Setralit
Setralit ist der Markenname für Bastfasern unterschiedlicher Herkunft, die durch ein Ultraschallverfahren aufgeschlossen und gereinigt wurden.
Inhaltsverzeichnis
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1 Geschichte
Setralit wurde erstmals 1989 von dem elsässischen Ingenieur Jean-Léon Spehner hergestellt und später von der deutschen Firma ECCO Gleittechnik GmbH weiterentwickelt. Der Name „Setralit“ leitet sich von der französischen Firma Sétral S.à.r.l. ab, einer Tochtergesellschaft der ECCO, bei der Spehner 1990 beschäftigt war.[1] Als Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre die Verwendung von Asbest in Bremsbelägen zunächst in Deutschland und später EU-weit verboten wurde, suchte die Reibbelagindustrie nach einem Ersatzstoff, der sowohl als Verstärkungs- als auch als Prozessfaser geeignet war. Gleichzeitig wurde in der Europäischen Union als Maßnahme zur Begrenzung der Getreideproduktion eine obligatorische Flächenstillegung eingeführt und subventioniert. Auf den stillgelegten Agrarflächen durften rein industriell genutzte Pflanzen subventionsunschädlich angebaut werden. Sowohl die Europäische Union als auch die Bundesrepublik Deutschland stellten Fördergelder für die Entwicklung neuer Materialien und neuer Herstellungsverfahren aus solchen „Nachwachsenden Rohstoffen“ zur Verfügung, allem voran Faserpflanzen wie Flachs und – seit 1996 – THC-armer Hanf. In einem vom damaligen Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) geförderten Verbundprojekt zur Verwendung von Flachsfasern in Brems- und Kupplungsbelägen kam erstmals eine Reihe von Setralit-Fasern zum Einsatz, die durch chemische, thermische und/oder mechanische Behandlung aus Flachswerg gewonnen wurden.
Durch Extraktion gereinigte Naturfasern (auch als Setralit der ersten Generation bezeichnet) haben den Nachteil, dass schwankende Eigenschaften des Ausgangsmaterials sich z. T. erheblich auf die Leistungscharakteristik des Endproduktes auswirken. Diese Unterschiede sind zum größten Teil wachstums- und erntebedingt und somit sowohl von Klimafaktoren als auch von kurzfristigen und nicht beherrschbaren Wetterfluktuationen im Anbaugebiet beeinflusst. Besonders kritisch sind diese Einflüsse während der Tauröste.
Um dieses Problem zu umgehen, wurde Mitte der 1990er-Jahre das Ultraschallverfahren als Ersatz der Tauröste entwickelt, bei dem durch einen Aufschluss Begleitstoffe der Pflanzenfasern (Lignin, Pektin, Wachs, Kleb-, Duft- und Farbstoffe, sowie Staub, Bakterien und Pilzsporen) weitgehend entfernt werden. Die solchermaßen gereinigten Setralit-Fasern der zweiten Generation zeichneten sich gegenüber denen der ersten Generation durch ein deutlich engeres Eigenschaftsspektrum aus, was sie attraktiver für die industrielle Nutzung machte. In der Folge wurde eine Reihe von Setralit-Typen für unterschiedliche Endanwendungen entwickelt (Baustoff-, Kunststoff- und Papierindustrie). Ab 2005 wurden Bremsbeläge mit einer fibrillierten Setralit-Type angeboten, die anstelle von Aramidpulpe (Kevlar, Twaron u. a.) eingesetzt werden kann.
Die allgegenwärtigen politischen Diskussionen um Nachhaltigkeit, Schonung der natürlichen Ressourcen und Reduzierung von Treibhausgasen rücken die Setralit-Faser verstärkt in den Fokus neuer industrieller Anwendungen. Dabei bilden Biowerkstoffe, z. B. biologisch abbaubare und dauerhafte Biokunststoffe, naturfaserverstärkte (Bio-)Kunststoffe (NFK) und Wood-Plastic-Composites).
2 Herstellung
Die Herstellung von Setralit erfolgt zweistufig. In der ersten Stufe wird der Rohstoff einem wässrigen Ultraschallaufschluss unterworfen, anschließend gewaschen und getrocknet. In der zweiten Stufe wird die so aufbereitete Setralit-Faser je nach Endanwendung spezifisch weiterbehandelt. In der Regel ist dieser Schritt rein mechanisch (schneiden, mahlen, fibrillieren u. a.), kann jedoch mit einer thermischen oder chemischen Behandlung kombiniert werden. Unter Setralitverfahren wird die Kombination zweier (oder mehrerer) aufeinander folgender Verarbeitungsschritte verstanden. Durch den Aufschluss des Faserverbundes bleibt die Einzelfaser mit ihren grundlegenden physikalischen Eigenschaften erhalten, deshalb wird Setralit nach wie vor als Naturfaser bezeichnet. Durch Steuerung des Verfahrensparameter werden die Eigenschaften – in dem durch die Natur der Fasern vorgegebenen Rahmen – an die Erfordernisse des jeweiligen Endproduktes angepasst.
Als Ausgangsmaterial (Rohstoff) kommen prinzipiell alle Pflanzenfasern in Frage. Bevorzugt verarbeitet werden die Bastfasern von Einjahrespflanzen (Flachs, Hanf, Jute, Kenaf u. a.). Ebenfalls geeignet sind Stängelfasern mehrjähriger Pflanzen (Nessel, Ramie), Blattfasern (Sisal, Abaca, Cabuja, Curauá) sowie Samen- und Fruchtfasern (Baumwolle, Kapok, Kokos). Dagegen ist die Anwendung von Setralitverfahren auf Gräser (Bambus, Miscanthus, Bagasse, Getreide-, Reis-, Maisstroh) und Gehölze bisher nur ansatzweise erforscht.
Bei Bastfaserpflanzen werden die Setralitverfahren entweder auf das gebrochene trockene Stroh (mechanischer Faseraufschluss) angewandt oder auf die bereits vorentholzten Fasern (Langfasern, Werg). Im ersten Fall müssen nach dem Ultraschallaufschluss die Fasern von den nichtfaserigen Bestandteilen (Schäben) mechanisch getrennt werden. Als Nebenprodukt fallen gereinigte Schäben an, die als Rohstoff für Naturfaserpulver dienen. Schäben können mit Hilfe modifizierter Setralitverfahren jedoch auch separat verarbeitet werden.
3 Eigenschaften
Die Setralit-Fasern unterscheiden sich in ihren technischen Eigenschaften z. T. erheblich von den pflanzlichen Rohfasern, aus denen sie gewonnen werden. Das grundlegende unterscheidende Merkmal von Setralit im Vergleich zu einer konventionell gewonnenen Naturfaser ist, dass sie durch die standardisierbaren Bearbeitungsprozesse reproduzierbare technische Eigenschaften erhält. Während die konventionellen Naturfasern im Wesentlichen die Qualitätsschwankungen des Ausgangsmaterials widerspiegeln, werden diese Schwankungen beim Ultraschallaufschluss nivelliert.
Weitere unterscheidende Merkmale sind:
- hohe Reinheit,
- hellere Farbe,
- größere Temperaturbeständigkeit,
- maßgeschneiderte und konstante Qualität,
- rasche, hohe und gleichmäßige Wasseraufnahme.
Die verschiedenen, meist mechanischen Veredlungsschritte der zweiten Stufe führen zu einer Reihe definierter Setralit-Typen, die sich sowohl im Aussehen als auch in ihren technischen Merkmalen unterscheiden. Diese Merkmale sind bestimmend für die mögliche Verwendung der jeweiligen Setralit-Type.
3.1 Die Spezifikation einer fibrillierten Naturfaser am Beispiel NFU/31-2
Setralit NFU/31-2 ist eine gereinigte und fibrillierte Naturfaser-Pulpe.
Die Kenndaten sind Mittelwerte (individuelle Stichproben liegen im angegebenen Bereich) | ||
Eigenschaft | Mittelwert | Bereich |
Dichte (g/cm³) | 1,35 | 1,25–1,45 |
Mittlere Länge der Verstärkungsfasern (mm) | 2,5 | 1,00–5,00 |
Spezifische Oberfläche nach Blaine-Dyckerhoff*1
(cm²/g) || 9500 || 7000–12000 | ||
Feuchtigkeit (%): Infrarot-Waage, 2 g, 30 min bei 110 °C | 4 | 2,8–5,8 |
Schüttvolumen (ml/100g) | 3500 | 2000–5000 |
Stampfvolumen (ml/100g: 5000 Hübe mit 100 g Belastung) | 1400 | 800–2000 |
Glühverlust | 98,7 | 98,2–99,2 |
Glührückstand (%: 2 g, 2 h bei 800 °C) | 1,3 | 0,8–1,8 |
Fibrillenanteil*2
(Gewichts-%) || 25 || 10–50 |
- Anmerkungen:
Die mechanischen Festigkeitswerte der Setralit-Fasern entsprechen denen des Ausgangsmaterials (z. B. bei Flachs-, Hanf-, Ramiefasern). Der Ultraschallaufschluss führt nicht zu einer Faserschädigung, so dass Festigkeitsverluste allein auf die mechanische Beanspruchung während der zweiten Verarbeitungsstufe zurückzuführen sind.
3.2 Vergleich fibrillierte Naturfaser – Aramid-Pulpe
(Einsatz: Bremsbeläge) Eigenschaften einer fibrillierten Setralit-Faser im Vergleich zu einer fibrillierten synthetischen Hochleistungsfaser (Aramidpulpe):
Naturfaser-Pulpe | Aramid-Pulpe | |
---|---|---|
Markenbezeichnung | Setralit | Twaron, Kevlar u. a. |
Standardtype | Setralit NfU/31-2 | Twaron 1095 |
Ausgangsmaterial | Pflanzenfaser | Erdöl |
Gewinnung | Ultraschallbehandlung | chemische Synthese |
Fibrillierung | mechanisch | mechanisch |
Eigenschaften, allgemein | Setralit | Twaron |
Farbe | weiß | gelb |
Dichte [g/cm³] | 1,25–1,451 | 1,442
|
Dicke der Stammfaser [µm] | 15–201 | 132
|
Reißfestigkeit [N/tex] | 0,5a | 1,92
|
1,2b | ||
Zugfestigkeit [Gpa] | 2b | 2,76–3,152
|
0,25–0,39a | 2,83
| |
E-Modul [Gpa] | 85b | 60–902
|
12–26a | 803
| |
Bruchdehnung [%] | 2,4b | 3,42
|
1,3–2,8a | 3,33
| |
Zersetzungstemperatur [°C] | 270c | 500c
|
4503
| ||
Typenabhängige Eigenschaften | Setralit | Twaron |
mittlere Faserlänge der Stammfaser, gewichtet [µm] | 75001 | 900–19003
|
Fibrillenanteil [%] d | ~251 | ~251
|
spezifische Oberfläche [cm²/g] | 10000 (BD)1 | 5–8 m²/g (BET)3
|
Feuchtigkeit [%] | 71 | 4–83
|
qualitatives Verhalten | Setralit | Twaron |
Verhalten gegen Wasser | hydrophil | hydrophob |
Benetzbarkeit | hoch | gering |
elektrostatische Aufladung | gering | hoch |
Toxikologie | unbedenklich | bedenklich |
Entsorgung | kompostierbar | Sondermüll |
4 Anwendungen
Setralit ist als Rohmaterial für industrielle Fertigungen vielseitig einsetzbar. In technisch anspruchsvollen Anwendungen (z. B. Reibbeläge) können teurere Kunstfasern (z. B. Aramide) ersetzt werden. Daneben kann Setralit entweder zu einem Faserverbundwerkstoff (Halbzeug, Compound) oder direkt in Endprodukten (faserverstärkte Baustoffe, Dichtungen, Vliese u. a.) verarbeitet werden. Bremsbeläge stellen heute die Hauptanwendung für Setralit dar. Bremsbeläge in Fahrzeugen werden aus vielen sehr unterschiedlichen Komponenten hergestellt, darunter temperaturresistente Kunst- bzw. Naturharze, Festschmierstoffe, Füllstoffe, Metalle und Fasern und können Setralit-Fasern enthalten. Haupteinsatzgebiet dieser Bremsbeläge sind Europa, Nordamerika und Japan, dicht gefolgt von den aufstrebenden asiatischen Märkten Indien und China. Obwohl asbesthaltige Reibbeläge seit 1989 in der EU verboten sind, lassen sich heute noch in Bereichen, wo viel gebremst wird (Kreuzungen, Autobahnausfahrten, Landebahnen, Bahnhöfe), erhöhte Asbestkonzentrationen nachweisen.
- Bausektor: Putz, Trockenmörtel, Faserzement, Beton, Gips, Estrich, Kalksandstein, Gipskarton, Dämmstoffe, Dämmplatten, Dispersionsfarben.
- Kunststoffe: Faser-Matrix-Halbzeug, Prepreg, SMC, BMC, Spritzguss, Formteile, faserverstärkte Kunststoffe, insbesondere Biopolymere.
- Textilien: Bekleidung, Heimtextilien, Industrietextilien, Geotextilien, Filter, Spunlace Vliese, Medizin- und Hygieneartikel.
- Chemische Industrie: Dichtungen, Filtriermittel, Füllstoffe, Thixotropiermittel, Bitumen, Gummi, Poliermittel, Kitte, Spachtel, Klebstoff.
- Papier: Technische Papiere, Kartonagen, Spezialpapiere.
- Sonstige Anwendungen (speziell für Schäben und andere Nebenprodukte): Tierstreu, Schüttgüter, Tierfutter (Pektin u. a.), Biogas, Energiegewinnung.
Faserlänge der technischen Setralit-Fasern und generelle Anwendungsrichtung stehen in folgendem Zusammenhang:
- Langfaser > 100 mm – textile Anwendungen
- Garne, Gewebe, Vliese (z. B. Wärmedämmvliese[2])
- Kurzfaser 0,5–10 mm – Armierungsfaser, textile Kurzfaser
- Prozessfaser < 1 mm
- Verbesserung von Verarbeitungsprozessen (z. B. Bremsbeläge[3])
5 Gesundheitliche Risiken
Setralitfasern und deren Stäube können, wie alle Zellulosefasern, aufgrund der glykosidischen Bindung der Art β1→4 nicht von Säugetieren abgebaut werden.[4] Je nach Reinigungsprozess kommen zudem unterschiedliche Mengen an verbliebenen pflanzlichen und bakteriellen Antigenen aus dem Ausgangsmaterial vor.[5] Häufiges Einatmen der Stäube von Zellulosefasern führt zu einer Bioakkumulation in der Lunge, die sich in dem Krankheitsbild der Byssinose äußern kann.[6][7][8]
6 Siehe auch
7 Weblinks
- ECCO-Setralit mit Eingang zu allen Spezialseiten
8 Einzelnachweise
- ↑ For Man and Environment. In: Technology News International, Dezember 1990
- ↑ Hanf – Stiefkind oder Tausendsassa. In: tun 9404 Umwelt – Natur – Gesundheit, 1995
- ↑ 3,0 3,1 3,2 Flachs, Hanf – Werkstoffe aus der Natur. In: Form 148, Zeitschrift für Gestaltung, 1994
- ↑ Jeremy M. Berg, John L. Tymoczko, Lubert Stryer: Stryer Biochemie. 6. Auflage, Spektrum Akademischer Verlag, München 2007. ISBN 978-3-8274-1800-5.
- ↑ V. Castranova, D. G. Frazer, L. K. Manley, R. D. Dey: Pulmonary alterations associated with inhalation of occupational and environmental irritants. In: Int Immunopharmacol. (2002), Band 2(2–3), S. 163–172. PMID 11811921.
- ↑ E. Tátrai, M. Brozik, Z. Adamis, K. Merétey, G. Ungváry: In vivo pulmonary toxicity of cellulose in rats. In: J Appl Toxicol. (1996), Band 16(2), S. 129–135. PMID 8935786.
- ↑ L. Rushton: Occupational causes of chronic obstructive pulmonary disease. In: Rev Environ Health (2007), Band 22(3), S. 195–212. PMID 18078004.
- ↑ D. C. Christiani, X. R. Wang: Respiratory effects of long-term exposure to cotton dust. In: Curr Opin Pulm Med. (2003), Band 9(2), S. 151–155. PMID 12574696.
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