Natur (Historisch)

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Natur (von dem lateinischen nasci, d. i. werden oder entstehen), ist im weitesten Sinne alles, was sich nach eigenen Trieben und Gesetzen, ohne fremdes Zutun gestaltet. Besonders unterscheidet man die N. von allem, was Produkt des Gedankens, der Absicht, der Kunst, der Kultur und Erziehung ist: das Natürliche steht dem Gemachten und Gekünstelten als das von selbst Entstehende gegenüber. Insofern aber für das geistige Leben das bewußte Wollen und Handeln charakteristische Merkmale sind, erscheint der Geist für sich selbst, samt allem, was Ausdruck des geistigen Lebens ist, als Gegensatz der N., und somit spricht man von einem Gegensatz bald der N. und des Geistes, bald der N. und der Freiheit, der N. und der Kunst, der N. und der Geschichte. N. im engeren Sinne dagegen nennt man den unermeßlichen Raum samt allen in ihm vereinigten Stoffen und Kräften, oder den Inbegriff dessen, was durch die äußeren Sinne wahrnehmbar ist, im Gegensatz zu dem, was durch unmittelbares Selbstbewußtsein im Innern vernommen wird.

Das Hirtenleben und der Ackerbau bezeichnen die ältesten Beziehungen des Menschen zur N.; die Beobachtung der Vorteile, die ihm gewisse Naturprodukte gewähren, lehrte ihn frühzeitig die N. für seine Zwecke benutzen. Da nun die N. dem menschlichen Willen bald hilfreich entgegenkommt, bald seine Ziele durchkreuzt, so erscheint sie dem Menschen bald als gütig und mild, bald als tückisch und grausam, und der noch kindliche Natursinn, der die Zustände des eigenen Bewußtseins leicht auf alles überträgt, was sich ihm als tätig und wirksam darstellt, kam unwillkürlich dazu, die N. mit Geschöpfen seiner Phantasie zu bevölkern, die Naturereignisse zu personifizieren, dem Rollen des Donners wie dem Rauschen des Baches lebende Wesen unterzulegen. Hier liegt der Ursprung aller Naturreligion, d. h. einer Vergötterung sowohl der N. im ganzen, als der in ihr vorausgesetzten Kräfte, ja selbst einzelner Naturprodukte. Diese Form der Naturbetrachtung tritt notwendig zurück, wenn die beweglichen Bilder der Phantasie in Begriffen sich zu fixieren, wenn die Dichtung von der Wirklichkeit sich zu sondern beginnt. Auf den Begriff eines Naturgesetzes führte zunächst die wiederholte Beobachtung solHer Erscheinungen, deren Regelmäßigkeit unverkennbar ist. Die Anwendung des einmal gewonnenen Begriffs erweiterte sich, je mehr der Fortschritt der Naturforschung zeigte, daß auch das scheinbar Unregelmäßige nur auf verwickelteren Zusammenhängen beruhe, bis endlich unzählige Erfahrungen zu der allgemeinen Voraussetzung drängten, daß die N. überall nach unverbrüchlichen Gesetzen wirke und daß die scheinbaren Ausnahmen nicht ein gesetzloses Spiel seien, sondern nur Lücken unserer Erkenntnis verraten, die noch nicht alle Gesetze ergründet hat.

Die Ausbildung der Idee der N. in ihrer Ganzheit ist die Aufgabe der Naturphilosophie (s. d.). Das Bestreben der Naturwissenschaft ist umgekehrt, den festen Boden der Erfahrung nirgends unter den Füßen zu verlieren, und dieser Beschränkung verdankt sie ihre großen Entdeckungen. Die Hilfsmittel der Naturwissenschaft sind die Mathematik und das Experiment (s. d.).

Mit der Anwendung der Mathematik beginnt das strenge Wissen über die N., und die verschiedenen Gebiete der Naturforschung nähern sich um so mehr einer wissenschaftlichen Fassung, je mehr es gelingt, mathematisch bestimmte Ausdrücke der Gesetze zu finden. Diese Teile der Naturwissenschaft heißen daher auch vorzugsweise exakte Wissenchsaften. Die Erweiterung der Naturkenntnis ist von der größten Wichtigkeit für die Gestaltung der menschlichen Lebensverhältnisse. Die Herrschaft des Menschen über die N., die Benutzung ihrer Reichtümer für seine Zwecke hängt von der Kenntnis der Naturgesetze ab. Die Ergebnisse der Mechanik, der Physik, der Chemie haben für den Ackerbau, die Gewerbe und Künste, die Mittel des Verkehrs u. s. w. eine unermeßliche Wichtigkeit erlangt, und wenn sich die Kultur der Gegenwart über die des Altertums wesentlich erhoben hat, so beruht dies zum größten Teil auf den Erfolgen des Naturstudiums.

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