Turanismus

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Der (Pan-)Turanismus (türkisch turancılık) ist eine Ideologie, die einen gemeinsamen Ursprung der Turkvölker, Finno-Ugrier, Mongolen und Mandschu-tungusischen Völker annimmt.[1] Die spekulative Urheimat dieser „Turanier“ oder „turaniden Rasse“ war Turan, eine mythische Landschaft in Zentralasien, jenseits des antiken Flusses Oxus. Gleichzeitig bezeichnet Turanismus das Bestreben, diese Völker zu einer geistigen und kulturellen Einheit zusammenzufassen. Der Turanismus enstand im 19. Jahrhundert und gehört zu den sogenannten Panbewegungen.

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1 Turanismus und Panturkismus

Die Begriffe Turanismus oder Pan-Turanismus werden häufig als Synonyme für den Terminus Panturkismus gebraucht, obgleich sich dessen Hauptziel lediglich auf die Einheit der Turkvölker beschränkt.[2] Beide Ideologien verbindet der Abstammungsmythos und der Wunsch nach kultureller oder politischer Einheit. Turanismus und Panturkismus sind Varianten des türkischen Nationalismus[3] und haben heutzutage ihre politische Bedeutung weitgehend eingebüßt.

2 Geschichte

Der Turanismus entwickelte sich vor allem in Ungarn und Finnland. Unterstützt wurde die Bewegung unter anderem von dem finnischen Philologen und Ethnologen Matthias Castrén (1813-1852). Teilweise war es eine Reaktion auf den Pangermanismus und Panslawismus. Der jüdisch-ungarische Orientalist Ármin Vámbéry[4] glaubte, dass alle türkischen Gruppen einer einzigen Rasse angehörten. Er entwickelte den Plan für ein turanisches Imperium. Es sollte von der Adria bis nach China hinein reichen.[5] Später distanziere er sich von diesem Plan. Möglicherweise trugen seine guten Kontakte zur Führungsspitze der Jungtürken auch dazu bei, dass das Konzept des Turanismus dort eine positive Rezeption erfuhr.[6] Ein weiterer Orientalist mit großem Einfluss auf die Entwicklung des Turanismus war Léon Cahun. Begünstigt wurde der Turanismus ferner durch die russische Eroberung Zentralasiens in den 1860er Jahren und die Behandlung der türkischen Minderheit im neu gegründeten Bulgarien.[7] Die allgemeine Verbreitung der Rassenlehre trug ebenfalls zur Entstehung des Turanismus bei.

In Ungarn erfreute sich der Turanismus infolge der ethnischen und sprachlichen Besonderheit der Ungarn inmitten slawischer und anderer indoeuropäischer Völker eine Zeit lang großer Popularität. So erschien dort von 1913 bis 1970 regelmäßig eine Zeitschrift namens „Turan“.[6] Dort verfolgte ferner die 1918 gegründete und später umbenannte „Turanische Gesellschaft“ die Ziele des Turanismus.

3 Protagonisten

Einer der bekanntesten Vertreter des Turanismus war der türkische Nationalist Ziya Gökalp, der Pläne zur Errichtung eines turanischen Großreiches entwarf. Besonders berühmt wurde sein Gedicht mit dem Vers Vatan ne Türkiye'dir Türklere ne Türkistan, Vatan büyük ve müebbet bir ülkedir:Turan[8] Die Zeilen künden von Turan, dem gemeinsamen Vaterland aller Türken. Ein weiterer herausragender Vertreter des Turanismus war der türkische Jude Munis Tekinalp, der ebenfalls Konzepte zur Errichtung eines turanischen Staates entwarf.[9] Daneben gab es eine Reihe von Publizisten und Autoren, die in jener Zeit den Turanismus propagierten. Beispiele sind der Tatare Yusuf Akçura, Mehmet Emin Yurdakul, der das Gedicht Turana Doğru („nach Turan“) verfasste, Halide Edip Adıvar, Autor des Romans Yeni Turan („Neues Turan“), Ömer Seyfettins, Autor des Buches über den „morgigen Staat Turan“ (Yarınki Turan Devleti), und Mehmet Fuat Köprülüs, Autor des Grundschullesebuches Turan. Viele der Genannten distanzierten sich später vom Turanismus. Einer der radikalsten Vertreter des Turanismus war Nihal Atsız, dessen Vorstellungen von der Überlegenheit einer „türkischen Rasse“ geprägt waren. Turanistisches Gedankengut beeinflusste - verkörpert durch Enver Paschas - auch die jungtürkische Führung und begünstigte den Kriegseintritt gegen Russland im Ersten Weltkrieg.

4 Erster Weltkrieg

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges brachte in allen kriegsführenden Staaten eine chauvinistische Propagandaliteratur hervor. Hass auf den „Erbfeind Russland“, verbunden mit der Forderung nach Errichtung eines turanischen Reiches standen im Vordergrund. Radikale Panturkisten proklamierten als nächstes Ziel einen alle von Turkvölker bewohnten Gebiete und Staaten umfassenden Bundesstaat, mit dem Endziel eines von Japan bis Norwegen, von Peking bis Wien reichenden „Groß-Turans“. Andere wollten nach der Eroberung Kaukasiens die Errichtung eines Turkestan, Südsibirien und Pamir einschließenden Kalifats: „Die Türkei wird wachsen, wird Turan werden.“ Am Tage der Kriegserklärung bekannten sich die Jungtürken zur Vernichtung des „moskowitischen Feindes … um dadurch eine natürliche Reichsgrenze zu erhalten, die in sich alle unsere Volksgenossen einschließt und vereint“.[10] In der Folge kam es zum Völkermord an den Armeniern.

Die Jungtürken verkündeten im April 1915 als Kriegsziele offen die Eroberung ganz Transkaukasiens und die Vereinigung aller Turkvölker unter dem osmanischen Sultan.[11]

Im Verlauf des Krieges wurde der mächtigste Staatsmann des Osmanischen Reiches, Enver Pascha, zu einem immer fanatischeren Verfechter panturanischer Ideen, ohne seine islamischen Anschauungen aufzugeben. Er hielt die Stoßrichtung über den Kaukasus für am aussichtsreichsten, um „über Afghanistan nach Indien zu marschieren“, und träumte im August 1915 von einer „Zusammenfassung der 40 Millionen Türken in einem Reich“. Selbst wenn eine dauerhafte militärische Besetzung „Turans“ nicht möglich war, hoffte man, die zentralasiatischen Turkvölker zu „befreien“, um eine Allianz mit ihnen eingehen zu können.[12]

Im Sommer 1918 wuchs, wegen des Erfolgs in Baku, die Begeisterung für Turan im Lande nochmals und die „Jungtürken sahen sich in ihrer imperialistischen Politik bestätigt.[13]

Zu Kriegsbeginn war noch der Aufruf zum „Heiligen Krieg“, erfolgt, gegen Kriegsende setzte sich der Pan-Turanismus gegenüber dem Islamismus an Bedeutung aber eindeutig durch. Die massive Förderung des Turanismus und des Panturkismus brachte das Deutsche Kaiserreich schließlich in Bezug auf die Frage nach der Festlegung der deutschen und türkischen Interessensphären im Kaukasus, Nah- und Mittelost in Konflikt mit dem Osmanischen Reich. Dabei waren selbst nach deutscher Einschätzung die muslimischen Kaukasier, Tataren und Mittelasiaten an einer türkischen Oberhoheit nicht interessiert, weil sie ihre Unabhängigkeit wollten.[14]

5 Weiterführende Literatur

  • Jacob M. Landau: Pan-Turkism: From Irredentism to Cooperation. Hurst, London 1995, ISBN 1-85065-223-6.
  • James H. Meyer: Turks Across Empires. Marketing Muslim Identity in the Russian-Ottoman Borderlands, 1856–1914. Oxford University Press, Oxford 2014, ISBN 978-0-19-872514-5.

6 Weblinks

7 Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. J.M. Landau in Encyclopaedia of Islam new edition, s.v. PAN-TURKISM
  2. Diese Differenzierung wurde erstmals von A. J. Toynbee: Report on the Pan-Turanian Movement 1917. vorgenommen S. 3f.
  3. Katy Schröder: Die Türkei im Schatten des Nationalismus. Hamburg 2003, S. 44.
  4. Arminius (Hermann) Vambéry: Sketches of Central Asia 1868. S. 282-312.
  5. Arminius Hermann Vambéry: Travels in Central Asia 1871, S. 485f.
  6. 6,0 6,1 Jacob M. Landau: Pan-Turkism: From Irredentism to Cooperation. 2. Auflage, Hurst 1995, ISBN 1-85065-269-4, S. 1 f.
  7. Ibrahim Kaya: Social Theory and Later Modernities. Liverpool 2004, S. 60
  8. Gökalp in der Zeitung Genç Kalemler 1911
  9. Vgl. Landau: Tekinalp: Turkish Patriot 1883-1961. Istanbul und Leiden 1984
  10. Gotthard Jäschke: Der Turanismus der Jungtürken. Zur osmanischen Außenpolitik im Weltkriege. In: Die Welt des Islam 23 (1941), S. 1-54, hier S. 7ff. Sowie Lothar Krecker: Deutschland und die Türkei im zweiten Weltkrieg. Verlag Klostermann, Frankfurt am Main 1964, S. 207.
  11. Wolfdieter Bihl: Die Kaukasuspolitik der Mittelmächte. Teil 1: Ihre Basis in der Orient-Politik und ihre Aktionen 1914-1917. Verlag Böhlau, Wien 1975, S. 234.
  12. Wolfdieter Bihl: Die Kaukasuspolitik der Mittelmächte. Teil 1: Ihre Basis in der Orient-Politik und ihre Aktionen 1914-1917. Verlag Böhlau, Wien 1975, S. 155 und 242.
  13. Werner Zürrer: Kaukasien 1918-1921. Der Kampf der Großmächte um die Landbrücke zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer. Verlag Droste, Düsseldorf 1978, ISBN 3-7700-0515-5, S. 79.
  14. Werner Zürrer: Kaukasien 1918-1921. Der Kampf der Großmächte um die Landbrücke zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer. Verlag Droste, Düsseldorf 1978, ISBN 3-7700-0515-5, S. 117ff. Sowie Wolfdieter Bihl: Die Kaukasuspolitik der Mittelmächte. Teil 1: Ihre Basis in der Orient-Politik und ihre Aktionen 1914-1917. Verlag Böhlau, Wien 1975, S. 244f.

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