Stammtisch
Als Stammtisch bezeichnet man sowohl eine Gruppe von sich regelmäßig in einer Gastwirtschaft zusammenfindenden Personen als auch den Tisch selbst, an dem diese meist zwanglosen Treffen stattfinden. Zur Kennzeichnung des "Stammtisches" und als Hinweis, dass dieser Tisch eben für die Stammtischteilnehmer reserviert ist, dient oft ein entsprechendes Schild mit Fuß, das auf dem Stammtisch mittig platziert[1] wird.
Stammtische haben teilweise eine jahrhundertealte Tradition, vor allem im ländlichen Bereich. In der Stadt sind sie erst später entstanden. Dabei spielten die Studentenverbindungen eine Rolle, die oft aus größeren Stammtischgruppen entstanden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts galt der Stammtisch dagegen als Rückzugsrevier des räsonierenden Kleinstadtbürgertums – vgl. in den zeitgenössischen realistischen Romanen etwa Wilhelm Raabes Das Horn von Wanza. Den Abstieg in die Harmlosigkeit teilte der Stammtisch mit – zum Beispiel – der Gartenlaube und dem Kränzchen. Auch Wilhelm Busch setzte sich mit dem Stammtisch auseinander, zum Beispiel in der Bildergeschichte Der Geburtstag oder die Partikularisten. In Wien oder Prag kommunizierten die Literaten allerdings lieber in einschlägigen Literatencafés als in Kneipen.
Die Stammtische dienen meist dem geselligen Treffen, bei dem auch Alkohol konsumiert, Karten (Skat, Schafkopf, usw.) gespielt wird und man seinen (oftmals anspruchslosen) Gedanken freien Lauf lassen kann. Die Gespräche finden auf unterschiedlichem geistigen Niveau statt, wobei auch Vorurteile gepflegt werden. Dadurch sind allgemeine Redewendungen entstanden wie "so etwas könne man am Stammtisch erzählen, aber nicht in der Öffentlichkeit" (so genannte "Stammtischparolen").
Durch die Arbeiterbewegung bekamen Stammtische eine politische Bedeutung. So nutzte zum Beispiel Friedrich Ebert, der spätere Reichspräsident der Weimarer Republik, ab 1894 in Bremen die von ihm betriebene Gastwirtschaft als Treffpunkt für Gewerkschafter und Sozialdemokraten. Als der US-Amerikaner James Watson und der Brite Francis Crick die Entdeckung der DNA-Struktur 1953 in ihrer Stammkneipe verkündeten, wurden sie ausgelacht.[2]
Einem Stammtisch nachempfunden war in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die langjährige, sonntags zur Mittagszeit ausgestrahlte, sehr beliebte ARD-Sendung Der Internationale Frühschoppen mit Werner Höfer als Gastgeber und jeweils fünf bis sieben eingeladenen internationalen Journalisten, bei der bei einem guten Glas Wein intellektuell anspruchsvolle Gespräche stattfinden sollten und tagespolitische Ereignisse diskutiert wurden.
Regionale Stammtische betreiben auch die Autoren der deutschen Wikipedia[3] sowie verschiedene Vereine und Parteien. Nicht jeder hat jedoch Zutritt zum Stammtisch. Manche Stammtische lassen neue Teilnehmer nur nach Voranmeldung zu oder geben ein bestimmtes Gesprächsthema vor. Durch die Möglichkeiten des Internet haben diese Formen des Treffens nicht abgenommen. Stattdessen ist der Begriff auch in manchem Internetforum zu finden, um dort allgemeine Diskussionen zu ermöglichen. Zudem hat gerade durch die Anonymität im World Wide Web der Stammtisch eine besondere Bedeutung durch das persönliche Kennenlernen bekommen. Daher sind viele Stammtische entstanden, die nur noch wenig mit der traditionellen Form zu haben und auch in Restaurants stattfinden, ohne dass dabei Alkohol getrunken wird.
1 Berühmte Stammtische
- Im Grünen Jäger in Osnabrück trifft sich mit der Klause der älteste, noch bestehende Stammtisch Deutschlands. Das genaue Gründungsjahr ist nicht überliefert, jedoch liegt es vor 1819.[4]
- E. T. A. Hoffmanns Literarischer Stammtisch bei Lutter & Wegner in Berlin.
- Die Brille, ein Künstlerstammtisch in einem Berliner Vorstadtlokal, führte 1901 zur Gründung des Kabaretts „Schall und Rauch“.
- Beim literarischen Stammtisch im Düsseldorfer Rosenkränzchen schloss Hermann Harry Schmitz Freundschaft mit Hanns Heinz Ewers und Herbert Eulenberg, die seine Arbeit förderten.
- Am Verbrechertisch traf sich die Elite Leipzigs, die als Überlebende der Revolution von 1848 demokratischer und fortschrittlicher Gesinnung waren.
- Die ehrlichen Kleiderseller zu Braunschweig: Ein im 19. Jahrhundert gegründeter Stammtisch von Braunschweiger Literaten, Künstlern und anderen Persönlichkeiten. Der Schriftsteller Wilhelm Raabe war ihr bekanntestes Mitglied.
- Braunschweiger Akademische Wurstekommission: Ein Braunschweiger Stammtisch, der Persönlichkeiten aus der Region aufnimmt. Er ist in ähnlicher Weise wie die Braunschweiger Kleiderseller organisiert.
- Das „Eagle“ in Cambridge mit Treffpunkten für Hochschullehrer der dortigen Universität
- Während der Bonner Republik trafen sich die sogenannten Kanalarbeiter, der konservative Flügel der SPD-Abgeordneten um Egon Franke, regelmäßig in der Rheinlust (heute steht an dieser Stelle das Haus der Geschichte) und ab 1969 in der Kessenicher Gaststätte Kessenicher Hof an reservierten Stammtischen. Zu ihren Gästen zählten nicht nur hochrangige Politiker wie Helmut Schmidt, sondern auch SPD-nahestehende Journalisten.
- Im Bremer Gasthof zum Kaiser Friedrich trafen sich ebenfalls ab den 1960er Jahren SPD-Politiker und Geschäftsleute an einem Stammtisch. Die verstorbenen Teilnehmer bekamen sogar eine Todesanzeige in der örtlichen Tageszeitung und wurden dadurch ebenso wie einige lebende Teilnehmer öffentlich bekannt.[5]
2 Einzelnachweise und Anmerkungen
- ↑ Dieses Schild kann aber auch, wie auf nebenstehendem Foto zu sehen, an der Decke hängend befestigt sein.
- ↑ https://www.deutschlandfunkkultur.de/dem-geheimnis-des-lebens-auf-der-spur-100.html
- ↑ Wikipedia:Treffen der Wikipedianer
- ↑ Joachim Dirks: Die Osnabrücker „Klause“ begeht ihr 200. Stiftungsfest im "Grünen Jäger". In: noz.de. Neue Osnabrücker Zeitung, 2019-11-23. Abgerufen am 28. Mai 2024.
- ↑ In der Wikipedia wurden diesbezügliche Informationen im Laufe der Jahre wieder gelöscht
3 Vergleich zu Wikipedia
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