Waffenmacht und Frömmigkeit im Mittelalter
Waffenmacht und Frömmigkeit waren im Mittelalter noch zwei konkurrierende Faktoren, wobei über alles gesehen die Waffen letztlich einen noch gewichtigeren Einfluss ausübten.
Wer die besseren Waffen oder die größere Streitmacht hat, der kann seine Interessen im Extremfall am optimalsten durchsetzen. Dieses Prinzip hat man auch z.B. im abendländischen Mittelalter bereits gut begriffen - vom kleinen Ritter bis zum König oder Kaiser. Allerdings galt im Mittelalter noch ausgeprägt das theozentrische Prinzip: Gott steht über allem und straft, wenn man sich nicht fromm und wohlfeil verhält. Wohl am deutlichsten hat sich letzteres in der gesamteuropäischen Politik beim Investiturstreit bemerkbar gemacht: Trotz Waffenmacht im Rücken begab sich HRR-Kaiser Heinrich letztlich auf den demütigen Gang nach Canossa, um von Papst Gregor - und im Hintergrund von Gott selber - vom ausgesprochenen Bann losgelöst zu werden. Dabei hatte zwar Gregor in Form eines Teils der weltlichen Fürsten durchaus auch Waffenmacht hinter sich, aber das Motiv dieser weltlichen Fürsten, sich hinter den Papst zu stellen, war teils eben auch gerade wieder die Frömmigkeit. Der Papst galt allgemein als Stellvertreter Gottes auf Erden - allerdings teils bestritten von den hohen weltlichen Herrschern, die diese Rolle auch recht gerne für sich beanspruchten (Gottesgnadentum).
Der Respekt vor der heiligen Autorität des Papstes hatte - zwar nicht in der breiten Bevölkerung, aber bei den höheren weltlichen Machthabern - teils relativ klare Grenzen. So hatte etwa der Franzosen-König Philipp der Schöne im Rahmen des Vorspiels zum abendländischen Schisma keinerlei Skrupel, Papst Bonifaz gefangen zu setzen (und zwar so brutal, dass dies nachher zu dessen Tod führte), die päpstliche Residenz von Rom nach Avignon zu verlegen und zukünftig nur noch französisch-stämmige Päpste zu akzeptieren. Auch der päpstliche Machtzuwachs, den der Investiturstreit in Form des Wormser Konkordates letztlich gezeitigt hatte, hatte sein Ablaufdatum noch im Mittelalter, die weltlichen Herrscher mischten sich im HRR später wieder umfassender in die Bischofs- und Pfarrwahl ein.
Quelle
H. Bookmann: Einführung in die Geschichte des Mittelalters
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