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Spinozas historisch-kritische Bibelauslegung
Die Bibelauslegung von Spinoza ist ein wesentlicher Teil der Philosophie von Spinoza und kann sowohl als Bibelkritik, als auch unter dem Motto Vernunft und Religion trennen betrachtet werden.
Inhaltsverzeichnis
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1 Zusammenfassung
In seinem Tractatus theologico-politicus setzt sich Baruch Spinoza, ein aus dem Judentum kommender, freigeistiger, holländischer Humanist des 17. Jahrhunderts, mit der Zusammenstellung der als „Heilige Schrift“ bezeichneten Bibel auseinander. Er analysierte die Texte erstmals nach einer historisch-kritischen Methode und relativierte so absolute Wahrheitsansprüche - einschließlich einer mosaischen Verfassung – als lediglich in den jeweiligen Zeitepochen und auf deren Wertesystemen beruhend. In der Bibel geht es nach seiner Meinung um allgemeine moralische Prinzipien, die mit einer natürlichen und vernünftigen Ethik übereinstimmten. Der Tractatus theologico-politicus spiegelt die Auffassung Spinozas von der Bibel wider. Religion ist für ihn ein Gegenstand wissenschaftlicher Forschung.
2 Biographische Eckdaten
- Der 1632 in Amsterdam geborene Spinoza stammt aus einer von Portugal nach Holland eingewanderten jüdischen Kaufmannsfamilie. Studium scholastischer Philosophie, der alten Sprachen, der zeitgenössischen Naturwissenschaft und Mathematik und der Schriften des René Descartes.
- 1657 wird er wegen seiner religiöser Dogmenkritik mit dem Bannfluch (Cherem) der jüdischen Gemeinde belegt.
- 1670 entsteht aus dem Umgang mit Johan de Witt anonym der "Tractatus theologico-politicus" (TTP). Auf Grund der heftigen Angriffe, die die Schrift erfährt, beschließt Spinoza, nur noch anonym etwas zu veröffentlichen. Das Werk Tractatus theologico-politicus wurde 1674 von der holländischen Regierung verboten.
3 Warum Spinoza dieses Werk schrieb
An der Haltung zur biblischen Offenbarung entschied sich für die Zeitgenossen Spinozas das Urteil über einen Denker. Spinoza, welcher zur Zeit der Abfassung des TTP bereits aus seiner jüdischen Gemeinde ausgestoßen war und auch in den christlichen orthodoxen und freien Kirchen nicht Fuß fassen konnte, da er in der Meinung der Öffentlichkeit als Atheist galt, wollte mit diesem Missverständnis aufräumen und sich und seine Philosophie positionieren. In einem Brief an Oldenburg (30.Brief) schreibt er dazu:
„…1) die Vorurteile der Theologen; diese Vorurteile hindern ja, wie ich weiß, am meisten die Menschen, ihren Geist der Philosophie zuzuwenden
…;2) die Meinung, die das Volk von mir hat, das mich unaufhörlich des Atheismus beschuldigt; ich sehe mich gezwungen, diese Meinung womöglich von mir abzuwehren:
3) die Freiheit, zu philosophieren und zu sagen, was man denkt; diese Freiheit möchte ich auf alle Weise verteidigen, da sie hier bei dem allzugroßen Ansehen und der Frechheit der Prediger auf alle möglich Weise unterdrückt wird.“
Außerdem schreibt Spinoza im Vorwort:
„Oft mußte ich mich darüber wundern, wie Menschen, die sich rühmen die christliche Religion zu bekennen, also die Liebe, die Freude, den Frieden, die Selbstbeherrschung und die Treue gegen jedermann, in höchst feindseliger Weise miteinander hadern und tägich den bittersten Haß gegeneinander auslassen, derart, daß ihr religiöses Bekenntnis weit mehr an solchen Benehmen als an jenen Tugenden erkannt wird.“
Spinoza geht diesen Phänomenen auf den Grund und sieht die Ursache im Aberglauben, der den Menschen knechtet, begründet. Er ist gefährlich, da er kleinliche und widersinnige Streitigkeiten bei den unterschiedlichen religiösen Gruppierungen provoziert, die auch blutige Konsequenzen haben können. Dies ist der Ausgangspunkt seiner Überlegungen zur Bibelauslegung.
4 Aufbau des "Tractatus theologico-politicus"
- Vorwort: Begründung seiner Bibelauslegung
- Kapitel 1 bis 15: Auseinandersetzung mit den Begriffen Glaube und Vernunft im Kontext der Bibel.
- Kapitel 16 bis 20: Forderung nach Unabhängigkeit des Staates von der Religion und Denkfreiheit der Bürger gegenüber dem Staat.
5 Bibelauslegung von Spinoza
In den Texten der Bibel geht es nach Spinoza nicht in erster Linie um Wahrheit, sondern um die Vermittlung von Sinn. Dieser offenbare sich lediglich als jene allgemeinen moralischen und religiösen Prinzipien wie Gerechtigkeit, Nächstenliebe, Frieden und Gottesliebe, die mit einer natürlichen und vernünftigen Ethik übereinstimmten. In dieser Schrift geht es also vor allem um ein Plädoyer für die Gewissens- und Gedankenfreiheit und für religiöse Toleranz sowie die Trennung von Theologie und Philosophie/Vernunft. Eine methodisch durchgeführte Bibelauslegung erscheint so als Mittel, mit dem religiösen und politischen Streitigkeiten begegnet werden kann. Spinoza erteilt einer verkrusteten, bornierten, unfehlbaren Theologenherrschaft und allem Aberglauben eine eindeutige Absage und setzt diesen die Selbstbehauptung eines denkenden Individuums entgegen, das sich seiner Fehlbarkeit durchaus bewusst ist.
Die Hauptthese des Werkes besagt, dass die Sprache der Bibel absichtlich metaphorisch oder allegorisch ist, dass man sie also nicht wortwörtlich nehmen darf, was leider christliche Fundamentalisten immer noch tun. Nicht nur weil sie der orientalischen Neigung zu großer sprachlicher Farbigkeit und Ausschmückung und zu übertriebenen Ausdrücken und Schilderungen unterworfen ist, sondern auch weil die Propheten (Altes Testament) und Apostel (Neues Testament), indem sie ihre Lehren durch Anregung der Einbildungskraft zu verbreiten suchten, gezwungen waren, sich der Aufnahmefähigkeit und den Anlagen des Volksgeistes anzupassen, bediente man sich jener metaphorischen Sprache.
„Da die Bibel zuerst für ein ganzes Volk und später für das ganze Geschlecht offenbart wurde, so mußte ihr Inhalt der Fassungskraft des niederen Volkes angepasst werden,“
schreibt Spinoza. Die Bibel
„will nicht die Vernunft überzeugen, sondern die Einbildungskraft und das Gefühl der Menschen erregen und beschäftigen.“
Daher die Unmenge von Wundern und wiederholten Erscheinungen Gottes im Alten und Neuen Testament. Die gläubigen Menschen gefallen sich in der Vorstellung, dass Gott für sie die Ordnung des natürlichen Geschehens durchbreche,
„denn die Menge glaubt, daß sich die Macht und Vorsehung Gottes dann am deutlichsten offenbare, wenn etwas Ungewöhnliches in der Natur geschieht.“
So erfanden die Juden eine wunderbare Deutung für das Längerwerden der Tage, um andere und vielleicht auch sich selbst davon zu überzeugen, dass sie die Lieblinge und Auserwählte Gottes seien. Nüchterne und genaue Darlegungen bewegen das Gemüt der Menge nicht. Auch die Apostel nahmen aus demselben Grund Zuflucht zu den Wundergeschichten. All dies bestätigt nur die Ansicht von Spinoza, dass die Bibel
„nichts Philosophisches, sondern allein die Frömmigkeit lehrt.“
Deshalb enthalte die Bibel nichts, sagt Spinoza, das der Vernunft widersprechen würde. Wörtlich genommen ist sie aber voll von Irrtümern, Widersprüchen und offenkundigen Unmöglichkeiten, genau wie die Behauptung, dass die fünf Bücher Mosis (der Pentateuch) von Moses geschrieben wurden. Der wahre Philosoph wisse, dass Gott und die Natur dasselbe Wesen sind, das notwendig und unwandelbaren Gesetzen gemäß handelt. Er weiß, dass in der Bibel
„Gott nur entsprechend der Fassungskraft der Menge und aus bloßer Schwäche des Verstandes als Gesetzgeber und Fürst geschildert und gerecht und barmherzig genannt wird; daß in Wirklichkeit Gott alles nach seiner Natur... leitet und seine Beschlüsse und Gebote ewige Wahrheiten sind.“
6 Der historisch-kritische Ansatz
Um die Bibel zu interpretieren und zu verstehen, müssen nach Ansicht von Spinoza vom Urtext ausgehend die literarische Mehrdeutigkeit der Begriffe, Kontext und Interessen des Verfassers sowie die Überlieferungsgeschichte des Textes beachtet werden. So schreibt er:
„Die Aussprüche Mosis: »Gott ist das Feuer« und »Gott ist eifersüchtig« sind dem Wortsinne nach ganz klar; ich rechne sie deshalb zu den klaren, obgleich sie rücksichtlich der Wahrheit und des Grundes zu den dunkelsten gehören; ja, obgleich ihr Wortsinn dem natürlichen Licht widerstreitet, so muss doch an ihrem Wortsinn festgehalten werden, wenn er nicht auch den Grundsätzen und den aus der Bibel sich ergebenden Grundlagen klar entgegensteht.“
Dabei bezieht er sich unter anderem auf die Geschichte vom brennenden Dornenbusch im Berg Horeb, dem „Berg Gottes“, ab Ex 3,2 EU.
Er vergleicht andere Bibelstellen wie Hi 31,12 EU:
„Allein da das Wort »Feuer« auch für Zorn und Eifersucht gebraucht wird (Hiob XXXI. 12), so lassen sich die Aussprüche Mosis leicht vereinigen, und man kann mit Recht sagen, dass beide Ausdrücke: »Gott ist ein Feuer« und »Gott ist eifersüchtig« nur dasselbe bedeuten.“
7 Das Vermächtnis des Baruch de Spinoza
Dieses Werk stellt eine geistesgeschichtliche Pionierarbeit insofern dar, als sich die Bibelauslegung Spinozas grundlegend von den bis zu seiner Zeit üblichen Auslegungen unterscheidet, und zwar:
- Hinsichtlich ihrer Methode, nämlich in der Weise der historisch-kritischer Annäherung: So war Spinoza bereits davon überzeugt, dass der Pentateuch unmöglich von Mose selbst geschrieben worden sein kann, und vermutet die Verfasserschaft eines Priesterkollegiums.
- In der Überordnung natürlicher über geoffenbarter Erkenntnis und
- In der Betonung der Menschlichkeit der Offenbarungsempfänger.
Aus diesen drei genannten Punkten ergibt sich daher auch eine gewaltige Relativierung von bisher als absolut und unantastbar geltenden Aussagen. Auch die Bibel ist nach Spinoza nur von Menschen für Menschen geschrieben und daher in vieler Hinsicht, trotz großer allgemein gültiger moralischer Lehren, fehlerhaft. Spinozas Bibelerkenntnis beeinflusste später die Vertreter der Aufklärung, wie zum Beispiel Gotthold Ephraim Lessing, Johann Gottfried Herder und David Friedrich Strauss, einen Vertreter der Leben-Jesu-Forschung, oder auch der weniger bekannt Hermann Samuel Reimarus. In den christlichen Kirchen, speziell der röm.-kath. Kirche, wurde die historisch-kritische Methode der Bibelauslegung erst sehr spät übernommen und war dann aber lange Zeit tonangebend. Der Punkt 1 gilt seit Ende des 20. Jahrhunderts als Stand der Wissenschaft.
8 Literatur
- Reventlow, Henning Graf: Epochen der Bibelauslegung – In: Bd. 4: Von der Aufklärung bis zum 20. Jahrhundert. München : Beck, 2001, S. 92-113.
- Seidel, Helmut: Spinoza zur Einführung. Hamburg : Junius, 1994, S. 107-112.
9 Weblinks
- Theologisch-politische Abhandlung bei zeno.org (deutscher Text)
- Biographie Spinozas englisch)
- vom 11.11.2009
10 Andere Lexika
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- Löschdiskussion bei Wikipedia
- Erster Autor: Hudec, weiterer Autor: Kriddl
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