Bläserquintett op. 10 (Pavel Haas)

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Bild 1: Foto des jüdischen Komponisten Pavel Haas
Sein Bläserquintett op. 10 aus dem Jahr 1929 war der erste internationale Erfolg des 1944 im KZ Auschwitz-Birkenau ermordeten jüdischen Komponisten Pavel Haas.[1]
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1 Entstehungsgeschichte

Bild 2: Der Marktplatz von Brünn im Jahr 1930
Der aus einer der unteren Mittelklasse angehörenden jüdischen Familie stammende Pavel Haas wechselte noch vor Abschluss der deutschsprachigen Schule 1913 an die Musikschule Beseda Brněnská in Brünn, wo er bis 1916 Klavier und Musiktheorie studierte. Nach Ableistung des Wehrdienstes setzte er von 1919 bis 1922 seine Ausbildung an dem von Leoš Janáček neu gegründeten Brünner Konservatorium fort. Danach arbeitete er im Schuhgeschäft seines Vaters, kurzfristig als Korrepetitor in Brünn und Saarbrücken und komponierte unter anderem auch Filmmusik. [2] Wichtig für Hass wurde der Kontakt mit dem Klub moravských skladatelů. der die Verbreitung und Aufführung neuer Musik förderte. Dieser Klub veranstaltete auch die meisten Aufführungen seiner Musik zu Lebzeiten. [3]

Laut Skizze im Autograph begann Hass am 2. Dezember 1928 mit der Arbeit am Bläserquintett und schloss dieses am 24. März 1929 ab. [4] Es wurde dann am 24. März 1930 in Brünn vom Mährischen Bläserquintett uraufgeführt. [5] Sein Bläserquintett wurde bei der Uraufführung vom Publikum begeistert gefeiert und vom Neuen Wiener Tagblatt als "Werk, das sich durch Originalität der thematischen Erfindung sowie effektive Beherrschung der Kompositionstechnik auszeichnet" gelobt. [6] Das Bläserquintett wurde dann erstmalig 1934 von der Edition Sádlo in Prag gedruckt. [7]

2 Musik

Das eine Spieldauer von um die 14 Minuten aufweisende Bläserquintett ist besetzt für Flöte, Oboe, Klarinette, Horn in F und Fagott. [8] Es gliedert sich in die vier Sätze Preludio - Preghiera - Ballo eccentrico - Epilogo.

Es ist geprägt durch Janáček Methode thematischer Arbeit und Modalität auf der Basis mährischer Volksmelodien, die Melodik der Gesänge der Synagoge [9] [10] sowie die polyrhythmische Struktur der Musik des 20. Jahrhundert, so dass manche Elemente des Bläserquintetts mitunter auch an die Musik von Igor Strawinsky erinnern. [11] Der Musikwissenschaftler Lubomir Peduzzi, der besonders über zum Musikleben von Brünn und Pavel Haas geforscht hat, schreibt über das Werk:

"Das Bläserquintett op. 10 (1929) wurde bei seiner Uraufführung in Brünn als die unter allen aufgeführten Kompositionen interessanteste und beste beurteilt. Die Komposition hat einen suitenartigen Charakter, besteht aus vier kurzen, jedoch kompositorisch vorzuüglich beherrschten Sätzen. I. Preludio ist ein schlichtes, aus dorischer Modalität ausgehendes Lied. II. Preghiera erinnert durch ihre bange ornamentale Melodik an einen in instrumentale Gestalt stylisierten synagogalen Gesang. III. Ball eccentrico kontrastiert durch den Tanzrhythmus und gesitreiche Instrumentation. Thematisch geht er von den Karnevalmotiven [12] aus, ähnlich wie IV. Epilogo, dessen ernste Melodie jedoch die Vorstellung eines Chorals evoziert. Der Nebengedanke ist ein für Haas typisches Pastoralthema. Mit Ausnahme der Dur-Coda des Epilogs sind alle vier Quintettsätze in Moll, ohne daß dadurch der nötige Kontrast leiden würde." [13]

Die tschechische Tageszeitung Lidové noviny schrieb am 26. März 1940, dass das Quintett von Haas "erfolgreich eine witzige modernistische Diktion anschlage und volkstümliche melodische und rhythmische Erfindungsgabe mit einem gewissen geschmackvollen Maß an ethnischer Folklore verbinde". [14] Andere Rezensenten beschrieben das Werk als eine "Mischung aus Melancholie und Parodie sowie Musik von bizarren und romanhaften Qualitäten, aus der phantastische Bilder hervorgehen". Haas selber wurde als "junger, wilder und talentierter Komponist, eine Art mährischer Strawinsky" charakterisiert. [15]

2.1 Preludio

Bild 3: Die ersten 14 Takte des Preludio
Der mit der Tempobezeichnung Andante ma vivace überschriebene 1. Satz steht überwiegend im 9/8- bzw. 19/16-Takt - einem in Mitteleuropa eher seltenen ungeraden Taktart, die aber in ost- und südosteuropäischer Volks- und Tanzmusik häufig anzutreffen ist -, [16] wechselt aber zwischenzeitlich auch in den 6/8-Takt. In diesem Satz finden sich wohl die deutlichsten Spuren von Janáceks Einfluss, vor allem in den Ostinato-Modellen, den ungeraden Taktarten und den häufigen Wechseln der Taktart. [17]

Kernelement des Preludio ist ein in Halb- und Ganztönen absteigendes Dreitonmotiv, welches später bis zum Sechstonmotiv erweitert wird. Dies in den melodischen Verlauf eingebettete Motiv wird im Verlauf des Satzes vielfach variiert und tritt immer wieder auf. Es eröffnet als in Sextsprünge integrierte Tonfolge h - b - a der Oboe den Satz. Klarinette und Fagott begleiten mit nachschlagenden Vierteln im staccato, was der Musik zusätzlichen rhytmischen Drive verleiht. Das Horn steuert lang ausgehaltene Liegetöne bei. Harmonisch kann man Takt 1 als eine Folge der Akkord G7 ohne Grundton, B-Dur und d-moll interpretieren. Allerdings will der Ton c im Fagott nicht ganz zu dieser harmonischen Interpretation passen. Die Takte 3 und 4 versetzen das Dreitonmotiv dann um eine kleine Terz nach oben auf die Töne d - des - c. Die folgenden vier Takte wiederholen die Takte 1 bis 4, wobei die sich nun auch beteiligende Querflöte und die Klarinette in Oktavsprüngen begleiten. Ab Takt 7 spielen Oboe und Fagott das Dreitonmotiv gemeinsam. Nach diesem achttaktigen Abschnitt begegnet uns das Dreitonmotiv in den Takten 9 bis 16 rythmisch abgewandelt - in Achteln, punktierten Vierteln, 16-tel-Triole und auch zum Vier- und Füftonmotiv erweitert - in der Klarinette und die folgenden zwei Takte im Fagott. Flöte, Horn und Fagott begleiten im vom Anfang bekannten Muster und die Oboe bringt ein durchgehende Pendelbewegung in Achtel im Sekundintervall d - e. In den Takten 17 und 18 setzt der Bewegungsimpetus aus: Klarinette und Horn spielen ein Liegeton und die Oboe einen langezogenen Triller.

Das Viertonmotiv in der Flöte in chromatischem Abstieg (d - cis - c - h) leitet zu einem im 6/8-Takt setehenden Abschnitt über. In Flöte und Klarinette erscheint eine neue ryhthmische Variante des Kernthemas nun als absteigendes Sechstonmotiv (a - gis - g - fis - f - e). Fagott und danach Horn begleiten mit einem Modell aus Achtel, zwei 16-teln und nachfolgender Achtel. Ab Takt 23 wird wieder zum 9/8-Takt gewechselt und das Dreitonmotiv läuft diesmal im Horn und die Klarinette begleitet mit der aus Takt 9 ff. bekannten Pendelbewegung im Sekundintervall. Besonders hervor sticht die Flöte, die in hoher Lage auf den jeweils letzten Taktdrittel eine rasante 16-tel-Figur erklingen lässt. Nun lässt sich die Flöte die Führung nicht nehmen: Sie präsentiert das Dreitonmotiv zuerst in bekannter Form, dann neuartig in langgezogenen punktierten Halben und schließlich erweitert zu einem absteigenden Motiv aus sieben Tönen (in Takt 35 und 36 die Töne f - e - d - c - h - as - f , also fast schon einer ganzen Tonskala.

2.2 Preghiera

Bild 4: Die ersten 18 Takte aus Preghiera
Der in langsamen Tempo (60 bpm) stehende 2. Satz hat - wie bereits die Vortragsbezeichnung Misterioso e triste vermuten lässt - einen geheimnissvollen und traurigen Charakter. Sein Titel Preghiera (ital. für Gebet, Flehen, Bitte [18]) verweist auf den jüdische Glauben. So begegnet man in diesem Satz Elementen jüdischer Musik, wie der metrisch freien Kantillationsweise in der Synagoge, für jüdische Gebetsmodi typischen Intervallen oder auf dem bereits zu alttestamentarischen Zeiten verwendeten Naturhorn Šōfār üblichen Spielweisen.

Die Querflöte beginnt mit einer punktierten 16-tel und angebundener langer Note. Dies erinnert an den nach dem jüdischen Komponisten Ernest Bloch benannten sogenannten "Bloch-Rhythmus", den er in Werken wie Trois poèmes juifs (Komposition von Ernest Bloch) oder Schelomo einsetzt. Dies Motiv ist auch in alten Šōfār-Motiven aus dem aschkenasischen Raum anzutreffen. Daran schließt sich eine Pendelbewegung im Terzintervall g - e in Achteln, Achteltrolen, 16-teln und schließlich 16-tel-Sextolen an, die auf dem Ton dis zur Ruhe kommt. Auch dies erinnert an Tonwiederholungen von Šōfār-Motiven [19], und den metrisch freien Vortrag eines Kantors. Der Tonvorrat g - e - dis ist eine erste Andeutung des jüdischen Gebetsmodus Ahavah Rabbah, für den die Aufeinanderfolge von übermäßiger und kleiner Sekunde typisch ist. Auf dem letzten Achtel von Takt 5 treten dann die anderen Instrumente hinzu und bilden den Klang g - h - es - fis, den man als G-Dur-Akkord mit großer Septime und über verminderter Quinte deuten kann. Danach tritt in Takt 7 wieder die Querflöte allein hervor, und erinnert mit den Tönen h - f - e - cis erneut an den orientalisch wirkenden Modus Ahavah Rabbah. Danach bringen alle Instrumente außer der Oboe mittels Tonwiederholungen in punktierten und unpunktierten Achteln und Achtel-Triolen gemeinsam wieder die bekannten Šōfār-Motive. Dabei ergibt sich harmonisch der Akkord h-Moll, der dann zu b-Moll in Takt 10 verschoben wird. Nun übernimmt die Oboe den Melodiezug der Querflöte aus Takt 7 und versetzt ihn passend zu b-Moll um einen Halbton nach unten. Ab Takt 14 wiederholt dann die Klarinette die Anfangstakte der Querflöte aus den Takten 1 bis 7. Das Horn schließt die einzelnen Takte jeweils mit einem Wechselmotiv in 16-teln ab und die anderen Instrumente begleiten in geleichmäßig schreitenden Vierteln. Ab Takt 20 wird die Klarinette dann nur noch von einem tiefen Liegeton des Fagott begleitet und erklingt die folgenden drei Takte ganz allein. Diese Solopassage der Klarinette vermittelt dem Hörer mit Verwendung unterschiedlichster Notenwerte wie Achtel, 16-teln, 32-tel, Triolen und Quintolen in 32-teln und zusätzlichen Trillern den metrisch ungebundenen Vortrag des Kantors besonders intensiv.

2.3 Ballo eccentrico

3 Literatur

  • Martin Čurda: The Music of Pavel Haas - Analytical and Hermeneutical Studies, Taylor & Francis, 2002
  • Anna Sysová: Pavel Haas a jeho Dechový kvintet op. 10, Brünn, 2019
  • Lubomír Peduzzi: Pavel Haas - Leben und Werk des Komponisten, von Bockel Verlag, Hamburg, 1996 (Tschechisches Original: Pavel Haas - Zivot a dílo skladatele, Muzejní a vlastivědná společnost v Brně, 1993)

4 Weblinks

5 Audio

6 Einzelnachweise

  1. www.baerenreiter.com
  2. Martin Čurda: The Music of Pavel Haas - Analytical and Hermeneutical Studies, Taylor & Francis, 2020, S. 8 ff.
  3. Lubomír Spurný: Pavel Haas - “Janáček’s Most Talented Student”, Brünn, 2015, S. 120
  4. Anna Sysová: Pavel Haas a jeho Dechový kvintet op. 10, Brünn, 2019, S. 18
  5. Biography of Pavel Haas (1899-1944) auf www.flutepage.de
  6. Artikel Mährische Komponisten im Neuen Wiener Tagblatt vom 15. Januar 1935 (zitiert nach Martin Čurda: The Music of Pavel Haas - Analytical and Hermeneutical Studies, Taylor & Francis, 2020, S. 19)
  7. Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit (LexM)
  8. Anm.: Hass verlangt in den ersten beiden sowie im letzten Satz eine Querflöte sowie Klarinette in B. Nur im 3. Satz sind Piccoloflöte und Klarinette in Es vorgeschrieben.
  9. Lubomir Peduzzi: Pavel Haas - Leben und Werk des Komponisten, von Bockel Verlag, Hamburg, 1996, S. 114 ff.
  10. Matthew Boyden und Nick Kimberley: The Rough Guide to Opera, Rough Guides, 2002, S. 475
  11. Belfiato Quintet Janáček, Foerster & Haas - Music for Wind Instruments
  12. Anm.: Mit den "Karnevalsmotiven" bezieht sich Peduzzi auf den Männerchor Karneval op. 9 von Pavel Haas aus dem Jahr 1929.
  13. Lubomir Peduzzi: Pavel Haas - Život a dílo skladatele, Muzejní a vlastivědná společnost, Brünn, 1993, S. 147
  14. zitiert nach Martin Čurda: The Music of Pavel Haas - Analytical and Hermeneutical Studies, Taylor & Francis, 2020, S. 11
  15. zitiert nach Martin Čurda: The Music of Pavel Haas - Analytical and Hermeneutical Studies, Taylor & Francis, 2020, S. 19
  16. Jörn Peter Hickel und Christian Utz (Hrsg.): Lexikon Neue Musik, Metzler / Bärenreiter, 2016, S. 529
  17. Anna Sysová: Pavel Haas a jeho Dechový kvintet op. 10, Brünn, 2019, S. 20
  18. www.earsense.org
  19. Anm.: Bei traditionellen Šōfār-Motiven sind allerdings weniger Terzsprünge, sondern Tonwiederholungen sowie Oktav- und Quintsprünge üblich.

7 Andere Lexika

Wikipedia kennt dieses Lemma (Bläserquintett op. 10 (Pavel Haas)) vermutlich nicht.




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