Glocken im Dienst der NS-Propaganda

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Glocken und Glockenspiele wurden seit den Anfängen des Glockengießens nicht nur für religiöse Zwecke, sondern auch für weltliche Bestimmungen verwendet: u.a. als Signalglocke an Haustüren, zur Mahnung auf Kriegerdenkmalen, auf den Richtertischen und bei sonstigen Versammlungsangelegenheiten. Die seit 1933 im Deutschen Reich allein herrschende NSDAP bemächtigte sich auch dieses Kunsthandwerks und seiner Schöpfungen, indem sie für ihre Partei- und Repräsentationsbauten Bronzeglocken einsetzte.

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1 Glockentürme und Glockenspiele

Viele Glocken stammten aus der Glockengießerei Schilling in Apolda, als die NSDAP zum Bau von sogenannten Ordensburgen überging, die analog zu christlichen Gotteshäusern auch mit Glockentürmen bestückt wurden. Im Jahre 1936 fertigte die Apoldaer Gießerei ein Glockenspiel für die NS-Ordensburg Crössinsee an, das bei einem Besuch Hitlers im April eingeweiht wurde.[1] Ein Glockenturm mit analoger Funktion wurde bei der Errichtung des "Gauforums" in Weimar projektiert, aber nur zum Teil fertiggestellt.[2]

Gleich im Jahr darauf bekamen die Apoldaer Glockengießer einen neuen Auftrag, als auch für die NS-Ordensburg Sonthofen ein Glockenspiel bestellt wurde. Es wurden 16 Glocken gegossen, die den 16 "Märtyrern der Bewegung" gewidmet waren, die beim Münchner Putsch 1923 ums Leben gekommen waren. Das mechanische Spielwerk dafür wurde von der Turmuhren- und Glockenfabrik Weule in Bockenem geliefert. Als im November 1937 die noch nicht fertiggestellte Burg bei einem Besuch Hitlers eingeweiht wurde, schrieb das Apoldaer Tageblatt mit dem Blick auf die Glocken aus Apolda:[3]

„Beim Eintreffen des Führers setzte das Glockenspiel auf dem 54 Meter hohen Turm mit dem Deutschlandlied ein.“

2 Glockenschmuck und Glockenwidmung

Für das Schleizer "Wisentahaus", ein Mehrzweckgebäude für Massenversammlungen, Theateraufführungen und Viehversteigerungen, ließen die Schleizer NS-Führer bei der Firma Schilling in Apolda fünf Glocken gießen, die als Bestandteile eines Glockenspiels ihren Platz in einem Türmchen über dem Portal des Hauptgebäudes finden sollten. In einem zeitgenössischen Bericht wird dazu erläutert:[4]

Die erste der Glocken ist der <NS->Bewegung gewidmet und trägt als Schmuck das Hoheitszeichen der Partei. Darunter fügen sich die Lettern:

  • "Dem Erneuerer des Reiches, dem Führer des Deutschen Volkes Adolf Hitler"
Die zweite Glocke ist dem Reichsnährstand gewidmet und mit dem Reichsnährstandszeichen, mit den Worten geziert. Den Rand der Glocke säumen zwei Schriftbänder:
  • "Der Führer sprach: Das Deutsche Reich wird ein Bauernreich sein, oder es wird nicht sein!"
Die dritte Glocke verkörpert den Landkreis Schleiz und trägt als Bildschmuck das Eiserne Kreuz. Diese Glocke soll den Gefallenen des Weltkrieges aus dem Kreise gewidmet sein und hat deshalb die Worte:
  • "Der Landkreis Schleiz seinen im Weltkrieg gefallenen Söhnen!"
Die vierte Glocke gilt der Stadt Schleiz und trägt das Stadtwappen mit dem Wisent. Zwei Schriftbänder schließen sich diesem Bildschmuck an: Die letzte Glocke verkörpert die ländlichen Genossenschaften und ist mit den Niedersachsenpferdeköpfen als Zeichen der ländlichen Genossenschaft geschmückt. Darunter windet sich ein Schriftband mit den Worten:
  • "Einer trage des Anderen Last

Die Reichs-Behörden waren nicht die einzigen Auftraggeber für Glocken mit nationalsozialistischer Sinngebung. Neben Stiftungen auf kommunaler oder kreislicher Ebene bestellten auch Kirchengemeinden Glocken, die sie mit Sprüchen und Losungen der NS-Propaganda verzieren ließen. In einer Hildesheimer Glockengießerei wurde ein Geläut von vier Glocken für eine neue erbaute Berliner Kirche hergestellt.

Folgende Zeichen und Worte verzieren diese Glocken:

Datei:Glockengießerei.JPG
Glockengießerei Franz Schilling Apolda, Straßenansicht

Auch die Inschriften auf den 23 Glocken eines 1939 entstandenen Carillons für die St. Johanniskirche in Lößnitz sollten mit ihrem Klang die bisherigen Erfolge des NS-Staates in die Welt rufen:[5]

Folgende Zeichen und Worte verzieren diese Glocken:

  • Mich und meine 22 Schwestern stiftete zur 700-Jahr-Feier im Juli 1938 ihrer Heimatstadt Lößnitz im Erzgebirge Frau <...>, Chemnitz.
  • Im Jahre 1938, als unter Adolf Hitlers Führung Österreich die Ostmark Großdeutschlands wurde und Sudetenland heimkehrte ins Reich, gegossen von Franz Schilling Söhne, Apolda
  • Ein Volk
  • Ein Reich
  • Ein Führer
  • Wir danken in dieser Stunde dem Allmächtigen, dass er uns auf dem Wege in der Vergangenheit gesegnet hat und bitten ihn, dass er auch in Zukunft unseren Weg zum Guten geleiten möge. Adolf Hitler am 23.10.1938
  • Ich bin ein Tönchen nur aus einer Harmonie, doch ohne mich, sagt an, was wären sie? So hat ein jedes seinen Zweck im All und sei's auch nur als ein so bisschen Schall

3 Glockengeläut und Glockenopferung

Die erste Amtshandlung des von Hindenburg berufenen Kanzlers Hitler war der medienträchtig inszenierte Festakt in der Potsdamer Garnisonkirche am 21. März 1933, den man Tag von Potsdam nannte. Dabei hatten die Kirchenglocken eine propagandistische Funktion zu erfüllen. Klaus Scholder schreibt:[6]

Eine Viertelstunde lang läuteten die Glocken aller Potsdamer Kirchen zur Eröffnung des Staatsaktes.

Seit der Machtübertragung an das Hitler-Kabinett nutzte die allein herrschende NSDAP die allgemeine Akzeptanz, ja gemütsprägende Wirkung der Kirchenglocken für die Einbettung ihrer Propagandaaktionen. Bereits an ihrem ersten Reichsparteitag - die Septembertagung 1933 galt noch als Kongress - im September 1934 ertönten die Nürnberger Glocken:[7]

Punkt 19.30 Uhr tönte im tiefen Fis die größte Nürnberger Glocke, die Friedensglocke, herüber. Unmittelbar darauf setze auch die ehrwürdige Glocke der Sebalduskirche ein, in die sich die Glocken von St. Lorenz, St. Aegidien und St. Ludwig mischten. Ergriffen standen die Menschen auf den Straßen und Plätzen und lauschten dem Geläute, das, wundervoll abgestimmt die Stunde mit tiefer Feierlichkeit erfüllte. In das Dröhnen der Friedensglocke schmolz der Vierklang des herrlichen St. Ludwig-Geläutes. Dazwischen eiferten das Silberglöckchen von St. Lorenz, die Sturmglocke der Sebalduskirche und eine Anzahl kleinerer Turmglocken. Es war ein wundersamer Klang dieser eherne Ruf, der die Feiertage der alten Noris und mit ihnen die stolze Melodie der erfüllten Sehnsucht vieler Jahrtausende, die deutsche Einigkeit und Schicksalsverbundenheit verkündete.

Alle Glocken des Kölner Domes läuteten am Abend des 28. März 1936 einen sogenannten „Friedensappell“ Hitlers ein, den dieser anlässlich der Reichstagswahlen aus Köln vortrug, darunter der "Decke Pitter", die in Apolda gegossene größte freischwingende Glocke Deutschlands.[8]

Datei:Glockengeläut beim 50. Geburtstag Hitlers.jpg
Anordnung zum Glockenläuten der Deutschen Evangelischen Kirche

Auch zu Hitlers 50. Geburtstag im April 1939, zu dem sich alles, was Rang und Namen hatte, zu devoten Huldigungen herbei ließ, fehlten wie im ganzen Reich auch die Thüringer Glocken nicht, wie eine Anordnung aus der Kanzlei der DEK erkennen lässt.[9]

Nach dem Sieg über Frankreich ordnete Hitler ein reichsweites Glockenläuten an, das sieben Tage hindurch zu hören war. In der Nacht vom 24. auf den 25. Juni 1940 erhob die "Deutsche Glocke", der "Decke Pitter" von Köln, gegossen in Apolda, seinen Klang zur Bejubelung des Sieges über Frankreich. Goebbels beschrieb in seinem pathetischen Duktus das Geschehen:[10]

<Da> sang unser ganzes Volk in tiefer Bewegung unser altes Dankgebet mit: 'Wir loben dich oben, du Lenker der Schlachten!'

Die Thüringer Kirchenführer ließen 1941 im Kirchlichen Anzeiger die von Hermann Göring befohlene Abnahme ihrer Kirchenglocken verkünden und riefen die Gemeinden auf, darauf stolz zu sein. In dem Text heißt es u.a.:[11]

Thüringens Kirchgemeinden sind stolz, durch ihre Glocken einen Beitrag zur Wehr für den deutschen Freiheitskampf leisten zu dürfen. <...> Wenn das Metall der deutschen Glocken klirren wird im Kampf, dann wird sein Klang, heilig wie nie zuvor, die deutsche Erlösung einläuten zu Sieg und Frieden, die keine Macht der Welt uns mehr entreißen kann!

4 Literatur

  • Hans Prolingheuer, Wir sind in die Irre gegangen. Die Schuld der Kirche unterm Hakenkreuz, nach dem Bekenntnis des "Darmstädter Wortes" von 1947, Köln 1987, ISBN 3-7609-1144-7
  • Willy Schilling, Thüringen 1933-1945. Der historische Reiseführer, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-576-8
  • Margarete Schilling, Glocken aus Apolda, Apolda 1986
  • Maria Kaufung: Die Glocken läuten noch - Kindheit und Jugend in dunkler Zeit, Band 2, herausgegeben von Martin Woesler, Bochum 1999

5 Einzelnachweise

  1. Apoldaer Tageblatt 27. April 1936
  2. Willy Schilling: Thüringen 1933-1945. Der historische Reiseführer, Berlin 2010, S. 26, ISBN 978-3-86153-576-8
  3. Apoldaer Tageblatt 24. November 1937
  4. Apoldaer Tageblatt 5. August 1936
  5. Apoldaer Tageblatt 25. Mai 1939
  6. Klaus Scholder: Die Kirchen und das Dritte Reich. Band 1 Vorgeschichte und Zeit der Illusionen 1918-1934, Frankfurt/Main 1977, S. 285
  7. Apoldaer Tageblatt 5. September 1934
  8. Apoldaer Tageblatt 29. März 1936
  9. Gesetzblatt der Deutschen Evangelischen Kirche 15. April 1939
  10. Apoldaer Tageblatt 6. Juli 1940
  11. Thüringer Kirchenblatt und Kirchlicher Anzeiger 1941 B Nr. 24

6 Andere Lexika

  • Dieser Artikel wurde in der Wikipedia gelöscht.



Erster Autor: BrThomas angelegt am 01.12.2010 um 17:03, weitere Autoren: In dubio pro dubio, Jergen

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