Sprichwort

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Sprichwörter sind traditionelle, volkstümliche Aussagen und betreffen ein Verhalten, eine Verhaltensfolge oder einen Zustand. Die jeweilige Aussage soll eine Lebenserfahrung darstellen. Sprichwörter sind die besondere Form einer Redewendung und ein wichtiger Bestandteil in fast jeder Sprache.[1] In der Sprachwissenschaft wird die Kunde von den Sprichwörtern nach dem griechischen Wort παροιμἰα (paroimía) als wissenschaftliche Disziplin Parömie oder Parömiologie genannt.

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1 Definition

„Ein Sprichwort ist ein kurzer Satz, der sich auf lange Erfahrung gründet.“

Miguel de Cervantes

„Sprichwort, auch Proverb: knapp und treffend formulierte Lebensweisheit, die bestimmte gesellschaftliche Erfahrungen in hohem Grade verallgemeinert. Ihr Autor ist unbekannt; oft von volkstümlicher Bildhaftigkeit.“

Lexikon sprachwissenschaftlicher Termini[2]

„Ein Sprichwort ist ein allgemein bekannter, fest geprägter Satz, der eine Lebensregel oder Weisheit in prägnanter, kurzer Form ausdrückt.“

Wolfgang Mieder, Sprach- und Literaturwissenschaftler

Manchen Begriffsdefinitionen schließt sich auch eine Kritik an:

„Im Unterschied zum direkten Imperativ — »Du sollst nicht töten« oder »Edel sei der Mensch, hilfreich und gut« — kleiden sich hier die Normen in die Gewänder von Erfahrungssätzen: »Ehrlich währt am längsten«. Einem Großversuch würde diese Aussage vermutlich nicht standhalten; schon gar nicht die tollkühne Behauptung »Jung gefreit hat niemand gereut« […] Hätte die Gemeinschaft ihren Bedarf an ehrlichen Bürgern, hätten Kaiser und Papst ihren Wunsch nach reichem Nachwuchs an Soldaten und Katholiken in durchschaubare Aufforderungen gepackt — »Sei ehrlich« oder »Heirate früh, damit du viele Kinder kriegst«: Die Wirkung wäre nach aller Wahrscheinlichkeit geringer gewesen als bei jener Verquickung mit vermeintlicher Lebenserfahrung, der der Einzelne nie entgegentreten konnte, weil es ihm an Weltkenntnis gebrach.“

Wolf Schneider

Die Abgrenzung vom Sprichwort mit seinem unbekannten Autor zum „geflügelten Wort“, dessen Herkunft nachweisbar ist, ist nicht immer eindeutig. In der Sprachwissenschaft wird der Wiederholungs- und Unveränderlichkeitsaspekt manchmal mit einem Terminus von Eugenio Coseriu als „wiederholte Rede“ (discurso repetido), gefasst. Zitate sind individuelle Erfindungen eines bekannten Autors oder stammen aus einer bekannten Quelle, sie können aber sprichwörtlich werden. Bei vielen geflügelten Worten geht das Zitatbewusstsein allmählich verloren. Das gilt besonders für aus der Bibel stammende Wendungen. Manchmal wird das Sprichwort von der Redewendung dadurch abgrenzt, dass das Sprichwort ein ganzer Satz ist, während die Redewendung nur ein Bestandteil eines Satzes ist.[3]

Auch manche Buch- und Filmtitel haben mittlerweile schon sprichwörtlichen Charakter angenommen oder stützen sich auf ein Sprichwort.[4] Sogar einige Refrains aus Volksliedern oder Schlagern werden für Sprichwörter gehalten.

2 Herkunft

Zwar gilt es als Merkmal des echten Sprichwortes, dass sein Autor unbekannt ist, doch manche haben ihren Ursprung bei lateinischen Autoren oder in der Bibel. Die Mehrzahl der Letzteren fand durch Martin Luthers Übersetzung Eingang in die deutsche Sprache, insbesondere aufgrund der zahlreichen Gleichnisse im Neuen Testament.

Auch manche kernigen Sätze aus der Literatur wurden so populär, dass sie nun vielfach als Sprichwörter gelten, obschon ihre Herkunft nachweisbar ist:

3 Das Sprichwort im Mittelalter

Im Mittelalter wurde das Sprichwort in allen Lebensbereichen als Ausdrucksmittel geschätzt. Seit dem 12. Jahrhundert empfehlen zahlreiche Lehrwerke der Rhetorik das Sprichwort als Stilmittel zur Unterstützung der Beweiskraft. Mittelalterliche Predigten setzen häufig Sprichwörter als Begriffserklärung ein. Erkenntnistheoretisch entspricht das Sprichwort den Tendenzen der Scholastik und dem Realismus (Philosophie). Da es das Allgemeine, Universelle als das einzig Wirkliche und Beweiskräftige ansieht (universale ante rem), erlaubte es dem mittelalterlichen Menschen, im Alltag genauso wie in seiner Theologie zu denken. Aus diesem Grund bezeichnet Johan Huizinga das Sprichwort sogar als das der mittelalterlichen Geisteskultur wesensgemäßeste sprachliche Ausdrucksmittel.[5] Nur im Spätmittelalter, etwa in den Werken Geoffrey Chaucers, wird Skepsis gegenüber abstrakten sprachlichen Formen wie dem Sprichwort deutlich.[6]

4 Reimform

Oft wird die Form des Sprichworts durch Stabreim, End- oder Binnenreim noch besonders gefestigt.

  • Glück und Glas – wie leicht bricht das.
  • Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.
  • Trocken Brot macht Wangen rot.
  • Je oller, je doller!
  • Geteiltes Leid ist halbes Leid.
  • Geteilte Freude ist doppelte Freude.
  • Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.
  • Morgen, morgen, nur nicht heute, sagen alle faulen Leute.

5 Form

Mit der häufigen Befehlsform (grammatischer Imperativ) wie „Jeder kehre vor seiner eigenen Tür!“, „Man soll …“, „Man muss …“ oder „Man darf …“ hat das Sprichwort eine verallgemeinernde Form angenommen. Es drückt in der Regel einen allgemein gültigen Satz aus, der entweder eine

  • Erfahrung des täglichen Lebens („Neue Besen kehren gut.“; „Undank ist der Welten Lohn.“; „Morgen, morgen, nur nicht heute sagen alle faulen Leute.“);
  • ein Urteil oder eine Meinung („Gute Ware lobt sich selbst.“; „Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.“);
  • eine Warnung („Verliebe dich oft, verlobe dich selten, heirate nie!“; „Es ist nicht alles Gold, was glänzt.“; „Wer nicht hören will, muss fühlen.“);
  • eine Vorschrift oder Klugheitsregel enthält („Vorgetan und nachbedacht hat manchem schon groß Leid gebracht.“)

6 Inhalt

Viele Sprichwörter sprechen

  • eine Sozialkritik („Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?“),
  • eine Religionskritik („Der beste Patron ist der Tierarzt.“) oder
  • einfache Haushaltsregeln („Ein gebranntes Kind scheut das Feuer.“)
  • Vorurteile („Was der Mann mit dem Wagen einfährt, trägt die Frau mit der Schürze hinaus.“)

aus.

Mitunter zeigen Sprichwörter unterschiedliche Sichtweisen:

„Der gängigste Trost liegt darin, dass die Wörter es uns gestatten, den Lauf der Welt schwatzend zu begleiten, und auch dazu trägt die sogenannte Spruchweisheit vorzüglich bei: Kann ich heute plappern »Gleich und gleich gesellt sich gern«, so lässt mich doch morgen, in der umgekehrten Situation, die Sprache nicht im Stich: »Gegensätze ziehen sich an«“

Wolf Schneider

Bei einigen ist der Sinn nicht immer nachvollziehbar: „Lügen haben kurze Beine.“ (Bedeutung: Lügen lohnt sich nicht, weil die Wahrheit irgendwann doch herauskommt)[7]

7 Abwandlungen und Weiterentwicklungen

Viele Sprichwörter sind im Laufe der Zeit verändert, vermischt und oft auch inhaltlich weiterentwickelt worden. Viele Abwandlungen sind spöttisch gemeint und wollen dadurch auch die Trivialität der Aussage des Originals hervorheben oder karikieren. Manchmal werden Sprichwörter auch verkürzt wiedergegeben.

Beispiele
  • Das schlägt dem Fass den Boden aus. → Das setzt der Sache ja die Krone auf! → Das schlägt dem Fass die Krone ins Gesicht.
  • Morgenstund hat Gold im Mund. → Müßiggang ist aller Laster Anfang. → Morgenstund ist aller Laster Anfang.
  • Der Klügere gibt nach, bis er der Dumme ist.
  • „Der Klügere gibt nach.“ -- „Stimmt. Deshalb sind überall die Idioten an der Macht.“
  • „In der allergrößten Not, schmeckt die Wurst auch ohne Brot.“ (Verballhornung von „In der Not frisst der Teufel Fliegen.“ und „Trocken Brot macht Wangen rot.“)
  • „Wer zuletzt lacht, lacht am besten“ - meint offenbar den Typ des begriffsstutzigen Idioten, der einen Witz erst zehn Minuten später versteht.[8]

8 Siehe auch

9 Literatur

  • Berufe im Sprichwort – Strich/Richey 1984 bibliographisches Institut Leipzig 2., unveränderte Auflage Verlagslizenz-Nr. 433130/228/84 Typographie: Ursula Küster, Leipzig LSV 0819
  • Carl Sylvio Köhler: Das Tierleben im Sprichwort der Griechen und Römer. Nach Quellen und Stellen in Parallele mit dem deutschen Sprichwort. Leipzig 1881

Elektronische Edition als CD-ROM in der Reihe Digitale Bibliothek als Band 62 im Jahr 2006 unter der ISBN 3-89853-462-6.

9.1 Sammlungen

16. Jahrhundert
  • Adagia des Erasmus von Rotterdam (ca. 4250 antike Sprichwörter)
17. Jahrhundert
  • Friedrich Peters vereint alphabetisch 20.000 Einträge aus mündlich überliefertem Material, älteren Sammlungen und Dichtungen.
19. Jahrhundert
  • Johann Michael Sailer: Die Weisheit auf der Gasse. Deutsche Sprichwörter gesammelt von Johann Michael Sailer. 1810. (Augsburg 1840 Greno Nördlingen 1987)
  • Karl Simrock (Hrsg.): Die deutschen Sprichwörter. Reclam, Stuttgart 2011. (Vollständige Ausgabe der bekannten Sprichwortsammlung deutscher Sprache)
  • Wanders Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Brockhaus, Leipzig 1867–1880, 5 Bände (je mit starken Vorworten, extensive Sammlung und Sortierung), elektronische Ausgabe (CD–ROM) als Band 62 der Digitalen Bibliothek, 2006 unter der ISBN 3-89853-462-6.
20. Jahrhundert
  • Lutz Röhrich: Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. Bände 1–3. Herder, Freiburg im Breisgau 2003, ISBN 3-451-05400-0. „Standardwerk“, intensive Einzelerklärungen
  • Horst Beyer: Sprichwörterlexikon. Leipzig 1989, ISBN 3-323-00120-6.
  • Karl Rauch (Hrsg.): Sprichwörter der Völker. Düsseldorf/Köln 1963.
Verschiedenes
  • Je länger ein Blinder lebt, desto mehr sieht er – Jiddische Sprichwörter. übersetzt von H. C. Artmann, Insel Verlag, Frankfurt am Main 1965, ISBN 3-458-08828-8.
  • Karl-Heinz Göttert: Eile mit Weile. Herkunft und Bedeutung der Sprichwörter. Reclam, 2005, ISBN 3-15-010579-X.
  • Walter Schmidkunz: Waschechte Weisheiten – Bairisch-bäurische Sprichwörter und Redensarten. Gebr. Richter Verlagsanstalt, Erfurt 1936. (Online-Fassung)
  • Wie das Land, so das Sprichwort. Sprichwörter aus aller Welt. Bibliogr. Inst., Leipzig 1989, ISBN 3-323-00269-5.
  • Walter Schmidt: Morgenstund ist ungesund. Unsere Sprichwörter auf dem Prüfstand. Reinbek 2012, ISBN 978-3-499-62966-2.
  • Peter Ďurčo: Sprichwörter in der Gegenwartssprache. Univerzita sv. Cyrila a Metoda v Trnave, Trnava 2005, ISBN 80-89220-13-4.
  • Yao-Weyrauch: „Frauen zählen nicht als Menschen“. Chinesische Sprichwörter über das weibliche Geschlecht. Heuchelheim 2006.
  • Christoph Tiemann: Gebratene Störche mit phatten Beats – Redewendungen und Wortneuschöpfungen auf der Spur. Rowohlt Taschenbuch Verlag 2014, ISBN 978-3-499-62871-9.

9.2 Forschungsliteratur

  • Elke Donalies: Basiswissen Deutsche Phraseologie. (= UTB. 3193). Francke, Tübingen/ Basel 2009.
  • Ida von Düringsfeld: Das Sprichwort als Kosmopolit. 1866. (Hrsg. v. Wolfgang Mieder, Olms, Hildesheim 2007, ISBN 978-3-487-12862-7)
  • Csaba Földes (Hrsg.): Res humanae proverbiorum et sententiarum. Ad honorem Wolfgangi Mieder. Gunter Narr Verlag, Tübingen 2004. (Enthält viele deutsch- und englischsprachige Beiträge zur Untersuchung von Sprichwörtern)
  • Archer Taylor: The Proverb. Harvard University Press, Cambridge MA 1931.

10 Weblinks

Sammlungen und Trivia

11 Einzelnachweise

  1. Sprichwörter und Redewendungen — parodiert und verballhornt. Westfälische Wilhelms–Universität Münster, Institut für Allgemeine Sprachwissenschaft Proseminar: Parömiologie 1. Einleitung.
  2. Lexikon sprachwissenschaftlicher Termini. VEB Bibliographisches Institut Leipzig, Leipzig 1985, S. 227.
  3. Rolf-Bernhard Essig: Was ist der Unterschied zwischen Sprichwort, Redewendung und geflügeltem Wort?. In: SWR Wissen. 2019-04-11. Abgerufen am 6. Januar 2020. (Sprechbeitrag)
  4. Lügen haben kurze Beine ist der deutsche Titel einer US-amerikanischen Filmkomödie aus dem Jahr 2002
  5. Johan Huizinga: Herbst des Mittelalters. Stuttgart 1975, S. 300–328.
  6. Richard J. Utz: Sic et non: Beobachtungen zu Funktion und Epistemologie des Sprichworts bei Geoffrey Chaucer. In: Das Mittelalter. 2, 1997, S. 31–43.
  7. https://de.wiktionary.org/wiki/Lügen_haben_kurze_Beine
  8. Ephraim Kishon, Schriftsteller, Ungarn/ Israel, 1924–2005.

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