Ich wandre durch Theresienstadt (Lied von Ilse Weber)

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Historisches Foto des Eingangstores zum Konzentrationslager Theresienstadt.
Ich wandre durch Theresienstadt ist ein Lied der tschechoslowakischen-jüdischen Krankenschwester und Schriftstellerin Ilse Weber, das zwischen 1942 und 1944 entstand.
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1 Vorleben Ilse Webers

  • Ilse Weber (geb. Herlinger) war deutschsprachig und wurde am 11. Januar 1903 im damals österreichisch-ungarischen Witkowitz geboren. [1] Als sie zehn Jahre alt war, nahm sich der Vater aufgrund von finanziellen Schwierigkeiten das Leben und sie half von da an gemeinsam mit ihren beiden Brüdern der Mutter in der elterlichen Gastwirtschaft. [2] Als Kind erlernte sich das Spiel von Gitarre und anderen Zupfinstrumenten wie Laute, Mandoline und Balalaika. Eine professionelle Karriere als Musikerin strebte sie allerdings nie an. [3] Ab dem Teenageralter schrieb sie jüdische Kindermärchen und kleinere Theaterstücke für Kinder, welche in deutschen und tschechischen Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht wurden. Nach ihrer Schulzeit stieg sie in den Gastwirtschaftsbetrieb der Mutter ein, und heiratete 1920 ihren Jugendfreund Willi Weber, mit dem sie zwei Kinder hatte. Nach Besetzung der Tschechei durch die Deutschen zog die Familie zwangsweise nach Prag, wo sie als Krankenschwester arbeitete.

2 Entstehung des Liedes

Am 6. Februar 1942 wurde sie zusammen mit ihrem Sohn Tomas von Prag in das KZ Theresienstadt deportiert, wo sie als Krankenschwester in der Kinderkrankenstube arbeitete.

  • In Theresienstadt schrieb sie an die 60 Gedichte, von denen sie einige vertonte. Bei Nachtwachen in der Krankenstube sang sie diese manchmal zur Gitarre. [4]
  • Das bewegende Lied hat Ich wandre durch Theresienstadt hat sie für ihren Sohn Hanus geschrieben, den sie vor Ausbruch des Krieges in Prag in einen Zug gesetzt hatte, um ihn vor den Nazis zu retten.
  • Später wurde sie nach Auschwitz-Birkenau deportiert, und dort zusammen mit ihrem Sohn Tomas am 6. Oktober 1944 von den Nazis ermordet.
  • Ihrem das KZ überlebenden Mann Willi Weber wurden nach 1945 von ehemaligen Mitgefangenen die Gedichte und Lieder seiner Frau überbracht. Allerdings gab es sie in vielen Varianten, da zum Teil die Noten verschollen oder zerstört waren. So gibt es keine erhaltene, einzig gültige Originalversion des Liedes Ich wandre durch Theresienstadt. [5]
  • Die norwegisch-jüdische Schauspielerin und Sängerin Bente Kahan veröffentlichte 1997 mit Unterstützung von Hanus Weber eine Sammlung der Lieder von Ilse Weber. [6]
  • Winfried Radeke hat das Lied im Jahr 2008 zusammen mit anderen Lieder von Ilse Weber in authentischen Fassungen und zusätzlich in von ihm selber für Gesangsstimme und Klavier gesetzten Fassungen herausgegeben. [7]

3 Der Text

  • Der bewegende Liedtext spricht für sich selber:

Ich wandre durch Theresienstadt, / das Herz so schwer wie Blei, / bis jäh der Weg ein Ende hat, / dort knapp an der Bastei.

Dort bleib ich auf der Brücke stehn / und schau ins Tal hinaus: / Ich möchte so gerne weitergehn, / ich möchte so gern - nach Haus!

„Nach Haus!“- du wunderschönes Wort, / du machst das Herz mir schwer, / man nahm mir mein Zuhause fort, / nun hab ich keines mehr.

Ich wende mich betrübt und matt, / so schwer wird mir dabei, / Theresienstadt, Theresienstadt / -wann wohl das Leid ein Ende hat- / wann sind wir wieder frei? [8]

4 Musik

  • Das Lied beeindruckt nach Einschätzung des israelischen Musikwissenschaftlers David Bloch den Hörer durch seinen schlichten, volkstümlichen Charakter und tief empfundene Emotionen. [9]
  • Die folgende musikalische Analyse beruht auf einer eigenen Transkription des Liedes (siehe Notenbild). Diese stimmt im wesentlichen mit den eingespielten Versionen (siehe auch Videos auf Youtube)überein. Im Detail können aber kleinere Unterschiede in der Harmonik und der Art der Begleitung vorhanden sein. [10]
Das für Gesangsstimme und Klavier gesetzte Lied Ich wandre durch Theresienstadt anhören?/i. [11]

4.1 Form

  • Die 13 Takte des Liedes lassen sich in drei Viertakter gliedern (ein Takt entfällt auf den Auftakt mit instrumentaler Einleitung z.B. des Klaviers). Die Viertakter kann man wiederum in zwei Zweitakter unterteilen. Der auf den ersten Viertakter folgende zweite Viertakter ist ähnlich wie der erste Viertakter aufgebaut, variieret ihn aber in der Intervallstruktur und auch harmonisch. Der dritte Viertakter ist eine zweifache, leicht variierte Wiederholung der Abwärtsbewegung aus Takt 3 und 4. Das Lied folgt einer dramatischen Kurve, die im zweiten Viertakter ihren Höhepunkt erreicht und danach wieder absinkt.

4.2 Melodik

  • Die erste Viertakter beginnt auftaktig mit einem aufwärts gerichteten Sextsprung, a - fis. Daran schließt sich eine dreimalige Tonwiederholung auf dem Ton fis, und ein Sekundabstieg zum d an. Nach erneuter Tonwiederholung auf dem d beginnt der zweite Teil des Viertakters wiederum mit aufwärts gerichtetem Sextsprung, d - h. Danach folgt nicht wie zu Anfang des Liedes eine Tonwiederholung, sondern die Melodie steigt in Sekunden zum Ton e ab, womit die Dominante A-Dur für den zweiten Viertakter erreicht wird. Die Melodie des ersten Viertakters ist, mit Ausnahme einer punktierten Viertel und nachfolgenden Achtel in Takt 3, in gleichmäßigen Vierteln gehalten. Das verleiht dem Lied ein wenig vom Charakter eines langsamen Marsches.
  • Der zweite Viertakter unterscheidet sich vom ersten Viertakter dadurch, dass der Intervallsprung der Sexte hier zu einer Quarte, e - a, vermindert ist. Außerdem wird der Quartsprung zweimal ausgeführt. Die Tonwiederholung des ersten Viertakters wird dann weggelassen, und es geht gleich mit einem Sekundabstieg zum fis weiter. Im zweiten Teil dieser Viertaktgruppe folgt nach einer dreimaligen Tonwiederholung des fis wieder ein zweimaliger Quartsprung, fis - h, bevor die Viertaktgruppe in Sekunden zum Ton g absteigt. Im zweiten Viertakter tritt die punktierte Tonfolge des ersten Viertakters zweimal statt wie oben nur einmal auf.
  • Der dritte Viertakter besteht aus einem aufwärts gerichteten Quartsprung, zwei im vorletzten Takt auftretenden Terzsprüngen und Sekundabstiegen.

4.3 Harmonik

Foto der jüdischen Schriftstellern Ilse Weber mit Laute aus den 1930er-Jahren.
  • Stufentheoretisch betrachtet werden - allerdings mit vom Ausdrucksgehalt umso eindringlicheren Ausnahmen in Takt 7 und 8 - nur leitereigene Akkorde verwandt.
  • Das im Notenbeispiel in D-Dur stehende Lied beginnt auf der Tonika, und führt über die Dominantparallele fis-Moll zur Dominante-Septime A7 zu Ende von Takt 2. In Takt 3 geht es dann über die Subdominantparallele e-Moll und die Tonikaparallele h-Moll zu einem schnelleren, vierteltönigen Akkordwechsel in Takt 4. Hier folgen dann die Subdominante G-Dur, die Tonika D-Dur. Auf dem zweiten Viertel von Takt 5 wird dann diese klare Harmonik durch einen Isointervallakkord (b - cis - e), einen aus gleichen Intervallen aufgebauten Akkord ohne eindeutig bestimmbaren Grundton, dramatisch eingefärbt. Dieser als schmerzlich empfundene Klang drückt musikalisch das Wort "Blei" aus dem Abschnitt ", ... das Herz so schwer wie Blei." treffend aus. Isointervallakkorde sind instabil und dissonant, und ihre Funktion ist primär dominantisch, d.h. sie können eine Dominante über jeden ihrer drei Töne in Leittonfunktion vorbereiten. In Takt 5 ist der Ton b der Leitton zum Ton a von A-Dur. Auf dem dritten Viertel von Takt 5 ist die Spannung dann in die Dominante A-Dur aufgelöst.
  • Der zweite Viertakter beginnt dann in Takt 6 auf der Dominante A-Dur. In Takt 7 wird der einfache harmonische Ablauf erneut durchbrochen, indem mit Fis-Dur, der kleinterztverwandten Mediante von A-Dur, mit dem Ton ais ein leiterfremder Ton auftaucht. Das harmonische Geschehen wird noch durch den über dem Akkord Fis-Dur in der Melodie auftretenden Ton g verschärft. Mit dieser verminderten None ergibt sich der scharf aneinander reibende Intervall eines Halbtons zwischen dem fis als tiefstem und dem g als höchstem Ton. Fis-Dur etabliert nun kurzfristig ein neues tonales Zentrum, welches im Quintenzirkel in Richtung der Kreuztonarten (#) verschoben ist. Man könnte hier Fis-Dur als Dominante des im nächsten Takt folgenden H-Dur (hier ist der Ton dis nicht leitereigen in der ursprünglichen Tonart D-Dur) deuten. In Takt 9 tritt dann der Akkord e-Moll auf, den man als Vermollung der Subdoinante von H-Dur, also E-Dur -> e Moll interpretieren kann. Mit e-Moll ist gleichzeitig wieder eine leitereigene Stufe von D-Dur, die Subdominantparallele e-Moll, erreicht.
  • Der dritte Viertakter geht über A-Dur und D-Dur in den Takten 10 und 11 wieder zu einem rascheren Akkordwechsel auf Vierteln wie bereits in Takt 4. Dabei folgt nach A-Dur auf dem ersten Viertel von Takt 12 G-Dur auf dem zweiten Viertel. Auf dem dritten Viertel wird durch den bereits aus Takt 5 bekannten Isointervallakkord cis - b - e noch einmal schmerzliche Spannung aufgebaut, die sich dann in den Schlussakkord D-Dur auflöst.

5 Interpretationen

  • Das Lied wurde von verschiedenen Interpreten aufgenommen und/oder Live gespielt. Dafür wurde es meist mit Klavierbegleitung, arrangiert. Es bestehen geringe harmonisch einige Abweichungen zwischen den einzelnen Versionen.
  • Eine Version mit Gitarrenbegleitung und Streicherklängen stammt von Bente Kahan.
  • Die Sopranistin Sylvia Larrass hat das Lied zur Klavierbegleitung von Daniel Wlkington in sehr klassisch wirkender Weise eingespielt.
  • Besonders gelungen ist die Einspielung der schwedischen Mezzosopranistin Anne Sofie von Otter auf dem Album Terezín / Theresienstadt aus dem Jahr 2007. Sie wird dabei von Bengt Forsberg am Klavier begleitet. Das Lied erinnert in dieser schlichten Klavierfassung an Lieder von Franz Schubert, wie z.B. seinem Liederzyklus Die Winterreise, die auch von Heimatlosigkeit, Trauer, Hoffnung und Sehnsucht künden.
  • Auch Ute Lemper hat das Lied gesungen. Hier wirkt es an einigen Stellen fast wie eine Pop- bzw. Jazzballade. [12]

6 Links und Quellen

6.1 Siehe auch

6.2 Weblinks

6.2.1 Bilder / Fotos

6.2.2 Videos auf Youtube

6.3 Quellen

6.4 Literatur

  • Ilse Weber und Ulrike Migdal (Hrsg.): Wann wohl das Leid ein Ende hat - Briefe und Gedichte aus Theresienstadt, Carl Hanser GmbH, 2008

6.5 Einzelnachweise

  1. Ilse Weber: Wann wohl das Leid ein Ende hat - Briefe und Gedichte aus Theresienstadt, haerausgegeben von Ulrike Migdal, Carl Hanser Verlag, München, 2008, S. 5
  2. Jana Mikota: Jüdische Schriftstellerinnen – wieder entdeckt - Ilse Weber und ihre jüdischen Märchen, in Medaon - Magazin für Jüdisches Leben in Forschung und Bildung, S. 1
  3. Biografie auf www.findagrave.com
  4. Aus dem Booklet der CD Terezin / Theresienstadt mit Anne Sofie von Otter, Bengt Forsberg, Christian Cerhaher und Daniel Hope, Deutsche Grammophon, 2007, ASIN B000RPSVE0
  5. Karin Ploog: ...Als die Noten laufen lernten... Teil 2 - Geschichte und Geschichten der U-Musik bis 1945 - Komponisten - Librettisten - Texter, Books on Demand, Norderstedt, 2015, S. 607
  6. Personenartikel über Ilse Weber im Wiki Gerechte der Pflege
  7. www.schott-music.com
  8. Der Text auf www.zellentrakt.de
  9. David Bloch: "No one Can Rob of Us Our Dreams" - Solo Songs From Terezin; in Beth Shamgar (Hrsg.): Israel Studies in Musicology, Band V, Israel Musicological Society, Jerusalem, 1990, S. 79
  10. Anm.: Diese Unterschiede bestehen überwiegend darin, dass in manchen Versionen die Akkorde eher als schlichte Dreiklänge gehalten sind, während ein paar Akkorde in anderen Versionen durch zusätzliche Töne erweitert sind. So werden z.B. in der Live-Version von Ute Lemper in der Klavierbegleitung einige an Jazzmusik erinnernde Akkordbildungen gebracht.
  11. Klaviersatz und mp3-Datei erstellt von Boris Fernbacher im Jahr 2015 mit MuseScore
  12. Siehe z.B. auch den jazzmäßigen Klaviereinwurf ab 1`53 Minuten des Youtube-Videos oder die beiden jazzgefärbten Klavierakkorde ab 3`02 Minuten

7 Hinweis zur Verwendung

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8 Andere Lexika

Wikipedia kennt dieses Lemma (Ich wandre durch Theresienstadt (Lied von Ilse Weber)) vermutlich nicht.




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