Haš- šîrîm ašer liš-Šelomo / השירים אשר לשלמה (Kompositionen von Salomon Rossi)
Aus PlusPedia
Achtung! Dieser Artikel wurde exklusiv für das Fernbacher Jewish Music Research Center geschrieben. Der Text oder Teile daraus dürfen ohne Quellenangabe nicht in anderen Projekten/Wikis verwandt werden. | |
Die Haš- šîrîm ašer liš-Šelomo / השירים אשר לשלמה (dt. Lieder des Salomo) sind eine Sammlung liturgischer jüdischer Musik des jüdisch-italienischen Komponisten Salomon Rossi aus dem Jahr 1622.
Inhaltsverzeichnis
Übrigens: Die PlusPedia ist NICHT die Wikipedia. Wir sind ein gemeinnütziger Verein, PlusPedia ist werbefrei. Wir freuen uns daher über eine kleine Spende! |
1 Historischer Hintergrund
- An den Höfen der kunstliebenden Herrscher der wirtschaftlich florierenden und dem Humanismus zugewandten oberitalienischen Städte wie Ferrara, Modena, Padua, Casale Monferrato, Venedig, am päpstlichen Hof in Rom [1] und besonders in Mantua waren ab Ende des 16. Jahrhunderts viele jüdische Musiker, Komponsiten und Tänzer, wie Abramo Levi, Jacchino Massarano, David Sacerdote, Abramino dall`Arpa, Davit da Civita, Giovanni Maria und Salomone Rossi beschäftigt. [2] [3]
- Der um 1570 geborene Salomone Rossi wurde 1587 von Vincenzo I. Gonzaga als Sänger und Violinist für seinen Hof zu Mantua verpflichtet und stieg bald zum Kapellmeister auf. Rossi trat auch durch Vokal- und Instrumentalkompositionen nach Vorbild Claudio Monteverdis hervor: 1589 veröffentlichte er einen Band mit 19 dreistimmigen Canzonetti und 1607 zwei Bände mit drei- und vierstimmigen Sinfonien und Gagliarden. Seine Terzo Libro (1613) und Quarto Libro (1622) ließen ihn zu einem Mitbegründer der barocken Triosonate werden. Rossi wollte aber auch seinen Glauben musikalisch ausdrücken - in seinen eigenen Worten "um die Schönheit der Lieder König Davids entsprechend den Regeln der Musik zu verherrlichen" [4] - und vertonte Psalmen und Gebete für die Synagoge.
2 Entstehung des Werkes
- Es handelt sich dabei um die erste bekannte abendländische Sammlung polyphoner Musik zu jüdischen Texten.
- Dem Titelblatt folgt eine Widmung an seinen Patron Moses Sullam. Darauf folgen zwei Gedichte und ein Vorwort von Leon Modena und ein Gedicht von Modena. Dem schließen sich eine rabbinische Argumentation (responsum) von Modena über die Berechtigung von Kunstmusik in der Synagoge, und fünf Statements von führenden Rabbinern aus Venedig zu der Frage an. Diese waren nötig, da die Berechtigung von Kunstmusik in der Synagoge, in der nur einstimmige Kantillationen üblich waren, damals (obwohl schon gegen Ende des 16. Jahrhunderts ab und an kunstvolle Chormusik in Synagogen gespielt wurde [5]) immer noch neuartig und deshalb umstritten war. [6] [7] Rabbi Moses Coimbran aus Ferrara bezichtigte z.B. Modena und die Sänger mehrstimmiger Musik in der Synagoge, damit gegenüber Gott gesündigt zu haben. Kunstvolle. mehrstimmige Musik sei eine Art des Genusses, der im Gottesdient verboten sei. Er verwies u.a. auf Maimonides, der sich gegen Musik, die nur zur Freude gespielt/gesungen wird, und gegen Texte aus Hymnen und Gebeten, die zu weltlicher Musik gesetzt werden ausgesprochen habe. [8] In seiner Entgegnung berief sich Modena auf etliche jüdische Kommentatroren, wie z.B. Hai ben Sherira, Isaac Alfasi, Abraham ibn Ezra oder Jacob ben Asher. Modena schrieb u.a.:
- "Ich habe es demnach für angezeigt gehalten, hier als wichtiges Dokument die Beantwortung einer Frage hinzuzufügen, die man mir vorgelegt hat, als ich noch Rabbiner zu Ferrara war. Meine Antwort, von allen großen Rabbinern Venedigs zustimmend glossiert, war der haarscharf geführte Beweis, daß vom Talmud aus nichts der Einführung des Chorgesangs in unseren Tempeln entgegensteht und das möge den böswilligen Mund der Widersacher verschließen." [9]
- Der Titel Haš- šîrîm ašer liš-Šelomo bezieht sich wohl nicht auf das biblische Buch Salomo. Der Text des Buches Salomo ist hier auch nicht vertont. Es ist vermutet worden, dass der Titel sich auch auf den Vornamen des Komponisten beziehen könnte.
- Das Werk erschien 1622 beim Verlag Bragadini in Venedig. [10] Die Originale liegen heute in der Bibliothek Ambrosiana in Mailand.
- Besonders schwierig war es, den hebräischen Text zusammen mit Musiknoten zu drucken, was nach Aussage Modenas im Vorwort niemals zuvor versucht wurde. [11] Modena schrieb dazu u.a.:
- "Das Publikum wird auch erfahren, daß man niemals hebräische Worte von links nach rechts geschrieben hat, damit sie sich den Musiknoten anpassen. Der Autor hat lieber die Art, den Text zu setzen geopfert, als etwas an der gewöhnlichen Art Noten schreiben zu ändern und konnte sich hierbei auf die Chorsänger verlassen, die gewöhnlich den hebräischen Text aller Psalmen und Gesänge auswendig kennen. Er fand es nicht nötig, die Akzente (Punktation) zu setzen, denn die Sänger brauchen keinen punktierten Text, um korrekt zu lesen, was ihnen viel Ehre macht." [12]
- Die Noten wurden entgegen jüdischer Tradition von links nach rechts zu Lesen gedruckt. Bei der Darstellung des Textes wählte man eine hybride Lösung: Einzelne Wörter bzw. Wortgruppen sind dabei von links nach rechts zu lesen, die Wörter bzw. Wortgruppen aber wie im Hebräischen üblich von rechts nach links, d. h. die Wortfolge ist anders als im Hebräischen, die Buchstabenfolge aber wie im Hebräischen üblich. Trotz dieser Methode treffen einzelne Vokale bzw. Silben des Textes im Notenbild dabei nur selten auf die Noten auf denen sie zu singen sind.
3 Musik
- Die Musik ist im Barockstil (Claudio Monteverdi, Andrea und Giovanni Gabrieli und Zeitgenossen) geschrieben, und hat kaum musikalische Bezüge zu traditioneller jüdischer Sakralmusik. Chorale Psalmodie wird mit der Mehrchörigkeit bsp. eines Andrea und Giovanni Gabrieli kombiniert. [13] Abraham Zevi Idelsohn schreibt dazu u.a.:
- "Die Kompositionen Rossis für die Synagoge haben nicht den gerinsten jüdischen Klang. Sie sind ganz im italienischen Renaissancestil und atmen den gleichen Geist wie seine weltlichen Kompositionen." [14]
- Es handelt sich um 33 drei- bis achtstimmige Motetten, [15] die nach dem Vorwort auch für den synagogalen Gebrauch gedacht waren. Die Kompositionen waren für besondere Sabbat- und Festtage gedacht und nicht dazu vorgesehen, den traditionellen Synagogengesang zu ersetzen. [16]
- Vertont werden Piyyut (wie z.B. Adon 'olam, Eftah na sefatai oder Eftah shir bisfatai), Psalmen (wie z.B. 'Al naharot bavel oder Shir hama'alot. Ashrei kol yere Adonai), Gebete (wie z.B. Barekhu, Yitgadal veyitkadesh oder Hashkivenu) und andere Texte, wie z.B. das Hochzeitslied Lemi ehpots.
- Im Prozess der Loslösung von traditioneller jüdischer Musik und der Assimilation an die Musikkultur der Umgebung kann Rossis Werk als eine Art Vorbote jener Entwicklung angesehen werden, die die synagogale Musik im 19. Jahrhundert prägen sollte. [17] Es ist damit ein frühes Beispiel für einen Prozess von Assimilation jüdischer religiöser Musik, die circa zweihundert Jahre später in den europäischen Synagogen u.a. durch Salomon Sulzer, Louis Lewandowski und Samuel Naumbourg konsequent durchgeführt wurde. [18]
4 Wiederentdeckung und Rezeption
- Samuel Naumbourg hat das Werk wiederentdeckt, und im Jahr 1877 unter dem Titel Cantiques de Salomon Rossi in Paris herausgegeben. [19] Aus unerklärlichen Gründen fehlen hier allerdings drei der insgesamt 33 Lieder des Originals. [20]
- Viele jüdische Musiker reagierten begeistert. Eduard Birnbaum feierte Rossi als einen der größten jüdischen Komponisten überhaupt. Auch Abraham Zebi Idelsohn maß Rossi große Bedeutung für die Entwicklung der modernen Synagogenmusik zu. [21] Birnbaum schrieb u.a.:
- "In der That ist Salomon Rossi in seiner Art der bedeutendste Tonkünstler, den das Judenthum aufzuweisen hat." [22]
- Matthew Lazar, Direktor der Zamir Choral Foundation, meinte zur Bedeutung von Rossi für die Entwicklung Jüdischer Musik u.a.:
- "Even though he was a fabulous instrumental composer, Rossi wrote all of his Jewish music a cappella, so it could be performed in the synagogue, where instruments have been prohibited since the destruction of the Second Temple in Jerusalem. (...) But for the Jews, he is the first true choral composer, one who moreover set texts with a genius for word painting that still blows minds today. To the end, he was a faithful son of his religion." [23]
- Die Haš- šîrîm ašer liš-Šelomo sind u.a. auch eingespielt worden und auf CD erhältlich. [24] [25] [26]
5 Links und Quellen
5.1 Weblinks
- Die Sammlung Rossis von 1622/1623 auf IMSLP
- Die Cantiques de Salomon Rossi von Samuel Naumbourg
- Don Harrán: A Tale as Yet Untold / Salamone Rossi in Venice
- The Many Discoveries of Salomone Rossi
5.1.1 Audio
5.1.2 Video
- Adon olam (אֲדוֹן עוֹלָם) auf Youtube
- Salamone Rossi - Kaddish - Ensemble Texto auf Youtube
- Elohim hashivenu Salamone Rossi (1570-1630) auf Youtube
- Y'susum midbar auf Youtube
- Yitgadál veyitakadásh auf Youtube
- Don Harran spricht auf Youtube über Salomon Rossi
5.2 Literatur
- Don Harrán: Salamone Rossi - Jewish Musician in Late Renaissance Mantua, Oxford University Press, 1999
- Rafael Arnold: Leon Modena und Salamone Rossi Hebreo als Akteure kultureller Transformationen, Universität Potsdam, 2012
- Salamone Rossi: Complete Works - Corpus Mensurabilis Musicae 100 / Vols. 1–12, Neuhausen-Stuttgart, Hänssler-Verlag for the American Institute of Musicology, 1995; vols. 13a and 13b, Middleton, Wis.: American Institute of Musicology, 2003, Band 13a und 13b
- Machtelt Israëls und Louis Waldman: Salamone Rossi’s ‘Songs by Solomon’ as a Song of Songs and Song of Ascents,” in Renaissance Studies in Honor of Joseph Connors, Leo S. Olschki, Florenz, 2013
- Don Harrán: Marriage and Music as Metaphor / The Wedding Odes of Leon Modena and Salamone Rossi,” Musica judaica 17 (5764/2003–4): 1–31
- Eliyahu Schleifer and Edwin Serouss: Salamone Rossi as a Composer of ‘Hebrew’ Music; in Studies in Honour of Israel Adler, Jewish Music Research Centre, Vol. 7, Jerusalem, The Hebrew University Magnes Press, 2002, S. 171–200
- Abraham Zebi Idelsohn: Jewish Music - Its Historical Development, New York, 1929, S. 196 ff.
- Daniel Chazanoff: Salomone Rossi, Ebreo (c. 1570-c. 1630) - Outstanding Jewish Musician of the Renaissance; in Journal of Synagogue Music, Vol. III, Nr. 1, 1970, Seite 24 bis 28
- Philip Bohlman: Jewish Music and Modernity, Oxford University Press, 2008, Seite XXIX bis XXXI
- Herbert Fromm: Hashirim Asher Lish`omo of Salomone Rossi, in Journal of Synagogue Music, Band V/2, 974, Seite 3 bis 14
6 Siehe auch
7 Einzelnachweise
- ↑ Graziella Di Mauro: Italian Jewish Musicians In Western Musical Tradition, Fondazione Centro di Documentazione Ebraica Contemporanea
- ↑ Lewis Stevens: Composers of Classical Music of Jewish Descent, Vallentine Mitchell, 2003, S. 17
- ↑ Ruth F. Davis: Musical Exodus - Al-Andalus and Its Jewish Diasporas, Rowman & Littlefield, 2015, S. 47 ff.
- ↑ Zitiert und übersetzt nach Abraham Zevi Idelsohn: Jewish Music in its Historical Development, Henry Holt & Company, 1929, S. 198
- ↑ Encyclopedia Judaica: Hebrew Cantatas and Choral Works
- ↑ Don Harrán: Salamone Rossi - Jewish Musician in Late Renaissance Mantua, Oxford University Press, 1999, S. 201 ff.
- ↑ Anm.: Eine Übersetzung der den Noten vorangehenden Texte in das Deutsche kann man in Paul Nettls Buch Alte Jüdische Spielleute und Musiker, erschienen im Verlag Dr. Josef Flesch in Prag im Jahr 1923 ab Seite 5 lesen.
- ↑ Don Harrán: Three Early Modern Hebrew Scholars on the Mysteries of Song, Brill Academic Publishing, 2014, S. 132, 139 und 140
- ↑ Leon de Modena im Vorwort; in das Deutsche übersetzt von Paul Nettl in seinem Buch Alte Jüdische Spielleute und Musiker, Verlag Dr. Josef Flesch, Prag, 1923, S. 12
- ↑ Joshua R. Jacobson: Defending Salamone Rossi / The Transformation and Justification of Jewish Music in Renaissance Italy
- ↑ Rafael Arnold: Leon Modena und Salamone Rossi Hebreo als Akteure kultureller Transformationen
- ↑ Leon de Modena im Vorwort; in das Deutsche übersetzt von Paul Nettl in seinem Buch Alte Jüdische Spielleute und Musiker, Verlag Dr. Josef Flesch, Prag, 1923, S. 11 und 12
- ↑ Gianfranco Mileto: Glauben und Wissen im Zeitalter der Reformation - Der salomonische Tempel bei Abraham ben David Portaleone (1542-1612), Walter de Gruyter GmbH, Berlin, 2004, S. 211
- ↑ Im Original bei Abraham Zebi Idelsohn: Jewish Music - Its Historical Development, New York, 1929, S. 199: "The compositions of Rossi for the Synagogue have not the slightest sound of Jewishness. They are entirely in the Italian Renaissance style, and they have the same spirit as his secular compositions."
- ↑ Joel Newman: The madrigals of Salamon de' Rossi, Columbia University, 1962, S. 19 ff.
- ↑ Rafael Arnold: Leon Modena und Salamone Rossi Hebreo als Akteure kultureller Transformationen
- ↑ Günther Grünsteudel: Musik für die Synagoge, Universitätsbibliothek Augsburg, 2008, S. 8
- ↑ Peter Gradenwitz: "So singt uns von Zijons Sang" - Jüdische Musik und Musiker in ihrer Umwelt; in Andreas Nachama, Julius H. Schoeps und Edward van Voolen (Hrsg.): Jüdische Lebenswelten, Jüdischer Verlag / Suhrkamp, 1991, S. 199
- ↑ Marsha Bryan Edelman: Discovering Jewish Music, The Jewish Publication Society, 2003, S. 63
- ↑ Eduard Birnbaum: Jüdische Musiker am Hofe von Mantua von 1542-1628, Waizner & Sohn, Wien, 1893, S. 17
- ↑ Rebekka Denz, Grażyna Jurewicz und Dorothea M. Salzer: Einblicke in die "British Jewish Studies", Universitätsverlag Potsdam, 2012, S. 123
- ↑ Eduard Birnbaum: Jüdische Musiker am Hofe von Mantua von 1542-1628, Waizner & Sohn, Wien, 1893, S. 18
- ↑ Barry Singer: A Renaissance Composer, Actively Jewish When That Wasn't Easy
- ↑ www.allmusic.com
- ↑ www.naxos.com
- ↑ Die große Jüdische Buchhandlung für Alle
8 Andere Lexika
Wikipedia kennt dieses Lemma (Haš- šîrîm ašer liš-Šelomo / השירים אשר לשלמה (Kompositionen von Salomon Rossi)) vermutlich nicht.
Diesen Artikel melden!
Verletzt dieser Artikel deine Urheber- oder Persönlichkeitsrechte?
Hast du einen Löschwunsch oder ein anderes Anliegen? Dann nutze bitte unser Kontaktformular
PlusPedia Impressum
Bitte Beachte:
Sämtliche Aussagen auf dieser Seite sind ohne Gewähr.
Für die Richtigkeit der Aussagen übernimmt die Betreiberin keine Verantwortung.
Nach Kenntnissnahme von Fehlern und Rechtsverstößens ist die Betreiberin selbstverständlich bereit,
diese zu beheben.
Verantwortlich für jede einzelne Aussage ist der jeweilige Erstautor dieser Aussage.
Mit dem Ergänzen und Weiterschreiben eines Artikels durch einen anderen Autor
werden die vorhergehenden Aussagen und Inhalte nicht zu eigenen.
Die Weiternutzung und Glaubhaftigkeit der Inhalte ist selbst gegenzurecherchieren.