Thelema
Thelema (griechisch θέλημα „Wollen, Wille, Gebot, Verlangen, Gelüst, Intention“) ist der Oberbegriff für eine lose zusammenhängende neureligiöse Bewegung. Diese bezieht sich in weiten Teilen auf Aleister Crowley und sein Liber AL vel Legis (von Crowley als The Book of the Law, „Das Buch des Gesetzes“, bezeichnet), orientiert sich aber auch an okkulten und magischen Traditionen wie dem Rosenkreuzertum, der Kabbala, der Gnosis und anderen spirituellen und religiösen Lehren.
Inhaltsverzeichnis
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1 Der Begriff Thelema
1.1 Thelema im klassischen Griechisch
Es gibt im Griechischen zwei Wörter für Willen, die in der Bibel - vor allem im Neuen Testament - teilweise synonym verwendet werden: thelema und boule (βουλή).
- Boule heißt „Wille, Absicht, Ratschluss, Vorhaben“ (also ein Wille mit Zweck)
- Thelema ist im klassischen Griechisch anscheinend sehr selten gebraucht worden; es gibt nur wenige Belege, frühester bei Antiphon (5. Jhd. v. u. Z.). In der Antike stand es neben dem göttlichen Willen, den ein Mensch ausführt, ebenso für den Willen der sexuellen Begierde. Dabei war weniger der Willen des Einzelnen gemeint als ein, ontologisch wo auch immer verorteter, übergeordneter Gesamtwille.[1]
Das Verb thelein (θέλειν) taucht schon sehr früh auf (Homer, frühe attische Inschriften) und hat dort die Bedeutung von „bereit sein, belieben, geneigt sein, wünschen, wollen, entscheiden, begehren“ (Homer Od. 3, 272, auch im geschlechtlichen Sinn).
In der griechischen Septuaginta, der Übersetzung des Alten Testaments wird der Begriff für den Willen Gottes selber, das religiöse Begehren des Gottesfürchtigen und den königlichen Willen eines weltlichen Herrschers verwendet. Er wird also nur für die Darstellung hohen ethischen Wollens im Glauben, herrschaftlicher Autoritätsausübung oder den außermenschlichen Willen, aber nicht für eher profanes Streben eingesetzt.[2] Diese Übersetzung wurde in Alexandria im 3./2. Jahrhundert v. Chr. angefertigt, dort taucht das Wort thelema 51-mal auf. Bei der anschließenden Übersetzung der Septuaginta ins Lateinische wurden boule und thelema oft mit voluntas („Wille“) übersetzt. Dadurch ging die unterschiedliche Bedeutung beider Begriffe verloren.
Im Neuen Testament in der griechischen Fassung bis etwa 600 n. Chr. (Koine) wird thelema 62-mal gebraucht, davon zweimal im Plural (thelemata). Hier wird Gottes Wille stets und ausschließlich mit dem Wort thelema (θέλημα, zumeist im Singular) bezeichnet, wie der Theologe Federico Tolli anhand des Theologischen Wörterbuches zum Neuen Testament von 1938 aufzeigt. Dieser führt als Beleg unter anderem das Vaterunser Jesu an: „γενηθήτω τὸ θέλημά σου ὡς ἐν οὐρανῶ καὶ ἐπὶ γῆς“ („dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden“). In gleicher Weise wird der Begriff beim Apostel Paulus und dem Kirchenlehrer Ignatius von Antiochia verwendet. Für Tolli ergibt sich daraus, dass die ursprüngliche Idee von Thelema den Lehren Jesu nicht widerspreche (Lit.: Tolli, 2004).
1.2 Bezeichnungen bei Rabelais
Der als Arzt, Jurist und Mönch tätige François Rabelais (1494–1553) schildert in seinem ersten Buch Gargantua und Pantagruel, das in der Zeit von 1532 bis 1564 entstand, wie Gargantua die Abtei Thélème errichten lässt als ein Modell einer idealen menschlichen Gesellschaft. Die Bewohner der Abtei Thélème werden als Thélémites bezeichnet. Das Wort Thélémites erscheint später ebenfalls in Crowleys Liber AL vel Legis und dient als Selbstbezeichnung der Anhänger Thelemas.
1.3 Aleister Crowley
1904 entwickelte der britische Okkultist Aleister Crowley ein magisches, philosophisches und religiöses System, in dem der Begriff Thelema im Mittelpunkt steht. In einigen seiner Bücher stellte Crowley seine Ansichten zu unterschiedlichen Aspekten des Willens dar. Sein Buch Liber AL vel Legis hatte in der ersten Fassung als Titel das Wort Thelema in griechischen Großbuchstaben: ΘΕΛΗΜΑ. Es gilt als zentrale Schrift seiner Lehre. Daneben verfasste er die Heiligen Bücher von Thelema, die durch die Kommunikationen mit Aiwaz, seinem heiligen Schutzgeist, entstanden sein sollen.
Im Liber AL vel Legis finden sich einige Zahlen, die als Symbol einen wichtigen Stellenwert bekommen:
- 11 bezeichnet die magische Kraft selbst.
- 31 steht nicht im Liber Al vel Legis, sei aber laut Crowley der „Schlüssel zum Buch des Gesetzes“.
- 93 ist die Zahl von Thelema
- 220 ist die Gesamtheit des Universums
- 418 wird als die Zahl des Menschen und des großen Werkes verstanden und ist der hebräische Zahlenwert des Wortes Abrahadabra, der thelemischen Formel des neuen Äons.
- 666 kommt im Liber AL vel Legis nicht vor, nur „das Tier und seine scharlachrote Frau“ werden erwähnt, worin Crowley vermutlich eine Verbindung sah zum Buch der Offenbarung des Johannes im neuen Testament. Darin wird die letzte große Schlacht zwischen Gott und seinen Heerscharen und mehreren „Tieren“ beschrieben, die von Christen mit dem Satan und ähnlichen Figuren der christlichen Mythologie assoziiert werden.[3]
- 718 ist laut Crowley der Zahlenwert der Stele 666 (der Stele der Offenbarung), als welche sie im Boulaq Museum gekennzeichnet wurde.[4]
Diese Zahlenwerte entsprechen jedoch teilweise nicht der traditionellen Zahlensymbolik. So hat das Kaf (כ) im hebräischen Alphabet den Zahlenwert 20,[5] wird aber von Crowley der Zahl 11 zugeordnet, welches die Position im Alphabet ist.
Anders als in Religionen, die auf dem ewigen Fortbestand ihrer spirituellen Wahrheit beruhen, kündigt das Liber AL vel Legis auch einen Äonenwechsel an: “another king shall reign; and blessing no longer be poured to the Hawk-headed mystical Lord!”, („ein anderer König wird herrschen; und dem Falkenköpfigen Mystischen Herrn wird nicht länger Segen zufließen!“) (AL III:34). Crowley nimmt an, dass das nächste Äon das der Maat sei, der Göttin der Gerechtigkeit. Aus diesem Grund war er auch der Meinung, dass man schon jetzt nach der Gerechtigkeit als Ideal streben solle.[6]
2 Thelemische Orte
1920 gründet Aleister Crowley in Cefalù auf Sizilien eine magische Kommune, die Abtei von Thelema. In dieser Kommune spielt auch sein Buch Diary of a Drug Fiend (auf deutsch etwa „Tagebuch eines Drogennarren“). Seine Tochter Anna Leah starb dort im Säuglingsalter an Typhus. Nachdem in der Abtei auch Raoul Loveday, ein Schüler Crowleys, an einer Infektion verstarb, wandte sich dessen Frau Betty May mit erfundenen Geschichten an die britische Presse. Diese stürzte sich auf die Skandalgeschichten (Betty May sollte jedoch später in ihrer Autobiographie „Tiger Woman“ einen Bericht der Ereignisse geben, der sich weitestgehend mit dem Crowleys deckt), und die Regierung Mussolinis wies Crowley 1923 aus Italien aus. Die Ruinen der Abtei sind heutzutage Ziel kleinerer Touristengruppen. Die von Crowley an die Wände der Abtei gemalten Bilder sind kaum noch erhalten.
Im Oktober 1899 kaufte Crowley in Schottland das Gut Boleskine House bei Inverness am Strand von Loch Ness, um dort die magische Operation des Abramelin vorzubereiten, die anderthalb Jahre dauerte. Boleskine gilt als der „Osten“ (Mekka) der Thelemiten und Würdigung in Richtung von Boleskine House wird etwa bei der Ausführung des LIBER XV „Die Gnostische Messe“ vorgeschrieben. Das Haus wechselte seine Besitzer häufiger, für ein paar Jahre war es im Besitz von Jimmy Page, dem Gitarristen von Led Zeppelin. Page gilt als größter Privatsammler von Crowleyana. Das Boleskine House brannte am 23. Dezember 2015 fast vollständig nieder. Die aktuelle Eigentümerin der Hauses zweifelt an einem Wiederaufbau.[7]
3 Thelemische Organisationen und Einflüsse
Eine große Anzahl von Organisationen folgt den Lehren Thelemas. Hauptsächlich sind dies die Orden Astrum Argenteum (A∴A∴), die verschiedenen Abspaltungen und Neugründungen des Ordo Templi Orientis (O.T.O.) und die den O.T.O.s angegliederten Gnostisch-Katholischen Kirchen. Es existieren andere Gruppen, die von den Methoden Thelemas inspiriert wurden, wie die Illuminaten von Thanateros und der Temple of Set. Der Orden Fraternitas Saturni und ähnliche Gruppen akzeptieren Thelema, ergänzen es jedoch um den Satz „Mitleidlose Liebe!“. Die in Deutschland heimische und von Michael Dietmar Eschner gegründete Thelema Society stützt sich nur auf das Liber AL vel Legis – unter dem ursprünglichen Titel Liber L vel Legis.
Bekannte Persönlichkeiten wie Gerald Brousseau Gardner (Gründer der Wicca), Kenneth Grant (Gründer eines Typhonischen Ordo Templi Orientis) und Austin Osman Spare (Begründer der Sigillenmagie und des Zos Kia Cultus) kamen mit Thelema über Aleister Crowley, seinen Orden A∴A∴ oder den O.T.O. in Berührung und waren dort zeitweise Mitglieder. Auch L. Ron Hubbard (Gründer von Scientology) kam über den Crowley-Schüler Jack Parsons mit den Lehren Crowleys und somit mit Thelema in Berührung. Auch die 1982 gegründete Thelema Society,[8] deren Gründer sich als Reinkarnation Crowleys ausgab, gehört zu diesen Organisationen.
4 Einzelanchweise
- ↑ Federico Tolli: Thelema - im Spannungsfeld zwischen Christentum, Logentradition und New Aeon, Edition Araki, 1. Aufl., Leipzig, 2004, S. 6
- ↑ Federico Tolli: Thelema - im Spannungsfeld zwischen Christentum, Logentradition und New Aeon, Edition Araki, 1. Aufl., Leipzig, 2004, S. 11
- ↑ Offb 12,13 EU
- ↑ Crowley Kommentar zu AL III:19
- ↑ https://de.wikipedia.org/wiki/Kaph
- ↑ Crowley Kommentar zu AL III:1
- ↑ Aleister Crowley’s Inverness mansion destroyed by fire. In: The Scotsman. 2015-12-23. Abgerufen am 10. Mai 2016.
- ↑ Gerald Willms: Die wunderbare Welt der Sekten: Von Paulus bis Scientology. 1. Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, 2012, S. 156 und S. 260.
5 Literatur
- Aleister Crowley: The Book of the Law / Liber AL vel Legis (englisch), ISBN 0-87728-334-6.
- Aleister Crowley, Edward A. Crowley: Das Buch des Gesetzes, Liber AL vel Legis, Kersken-Canbaz Verlag 1992, ISBN 3-89423-000-2.
- Andreas Ludwig: Aleister Crowley’s Scientific Illuminism. Magie und Mystik als angewandte Psychologie zur Transformation des Menschen, Tectum-Verlag, Marburg 2005, ISBN 3-8288-8869-0.
- Federico Tolli: THELEMA im Spannungsfeld zwischen Christentum, Logentradition und New Aeon. Edition Araki, Leipzig 2004, 113 S., ISBN 3-936149-35-6 (Interdisziplinäre Arbeit).
6 Weblinks
- Thelemapedia (englisches Wiki)
- Michael D. Eschner: Thelema als Religion Thelema aus der Sicht des operativen Konstruktivismus
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