Neolithische Revolution

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Der Fruchtbare Halbmond (Fertile Crescent)

Der Begriff Neolithische Revolution bezeichnet eine Theorie über den Beginn der Landwirtschaft. Damit soll das erstmalige Aufkommen erzeugender (produzierender) Wirtschaftsweisen (Ackerbau, Viehzucht), der Vorratshaltung und der Sesshaftigkeit in der Geschichte der Menschheit beschrieben werden. Damit endete angeblich die Lebensweise als reine Jäger und Sammler. Diese „Revolution“ fällt in die Jungsteinzeit (Neolithikum).[1] Die Bezeichnung wurde 1936[2] von Vere Gordon Childe geprägt. Der Begriff Revolution entstammmt einer marxistischen Interpretation, sagt aber nichts über die Dauer dieser Entwicklungsphase aus.

Nach derzeitiger Kenntnis entstand der Ackerbau weltweit dreimal unabhängig voneinander: im Fruchtbaren Halbmond des Nahen Ostens, in China sowie in Mittelamerika. Von diesen Keimzentren aus wurde er durch Landnahme oder soziale Prozesse verbreitet. Zudem wurden nicht alle Menschen sesshaft, denn es gibt bis heute noch viele Nomaden.

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1 Forschungsstand

Fruchtbarer Halbmond um 7500 v. Chr., bekannte Siedlungen, dänische Beschriftung

Im Jahre 2009 entdeckten Forscher bei Bab edh-Dhra in Jordanien 11.000 Jahre alte Gebäude, die als Kornspeicher angesehen werden.[3] Erkenntnisse der Populationsgenetik erlauben konkretere Aussagen zur Verbreitung von Ackerbau und Viehzucht durch Wanderungsbewegungen, denn auch bei Skeletten lässt sich die DNA bestimmen. Im Jahr 2000 analysierte ein Forscherteam die DNA von 1000 Männern aus Europa und dem Nahen Osten; die entscheidenden gemeinsamen oder unterscheidenden Merkmale, die Rückschlüsse auf gemeinsame Vorfahren und deren Datierung erlauben, werden genetische Marker (Genetik) genannt. Das Ergebnis ist, dass etwa 20 % der europäischen Y-Chromosomen von neolithischen Einwanderern aus dem Nahen Osten stammen. Der Populationsgenetiker Spencer Wells hält es für wahrscheinlich, dass diese den Ackerbau nach Europa und in die Mittelmeerregion brachten: „In einem denkbaren Szenario hätte sich die Landwirtschaft demnach zunächst rund um das Mittelmeer ausgebreitet, weil die Pflanzen der neolithischen Einwanderer aus dem Nahen Osten das dortige Klima bevorzugten (…) Erst später übernahmen die paläolithischen Europäer im Landesinneren die Landwirtschaft und verbreiteten überall die Kultur (…) des Neolithikums.“[4]

Unabhängig vom Nahen Osten scheint sich die Landwirtschaft in Ostasien entwickelt und ausgebreitet zu haben. In Nordchina wurde Ausgrabungen zufolge wesentlich später, etwa 7000 Jahre v. Chr. erstmals in größerem Umfang Hirse angebaut, in Zentralchina außerdem Reis. 2000 Jahre später gab es auch Reisanbau in Südchina, um 3500 v. Chr. dann auf Taiwan, um 2000 v. Chr. auf Borneo und Sumatra, 500 Jahre später auf anderen Inseln Indonesiens. Die genetischen Forschungsergebnisse zeigten, dass die neue Kultur durch Wanderungsbewegungen von China ausgehend weiterverbreitet wurde.[4]

Forscher des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin gehen auf Grund von archäologischen Grabungsfunden in Mesopotamien und in Anatolien davon aus, dass religiöse Kulte der wesentliche Grund für das Aufkommen der Sesshaftigkeit im Neolithikum waren. Die Bauwerke von Göbekli Tepe waren aktuellen Erkenntnissen zufolge Tempelanlagen, die bereits vor rund 11.600 Jahren errichtet wurden und damit am Beginn der Landwirtschaft. Die Bauzeit muss mehrere Jahrhunderte betragen haben. Der britische Forscher Ian Hodder vermutet soziale und religiöse Faktoren der mythisch-theistischen Vorstellungen als Hauptursache der neolithischen Revolution auf Grund von Befunden zu der Fundstätte Çatalhöyük in Anatolien.[5]

Der fruchtbare Halbmond erstreckte sich von Jordanien, Israel/Palästina, Libanon und Syrien bis in die Türkei und zum Zāgros-Gebirge (Irak/Iran). Angebaut wurden Getreide (Gerste, Einkorn, Emmer) und Hülsenfrüchte; die domestizierten Tiere waren Ziegen, gefolgt von Schafen, Rindern und Schweinen.[6] Der Fruchtbare Halbmond lag im Verbreitungsgebiet von Wildrindern. Spätestens Anfang des 6. Jahrtausends züchteten sesshafte Ackerbauern die ersten Hausrinder.[7]

2 Kritik

Gewöhnlich wird der Wandel der Wirtschafts- und Lebensweise zu Beginn der neolithischen Ära als großer Fortschritt betrachtet, da die Menschen durch die landwirtschaftliche Produktion und Vorratshaltung allmählich unabhängig von den Schwankungen im natürlichen Angebot der gesammelten und erjagten Nahrung wurden. Die Ergebnisse der Paläoanthropologie belegen, dass die Bevölkerung nach der Einführung des Ackerbaus stark anwuchs; ihre Versorgung wäre durch Jagen und Sammeln allein wahrscheinlich nicht ausreichend möglich gewesen. Der Feldanbau bedeutete jedoch auch die Konzentration auf wenige Nahrungsmittel und eine starke Abhängigkeit von der Ernte, die wiederum vom Wetter beeinflusst wurde. Die Sesshaftigkeit der Ackerbauern verhinderte rasche Ortswechsel und begünstigte Hungersnöte.[4]

Skelettfunde aus dem Neolithikum belegen, dass die Körpergröße der Menschen in dieser Phase deutlich abnahm. Die Lebenserwartung sank signifikant im Vergleich zur Altsteinzeit. Nachweislich erkrankten wesentlich mehr Menschen als vorher, vor allem an Infektionen. Die meisten Krankheiten entstanden wahtscheinlich durch häufigen und engen Kontakt mit Tieren nach Einführung der Viehzucht. Innerhalb größerer und dichterer Populationen vermehren sich die Erreger und sterben nicht aus wie in kleinen Gruppen. Die Masern sollen demnach ihren Ursprung in der Rinderpest haben.[4] Eine andere Folge der neolithischen Revolution war die Tendenz zu zentralisierten Entscheidungsstrukturen in einem Dorf und spezialisierten Handwerken und führte zur Entstehung sozialer Schichten.[8]

Kritisch ist anzumerken, dass geringere Körpergröße und Krankheiten auch durch Vitamin-Mangel infolge der Umstellung der Ernährung erklärt werden können. Zudem kann die Bevölkerungszunahme durch die sesshafte Lebensweise und die Vorratshaltung verursacht werden. Durch Krankheiten ist es wahrscheinlich auch zu Rückschlägen gekommen. Heute dominiert die Auffassung, dass zwischen den verschiedenen „Erfindungen“ wie Sesshaftigkeit, Keramik, erste Tier- und Pflanzenzucht möglicherweise rund 5000 Jahre liegen, mithin dieser „Revolution“ der Charakter der Rapidität des sozialen Wandels fehlt, weshalb man jetzt in der Forschung eher den Begriff kulturelle Evolution im Sinne eines langsamen Wandels betont und das Wort Revolution seltener verwendet:

„Der von Gordon Childe geprägte Begriff der ‚neolithischen Revolution‘ verkürzt die entwicklungsgeschichtlichen Vorgänge aus heutiger Sicht auf unzulässige Weise. Die Veränderung der Wirtschaftsform im Vorderen Orient, in China, Nordafrika oder später in Mittel- und Südamerika war ein über mehrere Jahrtausende ablaufender Prozess, dessen Unumkehrbarkeit erst spät feststand.“

Gerd-Christian Weniger[9]

Zudem fehlt der im Marxismus postulierte Fortschritt der Menschheitsentwicklung durch die veränderte Ernährung und die Stadtentwicklung, da beides zur Entstehung neuer Krankheiten führte und mit großen Nachteilen verbunden war.

3 Literatur

  • Reinhard Bernbeck: Theorien in der Archäologie. A. Francke, Tübingen 1997, ISBN 3-7720-2254-5.
  • Vere Gordon Childe: Man makes himself. Watts, London 1936 (dt.: Der Mensch schafft sich selbst, Verlag der Kunst, Dresden 1959).
  • Josef Reichholf: Warum die Menschen sesshaft wurden. Das größte Rätsel unserer Geschichte. Frankfurt am Main 2008, ISBN 3-10-062943-4.
  • Thomas Terberger, Detlef Gronenborn: Vom Jäger und Sammler zum Bauern. Die Neolithische Revolution. Archäologie in Deutschland, Sonderheft 05/2014, Theiss Verlag Darmstadt, ISBN 978-3-8062-2189-3.

4 Andere Lexika




5 Einzelnachweise

  1. Wolfgang Haak (2006): Populationsgenetik der ersten Bauern Mitteleuropa – Eine aDNA-Studie an neolithischem Skelettmaterial; Inauguraldissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Dr. phil. an der Johannes Gutenberg Universität, Mainz; Online (PDF; 7,4 MB)
  2. V. Gordon Childe: Man Makes Himself. (New Thinker’s Library), Reprint von 1936, Spokesman Books, Nottingham (UK) 2003, ISBN 0-8512-4649-4
  3. Als die Jäger sesshaft wurden.. In: wissenschaft.de. 2009-06-23. Abgerufen am 13. September 2019.
  4. 4,0 4,1 4,2 4,3 Spencer Wells: Die Wege der Menschheit. Eine Reise auf den Spuren der genetischen Evolution, Frankfurt/Main 2003, S. 234–237
  5. Ulrich Bahnsen: Gen-Archäologie. Der Treck nach Westen, zeit.de
  6. Melinda A. Zeder: The Origins of Agriculture in the Near East. In: Current Anthropology, Vol. 52, No. 4 (The Origins of Agriculture: New Data, New Ideas) Oktober 2011, S. 221–235, hier S. 222.
  7. Kunz Dittmer: Zur Entstehung des Rinderhirtennomadismus. In: Paideuma, Band 11, 1965, S. 8–23, hier S. 11.
  8. Hans-Georg Gebel: Subsistenzformen, Siedlungsweisen und Prozesse des sozialen Wandels vom akeramischen bis zum keramischen Neolithikum. Teil II: Grundzüge sozialen Wandels im Neolithikum der südlichen Levante. Dissertation 2001/2002, S. 21, 37, 42 Online verfügbar
  9. Gerd-Christian Weniger: Projekt Menschwerdung. Streifzüge durch die Entwicklungsgeschichte des Menschen, Heitkamp-Deilmann-Haniel, Herne 2000, S. 130.

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