Schwiegermutter (Soziologie)
Zur Soziologie der Schwiegermutter gibt es verschiedene Betrachtungen.
Dass die Schwiegermutter im Volksmund manchmal als eine böse Frau beschrieben oder bewitzelt wird, lässt sich familiensoziologisch recht gut erklären. Mit Claude Lévi-Strauss muss man zunächst davon aus gehen, dass es in den Familien (bei ihm: in jedem Verwandtschaftsmolekül) – also für „Vater“, „Mutter“, „Sohn“ und Tochter“ – unter den somit möglichen 6 Paarbeziehungen bei 4 Personen entweder solche mit Betonung ihrer Intimität, Vertraulichkeit, Wärme oder solche mit Betonung von Distanz, Respekt, Kühle gibt, und dass kein Akteur auf Dauer widersprüchliche Beziehungen aufrecht erhalten kann. Intimität bedeutet bei ihm jedoch nicht Sexualität (anders als in der Gerichtssprache: „Waren Sie beide intim miteinander?“). Zum Beispiel kann ein Sohn, der mit beiden Eltern intim stehen will, dies nicht auf Dauer aufrecht erhalten, wenn die Eltern permanent zueinander auf Distanz stehen – entweder muss er zu einem Elternteil auch auf Distanz gehen, oder die Eltern müssen ihre Distanz zueinander aufgeben. Sonst ist diese Kernfamilie nicht stabil. Und dieses Stabilisierungsproblem nimmt einem die eigene Kultur auf durchaus unterschiedliche Weise ab, indem sie für alle Familienrollen entweder „Intimität“ oder „Distanz“ mental vorgibt (vorschreibt, kulturell programmiert).
Betrachten wir - speziell für das Verhältnis zwischen Schwiegermutter und Schwiegertochter - zwei häufige Kulturmuster (A und B):
A: Ehepaare stehen auf Distanz zueinander (siezen einander z. B. wie ehedem im Adel und teilweise noch heute in Frankreich), was als Zeichen von Respekt gilt. Intim aber stehen sie sich mit den gegengeschlechtlichen Kindern (Mütter also mit Söhnen usw.) näher, während Brüder zu Schwestern eher distanziert stehen. Heiratet nun ein Sohn, so müsste er zu seiner Mutter auf Distanz gehen. Wenn er zu seiner Mutter die Nähe aufrecht erhält, kann seine Frau dies zunächst nicht ertragen. Sie könnte intimer mit dem Schwiegervater stehen, der zu seinem Sohn ebendie Distanz hält, die er zu allen Vertrauten seiner Frau hält.
B sei das Beispiel einer Kultur, in der Eheleute einander sehr nahe stehen. Wenn sie mit allen ihren Kindern gleichfalls intim stehen, würde das stabilisieren. Es ist eine Vorstellung des Bürgertums - insbesondere aufgrund des Christentums, dass Eltern und Kinder alle einander gleichmäßig lieben sollten. Heiratet der Sohn, wird dies eine neue intime Beziehung sein. Wie wird also die Schwiegertochter zur Schwiegermutter stehen? Distanziert.
Es ergibt sich, dass beide sehr unterschiedliche Familien-Muster (patterns) eine Distanz der Schwiegertochter zu ihrer Schwiegermutter programmieren. Nur im Extremfall gilt: Schwiegermütter sind 'böse'. Wie aber müsste eine verwandtschaftlich stabile Nähe- und Distanz-Verteilung aussehen, wenn man modellhaft von einem guten Verhältnis zwischen Schwiegermutter und Schwiegertochter ausginge? Dabei ergeben sich zunächst folgende Situationen:
- (a) Eine Voraussetzung eines guten Verhältnisses wäre wegen der möglichen Machtkämpfe der beiden Frauen im Haushalt – sowohl bei Viri- als auch bei Uxorilokalität (siehe dazu Familie (Soziologie)) – diesen Konflikt entschärfende Männer-Herrschaft auch im Haushalt. Diese wäre durchaus mit einem politisch-ökonomischen Matriarchat kompatibel – wo aber haben wir das außerhalb spekulativ-feministischer Geschichtsschreibung oder Konzepte? Realistisch ist sie z. B. nur im Serail, wo der Pascha die Außenpolitik des Riesenhaushalts führt und im Haushalt Ersatzmänner (typisch: Eunuchen) herrschen lässt. In neuzeitlich-westlichen Gesellschaften wäre es nur mit Neolokalität junger Ehen vereinbar.
- (b) Alle intimen Gattenbeziehungen sind mit einem engen Schwiegermutter-Schwiegertochter-Verhältnis nicht kompatibel (nach Lévi-Strauss „nicht stabil“), außer, wenn Töchter zu allen ihren Kernfamilienverwandten distanziert stünden (und als strukturelle Verbündete dann immer nur ihre mütterliche Großmutter oder Tochtertochter hätten. Individuell denkbar, ist es als durchlaufendes Pattern einer Gesellschaft empirisch noch aufzufinden. *(c)Besser gehe man davon aus, dass keine (verheiratete) Mutter (und kommende Schwiegermutter) in der Kernfamilie ohne strukturelle Nahverbündete sozial bestehen könne. Konstruierte man dem gemäß die Verwandtschafts-Moleküle derart durch, so bliebe als kompatibel (außerhalb der Verschwägerung) nur ein nahes (inniges) Mutter-Tochter-Verhältnis übrig. Von da aus weiter gedacht, wären jetzt alle nahen Beziehungen geschlechterhomogen: Frauen wären dann also strukturell immer gegen Männer verbündet. Das ist angesichts der Gender-Konflikte nicht unrealistisch, ökonomisch aber kaum durchzuhalten, allenfalls bei ökonomisch nicht knappem (relativ billigem) und politisch-rechtlich geschütztem Wohnraum, wenn also Neolokalität immer möglich wäre, also in einer blühenden und rechtssicheren Volkswirtschaft. Die gibt es gelegentlich, messbar dort an der relativen Zunahme von Singles. Nur dann könnte sich eine Gesellschaft den Geschlechterkampf als Hauptkonflikt (Marxisten würden sagen: Grundwiderspruch) überhaupt leisten.
Für das Verhältnis zum Schwiegersohn müsste man das ganze Modell noch einmal durchspielen. Ist z.B. das Verhältnis vertraulich und die Ehen auch, wird jetzt der Sohn zum Außenseiter in der Kernfamilie (vgl.o. (b)). Sind die Ehen distanziert, kommt immerhin das Adelsmuster (vgl.o. A.) heraus. Also ist dann die 'böse Schwiegermutter' wahrscheinlich eher ein Schwiegertochterproblem.
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