Fall John/Joan

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Der Fall John/Joan - auch als John/Joan-Fallstudie bezeichnet - war ein Menschenversuch[1] des Psychologen und Sexualwissenschaftlers John Money.[2][3] John/Joan ist ein Pseudonym, das sowohl Money als auch ein Journalist (1997) für die betroffene Person in ihren Berichten über den Fall verwendeten.

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1 Verlauf

Money riet 1967 den Eltern des knapp zwei Jahre alten Jungen Bruce Reimer, bei ihrem Sohn eine geschlechtsangleichende Operation durchführen zu lassen, nachdem dessen Penis bei einer medizinisch indizierten Zirkumzision im Alter von sieben Monaten[4] versehentlich irreparabel verletzt worden war. Im Alter von 22 Monaten wurden daraufhin die noch vorhandenen Hoden entfernt (Orchiektomie) und aus der Haut des Hodensacks rudimentäre Schamlippen geformt. Darüber hinaus wurde das Kind etwa ab dem 12. Lebensjahr mit weiblichen Hormonen behandelt. Zudem soll Money Bruce und seinen Zwillingsbruder Brian zu sexuellen Handlungen gezwungen haben. Man sah dies auch als Beitrag zur Zwillingsforschung, da hier zu beobachten war, ob das Kind sich anders entwickeln würde als sein Zwillingsbruder. „Brenda“, wie Bruce nun genannt wurde, nahm die zugewiesene Geschlechterrolle jedoch nicht an. Zum Beispiel bevorzugte das Kind statt Puppen und Schmuck das Spielzeug des Bruders. „Brenda“ tobte, raufte und interessierte sich für Autos und Waffen. Mit 14 Jahren erfuhr er, dass er als Junge auf die Welt gekommen war und ließ die Geschlechtsumwandlung rückgängig machen. Fortan nannte er sich David. Brian entwickelte später eine Schizophrenie.[3]

Im Frühjahr 2004 beging Reimer Suizid. Zwei Jahre zuvor war sein Zwillingsbruder durch eine Medikamentenüberdosis gestorben.[5] Ob die Überdosis versehentlich oder in suizidaler Absicht genommen wurde, ist nicht eindeutig geklärt.[6]

Davids Mutter sagte später, sie glaube, dass ihr Sohn noch am Leben wäre, wenn er nicht das Opfer jenes „katastrophalen Experiments“ geworden wäre, das bei ihm so viel Leid verursacht habe.[7]

2 Rezeption

Der Biologe Milton Diamond – der Moneys Thesen zur Geschlechtsentwicklung bereits 1965 kritisiert hatte – veröffentlichte 1997 gemeinsam mit dem Psychiater Keith Sigmundson einen Artikel in den Archives of Adolescent and Pediatric Medicine,[8] in denen sie das Experiment an Reimer als gescheitert darstellten. Dieser habe von Anfang an gegen die aufgezwungene Rolle als Mädchen angekämpft.

Der Fall diente unter anderem auch als Beleg für die These der Wahlmöglichkeit des von den Verfechtern des Experiments als primär sozial konstruiert angesehenen Geschlechts. So schrieb Alice Schwarzer 1975, dass „die Gebärfähigkeit auch der einzige Unterschied ist, der zwischen Mann und Frau bleibt. Alles andere ist künstlich aufgesetzt.“ Das Experiment von Money würdigt sie als eine der „wenigen Ausnahmen, die nicht manipulieren, sondern dem aufklärenden Auftrag der Forschung gerecht werden.“[9] In der 2004 erschienenen Schrift Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen (Undoing Gender) stellte Judith Butler ihre Interpretation des Falles dar.[10]

Laut dem Hamburger Sexualforscher Gunter Schmidt habe der Einzelfall keinerlei Beweiskraft; zudem führte Schmidt ein Gegenbeispiel an.[11] Ein weiterer Kritiker war der Evolutionsbiologe Ulrich Kutschera.[1]

3 Andere Lexika

Wikipedia kennt dieses Lemma (Fall John/Joan) vermutlich nicht.

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4 Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Hubert Rehm: Buchkritik zu "Das Gender-Paradoxon": Gefährliche Ideologie? Spektrum.de, 24. Juni 2016.
  2. The Boy Who Was Turned into a Girl. BBC, 7 December 2000. Abgerufen am 19 May 2015.
  3. 3,0 3,1 Dr Money and the Boy with No Penis. BBC, 2005. Abgerufen am 27. September 2014.
  4. https://en.wikipedia.org/wiki/David_Reimer#Infancy
  5.  Volker Zastrow: Der kleine Unterschied. In: FAZ. 7. September 2006 (Online).
  6. https://de.wikipedia.org/wiki/David_Reimer#Leben
  7. David Reimer, 38, Subject of the John/Joan Case, Bericht in der New York Times - May 12, 2004
  8. Milton Diamond, H. Keith Sigmundson: Sex Reassignment at Birth. A Long Term Review and Clinical Implications. In: Archives of Pediatrics and Adolescent Medicine Band 151 (1997), Nr. 3, S. 289–304.
  9. Alice Schwarzer: Der kleine Unterschied und seine großen Folgen. Frauen über sich; Beginn einer Befreiung. 1. Auflage, S. Fischer, Frankfurt a. M. 1975, ISBN 3-10-076301-7, S. 192 f.
  10. Judith Butler: Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2009, ISBN 978-3-518-58505-4 (englisch Undoing Gender, übersetzt von Karin Wördemann und Martin Stempfhuber)
  11.  Gunter Schmidt: Tragödie als Schurkenstück. In: Der Spiegel. Nr. 40, 2000, S. 252 (Online).

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