Alte jüdische Spielleute und Musiker (Sachbuch von Paul Nettl)

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Deckblatt von Paul Nettls Buch Alte jüdische Spielleute und Musiker
Alte jüdische Spielleute und Musiker ist ein 1923 in Prag erschienenes Buch des österreichisch-jüdischen Musikwissenschaftlers Paul Nettl. In diesem Buch untersucht Nettl als einer der ersten die mittelalterliche, zumeist weltliche Musik jüdischer Musiker. [1] Nach Philip V. Bohlmann gilt es "bis heute als Standardwerk der Literatur über jüdische Instrumentalmusik" und "wird häufig als die erste Studie über Klezmermusik bezeichnet". [2]
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1 Entstehung

Das 65 Seiten umfassende Buch des 1889 im heutigen Tschechien geborenen Musikwissenschaftlers Nettl, der ab ab 1920 Privatdozent an der Prager Karls-Universität und dort ab 1927 Leiter des Musikwissenschaftlichen Instituts war, entstand aus Vorträgen Nettls an der Karls-Universität im Juni 1923. [3]

2 Inhalt

In einem Einführungsabschnitt umreisst Nettl den historischen Zeitraum seines Buches mit folgenden Worten:
Der jüdische Musikwissenschaftler Paul Nettl (1889-1972)
"Es wäre nun für den Kulturhistoriker eine ungemein reizvolle und dankbare Aufgabe, in das Dunkel früherer jüdischer Musikbetätigung Licht zu bringen, wobei ich natürlich nicht an die Musik der alten Hebräer denke, sondern an jene der in der Diaspora lebenden europäischen Juden des Mittelalters und der frühen Neuzeit." [4]

Danach wendet er sich der "Judenfrage in der Musik" zu und übernimmt dabei -obwohl selber jüdischer Herkunft - befremdlicherweise weitgehend die antisemitischen Stereotype Richard Wagners, dass die Juden keine eigene musikalische Tradition besäßen, ihnen jegliche musikalische Kreativität fehle und sie lediglich im reproduktiven Musikbereich Bereich zu allerdings geschickter Nachahmung fähig seien: [5]

"Die Juden hatten weder Musikertradition noch Musikerdynastien. Weder in produktiver, noch - und das fällt vielleicht noch stärker ins Gewicht - in rezeptiver Hinsicht waren ihnen musikalische Fähigkeiten vererbt worden. Sie waren auch in der Musik Parvenus ohne jeder Tradition und Vorbild. [6] (...) Die Fähhigkeit, aus dem Kunstwerk den letzten Rest von Eigenart herauszuholen, in dem Kunstwerk restlos aufzugehen, ja gelegentlich Stileigentümlichkeiten direkt zur Manier zu karikieren, das ist eine typisch jüdische Eigenschaft, die den Juden befähigt, als reproduktiver Künstler Außerordentliches zu leisten und die einerseits in der Feinnervigkeit des Juden, welche vielleicht auch häufig psychopathisch erklärt wird, andererseits in dem Mangel an Tradition begründet ist." [7]

Dann befasst sich Nettl mit der regen Beteiligung jüdischer Musiker am Musikleben an den oberitalienischen Fürstenhöfen der Renaissance und am päpstlichen Hof in Rom. Als einen Grund für diese Rolle jüdischer Musik in Italien im Gegensatz zu den deutschen Gebieten sieht Nettl darin, dass "in Deutschland die Juden von Fürsten, Adel und Bürgertum zur Beteiligung am kulturellen Leben fast überhaupt nicht herangezogen wurden", [8] während dies "in Italien nicht immer der Fall" [9] war. Eine weitere Ursache dafür sieht Nettl darin, dass Juden in Italien "lange nicht in dem Maße Pionier der Kapitalwirtschaft wie in Deutschland" waren. Außerdem mögen die relativ judenfreundlichen Einstellungen vieler oberitalienischer Fürsten diese Blüte jüdischer Musikaktivität begünstigt haben.

Nettl geht dann auf einige im italienischen Musikleben aktive Juden ein: Die am Hof des Papstes Leo X. aktiven jüdischen Musiker Giacomo da San Secondo und Giovanni Maria sowie den Tanztheoretiker Guglielmo da Pesaro, den am Hof von Mantua tätigen Harfenspieler Abramo Levi und dessen Neffen Abramino dall`Arpa, den Lautenspieler und Ballettmeister Jacchino Massarano, den Musiker Davit da Civita, den Komponisten Allegro Porto, den Musiktheoretiker und Philosophen Leo Hebraeus sowie Leone de Sommi, der 1575 in Mantua eine Schauspielgruppe gründete.
Darstellung italienischer Juden beim Tanz in der Rothschild Miscellanea, einer 1479 in Cremona von Moses ben Jekutiel Ha-Kohen in Auftrag gegebenen Handschrift

Ein längerer Abschnitt ist Salomon Rossi, dem wohl bedeutendsten in Italien lebenden jüdischen Komponisten dieser Epoche gewidmet. Im Gegensatz zu anderen italienischen Musikern jüdischer Herkunft hat Rossi seinem Glauben auch in musikalischen Werken Ausdruck verliehen und Werke für die Synagoge geschrieben. Diese erschienen 1620 gesammelt unter dem Titel Haš- šîrîm ašer liš-Šelomo. Nettl zitiert dann über vier Buchseiten hinweg längere Passagen aus dem Vorwort von Rossi und einem Begleitschreiben von Leon de Modena, in welchem er den unter den Juden umstrittenen Einsatz von Musikinstrumenten und allzu kunstvoller Musik in der Synagoge verteidigt. Man kann Rossis Sammlung nach Nettl als "Grundstein eines geregelten Synagogalgesang in Italien" [10] sehen. Über die Qualität von Rossis kompositorischem Schaffen schreibt Nettl:

"Die Stärke Rossis liegt in seinen Madrigal- und seinen Instrumentalkompositionen, die zu den besten Werken beider Gattungen umd die Jahrhundertwende gehören. Die Madrigale sind von außerordentlicher Klangschönheit, zwar meist Note gegen Note gesetzt, ohne jedoch die Regeln des imitierten Kontrapunktes zu vernachlässigen. (...) Im Vergleich zu Monteverdi aber, der der Feuergeist und der Revolutionär der italienischen Musikreanaissance war, ist Rossi eher als konservativ zu bezeichnen. In seinen Werken kommt überall der Hang zu ruhiger Formenschönheit zum Ausdruck. Der dramatische Stil, den sein berühmter Kollege zu so hoher Blüte brachte, wird bezeichnenderweise von Rossi nicht gepflegt." [11]

Nettl sieht auch eine Gemeinsamkeit Zusammenhang zwischen Rossi und Gustav Mahler: Beide hätten "Volkslieder, Gassenhauer, und der Gasse angehörige Wendungen" [12] und "volkstümliche Melodien" [13] in ihren Werken verwendet. Nettl deutet dies psychologisch als eine typisch jüdische Eigenart und schreibt dazu:

"Der Jude verbindet mit seiner Sehnsucht nach der Vergangenheit eine unstillbare Sehnsucht, von seinem Ich loszukommen. Der Kulturjude empfindet die latente Tragik seiner Existenz, die in eine fremde Sphäre, in eine fremde Gesellschaft hineingewachsen ist, in eine Gesellschaft, die ihn nicht anerkennt und ihn als fremdkörper betrachtet, als ein Unglück, oft als eine Schmach. Daher die so häufige seelische Dosposition des Juden: Zurück zur Kindheit, die sich eben bei Mahler im Volkslied, im Gassenhauer, den "Leitmotiven" seiner Kindheit kundgibt." [14]

3 Siehe auch

4 Weblinks

5 Literatur

6 Einzelnachweise

  1. Annkatrin Dahm: Der Topos der Juden - Studien zur Geschichte des Antisemitismus im deutschsprachigen Musikschrifttum, Vandenhoeck & Ruprecht, 2007, S. 283
  2. Philip V. Bohlman: Jüdische Volksmusik - eine Mitteleuropäische Geistesgeschichte, Böhlau Verlag, Wien, 2005, S. 257
  3. Aron Marko Rothmüller: Die Musik der Juden - Versuch einer geschichtlichen Darstellung ihrer Entwicklung und ihres Wesens, Pan-Verlag, 1951, S. 95
  4. Paul Nettl: Alte jüdische Spielleute und Musiker, Dr. J. Flesch Verlag, Prag, 1923, S. 1
  5. Annkatrin Dahm: Der Topos der Juden - Studien zur Geschichte des Antisemitismus im deutschsprachigen Musikschrifttum, Vandenhoeck & Ruprecht, 2007, S. 283
  6. Paul Nettl: Alte jüdische Spielleute und Musiker, Dr. J. Flesch Verlag, Prag, 1923, S. 1 und 2
  7. Paul Nettl: Alte jüdische Spielleute und Musiker, Dr. J. Flesch Verlag, Prag, 1923, S. 2
  8. Paul Nettl: Alte jüdische Spielleute und Musiker, Dr. J. Flesch Verlag, Prag, 1923, S. 4
  9. Paul Nettl: Alte jüdische Spielleute und Musiker, Dr. J. Flesch Verlag, Prag, 1923, S. 4
  10. Paul Nettl: Alte jüdische Spielleute und Musiker, Dr. J. Flesch Verlag, Prag, 1923, S. 7
  11. Paul Nettl: Alte jüdische Spielleute und Musiker, Dr. J. Flesch Verlag, Prag, 1923, S. 14
  12. Paul Nettl: Alte jüdische Spielleute und Musiker, Dr. J. Flesch Verlag, Prag, 1923, S. 16
  13. Paul Nettl: Alte jüdische Spielleute und Musiker, Dr. J. Flesch Verlag, Prag, 1923, S. 16
  14. Paul Nettl: Alte jüdische Spielleute und Musiker, Dr. J. Flesch Verlag, Prag, 1923, S. 16 und 17

7 Andere Lexika

Wikipedia kennt dieses Lemma (Alte jüdische Spielleute und Musiker (Sachbuch von Paul Nettl)) vermutlich nicht.




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