Extremwinter von 1708/1709

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Schlittschuhläufer auf der zugefrorenen Lagune von Venedig im Jahr 1708 auf einem Gemälde von Gabriele Bella
Der Winter von 1708 auf 1709 war in Europa extrem kalt. Es handelte sich um den wohl kältesten Winter seit 500 Jahren. In England wurde er als Great Frost, in Frankreich als Le Grand Hiver und in deutschsprachigen Gebieten als "der kalte Winter" bekannt. Die Temperatur lag im europäischen Mittel ungefähr 7 Grad Celsius unter dem Mittelwert für das 20. Jahrhundert. [1] W. Derham, der Rektor von Upminster, berichtete 1809 darüber in folgenden Worten:
"I believe this frost was greater, if not also more universal, than any other within the memory of man. The longest which has happened within our memory, was that in 1683; but the late frost, although of shorter continuance, was more intense than that; of which I have already given some account in No 321." [2]

Betroffen waren nicht nur einzelne Länder, sondern ganz Europa von der Bretagne bis nach Russland und von Norwegen bis nach Südeuropa. Nur Irland, Schottland und Nordengland blieben von der Extremkälte verschont. [3] Die Neustadter Zeitung schrieb im Jahr 1861:

"Der stärkste Winter endlich, von welchem wir noch nähere und verläßliche Nachrichten haben, ist der von 1708 und 1709. Ueber fünfzig Jahre nachher war er allgemein unter der Benennung "der kalte Winter" bekannt. In ihm vereinigten sich drei Eigenschaften, welche einen Winter verderblich machen können: eine sehr intensive Kälte, eine lange Dauer durch mehr als 130 Tage und einzelne Thauwetter, zwischen kalten Tagen eingeschlossen, wodurch vorzüglich Pflanzen und Bäume zu Grunde gehen und unter Thieren und Menschen verheerende Krankheiten erzeugt werden. Die strenge Kälte dieses Winters fing am 3. Nov. 1708 an und dauerte bis Mitte April 1709." [4]

Dieser Extremwinter trat während einer Phase niedriger Sonnenfleckenaktivität (Maunder Minimum) auf. Speziell für das späte Maunder-Minimum von 1675 bis 1705 sind Extremwerte in Bezug auf niedrige Wintertemperatur und hohe Niederschläge überliefert. [5] Ob dieser Extremwinter auch durch Vulkanausbrüche des Vesuv und Santorin, sowie des Fuji in den beiden vorhergehenden Jahren mitbedingt sein könnte, ist nicht abschließend geklärt. Stephanie Pain schreibt über die möglichen Ursachen des harten Winters:

"The Little Ice Age was at its climax and Europe was experiencing climatically turbulent times: the 1690s saw a string of cold summers and failed harvests, while the summer of 1707 was so hot people died from heat exhaustion. Overall, the climate was colder, with the sun's output at its lowest for millennia. There were some spectacular volcanic eruptions in 1707 and 1708, including Mount Fuji in Japan and Santorini and Vesuvius in Europe. These would have sent dust high into the atmosphere, forming a veil over Europe. Such dust veils normally lead to cooler summers and sometimes warmer winters, but climatologists think that during this persistent cold phase, dust may have depressed both summer and winter temperatures." [6]

Die Allgemeine Länder und Völkerkunde berichtet im Jahr 1837 in Band III über den Winter 1708/1709:

"Im achtzehnten Jahrhundert zeichnete sich der Winter von 1708 auf 1709 durch seine außerordentliche Kälte aus: Der Busen von Venedig und die Häfen am Mittelländischen Meere zu Genua, Marseille und Cette waren zugefroren (-18 Grad); das Eis hatte die Ostsee an den Küsten Preußems dergestalt belegt, daß man von den höchsten der auf selbigen befindlichen Thürme das Ende davon nicht absehen konnte; und von Kopenhagen fuhr man zu Schlitten nach Bornholm." [7]

Bei Temperaturen bis 18 Grad Minus waren Wasserflächen in ganz Europa zugefroren. Auf der Lagune von Venedig konnte man z.B. Schlittschuh laufen. Der Gardasee in Italien und der Bodensee waren größtenteils zugefroren, die Mündung des Tejo in Portugal vereiste und der Hafen von Danzig war noch Anfang Mai 1709 von einer Eisdecke überzogen. Die adriatische See war zugefroren, was seit dem Jahr 859 nicht mehr vorgekommen war. Am 10. Januar 1709 wurden in Berlin um 8 Uhr morgens 30 Grad Minus als Tiefstrekord gemessen. [8] Tiefstrekord in Paris waren 32,1 Grad Minus und in Venedig 17,5 Grad Minus. [9] Für einige Orte Mitteleuropas wird sogar über Polarschnee berichtet, einer Niederschlagsform von Schnee die i.A. erst ab circa 25 Grad Minus auftritt.

Als Folge dieses kalten Winters verhungerten in Europa zehntausende Menschen durch Ernteausfälle und anschließende Seuchen. Im Großraum Paris sollen nach zeitgenössischen Quellen an die 20.000 Menschen an Kälte und Hunger gestorben sein. Viele Menschen verloren Ohren, Nase oder Gliedmaßen durch den Frost. Viele Obstbäume starben und ganze Waldungen wurden vernichtet. Als Folge der Kälte und des Hungers trieb es viele Wildtiere in die Städte. Wölfe drangen in Dörfer und Städte ein, und griffen Menschen an. Fische erfroren im Wasser und viele Vögel kamen um. Im folgenden Frühjahr, das von der Temperatur her betrachtet erst im Mai begann, kam es dann zu verheerende Überschwemmungen. Eine deutsche Medizinzeitschrift von 1848 berichtete:

"1709 begann der Winter sehr frühzeitig mit außerordentlicher Strenge. Venedig war mit Eis umgeben, und die Erde in Italien gefror in einer Tiefe von drei Ellen, so dass alle Oelbäume eingingen. Ramazzini versichert, dass durch die Kälte im südlichen Europa mehr Menschen umkamen, als durch die ärgste Pest. Durch das Schmelzen der grossen Alles überlagernden Schneemassen entstanden im Frühjahre grosse Ueberschwemmungen." [10]

In Folge dieses harten Winters zusammen mit Viehseuchen und Missernten durch Hagelschlag in den Jahren 1707 und 1708 kam es zu großen Migrationsbewegungen. Zehntausende von Menschen, besonders aus der Pfalz, machten sich auf den Weg nach Nordamerika. [11]

1 Siehe auch

- Extremwinter von 1683/1684

2 Literatur

- Philipp Blom: Die Welt aus den Angeln / Eine Geschichte der Kleinen Eiszeit von 1570 bis 1700 sowie der Entstehung der modernen Welt, verbunden mit einigen Überlegungen zum Klima der Gegenwart, Carl Hanser Verlag, München, 2007, ISBN 978-3-446-25458-9

3 Belege

  1. Jürg Luterbacher: European Seasonal and Annual Temperature Variability, Trends, and Extremes Since 1500, in Science, Ausgabe 303, 2004, Seite 1499
  2. Charles Hutton, George Shaw und Richard Pearson: The Philosophical Transactions of the Royal Society of London, from their commencement in 1665 to the year 1800, Vol. V from 1703 to 1712, C. % C. Baldwin, London, 1809, Seite 533
  3. Walter Lenke: Untersuchung der ältesten Temperaturmessungen mit Hilfe des strengen Winters 1708/1709, Selbstverlag des deutschen Wetterdienstes, Offenbach a. M., 1964, Seite 32
  4. Unterhaltungsblatt der Neustadter Zeitung, Jahrgang 1861, Seite 67
  5. Beate Müller: Eine regionale Klimasimulation für Europa zur Zeit des späten Maunder-Minimums 1675–1705, Dissertation Fachbereich Geowissenschaften der Universität Hamburg im Jahr 2003, Seite 11
  6. Stephanie Pain: New Scientist, Ausgabe 2694, February 2009
  7. Heinrich Karl Wilhelm Berghaus, Paul Anton Fedor, Konstantin Possart und Traugott Bromme: Allgemeine Länder und Völkerkunde, Band III, Hoffmansche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart, 1837, Seite 237
  8. Walter Lenke: Untersuchung der ältesten Temperaturmessungen mit Hilfe des strengen Winters 1708/1709, Selbstverlag des deutschen Wetterdienstes, Offenbach a. M., 1964, Seite 27 und 32
  9. Marco Rossi: L'inverno del 1709 in Europa
  10. Janus - Zeitschrift für Geschichte und Literatur der Medicin, Band II, Heft I, Verlag Eduard Trewendt, 1848, Seite 112
  11. 1709: Massenauswanderung nach New York

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