christ wird. Die Novelle schildert anhand der Überlegungen des Juden Abraham, zum Christentum zu konvertieren, den Gegensatz zwischen einem christlich orientierten und auch von der Kirche eingeforderten Verhalten und dem tatsächlichen, lasterhaften und somit unchristlichen Lebenswandel der damaligen römischen Geistlichkeit. Trotz dieser Kirchenkritik ist das Fazit der Novelle, dass die christliche Religion sich immer mehr ausbreitet und dabei zunehmend aufgeklärter wird.

7 Literatur

Deutsch
  • Robert Brockmann, Genealogisches Handbuch zur Dekodierung von jüdischen Namen, sowie die Bedeutung der Rekonstruierung der jüdischen Stammeslinien für die Wissenschaft, Erscheinungsdatum: 11.02.2017, ISBN 978-3-7418-9152-6
  • Bernard Lewis: Die Juden in der islamischen Welt. Vom frühen Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Beck, München 2004, ISBN 3-406-51074-4, (Beck'sche Reihe 1572).
Englisch
  • Miriam Bodian: Dying in the law of Moses. Crypto-Jewish martyrdom in the Iberian world. Indiana University Press, Bloomington IN 2007, ISBN 978-0-253-34861-6, (The modern Jewish experience).
  • David Martin Gitlitz: Secrecy and Deceit. The Religion of the Crypto-Jews. Jewish Publication Society, Philadelphia PA 1996, ISBN 0-8276-0562-5, (Auch: University of New Mexico Press, Albuquerque NM 2002, ISBN 0-8263-2813-X, (Jewish Latin America)).
  • Janet Liebman Jacobs: Hidden Heritage. The Legacy of the Crypto-Jews. University of California Press, Berkeley CA u. a. 2002, ISBN 0-520-23346-8.
  • Renée Levine Melammed: Heretics or daughters of Israel? The crypto-Jewish women of Castile. Oxford University Press, New York NY u. a. 1999, ISBN 0-19-509580-4.

8 Weblinks

  • Crypto-Jews. In: Jewish Virtual Library. Abgerufen am 4. März 2010. (englisch)

9 Einzelnachweise

  1. Erste schriftliche Erwähnung um 1380. Norman Roth 2002. S. 3 f.
  2. Schätzung basierend auf Daten des Instituto Nacional de Estadística de España auf den Balearen.
  3. Amy Klein: Auf dem Heimweg: Immer mehr Menschen hispanischer Herkunft entdecken ihre jüdischen Wurzeln, Jüdische Allgemeine am 3. Dezember 2009
  4. Quelle: Wikipedia: Geschichte der Juden in Frankreich, textliche Übernahme
  5.  Deborah Hertz: Wie Juden Deutsche wurden. Die Welt jüdischer Konvertiten vom 17. bis zum 19. Jahrhundert. Campus Verlag, Frankfurt / New York 2010, ISBN 978-3-593-39170-0, S. 28.
  6. Maurus Reinkowski: Kryptojuden und Kryptochristen im Islam. In: Saeculum 54 (2003), S. 13 - 37

10 Andere Lexika




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