Primat der Ökonomie

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Primat der Ökonomie ist ein unterschiedlich definierter Ausdruck für den Vorrang der Wirtschaft als System (Ökonomie) gegenüber dem Staat und anderen Interessen einer Gesellschaft. Der Ausdruck kann auch neutral als „Einfluss der Wirtschaft“ übersetzt werden. Das Wort Primat (von lateinisch primus = der erste) würde bedeuten, dass die Wirtschaft immer an erster Stelle bei den Entscheidungen in der Politik steht.

  • In der materialistischen Geschichtsauffassung von Karl Marx und Friedrich Engels gibt es eine prinzipiell gerichtete „Korrespondenz“ zwischen Basis und Überbau.[1]
  • Für Theodor W. Adorno ist der Primat der Ökonomie ein wesentliches Kennzeichen moderner Gesellschaften.[2]
  • Bei Josef Schmid erscheint Wirtschaft als "Sachzwang" oder "Schicksal", dem sich alle anderen gesellschaftlichen Belange unterzuordnen haben.[3]
  • Nach Auffassung von Niklas Luhmann zeigt sich aus politischer Sicht der Primat der Wirtschaft daran, dass die Beurteilung politischer Erfolge von wirtschaftlichen Erfolgen abhängig wird. [4]
  • Das Primat der Ökonomie wird mitunter in Zusammenhang mit dem Begriff Ökonomismus gebracht,[5] wobei diese Bezeichnung jedoch weitere Bedeutungen hat und sich oft abwertend auf eine von der Ökonomie übernommene gesellschaftwissenschaftliche Methode bezieht.
  • Hermann Adam definiert Primat der Ökonomie als normative Vorstellung vom Verhältnis von Wirtschaft und Politik, nach welcher der Staat nicht in das Wirtschaftsgeschehen eingreifen solle (sog. "Nachtwächterstaat").

Dem Primat der Ökonomie stehen als weitere Typen des Verhältnisses von Wirtschaft und Politik gegenüber:

Auf die weiteren Zusammenhänge weisen Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler hin, wenn sie die gesellschaftlichen Voraussetzungen und die soziale Einbettung (social embeddedness) von Organisationen und Prozessen hervorheben, so der US-amerikanische Soziologe Mark Granovetter und der Schweizer Ökonom Bruno S. Frey.

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1 Geschichte

Der Primat der Ökonomie ist mit dem Siegeszug des Wirtschaftsliberalismus im 19. Jahrhundert verbunden. In einer historischen Analyse hat Karl Polanyi am Beispiel Englands die Entwicklung des Kapitalismus und der Marktwirtschaft als einen Prozess der Freisetzung (Entbettung) ökonomischer Institutionen und wirtschaftlichen Handelns aus dem normativen Kontext einer traditionellen Gesellschaft (moralische Veränderungen) beschrieben. Daraus folgert er, dass die Gesetze des selbstregulierten Marktes die "Transformation der natürlichen und menschlichen Substanz der Gesellschaft in Waren" herbeiführten und "die Gesellschaft als Anhängsel des Marktes" behandelten.[6] Vornehmlich Arbeit, Boden und Geld seien aber nur fiktive Waren. Die Gewinnerzielung wurde ein neues fundamentales Handlungsmotiv, das an die Stelle der lebensnotwendigen Existenzsicherung trat. Das Prinzip des Wirtschaftsliberalismus habe als Gegenbewegung das Prinzip des Selbstschutzes der Gesellschaft (z. B. durch sozialstaatliche Einrichtungen, Gesetze, Bodenreform) und den Klassenkampf gegen die "Warenfiktion der Arbeitskraft" hervorgerufen.[7]

Verschiedene Spielarten des Neoliberalismus (als theoretische Konzeption wie als politisch-praktisches Projekt) proklamieren mit der Herrschaft des Marktes auch den Primat der Ökonomie.[8] Karl Homann, ein renommierter Theoretiker der Wirtschaftsethik, sieht im „Liberalismus von F. A. Hayek und L. von Mises“ wie im „Monetarismus von M. Friedman“ Spielarten eines Neoliberalismus, “die von der Auffassung ausgehen, dass Störungen in marktwirtschaftlichen Systemen durchweg vom Staat verursacht sind, während der private Sektor der Wirtschaft ein stabiles Verhalten zeigt und die notwendigen Anpassungsprozesse selbst vollziehen könnte.“[9] Strittig bleibt indessen die These, dass in neoliberalen Marktregimes eine "Entbettung" der Wirtschaft aus der Gesellschaft stattfinde.[10]

2 Literatur

  • Karl S. Althaler (Hg.): Primat der Ökonomie? Über Handlungsspielräume sozialer Politik im Zeichen der Globalisierung, Metropolis 1999, ISBN 3-89518-145-5

3 Weblinks

4 Einzelnachweise

  1. Julius Morel, Helmut Staubmann: Soziologische Theorie - Abriß der Ansätze ihrer Hauptvertreter, Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2007, ISBN 3486584766, S. 101
  2. Elke Wagner: Gesellschaftskritik und soziologische Aufklärung. In: Berliner Journal für Soziologie, 15 (1), 2005, S. 37-54.
  3. Josef Schmid: Wirtschaftspolitik für Politologen, UTB, 2006, S. 18.
  4. Luhmann: Soziologische Aufklärung. 1975, S. 96.
  5. Willke: Global Governance, transcript 2006, S. 10 f.
  6. Karl Polanyi: The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1978, S. 70 u. S. 88.
  7. Karl Polanyi: The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1978, S. 182ff.
  8. Bettina Lösch: Die neoliberale Hegemonie als Gefahr für die Demokratie. In: Butterwegge et al.: Kritik des Neoliberalismus, Wiesbaden, VS, 2. Aufl., 2008, S. 221-249, hier S. 222.
  9. Karl Homann: Rationalität und Demokratie, Mohr Siebeck, Tübingen 1988, S. 10.
  10. So Ulrich Brand nach Thomas Mohrs: Weltbürgerlicher Kommunitarismus: zeitgeistkonträre Anregungen zu einer konkreten Utopie. Königshausen & Neumann, 2003. ISBN 3826025334 S.37

5 Andere Lexika



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