Kritik der zynischen Vernunft

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Die Kritik der zynischen Vernunft ist ein 1983 erschienenes Werk des deutschen Philosophen Peter Sloterdijk. Das Werk behandelt den Zynismus als gesellschaftliches Phänomen der europäischen Geschichte. Anlass für den Autor war das Buch Kritik der reinen Vernunft von Immanuel Kant, das 1781 erschien; aus diesem Anlass gab es 200 Jahre später ein Jubiläum und zunächst einen Essay.[1][2]

Sloterdijks Werk hat zwei Teile, von denen sich der erste und der Anfang des zweiten im ersten Band befinden. Der erste Band beinhaltet philosophische Grundlagen des Themas und die Physiognomie des Zynikers; der zweite Band entwickelt darauf aufbauend eine Phänomenologie der Handlungsgeschichte auf. In beiden Bänden ist der Text-Bild-Bezug an einigen Stellen ein integraler Bestandteil des philosophischen Diskurses.[3] Im Jahr 2003 erschien eine neue Auflage in einem Band.

Sloterdijk macht an vielen Stellen klar, dass er den etymologischen Wandel der Konsonanten (von C zu K und Z) dazu nutzt, seine Grundthesen zu begründen:

  • Der Kynismus der Antike sei eine Antithese zur griechischen Akademie - als Beispiel nennt er Diogenes von Sinope[4] und Ventil einer entmachteten Bevölkerung gewesen.
  • In einem neuzeitlichen industriellen oder postindustriellen System werde daraus ein Zynismus von nur mehr merkantil verstandenen Handlungen.

Nach einem ersten Gang durch die Geschichte des unter philosophischen und sozialpsychologischen Aspekten betrachteten Phänomens analysiert er den Zynismus als eine „Frechheit, die die Seite gewechselt hat“.[5][6] Er beschreibt die Entwicklung der Aufklärung seit Kant. Zudem nennt er Karl Marx nach Nietzsche den „folgenreichsten Denker“ des 19. Jahrhunderts.[7]

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1 Inhalt

Sloterdijk schildert die Entstehung des bürgerlichen Bewusstseins auch anhand von Negativbeispielen aus der europäischen Handlungs- und Bildungsgeschichte. So bezeichnet er den Zweiten Weltkrieg als einen ersten Kulminationspunkt eines „Systems der Selbstaushöhlung“ (Kapitalismus), „das, bis zu den Zähnen bewaffnet, ewig leben will“.

Seine Analyse des Dadaismus und seine historische Darstellung in Berlin geht einher mit einer Aufdeckung der Spielarten von Ironien und Sarkasmen aller Lager der Zwischenkriegszeit (insbesondere Dadaisten, Sozialdemokraten, Nationalsozialisten und deren gegenseitige höhnische Aufhetzung). Es bilden die Geschehnisse und die künstlerische Aktivität der Zwischenkriegszeit, welche als „frech“, „entlarvend“ vom nationalsozialistischen Regime eingestuft werden und schließlich als „entartet“ vielen Künstlern die Grundlagen für ihr Schaffen entzieht, eine weitere Ebene dieses Werkes.

Er beleuchtet ebenso das nationalsozialistische Schriftgut, welches – so Sloterdijk – das Dritte Reich „rhetorisch retten“ will, nicht ohne Kästner und Remarque als die „Autoren des Menschlichen“ in einem „erbitterten Krieg Aller gegen Alle“ zu erwähnen. Dabei deckt er ihre eindeutig auf das mittlerweile zynische Klima hinweisenden Textstellen strukturell auf und erläutert sie aus seiner Sicht.

Außerdem unternimmt Sloterdijk den Versuch, die Wirkungsgeschichte der Kantschen Kritiken, angefangen von der Bibelkritik[8] über die allgemeine Religionskritik[9] bis in die nahe Vergangenheit nachzuzeichnen. Er versucht aufzuzeigen, dass Kants „kritisches Geschäft“ durch die Prämisse BaconsWissen ist Macht“ instrumentalisiert und schließlich ausgehebelt werde. So unterzieht er Heideggers Werk Sein und Zeit einer genauen Untersuchung und sucht Verdeutlichung durch Bestätigung der „Tatsachen“. Die gewagte These von Althussers Suizid (i. S. der Unaushaltbarkeit einer Lebenslüge) und einer als „philosophisches System“ getarnte Kritik am Nationalsozialismus, die Heidegger bis zur Perfektion beherrscht (vgl. dessen Antrittsrede: Die Selbstbehauptung der deutschen Universität[10]) bildet zugleich Kulminationspunkt und Abschluss der Beschreibung des Zynismus (als Gegensatz zum Kynismus) auch in der Philosophie, welche in diesen geschichtlichen Wandlungsprozess untrennbar eingebunden und dafür immer wieder auch die Voraussetzungen schafft. Damit einhergehend betrachtet er die Entstehung des heutigen menschenverachtenden Zynismus im Gespann kleinbürgerlicher Semiologien bzw. großphilosophischer Ambitionen auf der Folie des griechischen Kynismus. Dieser stehe heute nicht mehr für letztlich (natürlich-)ethisch verbürgende Werte zwischen Menschen außerhalb religiöser und wirtschaftlich-opportunistischer Überzeugungen. Stattdessen sei er einem Zynismus gewichen, der sein Handeln aufgrund eines „Endziels“ rein materialistisch definiere und ein „gesolltes“ Handeln wirtschaftlich auf Gewinnmaximierung trimme bzw. reduziere; einem Zynismus, der sich jedoch da ausschweige, wo es sich um soziale, anthropogene und altruistische Zielverfolgung in einem und für ein „gelungenes Leben“ handelt.

Sloterdijk macht im Schlusskapitel darauf aufmerksam, dass er ein Gelingen nicht als allein äußere Tatsache betrachtet, sondern als „Eingebettetsein“ in ein sich ständig selbst organisierendes und erneuerndes „Ganzes“, das von Menschen aus eigener Einsicht und eigenem Antrieb geschaffen wird.

2 Rezeption

Das Buch wurde von zahlreichen Kritikern gelobt und Sloterdijk als philosophischer Schriftsteller vom Range eines Arthur Schopenhauer bezeichnet. Die Kritik der zynischen Vernunft wurde zum Bestseller. Bis 1988 wurden über 50.000 Exemplare verkauft. Der Suhrkamp-Verlag gab 1987 eine Sammlung mit Beiträgen von Wissenschaftlern heraus, die sich zum Phänomen Zynismus psychologisch, soziologisch, historisch und philosophisch äußern. Der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel veröffentlichte 1983 einen Verriss des Buchs im Spiegel: Mit Sätzen wie: „Die Animalitäten“ (nämlich: „Furzen, Scheißen, Pissen, Masturbieren“) „sind beim Kyniker ... auch eine Form des Argumentierens“, und zwar innerhalb einer „pantomimischen Theorie“, bläst Sloterdijk Wind in die ohnehin prallen Segel eines landläufigen Idiotismus, der schon immer mehr Scheiße als Argumente produziert hat und jetzt seine theoretische Weihe bejubelt. Der Germanist Klaus Laermann berichtet, Sloterdijk habe Merkel daraufhin öffentlich als „einen gekauften Schmierenschreiber“ bezeichnet. Laermann veröffentlichte 1988 unter dem Titel Von der Apo zur Apokalypse eine Polemik gegen Sloterdijks Buch. Die zentrale Gegenüberstellung von antikem Kynismus und modernem Zynismus sei bereits in den 1960er Jahren vom Religionsphilosophen Klaus Heinrich formuliert worden.[11]

3 Literatur

  • Peter Sloterdijk: Kritik der zynischen Vernunft. 2 Bände. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1983, ISBN 3-518-11099-3.
  • Otto Kallscheuer u. a.: Peter Sloterdijks „Kritik der zynischen Vernunft“ Frankfurt am Main: Suhrkamp 1987 ISBN 3-518-11297-X
  • Marco Fuhrländer: Kritik der zynischen Vernunft. In: Joachim Kaiser (Hg.): Das Buch der 1.000 Bücher. Autoren, Geschichte, Inhalt und Wirkung. Dortmund: Harenberg 2002, ISBN 3-611-01059-6, S. 1007 f.

4 Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Hochspringen Sloterdijk, Klappentext der ersten Auflage
  2. Hochspringen Sloterdijk, Seite 13 der ersten Auflage
  3. Hochspringen diese Aussagen beziehen sich auf die erste Auflage
  4. Hochspringen Sloterdijk, Seite 34
  5. Hochspringen Sloterdijk, Überschrift auf S. 220
  6. Hochspringen auf S. 223 verwendet Sloterdijk in diesem Zusammenhang den Begriff Herrenzynismus und ließ die Aussage kursiv setzten
  7. Hochspringen Sloterdijk, Seite 10
  8. Hochspringen Sloterdijk, ab S. 63
  9. Hochspringen Sloterdijk, ab S. 70
  10. Hochspringen vgl. Auszug online
  11. Hochspringen Klaus Laermann: Von der Apo zur Apokalypse. Resignation und Fröhliche Wissenschaft am Beispiel von Peter Sloterdijk, in: ,Postmoderne' oder Der Kampf um die Zukunft, Hg.: P. Kemper. 1988, S. 207–230.

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