Flucht aus Ostpreußen
In der Flucht aus Ostpreußen versuchte sich die deutsche Bevölkerung zum Ende des Zweiten Weltkrieges ab Januar 1945 aus Ostpreußen beziehungsweise dem Memelland vor der vorrückenden "Roten Armee" der Sowjetunion zu retten, nachdem dies zuvor bei Strafe untersagt war. Die Nationalsozialisten, insbesondere Gauleiter Erich Koch, verboten lange Zeit eine reguläre Evakuierung.
Inhaltsverzeichnis
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1 Vorgeschichte
Im Verlauf der Operation Bagration hatten sowjetische Truppen im August 1944 die Grenze von Ostpreußen erreicht. Die Nachrichten vom Vormarsch der Roten Armee sorgte bei der deutschen Bevölkerung für Unruhe, in Ostpreußen und anderen östlichen Gebieten Deutschlands kam es zu panikartigen Reaktionen. Erste Flüchtlingsgruppen machten sich auf den Weg nach Westen. Der Großangriff durch die sowjetische Armee erfolgte im Oktober 1944.
Das Massaker von Nemmersdorf, welches von Angehörigen der Roten Armee am 21. Oktober 1944 beim Vorstoß nach Ostpreußen verübt worden war, wurde entsprechend von der NS-Propaganda dargestellt, um den Willen zum Durchhalten bei den Deutschen zu stärken. Die Realitität an den deutschen Grenzen war eine andere und ließ sich nicht mehr ignorieren. Es war bereits absehbar, dass die Wehrmacht der Roten Armee keinen Widerstand mehr leisten konnte, da die Kräfte auch an den anderen Fronten - insbesondere im Westen Deutschlands - aufgezehrt waren.
Am 20. November 1944 verließ Adolf Hitler das Führerhauptquartier Wolfsschanze in der Nähe von Rastenburg, wo er sich seit 1941, mit Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion, meist aufgehalten hatte.
Ab Mitte Januar griffen die 2. und 3. Weißrussische Front an, die Schlacht um Ostpreußen war eröffnet.[1] Der Abzug aus Ostpreußen setzte am 20. Januar viel zu spät ein und verlief vielfach ungeordnet, da sich Organisationsstrukturen schon kampfbedingt auflösten. Ende Januar 1945 war Ostpreußen von sowjetischen und polnischen Truppen umzingelt und somit vom Deutschen Reich abgeschnitten.
2 Verlauf der Flucht
Erst nachdem die jeweils im Ort ansässigen fanatischen Nationalsozialisten geflohen waren, konnte die Bevölkerung ohne Furcht vor Repressalien dasselbe tun. Dabei wurde ein Großteil der Zivilbevölkerung unmittelbar in die Kampfhandlungen der vorrückenden Ostfront verwickelt. Dies war für die meisten Menschen völlig überraschend, nachdem die abgelegene Exklave Ostpreußen bis Anfang 1944 weitgehend vom Krieg verschont geblieben war und als relativ sicher galt, insbesondere vor den Luftangriffenn, denen Westdeutsche seit Jahren ständig ausgesetzt waren. Königsberg wurde im Sommer 1944 durch britische Luftangriffe ausgebombt. Ein Teil der Bevölkerung konnte sich noch über das Land mit Flüchtlingstrecks nach Westen retten. Aber nachdem die Rote Armee im Laufe der Schlacht um Ostpreußen am 26. Januar bei Elbing das "Frische Haff" erreicht hatte, war der Landweg abgeschnitten. Tausende ertranken bei der Flucht über das Eis zur vermeintlich rettenden "Frischen Nehrung", die weiter nach Danzig und den Fährhafen Gotenhafen führte. Ein kleiner Teil wurde über den Ostseehafen Pillau evakuiert.
Insgesamt forderte die Flucht unter Kriegsbedingungen im eisigen Winter sehr viele Tote. Es wird geschätzt, dass von den bei Kriegsende noch rund 2,4 Millionen Bewohnern Ostpreußens etwa 300.000 auf der Flucht ums Leben gekommen sind. Unter den Tausenden Menschen, die bei der Versenkung der Schiffe "Wilhelm Gustloff", "General von Steuben" und der "Goya" im Frühjahr 1945 ums Leben kamen, befanden sich auch viele Flüchtlinge aus Ostpreußen. Andererseits sollen rund zwei Millionen die Flucht geschafft haben und nur 193.000 geblieben sein. Die Verbliebenen und die Rückkehrer nach Kriegsende wurden in den Folgejahren Opfer der endgültigen Vertreibung. Opferzahlen und Umstände sind bis heute nicht genau geklärt. So sollen 1950 noch 164.000 Deutsche in ehemaligen Ostpreußen registriert gewesen sein.[2] Über die Flucht aus Ostpreußen berichtete auch Marion Gräfin Dönhoff. Der Fernsehfilm Die Flucht von 2007 stellte einen typischen Treck mit Pferden und Wagen dar, geführt von einer jungen Adligen, nach Dönhoffs Vorbild.
3 Folgen
Nach der Niederlage gegen die Alliierten verlor das Deutsche Reich sämtliche Gebiete östlich der Flüsse Oder und Neiße an Polen und die Sowjetunion, mithin das ganze damalige Ostdeutschland. Ostpreußen wurde geteilt, der nördliche Teil wurde von der Sowjetunion annektiert. Nach offiziellen Angaben lebten dort um 1980 keine Deutschen mehr.
4 Siehe auch
5 Literatur
- Christopher Duffy: Red Storm on the Reich. The Soviet March on Germany, 1945. Da Capo Press, 1993.
- David M. Glantz: The Soviet‐German War 1941–45: Myths and Realities: A Survey Essay. Clemson University, 2001.
- William I. Hitchcock: The Struggle for Europe: The Turbulent History of a Divided Continent, 1945-2002. 2003, ISBN 0-385-49798-9.
- Erika Morgenstern: Überleben war schwerer als Sterben. Herbig, 2004, ISBN 3-7766-2380-2.
- Herbert Reinoß (Hrsg.): Letzte Tage in Ostpreußen – Erinnerungen an Flucht und Vertreibung. Herbig Verlag München, ISBN 3-7844-2868-1.
- Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. (Hrsg.): Treibgut des Krieges – Zeugnisse von Flucht und Vertreibung der Deutschen (Zeitzeugenberichte über Flucht, Vertreibung, Wolfskinder). Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V., Kassel, Kassel 2008.
- Elizabeth B. Walter: Barefoot in the Rubble. 1997, ISBN 0-9657793-0-0.
- Alfred-Maurice de Zayas: Die deutschen Vertriebenen. Keine Täter – sondern Opfer. Hintergründe, Tatsachen, Folgen.. Ares-Verlag, Graz 2006, ISBN 3-902475-15-3.
6 Weblinks
7 Einzelnachweise
- ↑ David M. Glantz: The Soviet‐German War 1941–45, Seite 86.
- ↑ Richard Overy: The Penguin Historical Atlas of the Third Reich, Penguin Books, London 1996, Seite 111
8 Andere Lexika
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