Race (Kant)
Race ist ein Begriff, den der Philosoph Immanuel Kant im 18. Jahrhundert verwendete und der in der Wissenschaft damals diskutiert wurde.
Inhaltsverzeichnis
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1 Begriffsbestimmung
Der Begriff Race, d.h. der bis etwa 1900 üblichen Schreibweise für Rasse, wird in verschiedenen Werken Kants vorrangig zur Kategorisierung von Menschen anhand biologischer, geographischer und kultureller Merkmale verwendet. Ausführlich stellte er es in seiner Vorlesung Von den verschiedenen Racen der Menschen (1775) dar.
Alle Races leiten sich nach Kant von einer ursprünglichen Gattung ab. Die einzelnen Racen werden dabei hierarchisch - in ihrer Gemütsfähigkeit, anhand ihrer kulturellen und wissenschaftlichen Errungenschaften und nach Talent - gegliedert. In seiner Vorlesung zur Geographie heißt es:
- In den heißen Ländern reift der Mensch in allen Stücken früher, erreicht aber nicht die Vollkommenheit der temperierten Zonen. Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Rasse der Weißen. Die gelben Inder haben schon ein geringeres Talent. Die Neger sind tiefer, und am tiefsten steht ein Teil der amerikanischen Völkerschaften. [1]
1785 formulierte er im Begriff einer Menschenrace:
- Nur das, was in dem Klassenunterschiede der Menschengattung unausbleiblich anerbt, kann zu der Benennung einer besondern Menschenrace berechtigen. […] Der Begriff einer Race ist also: der Klassenunterschied der Thiere eines und desselben Stammes, so fern er unausbleiblich erblich ist.[2]
Kant stieß jedoch damit auf deutlichen Widerspruch Herders, der eine Übertragung dieser Kategorie aus der Tier- und Pflanzenwelt auf Menschen in seinem Werk Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit ablehnte.[3] Kant rezensierte das Buch Herders und beantwortet die Kritik:
- „Der Einteilung der Menschgattung in Racen ist unser Verfasser nicht günstig, vornehmlich derjenigen nicht, welche sich auf anerbende Farben gründet, vermutlich, weil der Begriff einer Race ihm noch nicht deutlich bestimmt ist.“ [4]
Kant stellt an mehreren Stellen seiner Betrachtungen fest, dass er in naturwissenschaftlichen Fragen nicht vom Fach sei. Auch sollten seinen Betrachtungen eigentlichen philosophischen Bestimmungen folgen. Zuweilen sieht er sich auf Mutmaßungen[5] verwiesen. Bei seiner Typologisierung der Nationalcharakter der europäischen Völker in Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen erwähnt er in zwei Fußnoten[6] die relative Austauschbarkeit seiner Betrachtungen und beteuert seine Absicht, niemanden verletzen zu wollen. In der Einleitung zu Von den verschiedenen Racen stellt er heraus, das seine Vorlesung mehr der „nützlichen Unterhaltung“ denn der tiefen Naturforschung dienen soll. [7]
Von der Ernsthaftigkeit, mit der Kant seine Spekulationen über die „Rassen“ in Begriffe zu fassen gewillt war, zeugt auch die Verteidigung seines Kritizismus, den er in seinem Streit mit Georg Forster gegenüber der Empirie verteidigte. Danach könne eine „Race“ in der Natur allein aus Gründen der Vernunft ausgemacht werden, nicht aus der Natur selbst. [8] Hier schaffte Kant auch eine Vorlage für die Kritik an Formen rassistischer Wissenschaften und Praxen, deren Rassismus auf Formen der Naturalisierung beruhen. [9]
2 Das Race-Konzept innerhalb von Kants Anthropologie und seine Rezeption
Kant nahm an den deutschen Universitäten Einfluss auf die Entwicklung der Anthropologie. Was ist der Mensch? stand am Ende seiner vier philosophischen Fragestellungen. Odo Marquard sieht in Kants Anthropologie einen Referenzpunkt des Menschen in seiner Existenz, eine Lebensphilosophie die Welterkenntnis durch Erfahrung jenseits von Metaphysik und Naturwissenschaft bietet und der Moralistik und Ästhetik verbunden ist.[10] Nach Julika Funk richtet sich Kants Anthropologie auf den ganzen Menschen und (n)ach Kant solle die Anthropologie nicht physiologisch fragen, was die Natur aus dem Menschen macht, sondern was er als frei handelndes Wesen aus sich selber macht oder machen kann oder soll. [11]
Auch in seiner 1796/97 entstandenen, damals am weitesten verbreiteten, Spätschrift Anthropologie in pragmatischer Hinsicht klassifizierte Kant die Menschen nach Race. Einteilungen aufgrund der Hautfarbe habe Kant auf diese Weise mit den Weihen der Wissenschaftlichkeit versehen.[12] Ebenso naturalisiere er die Frauen, denen er eine eigenständige Vernunft abspricht.[13] Juden werden von ihm als „Betrüger“ gekennzeichnet, denen nicht einmal die Fähigkeit sich „emporarbeiten“ zu können, um Staatsbürger zu werden, zugesprochen wird.[14]
Reinhard Brandt weist darauf hin, dass es zur Zeit Kants „keine öffentliche Auseinandersetzung um die Schrift und ihre Thesen“ gab.[15] Für Annette Seidel-Arpacı, die Kants „ausschließende Kategorie“ eines Weltbürgertums analysiert, ist es „selbstverständlich, dass die Kant’sche, die koloniale und die nationalsozialistische Sicht auf ›Rasse‹ weder dasselbe noch durch einen zwangsläufigen Faden durch die Geschichte miteinander verbunden sind.“ [16]
3 Einordnung in Kants Gesamtwerk
Kants Anthropologie mit seiner Auffassung von Race in sein Gesamtwerk zu integrieren erscheint in den philosophischen Debatten bis heute als schwierig. So sieht beispielsweise Reinhard Brandt im Gegensatz zu Patrick Frierson [17] oder Arnold Farr [18] keinen Zusammenhang zwischen Kants Anthropologie und anderen Werken des Philosophen.
4 Literatur
deutschsprachige Literatur
- Reinhard Brandt (Hrsg.):Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, Hamburg 2000
- Wulf D. Hund, Im Schatten des Glücks. Philosophischer Rassismus bei Aristoteles und Kant, in: ders., Rassismus. Die soziale Konstruktion natürlicher Ungleichheit, Münster 1999
- Thomas A. McCarthy, On the Way to a World Republic? Kant on Race and Development, in: Lothar R. Waas (Hrsg.), Politik, Moral und Religion. Festschrift für Karl Graf Ballestrem, Berlin: 2004
- Monika Firla, Untersuchungen zum Verhältnis von Anthropologie und Moralphilosophie bei Kant. Frankfurt am Main u. a. 1981.
- Monika Firla, Philosophie und Ethnographie. Kants Verhältnis zu Kultur und Geschichte Afrikas. In: Cornelia Wunsch (Hrsg.), XXV. Deutscher Orientalistentag. Vorträge, München 8. - 13. April 1991. Stuttgart 1994, S. 432-442.
- Monika Firla, Kants Bild von den Khoi-Khoin (Südafrika), In: Tribus. Jb. des Linden-Museums Stuttgart 43 (1994), S. 60-94.
- Monika Firla, Kants Thesen vom „Nationalcharakter“ der Afrikaner, seine Quellen und der nicht vorhandene ´Zeitgeist´. In: Mitteilungen des Instituts für Wissenschaft und Kunst (Wien) 52 (1997), Nr. 3, S. 7-17.
- Norbert Klatt: "Zum Rassenbegriff bei Immanuel Kant und Johann Friedrich Blumenbach", in: Norbert Klatt, Kleine Beiträge zur Blumenbach-Forschung, 3, Göttingen 2010, S. 9-55.
- Peggy Piesche, Der, Fortschritt' der Aufklärung - Kants, Race' und die Zentrierung des weißen Subjekts, in: Maureen Maisha Eggers u.a. (Hrsg.), Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland, Münster 2005
- Annette Seidel-Arpacı: Kant in ›Deutsch-Samoa‹ und Gollwitz: ›Hospitalität‹ und Selbst-Positionierung in einem deutschen Kontext: In: Hito Steyerl / Encarnatión Gutiérrez Rodríguez (Hg.): Spricht die Subalterne deutsch? Migration und postkoloniale Kritik. Unrast-Verlag. Münster 2003.
- Alex Sutter, Kant und die `Wilden'. Zum impliziten Rassismus in der Kantischen Geschichtsphilosophie, in: prima philosophia, 2, 1989
- Ursula Pia Jauch: Immanuel Kant zur Geschlechterdifferenz, Passagen. 1989
- Werner Stark: Nachforschungen zu Briefen und Handschriften Immanuel Kants. Berlin: 1993.
- Franz Martin Wimmer: Rassismus und Kulturphilosophie [9]
englischsprachige Literatur
- Emmanuel Chukwudi Eze: The Colour of Reason: The Idea of >Race< in Kant's Anthropology, in: ders. (Hrsg.), Postcolonial African Philosophy, Oxford 1997
- Robert Bernasconi: Who Invented the Concept of Race? Kant's Role in the Enlightenment Construction of Race. In: ders. (Hrsg.), Race, Blackwell, Oxford 2001
- Robert Bernasconi: Kant as an Unfamiliar Source of Racism: In: Julie K. Ward u.a. (Hrsg.), s.o.
- Patrick Frierson, Freedom and Anthropology in Kant’s Moral Philosophy**. Cambridge University Press: 2003
- Charles W. Mills, Kant's Untermenschen, in: Andrew Valls (Hrsg.), Race and Racism in Modern Philosophy, Ithaca etc. 2005
- Joseph Pugliese, Indigeneity and the Racial Topography of Kant's `Analytic of the Sublime', in: James N. Brown u.a. (Hrsg.), Indigeneity: Construction and Re/Presentation, New York 1999
- Tsenay Serequeberhan, Eurocentrism in Philosophy: The Case of Immanuel Kant, in: The Philosophical Forum, 27, 1996
- Werner Stark: Kant’s Anthropologie Lectures. Presented at the North American Kant Society, December 1997
- John Zammito: Kant, Herder, and the Birth of Anthropology. University of Chicago Press: 2002
- Pauline Kleingeld, “The Problematic Status of Gender-Neutral Language in the History of Philosophy: The Case of Kant,” Philosophical Forum 25 (1993)
5 Weblinks
- engl. Matthew R. Hachee: Kant, Race, and Reason
- Kant: AA II, Von den verschiedenen Racen der Menschen (S. 427 ff)
- Rudolf Eisler Kant-Lexikon 1930 Rasse
6 Einzelnachweise
- ↑ Rudolf Eisler – Kant-Lexikon 1930 Rasse [1]
- ↑ I. Kant: Bestimmung des Begriffs einer Menschenrace, AA VIII, S. 99f.
- ↑ Herder in „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ Teil II, 1785) - Quelle: Eugen Lerch: Der Rassenwahn. Von Gobineau zur UNESCO-Erklärung. In Der Monat 026/1950 [2].
- ↑ Eugen Lerch: Der Rassenwahn. Von Gobineau zur UNESCO-Erklärung. In Der Monat 026/1950 [3].
- ↑ I. Kant: Von den verschiedenen Racen der Menschen, AA II, S. 440.
- ↑ I. Kant: Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen, AA II, S. 243: „Um deswillen kann der Tadel, der gelegentlich auf ein Volk fallen möchte, keinen beleidigen, wie er denn von solcher Natur ist, daß ein jeglicher ihn wie einen Ball auf seinen Nachbar schlagen kann.“ Sowie ebenda, S. 245: „Es ist kaum nöthig, daß ich hier meine vorige Entschuldigung wiederhole. In jedem Volke enthält der feinste Theil rühmliche Charaktere von aller Art, und wen ein oder anderer Tadel treffen sollte, der wird, wenn er fein genug ist, seinen Vortheil verstehen, der darauf ankommt, daß er jeden andern seinem Schicksale überläßt, sich selbst aber ausnimmt.“
- ↑ I. Kant: Von den verschiedenen Racen der Menschen, AA II, S. 429: „Die Vorlesung, welche ich ankündige, wird mehr eine nützliche Unterhaltung, als eine mühsame Beschäftigung sein; daher die Untersuchung, womit ich diese Ankündigung begleite, zwar etwas für den Verstand, aber mehr wie ein Spiel desselben, als eine tiefe Nachforschung enthalten wird“.
- ↑ Vgl. in diesem Zusammenhang auch Kants Streit mit Forster. Dazu: Kant: Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie In: Kant: Werke, Band VIII, Darmstadt 1968, S. 141 und 144 sowie Manfred Riedel: Historizismus und Kritizismus. Kants Streit mit Georg Forster und Johann Gottfried Herder. Siehe Literatur
- ↑ Wulf D. Hund: Die Wirklichkeit der Rasse. In: AG gegen Rassenkunde (Hg.) (1996): Deine Knochen - Deine Wirklichkeit. Texte gegen rassistische und sexsistische Kontinuität in der Humanbiologie. Unrast Verlag, S. 20, 21
- ↑ Marquard: Schwierigkeiten mit der Geschichtsphilosophie, Frankfurt a. M. 1973, 1971, S. 362ff.
- ↑ Julika Funk Philosophische Anthropologie [4] Eingesehen am 1. Oktober 2006
- ↑ Maureen Maisha Eggers u.a. (Hrsg.), Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland, Münster 2005
- ↑ Kommentar zu Band 25 „Anthropologie“ der Kant-Ausgabe der Akademie der Wissenschaften Göttingen von Reinhard Brandt [5]
- ↑ Kommentar zu Band 25 „Anthropologie“ der Kant-Ausgabe der Akademie der Wissenschaften Göttingen von Reinhard Brandt [6]
- ↑ Kommentar zu Band 25 „Anthropologie“ der Kant-Ausgabe der Akademie der Wissenschaften Göttingen von Reinhard Brandt [7]
- ↑ Annette Seidel-Arpacı (2003): Kant in ›Deutsch-Samoa‹ und Gollwitz: ›Hospitalität‹ und Selbst-Positionierung in einem deutschen Kontext. In: Hito Steyerl / Encarnatión Gutiérrez Rodríguez (Hg.): Spricht die Subalterne deutsch? (s. Literatur)
- ↑ Patrick Frierson: Anthropologie in Pragmatischer Hinsicht [8]
- ↑ Arnold Farr: Wie Weißsein sichtbar wird. Aufklärungsrassismus und die Struktur eines rassifizierten Bewusstseins. In: Maureen Maisha Eggers, Grada Kilomba, Peggy Piesche, Susan Arndt (Hg.) (2005): Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland, Münster.
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