Deutsch-Südwestafrika

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Deutsch-Südwestafrika war von 1884 bis 1915 eine Kolonie des Deutschen Reiches auf dem Gebiet des heutigen afrikanischen Staates Namibia. Es umfasste eine Fläche von 835.100 km².
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1 Topographie

Die deutsche Kolonie bildete eine rein politische Gliederung im südafrikanischen Hochlanddreieck. Der Caprivi-Zipfel, ein schmaler Landstreifen, reichte bis zum Sambesi. Spärlich besiedelte Gebiete bildeten die Grenzen zur nördlich benachbarten portugiesischen Kolonie Angola, wobei der Kunene den Grenzfluß bildete, und zur südlich benachbarten Südafrikanischen Union, wobei der Oranje den Grenzfluß bildete. Die im Osten der Kolonie gelegene Kalaharisteppe bildete eine natürliche landschaftliche Grenzzone.

Deutsch Südwest.jpg

Drei Landschaftszonen folgen im Gebiet der ehemaligen deutschen Kolonie von West nach Ost aufeinander: die Küstenwüste Namib, das zwischen 1000-1600 m hoch gelegene Hochland mit bis zu 2600 m hohen Tafelbergen, welches von Nord nach Süd in Amboland, Hereroland und Namaland gegliedert war und schließlich die Kalaharisteppe.

Das Klima besitzt subtropischen Charakter, ist aber aufgrund des von Süden nach Norden verlaufenden kalten Benguelastromes recht trocken. Dieses Klima führt zu einem rund 100 km breiten Wüstengürtel entlang der rund 1400 km langen Küste der Kolonie, was zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Erschließung des Gebietes führte.

2 Bevölkerung

Die Kolonie besaß nur rund 250.000 Einwohner (ca. 0,3 EW/km²). Die Bevölkerung setzte sich im wesentlichen aus den Hirtenvölkern der Herero und Nama (Hottentotten) zusammen. Das kriegerische Hirtenvolk der Herero hatte das Volk der Damara zum Zeitpunkt der deutschen Besitzergreifung bereits im Krieg um begehrte Weidegebiete und Wasserstellen unterworfen. Nur in Splittergruppen kamen im nördlichen Hochland noch Buschmänner vor, die als Jäger und Sammler lebten.

3 Wirtschaftliche und zivilisatorische Entwicklung des Gebiets

Der Kaufmann Adolf Lüderitz
Die Gründung der Kolonie Deutsch-Südwestafrika geht auf den Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz zurück. Der Tabakimporteur hatte bereits 1881 in Lagos eine Faktorei errichtet und entsandte 1882 seine Brigg Tilly an die südwestafrikanische Küste, um Handel zu treiben und Landkonzessionen zu erwerben. Im Auftrag von Lüderitz erwarb sein Beauftragter Heinrich Vogelsang am 1. Mai 1883 weite Landstriche um den Ort Angra Pequena (die spätere Lüderitzbucht), wo er am 12. Mai die deutsche Flagge hisste. Im Januar 1884 führte ein Lagebericht des Kanonenbootes S.M. Nautilus zu der Einschätzung, Lüderitz Erwerbungen könnten durch die englische Kapkolonie bedroht sein. Daraufhin verfasste Bismarck am 24. April 1884 ein Telegramm, in dem er den deutschen Konsul in Kapstadt zu der Erklärung anwies, die Erwerbungen von Lüderitz stünden unter dem Schutze des Reiches.
Telegramm von Reichskanzler Bismarck
vom 24. April 1884

Nachdem im Norden nahe Tsumeb Bodenschätze wie z.B. Kupfer und später in der Namib im Süden Diamanten gefunden wurden, entwickelte sich erstmalig eine industrielle Infrastruktur. Weitere wichtige Erzeugnisse waren Marmor aus den Brüchen bei Karibib, sowie Schafe und Rinder, Felle und Häute, Karakulfelle (Persianer), Wolle, Fleisch- und Fischkonserven, Butter, Walfischtran, Guano, Salz, Eisen, Vanadium, Zinn, Blei, Silber, Gold und Halbedelsteine.

Mit dem Bau einer schmalspurigen Bahnstrecke von Swakopmund nach Windhoek wurde 1897 begonnen, und diese dann im Jahr 1902 eröffnet. Es folgten weitere mittels modernster deutscher Ingenieurskunst errichtete Bahnstrecken, und 1914 verfügte das Gebiet über ein Streckennetz von 2.372 Kilometern, was überhaupt erst den späteren wirtschaftlichen Aufstieg des Landes ermöglichte.

Erste Faktorei von Lüderitz in Angra Pequena

Den Einheimischen wurde darüber hinaus die Möglichkeit geboten, sich mit typisch deutschen Tugenden wie Ordnungssinn, Ehrlichkeit, Disziplin, Fleiß und Pünktlichkeit vertraut zu machen und so den überkommenen afrikanischen Schlendrian zu überwinden. Ferner wurden Werte und Fähigkeiten wie der protestantische Kirchenchoral, militärische preußische Disziplin sowie deutsche Braukunst (z.B. das nach deutschem Reinheitsgebot gebraute Bier der Marke Windhoek Lager) vermittelt und gelehrt.

4 Verwaltung von Deutsch-Südwest

Der erste Reichskommissar von Deutsch-Südwest war ab 1885 Heinrich Göring, der Vater des späteren Reichsmarschalls Hermann Göring.

Ab 1890 wurde als Reaktion auf zunehmende Spannungen zwischen deutschen Farmern und Einheimischen die Schutztruppe ins Leben gerufen. Sie umfasste zu Beginn nicht mehr als zwei Dutzend Mann, wurde jedoch im Laufe der Zeit vergrößert. Die Schutztruppe nahm Polizeiaufgaben entsprechend den Anweisungen der politischen Verwaltung wahr. Erster Kommandeur der Schutztruppe war Hauptmann Curt von Francois.

5 Der Herero-Aufstand

Der Eingeborenenstamm der Hereros wurde jedoch immer unzufriedener. Den Einheimischen wurde von den deutschen Kolonialisten Land gestohlen. Sie wurden teilweise ermordet, viele wurden ohne Grund inhaftiert.[1][2] Generalleutnant Lothar von Trotha schrieb später:

„Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auch auf sie schießen.“


[1]

Gefangene Herero und Nama wurden von den Deutschen in eigens für sie errichtete Konzentrationslager gebracht. Die ersten dieser Lager wurden in den Jahren 1904/05 nach dem Vorbild der britischen Buren-Lager in Südafrika errichtet. Sie waren anfangs in Okahandja, Windhuk und Swakopmund; später wurden es mehr. Durch ständige Überbelegung, schlechte klimatische Bedingungen (Haifischinsel), schlechtes Trinkwasser und einseitige Ernährung breiteten sich Krankheiten wie Skorbut, Typhus und Ruhr in den Lagern schnell aus und forderten tausende Todesopfer. Gesunde Gefangene wurden zur Zwangsarbeit im Straßen-, Wege- und Bahnbau eingesetzt. Die Bedingungen waren dermaßen hart, dass nicht einmal die Hälfte der Gefangenen die Strapazen überlebten.[3]

5.1 Diskussionen im Deutschen Bundestag

Im Bundestag beantragten die Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen, dass die Beziehungen zwischen Deutschland und Namibia gestärkt werden und Deutschland seiner historischen Vergangenheit gerecht werden solle. In dem Antrag heißt es:

„Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Der Deutsche Bundestag fördert die Einsetzung einer Deutsch-Namibischen Parlamentariergruppe, die sich um intensive Kontakte und Gespräche zwischen dem Deutschen Bundestag und dem namibischen Parlament bemühen soll.
Dies hatten auch namibische Abgeordnete bei ihrem letzten Besuch im Deutschen Bundestag nochmals angeregt.

2. Der Deutsche Bundestag unterstützt den Dialog mit namibischen Parlamentariern und Parlamentarierinnen, der namibischen Nationalversammlung und mit den Vertretungen der unmittelbar von den deutschen Kolonialverbrechen betroffenen Völker zur gemeinsamen Aufarbeitung der Vergangenheit, zur Versöhnung und zu gemeinsamen Zukunftsperspektiven.

3. Der Deutsche Bundestag erkennt die schwere Schuld an, die deutsche Kolonialtruppen mit den Verbrechen an den Herero, Nama, Damara und San auf sich geladen haben und betont, wie Historiker seit langem belegt haben, dass der Vernichtungskrieg in Namibia von 1904 - 1908 ein Kriegsverbrechen und Völkermord war. Der Deutsche Bundestag betont deshalb die fortdauernde Verantwortung Deutschlands für die Zukunft Namibias.

4. Der Deutsche Bundestag bittet die Nachfahren der Opfer des in deutschem Namen geschehenen Unrechts und zugefügten Leids an ihren Vorfahren um Entschuldigung.

5. Der Deutsche Bundestag unterstützt Initiativen zur Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit Deutschlands.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
- die politische und moralische Verantwortung für das historische Unrecht zu übernehmen, das an den Herero, Nama und an Angehörigen anderer Volksgruppen in deutschem Namen in Namibia geschehen ist;
...“


: Bundestagsdrucksache
[4]

In der 168. Sitzung des Deutschen Bundestages am 22. März 2012 wurde über diesen Antrag diskutiert. Gemäß dem Sitzungsprotokoll kam es zu einer Aussprache unter der Leitung der Vizepräsidentin des Bundestages, Katrin Göring-Eckardt.

Für die FDP sprach Marina Schuster:

„Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die schrecklichen Gräueltaten, die im Namen des Kaiserreichs an den Volksstämmen der Herero, Nama, Damara und San verübt worden sind, kann man durch nichts ungeschehen machen. Wir bekennen uns zu unserem schweren historischen Erbe und der daraus erwachsenden Verantwortung Deutschlands gegenüber Namibia. Wir bedauern zutiefst die schrecklichen Gräueltaten. Deswegen ist es richtig, dass sich der Bundestag in den vergangenen Jahren immer wieder mit diesem Thema befasst hat; denn die Erinnerung daran darf nicht verblassen.
(...)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir uns mit der wichtigen Frage auseinandersetzen, wie wir unserer historischen Verantwortung gegenüber Namibia heute am besten gerecht werden können, dann könnte das dadurch geschehen, dass wir die enge politische, kulturelle, wirtschaftliche und entwicklungspolitische Zusammenarbeit weiter intensiv fortführen. Wir setzen auf verschiedene Projekte, zum Beispiel auf die Förderung von Gemeindeentwicklung, kleinbäuerlicher Viehzucht, ländlicher Wasserversorgung, Grundbildungsinfrastruktur und ländlichem Wegebau.ybr/>
Es ist in dem Antrag der SPD und der Grünen auch erwähnt worden, dass die Sonderinitiative – die Namibian-German Special Initiative – nicht immer reibungslos und auch nicht so verläuft, wie wir uns das damals vorgestellt haben. Es wurden ja 20 Millionen Euro bereitgestellt. Ich denke, es wäre sehr an der Zeit, dass wir klären, worin die Ursachen liegen, damit davon ein neuer Impuls ausgehen kann. Daran sollten wir ganz konkret arbeiten.

(Hans-Christian Ströbeles [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] Zwischenruf: Unserem Antrag zustimmen! Da steht das ja drin!)

Ich möchte darauf hinweisen, dass ich es gut fände, wenn wir weiterhin dazu auch über die Fraktionen hinweg im Dialog bleiben würden.

Vielen Dank.“


: Bundestagsdrucksache 17/9033 vom 20.3.2012
[5]

Für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) äußerte sich Heidemarie Wieczorek-Zeul wie folgt:

„Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anfang März hat uns eine Delegation des namibischen Parlamentes – Sie haben es erwähnt, Frau Schuster – hier im Deutschen Bundestag besucht. In all den Gesprächen – alle Fraktionen haben daran teilgenommen – haben wir zugesagt: Wir möchten endlich eine gemeinsame Parlamentarierdelegation einsetzen, die gemeinsam die Vergangenheit aufarbeitet, die aber auch die gemeinsame Zukunft zwischen den Parlamenten und den Menschen in unseren beiden Ländern voranbringt.
Ich bitte Sie alle, dass Sie dieser Initiative zustimmen.
In dem Antrag, den wir, die SPD-Bundestagsfraktion, und die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen eingebracht haben, anerkennen wir die schwere Schuld, die – ich zitiere – „deutsche Kolonialtruppen mit dem Verbrechen an den Herero, Nama, Damara und San auf sich geladen haben“ und betonen, „wie Historiker seit langem belegt haben, dass der Vernichtungskrieg in Namibia von 1904–1908 ein Kriegsverbrechen und Völkermord war“.

Wir sagen:

Der Deutsche Bundestag betont deshalb die fortdauernde Verantwortung Deutschlands für die Zukunft Namibias.

Und:
Der Deutsche Bundestag bittet die Nachfahren der Opfer des im deutschen Namen geschehenen Unrechts und zugefügten Leids an ihren Vorfahren um Entschuldigung.
(...)
Da diese koloniale Vergangenheit im öffentlichen Bewusstsein – übrigens gilt das auch für die Schulen – oft nicht bekannt ist, will ich noch einmal daran erinnern: Die deutschen Kolonialherren hatten Ende des 19. Jahrhunderts die Bevölkerung im heutigen Namibia von ihrem Land vertrieben. Als sich die Herero dagegen wehrten, führten die Truppen des Generals von Trotha gegen sie und die Nama einen Vernichtungskrieg. In seinem berüchtigten Schießbefehl befahl General von Trotha, jeden Herero – auch Frauen und Kinder – zu erschießen. Die Überlebenden der Schlacht am Waterberg 1904 wurden in die Wüste getrieben. Sie verhungerten, sie verdursteten. Die Überlebenden wurden in Lager verschleppt und zur Zwangsarbeit gezwungen. Viele Tausende haben diese ungeheure Brutalität nicht überlebt.
(...)
In unserem Antrag verlangen wir, ein weiteres düsteres Erbe der deutschen Geschichte endlich aufzuklären. In dem Vernichtungskrieg gegen die Herero begingen die damaligen deutschen sogenannten Rassenforscher ein anderes widerwärtiges Verbrechen, indem sie sterbliche Überreste von Gefallenen, Hingerichteten oder in den Zwangslagern Umgekommenen nach Deutschland verschleppten, um sie zu konservieren. Es ist eine Schande für unser Land, dass es erst im September des letzten Jahres gelang, 20 Schädel dieser Menschen einer Delegation der Nachfahren der Herero zu übergeben. Diese Delegation kam zur Übergabe der Schädel nach Berlin. Es befinden sich aber weitere sterbliche Überreste in den Asservatenkammern deutscher Universitäten. Es muss in unser aller Interesse liegen, alle diese Gebeine in würdiger Form nach Namibia zu überführen.
(...)
Ich möchte an dieser Stelle insbesondere an den namibischen Bischof Kameeta erinnern, der im September in einem bewegenden Gottesdienst hier in Berlin aus Anlass der Rückführung der Gebeine in der St.-Matthäus-Kirche der Opfer gedacht hat. Ich habe diesem Gottesdienst beigewohnt. Bischof Kameeta hat gesagt – ich habe seine Worte ins Deutsche übersetzt –:

An die politischen Entscheider in Deutschland:
Lassen Sie Ihre Gleichgültigkeit und das Verdrängen beiseite. Es geht um eine bessere, ehrliche, vertrauensvolle, respektvolle Beziehung zwischen Namibia und Deutschland. Übernehmen Sie moralische und ethische Verantwortung für das, was vor hundert Jahren geschah, und sprechen Sie es un zweideutig aus.

Wir als Deutscher Bundestag sollten – das ist das Ziel des Antrags von SPD und Bündnis 90/Die Grünen – Bischof Kameetas Worte ernst nehmen. Wir fordern die Bundesregierung auf, dies endlich zu tun. Ich bin ganz sicher: Wir werden gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen in Namibia für eine gute Zukunft zusammenarbeiten.

Vielen Dank.“


: Bundestagsdrucksache 17/9033 vom 20.3.2012
[6]

Egon Jüttner sprach für die Unionsparteien, der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU) bzw. der Christlich-Sozialen Union (CSU). Er ging zu Beginn seiner Rede ebenfalls auf die historischen Vorgänge ein:

„Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Alle Mitglieder des Hohen Hauses teilen die Beurteilung, dass während der deutschen Kolonialzeit zwischen 1884 und 1915 schreckliche Dinge in Deutsch-Südwestafrika passiert sind. Den traurigen Höhepunkt stellt dabei die brutale Niederschlagung des Aufstandes der Herero, Nama und Damara dar, in deren Folge Zehntausende Menschen auf grausamste Weise umkamen. Als im August 1904 der Aufstand der Herero niedergeworfen wurde, floh der größte Teil von ihnen in die fast wasserlose Kalahari-Wüste, wo sie mitsamt ihren Frauen, Kindern und Rinderherden verdursteten.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind dahin getrieben worden!)

– Ja. – Von rund 80 000 bis 100 000 Herero im Jahre 1904 lebten 1911 nur noch 15 130. Die verbrecherische und menschenverachtende Vorgehensweise bei der Niederschlagung der Revolte der Herero war bezeichnend für die Denkweise der damals Verantwortlichen. Schon die Rhetorik der damals Handelnden, allen voran der als Vernichtungsbefehl in die Geschichte eingegangene „Aufruf an das Volk der Herero“ des verantwortlichen Generals Lothar von Trotha, lässt uns heute erschaudern und beschämt uns zutiefst. Gefangene Herero und Nama wurden von den Deutschen in eigens für sie errichtete Konzentrationslager gebracht. In diesen Lagern breiteten sich schnell Krankheiten aus, die Tausende von Todesopfern forderten. Nicht einmal die Hälfte der Gefangenen überlebte den Aufenthalt in den Konzentrationslagern.

Die umfassende Verurteilung der damaligen Ereignisse ist eine parteiunabhängige Konstante deutscher Außenpolitik. So wurden sowohl im Jahr 1989 unter der CDU/CSU-geführten Bundesregierung als auch im Jahre 2004 unter der sozialdemokratisch geführten Bundesregierung weitreichende Anträge beschlossen, die das deutsch-namibische Verhältnis betreffen. In diesen Anträgen bekennen sich die Antragsteller zu Schuld und Verantwortung.
(...)
Aus dieser Verantwortung ergeben sich die Verpflichtungen für die Gegenwart und für die Zukunft, denen sich die Bundesregierung in enger Zusammenarbeit mit den namibischen Partnern stellt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die von Deutschland eingegangenen Verpflichtungen zeigen, dass sich Deutschland seiner Vergangenheit stellt und daraus Konsequenzen zieht. Diese schlagen sich im Verhältnis Deutschlands zu Namibia nieder. Integraler Bestandteil, tragende Säule und Ausdruck der besonderen Beziehungen zwischen Namibia und Deutschland ist dabei, wie ich schon sagte, die Entwicklungspolitik. Seit der Unabhängigkeit Namibias vor 22 Jahren steht Deutschland in einem besonderen Verhältnis zu Namibia, was die Entwicklungszusammenarbeit betrifft. Erwähnt sei die seitherige Summe der deutschen Entwicklungshilfe, die fast 700 Millionen Euro beträgt. Damit ist Namibia nicht nur afrikaweit Spitzenreiter im Hinblick auf die deutschen Zuwendungen pro Einwohner. Vielmehr war Namibia mit 15,80 Euro pro Kopf im Jahre 2010 auch das Land, das weltweit die höchste Entwicklungshilfeleistung pro Einwohner erhielt.“


: Bundestagsdrucksache 17/9033 vom 20.3.2012
[7]

Für die Partei Die Linke äußerte sich Herr Niema Movassat.

„Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Jüttner, ich habe mich bei weiten Teilen Ihrer Rede gefragt, was Sie uns hier eigentlich sagen wollen. Wir sprechen über eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte, und darauf muss es heute Antworten geben.
(...)
Zwischen 1904 und 1908 beging das deutsche Kaiserreich in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, einen Völkermord. Deutsche Soldaten ermordeten etwa 100 000 Menschen. Dieser Teil unserer Geschichte wird gerne vergessen. Die Frankfurter Rundschau schrieb zur Verdrängungskultur:
Welche Schande für ein Land, das sich auf seine Vergangenheitsbewältigung so viel zugutehält.
(...) Was damals passierte, ist ein Verbrechen, eine Schande. Dass sich die deutsche Politik bis heute weigert, die damaligen Geschehnisse überhaupt einmal als Völkermord zu benennen, ist ebenfalls eine Schande.
(...)
Mit vorgeschobenen rechtlichen Argumenten weigert sich die Bundesregierung bis heute, die moralisch-historische Verantwortung zu übernehmen. Eine Schande ist auch, dass es bis heute keine offizielle Entschuldigung gab. Zwar hat sich die damalige Ministerin Wieczorek-Zeul 2004 mit bewegenden und guten Worten entschuldigt; aber keine Regierung hat diese Worte je als offiziellen Standpunkt übernommen. Stets wurde betont, es handele sich um private Äußerungen. Auch das ist Teil der fortgesetzten deutschen Schande.
(...)
Herr Dr. Jüttner, Sie haben hier den Aspekt Wiedergutmachung mit der Entwicklungszusammenarbeit vermischt. Das muss aber strikt getrennt werden.
(...)
Entwicklungshilfe ist immer an Bedingungen geknüpft, die der Geber einseitig vorgibt. Klar sind Sonderinitiativen und Entwicklungsgelder gut gemeint; aber alle Beteiligten müssen einbezogen werden: Deutschland, Namibia und die Nachkommen der Opfer. Versöhnung lässt sich nämlich nicht einseitig diktieren, sondern erreicht man nur im Dialog.
(...)
Wir müssen auch hierzulande unsere Hausaufgaben machen. Es ist eine Schande, dass heute noch Straßen in unseren Städten nach Kolonialverbrechern benannt sind.
(...)
Wir brauchen Schulbücher, die über diese Verbrechen und ihre Ursachen aufklären. Wir brauchen eine Bundesstiftung, um die Kolonialgeschichte aufzuarbeiten.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sehr richtig!)

Leider wird auch die heutige Abstimmung die Schande weiter verlängern; denn beide vorliegenden Anträge wird die Koalition ablehnen. Aber Sie halten es nicht einmal für nötig, etwas Eigenes vorzulegen. Das ist ein unwürdiger Umgang mit diesem wichtigen Thema.
(...)
Heute hat der Deutsche Bundestag die Chance, einen Beitrag zur echten Versöhnung zu leisten. Lassen Sie uns gemeinsam etwas gegen die anhaltende Schande tun.
Danke schön.“


: Bundestagsdrucksache 17/9033 vom 20.3.2012
[8]

Herr Uwe Kekeritz legte die Position der Bundestagsfraktion der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dar.

„Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir besprechen heute sicherlich ein sehr wichtiges Thema. Ich möchte der Linken danken, dass sie dieses Thema auf die heutige Tagesordnung gesetzt hat.

Es stellt sich die Frage, warum die Aufarbeitung der Gräueltaten in Namibia vor über 100 Jahren nicht schon längst vollzogen wurde. Dafür mag es viele Gründe geben, und darüber müssen wir sehr intensiv nachdenken. Warum auch immer: Wahrheit muss Wahrheit bleiben. Es ist Deutschlands Pflicht, den Völkermord in Namibia als solchen auch zu bezeichnen und Namibia in einem würdigen Rahmen um Verzeihung zu bitten. Nur so können wir eine tragfähige Grundlage für eine gute und gemeinsame Zukunft mit Namibia le- gen. Es ist für mich nicht akzeptabel, wenn dies mit formaljuristischen Argumenten verweigert wird.

In diesem Zusammenhang möchte ich an eine Sitzung des AwZ erinnern, in der sich die Vertreter der Regierungskoalition auf die Konvention von 1948 berufen haben. Diese sei nach dem Völkermord verabschiedet worden, und deswegen könne man nicht von Völkermordreden. Ich denke, das ist nicht zu tolerieren. Völkermord ist nämlich zunächst einmal gar kein juristisches Problem. Es ist ein menschliches Problem, ein ethisches und ein moralisches Problem. Menschlichkeit und Gerechtigkeit müssen dem kulturellen Bewusstsein entspringen und individuell im Kopf und im Herzen verankert sein. Wenn das gegeben ist, dann ist eine Aufarbeitung durchaus möglich.
(...)
Wir müssen weg von der Verdrängungskultur.

Mit dem hoffentlich gemeinsam verabschiedeten Antrag und mit der Versöhnungsinitiative senden wir ein klares, weltweit vernehmbares Signal, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht verjähren. Kein Despot darf sich jemals wieder in Sicherheit wiegen. Wir sollten also heute kein Signal der Schwäche in die Welt senden. Darum bitte ich Sie im Interesse der Würde Deutsch- lands und einer gedeihlichen Zusammenarbeit mit Nami bia um die Zustimmung zu unserem Antrag.
Danke schön.“


: Bundestagsdrucksache 17/9033 vom 20.3.2012
[9]

Anschließend bekam nochmals ein Mitglied der FDP das Wort, und zwar Michael Kauch:

„Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben Verantwortung vor der Geschichte, und wir haben Verantwortung für die Zukunft. Verantwortungsübernahme für die Vergangenheit zeigt sich in der Übernahme von Verantwortung durch Handeln, nicht allein durch Worte. Deshalb finde ich es schon befremdlich, wenn hier gesagt wird, die Debatte über die bilaterale Zusammenarbeit unserer beiden Länder gehöre nicht zum Thema. Es gehört zum Thema;

(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Aber selbstverständlich!)

denn die Übernahme der Verantwortung für die Vergangenheit zeigt sich eben auch in den besonderen Beziehungen, die wir mit Namibia haben, die wir dadurch zeigen, dass dieses Land pro Kopf der Bevölkerung die größte Hilfe im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit Deutschlands mit Afrika erhält. Das zeigt sich darin, dass unsere Länder auch kulturell weiterhin verbunden sind. Kein Land in Afrika, keine ehemalige Kolonie in Afrika hat noch so viele Wurzeln deutscher Tradition und deutscher Kooperation, wie das in Namibia der Fall ist.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kollege Kauch, der Kollege Liebich möchte Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

- Michael Kauch (FDP):
Bitte.

Stefan Liebich (DIE LINKE):
Herr Kollege Kauch, Sie haben recht: Die binationale Zusammenarbeit ist ein Thema. Aber Worte – damit haben Sie eingeführt – spielen auch eine wichtige Rolle. Deswegen interessiert mich tatsächlich und ganz im Ernst: Was hindert die FDP-Fraktion eigentlich daran, sich für einen Völkermord, den sie bereit ist, so zu nennen, zu entschuldigen?

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Michael Kauch (FDP):
Die Kollegin Schuster hat die Frage nach der historischen Schuld und der historischen Verantwortung unseres Landes für Namibia beantwortet.
(...)
Ich glaube, dass der Deutsche Bundestag in seinen Resolutionen, die übrigens zum Teil in rot-grüner Regierungszeit verabschiedet worden sind, hierzu die treffenden Worte gefunden hat. Ich finde es unpassend, wie hier parteipolitisch instrumentalisiert wird.
(...)
Wir müssen die umfangreiche Entwicklungszusammenarbeit fortführen und intensivieren. Wir müssen auch darauf achten, dass insbesondere die Landstriche Namibias Berücksichtigung finden, wo Herero, Damara und Nama leben. Ich war diesen Januar in Damaraland und weiß, dass es eine der ärmsten Regionen des Landes ist. Deshalb muss man bei der Zusammenarbeit darauf achten, dass die Hilfe genau dort landet.

Wenn wir wie 2004 aus der Sonderinitiative Projekte finanzieren, dann müssen wir auch darauf achten, dass dies beispielsweise im Rahmen der Landreform den Menschen zugutekommt, die dort leben. Es ist nicht akzeptabel, wenn Mittel vergeben werden, mit denen Menschen aus Windhuk Land kaufen, und diejenigen, die vor Ort leben, vertrieben werden. Auch bei der Umsetzung dieser Projekte gibt es Probleme. Das zeigt, dass wir noch nicht dort angekommen sind, wo wir hinkommen wollen.
(...)
Ich würde mich freuen, wenn dieses Parlament wenigstens in der nächsten Wahlperiode eine Deutsch-Namibische Parlamentariergruppe einsetzen würde. Wir haben besondere Beziehungen zu diesem Land. Sie machen auch besondere Lösungen im Rahmen der Parlamentariergruppen erforderlich.“


: Bundestagsdrucksache 17/9033 vom 20.3.2012
[10]

Vizepräsidentin Petra Pau rief zur Abstimmung über den Antrag auf. Zuvor gab sie die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Die deutschen Kolonialverbrechen im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika als Völkermord anerkennen und wiedergutmachen“ bekannt. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/8971, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/8767 abzulehnen.
Nach einer kurzen Abstimmung ist die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses mit den Stimmen der Unionsfraktuionen und der FDP-Fraktion angenommen worden. Somit wurde der o.a. Antrag abgelehnt.

Danach stellte die Bundestagsfraktion "Die Linke" im Bundestag kritische Fragen an die Bundesregierung. Überschrieben ist die Drucksache mit den Worten:

„Historische, politische und juristische Hintergründe des Massakers gegen die Herero und Nama und Sachstand der Sonderinitiative“


: Bundestagsdrucksache Drucksache 17/10407 vom 24.07.2012
[11]

In der Einleitung der "Kleinen Anfrage" verweisen die Autoren der "Kleinen Anfrage" auf einen Bericht des Sonderberichterstatters Ben Whitaker:

„Durch Resolution 1985/9 wurde 1985 der Bericht des Sonderberichterstatters Ben Whitaker zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordes (Whitaker-Bericht) vom VN-Unterausschuss für die Verhinderung von Diskriminierung und den Schutz von Minderheiten angenommen. Der Bericht betont, dass die Betrachtung historischer Völkermorde von Bedeutung für die zukünftige Verhinderung ähnlicher Verbrechen ist. Dabei listet er Ereignisse des 20. Jahrhunderts auf, die die charakteristischen Merkmale eines Völkermordes aufweisen. Dazu gehören auch die Verbrechen der deutschen Kolonialmacht an den Herero, die als erster Völkermord des Jahrhunderts bewertet werden. Das Bundesverfas- sungsgericht hat 1999 den Whitaker-Bericht zur Auslegung der Völkermord-Konvention herangezogen (BVerfG, 2 BvR 1290/99, Verfassungsbeschwerde, Urteil vom 30. April 1999, Rz. 28 und 40).“


: Bundestagsdrucksache Drucksache 17/10407 vom 24.07.2012
[11]

"Die Linke" fragt, u.a.:

„1. Hat der Begriff des Genozids für die Bundesregierung ausschließlich eine juristische Bedeutung, die seine Anwendung auf Sachverhalte nach 1948, dem Entstehungsjahr der VN-Völkermordkonvention, beschränkt (bitte begründen)?

2. Können mit dem Begriff des Genozids aus Sicht der Bundesregierung auch historische Massaker vor 1948 entsprechend den Kriterien der VN-Völkermordkonvention als historische Fallbeispiele für Genozide charakterisiert und gewertet werden – so wie es Raphael Lemkin, der den Völkermordbegriff prägte, 1948 in einer Auflistung vergangener Völkermorde seit der Antike tat (vgl. Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste „Zum Anwendungsbereich der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes“ vom 20. April 2012), darunter auch die „Massaker an den Herero in Afrika“, und wie es auch in der Resolution 96 (1) der VN-Generalversammlung geschah?

Wenn nein, warum nicht?

3. Vertritt die Bundesregierung die Auffassung, dass sich bereits durch die Verwendung des Völkermordbegriffs für die Wertung und Umschreibung eines historischen Sachverhalts negative Rechtsfolgen für die Bundesrepublik Deutschland ergeben könnten, und vermeidet sie deshalb, die Massaker und Gräueltaten an den Herero und Nama als Völkermord zu bezeichnen?“


: Bundestagsdrucksache Drucksache 17/10407 vom 24.07.2012
[11]

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6 Siehe auch

7 Literatur

8 Weblinks

 Commons: German South-West Africa – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

9 Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 "N-TV.de: Klinische Vergangenheitsbewältigung: 20 Schädel für Namibia"
  2. "deutsche-schutzgebiete.de: Hereroaufstand"
  3. Dominik J. Schaller: »Ich glaube, dass die Nation als solche vernichtet werden muss: Kolonialkrieg und Völkermord in «Deutsch-Südwestafrika» 1904–1907«. In: Journal of Genocide Research. 6:3, S. 399–400.
  4. "Bundestagsdrucksache 17/9033 vom 20.3.2012"
  5. "Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages 17/168 v. Donnerstag, 22.03.2012"; ebd. S. 19988 bzw. PDF-Seite 138
  6. "Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages 17/168 v. Donnerstag, 22.03.2012"; ebd. S. 19988ff bzw. PDF-Seite 138ff
  7. "Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages 17/168 v. Donnerstag, 22.03.2012"; ebd. S. 19990f bzw. PDF-Seite 140f
  8. "Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages 17/168 v. Donnerstag, 22.03.2012"; ebd. S. 19991f bzw. PDF-Seite 141f
  9. "Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages 17/168 v. Donnerstag, 22.03.2012"; ebd. S. 19993 bzw. PDF-Seite 142
  10. "Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages 17/168 v. Donnerstag, 22.03.2012"; ebd. S. 19993ff bzw. PDF-Seite 143ff
  11. 11,0 11,1 11,2 "Bundestagsdrucksache 17/10407 vom 24.07.2012"

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