Klassische japanische Ästhetik

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Die klassische japanische Ästhetik ist keine Ästhetik im westlichen Sinn, sondern ein Lebensgefühl, beziehungsweise ein Weg, um Kunst und Leben in Einklang zu bringen. Die einzelnen Zeremonien und Künste, wie zum Beispiel die Teezeremonie oder die Tuschmalerei, verschmelzen die äußere Wahrnehmung mit innerer Erfahrung und philosophischer Schau zu einem organisch Ganzen. Ausgehend mit der Verbreitung des Buddhismus in Japan, zu Beginn des 6. Jahrhunderts, hatte sie ihre Blütezeit im japanischen Mittelalter und der Edo-Zeit. Die klassische japanische Ästhetik fand als eigenständige Entwicklung im Jahr 1868 mit der Meiji-Restauration ihr vorläufiges Ende, als sich Japan der westlichen Welt öffnete. Bedingt durch die kulturelle Öffnung werden die Künste dieser Ästhetik heute in der ganzen Welt ausgeübt.

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1 Einführung

Die klassische japanische Ästhetik ist im Wesentlichen ein Kind des japanischen Mittelalters (1185-1603). Mit Beginn des Mittelalters kam es zu bedeutenden gesellschaftlichen Umwälzungen, da die Samurai die Macht vom Hofadel übernahmen. Mit der Etablierung der Samurai als neue Herrscherklasse begann gleichzeitig der Aufstieg des Zen-Buddhismus in Japan. Er gab dem gesamten kulturellen Leben eine neue Prägung. Die einzelnen Künste wie: Architektur, Gartenbau, No-Theater, Tuschmalerei oder die Teezeremonie sind eine Ausdrucksform des Zen und dienten als Vehikel, um die Weltsicht des Zen zu kommunizieren. Die Wirklichkeitssicht des Zen ist geprägt durch die Erfahrung von Mu, die im Deutschen gewöhnlich sehr unzureichend mit buddhistischer Leere übersetzt wird. Sie ist das Ergebnis von Übungen (Meditation) und geht einher mit der Auflösung der Rereduktionistischen und dualistischen Weltsicht, die sich im Alltagsleben darin äußert, dass das alltägliche Bewusstsein die Welt in Subjekt und Objekt spaltet. In der Weltsicht des Zen gibt es kein vom Subjekt unabhängig existierendes Objekt (Dualismus), dessen Wesen (metaphysische Substanz) mit Hilfe von Denken erkannt werden kann (Reduktionismus).

Im Gegenteil, diese alltägliche Sicht der Wirklichkeit wird in der klassischen japanischen Ästhetik als Illusion erkannt und kommt einer Beschmutzung der Wirklichkeit gleich. Schön im Sinn der klassischen japanischen Ästhetik ist ein Erkennen der Welt jenseits der Subjekt-Objekt Spaltung, also der konkreten Erfahrung von Mu, etwa in der meditativen Gewahrwerdung der Natur. Wirklichkeit ist daher immer einmalig und unwiederholbar, entsteht von Fall zu Fall, durch die Interaktion der Teilnehmenden im Hier und Jetzt.

2 Ästhetische Begriffe

Um eine konkrete Vorstellung von dieser Ästhetik zu vermitteln, sei auf einige charakteristische Begriffe hingewiesen, wobei es sich bei den unten genannten Begriffen um Bekundungen von Erfahrungen in der Ausübung der genannten Künste handelt und nicht um abstrakte Begriffe einer westlichen Philosophie:

yugen
Bedeutet etwa geheimnisvolle Tiefe. Damit ist gemeint, dass die Welt gerade nicht mit Hilfe von Denken erkannt werden kann, sondern durch eine meditative Gewahrwerdung, bei der die Trennung in Subjekt und Objekt unterbleibt. Das bedeutet, der Akt der meditativen Gewahrwerdung der Welt erzeugt ein unmittelbares Erkennen, ohne die Zwischenstufe von Denken. Hieraus resultiert ein Charakteristikum dieser Ästhetik, ihre Spontanität.
mono-no-aware
Meint eine gesteigerte Empfindlichkeit für eine flüchtige und subtile Schönheit, etwa in der Natur, die einen ästhetisch empfindsamen Menschen auszeichnet.
yohaku-no-bi
Ist die Schönheit des besonders Kargen oder Einfachen und Natürlichen. Diese Sichtweise entstand, als sich einzelne Menschen von dem durch ständige Bürgerkriege geschüttelten Leben in die Einsamkeit der Berge zurückzogen und hier die einfache Schönheit der Natur kennen und schätzen lernten.
wabi-sabi
Sabi bezieht sich auf Dinge, die durch die Einwirkung von Zeit und Gebrauch einer Veränderung unterliegen. Es kann sich dabei zum Beispiel um eine Patina auf einem Felsen oder um Gebrauchsspuren auf einer Teeschale handeln. Wabi meint die ästhetische Wertschätzung von Dingen, denen Sabi eigen ist.

3 Beispiele anhand von einzelnen Künsten

Konkret, in den einzelnen Künsten äußert sich dieses Weltbild zum Beispiel im japanischen Garten, in dem Felsen aufgestellt werden, die einen starken Moosbewuchs aufweisen, also ihren Werdegang in einer feuchten Umgebung widerspiegeln, oder in der Bevorzugung von Laub abwerfenden Bäumen, da diese zu jeder Jahreszeit ein anderes Aussehen bieten. In der Teezeremonie, besser dem Teeweg, wird einfaches und rustikales Teegeschirr bevorzugt, die Teehütte selbst, in der die Teezeremonie abgehalten wird, ist einer Einsielderhütte nachempfunden und besteht daher nur aus natürlichen Materialien. In der Tuschmalerei wird auf Farben verzichtet, die Bilder sind monochrom oder zeigen nur eine eingeschränkte Farbpalette, wobei das Dargestellte oft nur durch wenige charakteristische Pinselstriche gekennzeichnet ist. Mu, die buddhistische Leere selbst, wird durch einen kontinuierlichen Übergang der schwarzen oder grauen Pinselstriche in das Weiß des Malgrunds symbolisiert, die Tusche verliert sich dabei im Weiß. In den Zen-Gärten ist sie entsprechend durch eine weiße Kiesfläche dargestellt. Die Wirkung der Kunstwerke auf den Betrachter wird durch das Weglassen von überflüssigem Beiwerk verstärkt. Dadurch wird die Phantasie des Rezipienten angeregt, das Fehlende zu ergänzen. So zum Beispiel beim Haiku , dem japanischen Kurzgedicht. Hier kommt dem Nichtgesagten die gleiche oder sogar noch eine höhere Bedeutung zu als den gewählten Worten. Als Beispiel sei hier das berühmte Gedicht von Matsuo Basho (1644-94) genannt:

Sommergras
ist alles, was blieb
vom Traum des Kriegers

Die Künste dienen aber nicht nur zur Veranschaulichung der zenbuddhistischen Weltsicht, sondern sind gleichzeitig eine Möglichkeit den Charakter zu schulen. Jede noch so einfach anmutende Tätigkeit ist dazu geeignet, durch achtvolles Üben, Mu erlebbar zu machen. Es spielt keine Rolle, ob der Künstler Tee zubereitet oder meditiert. Daher ist in der klassischen japanischen Ästhetik auch der Unterschied zwischen dem Profanen und dem Religiösen aufgehoben. Als man den großen Teemeister Sen no Rikyu (1522-1591), nach dem Geheimnis des Teewegs befragte, gab er in Form eines Gedichts folgende Antwort:

Die Kunst des Tees,
muss man wissen,
ist nichts anderes
als Wasser kochen,
Tee zubereiten und trinken.

Deshalb gibt es in dieser Ästhetik weder eine Trennung zwischen dem Profanen und dem Religiösen, noch eine zwischen Leben und Kunst, bzw. zwischen dem Subjekt und den Dingen dieser Welt. Der Künstler sieht sich nicht als Ding-Interpret der Welt gegenüber stehend, sondern er erschafft, mit Hilfe seiner Kunst, die Wirklichkeit im Hier und Jetzt.

4 Literatur

  • H. Brinker: Zen in der Kunst des Malens. Ex Libris, Zürich 1986
  • G. C. Calza: Japan Stil. Phaidon, Berlin 2007
  • F. Ehmcke: Der japanische Tee-Weg. DuMont, Köln 1991
  • T. Itoh: Die Gärten Japans. DuMont, Köln 1985
  • T. Izutsu: Philosophie des Zen-Buddhismus. rororo, Reinbek 1986
  • T. Izutsu: Bewusstsein und Wesen . Iudicium, München 2006
  • T. & T. Izutsu: Die Theorie des Schönen in Japan. Beiträge zur klassischen japanischen Ästhetik. DuMont, Köln 1988
  • L. Koren: Wabi-sabi für Künstler, Architekten und Designer Japans Philosophie der Bescheidenheit. Wasmuth, Tübingen 2004
  • H. Munsterberg: Zen-Kunst. DuMont, Köln 1978
  • R. Ohashi: Kire das >Schöne< in Japan - Philosophisch-ästhetische Reflexionen zu Geschichte und Moderne. DuMont, Köln 1994
  • K. Okakura: Das Buch vom Tee. Insel, Frankfurt a. M. 2002
  • J. & D. Roloff: Zen in einer Schale Tee. Ullstein Heyne List, München 2003
  • I. Tanaka: Japanese Ink Painting: Shubun to Sesshu. Wetherhill/Heibonsha, New York/Tokyo 1972
  • R. Violet: Kleine Geschichte der japanischen Kunst. DuMont, Köln 1984

5 Weblinks


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Erster Autor: Yohaku angelegt am 31.01.2011 um 13:50, weitere Autoren: Gesellschaftsspiel, Ca$e, Mps, Weissbier, Finte

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