An Wasserflüssen Babylon

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An Wasserflüssen Babylon ist der aus den Anfangsworten gebildete Name eines Chorals der Reformationszeit und seiner Melodie. Während der deutsche Text heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist, ist die Melodie bis heute durch Orgelstücke und mit dem Text des Paul-Gerhardt-Chorals Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld (Evangelisches Gesangbuch (EG) Nr. 83 verbreitet. Es gibt eine moderne englische Fassung von Frank Farian mit dem Titel Rivers of Babylon aus dem Jahr 1978, mit der die deutsche Disco-Gruppe Boney M. bekannt wurde.

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1 Choral

Der Choral ist eine textnahe Paraphrase des Psalms 137.[1] Er erschien zuerst 1525 in Straßburg in der heute verlorenen Schrift Das dritt theil Straßburger kirchen ampt. Das Buch enthielt, nach den Vorgaben Martin Bucers, neben einer Agende lediglich metrische Psalmen als Kirchenlieder. Als Autor von Text und Melodie gilt der Organist Wolfgang Dachstein. Das Lied fand schnell Anklang: 1531 erschien es in einem Nürnberger Gesangbuch, und 1545 nahm Martin Luther das Lied in sein sogenanntes Babstsches Gesangbuch auf. Von da aus wurde es zunächst in fast alle deutschen Gesangbücher übernommen. Georg Rau schuf 1544 zwei mehrstimmige Bearbeitungen für seine Sammlung Neue Deutsche Geistliche Gesänge für die gemeinen Schulen.[2] Miles Coverdale sorgte schon früh eine englische Übersetzung.[3]

1.1 Text

1. An Wasserflüssen Babylon,
    Da sassen wir mit Schmerzen;
    Als wir gedachten an Sion,
    Da weinten wir von Herzen;
    Wir hingen auf mit schwerem Mut
    Die Orgeln und die Harfen gut
    An ihre Bäum der Weiden,
    Die drinnen sind in ihrem Land,
    Da mussten wir viel Schmach und Schand
    Täglich von ihnen leiden.

2. Die uns gefangen hielten lang
    So hart an selben Orten
    Begehrten von uns ein Gesang
    Mit gar spöttlichen Worten
    Und suchten in der Traurigkeit
    Ein fröhlichn Gsang in unserm Leid
    Ach lieber tut uns singen
    Ein Lobgesang, ein Liedlein schon
    Von den Gedichten aus Zion,
    Das fröhlich tut erklingen.

3. Wie sollen wir in solchem Zwang
    Und Elend, jetzt vorhanden,
    Dem Herren singen ein Gesang
    Sogar in fremden Landen ?
    Jerusalem, vergiss ich dein,
    So wolle Gott, der G'rechte, mein
    Vergessen in meim Leben,
    Wenn ich nicht dein bleib eingedenk
    Mein Zunge sich oben ane häng
    Und bleib am Rachen kleben.

4. Ja, wenn ich nicht mit ganzem Fleiss,
    Jerusalem, dich ehre,
    Im Anfang meiner Freude Preis
    Von jetzt und immermehre,
    Gedenk der Kinder Edom sehr,
    Am Tag Jerusalem, o Herr,
    Die in der Bosheit sprechen:
    Reiss ab, reiss ab zu aller Stund,
    Vertilg sie gar bis auf den Grund,
    Den Boden wolln wir brechen!
 
5. Die schnöde Tochter Babylon,
    Zerbrochen und zerstöret,
    Wohl dem, der wird dir gebn den Lohn
    Und dir, das wiederkehret,
    Dein Übermut und Schalkheit gross,
    Und misst dir auch mit solchem Mass,
    Wie du uns hast gemessen;
    Wohl dem, der deine Kinder klein
    Erfasst und schlägt sie an ein Stein,
    Damit dein wird vergessen![4]

1.2 Verwendung

Eine frühe Überschrift verdeutlicht, wie die reformatorisch gesinnte Kreise ihre Situation mit der des Psalms identifizierten: Ein Klag und Gelübdpsalm über die Unterdrückung des wahren Gottesdienstes von den gottlosen Tyrannen und ernste Begierde, den wahren Gottesdienst wieder anzurichten.[5]

In evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts wurde der Choral dann dem Proprium des 10. Sonntags nach Trinitatis zugeordnet. Dieser Israelsonntag gedenkt in besonderer Weise des Volkes Israel und der Zerstörung des Tempels.

Eine besondere Verwendung erfuhr der Choral in Magdeburg:

„Nach der grausamen Zerstörung unserer Stadt Magdeburg am 10. Mai 1631 (durch Tilly), welche wohl schrecklicher ist denn die von Troja und Jerusalem, ordnete der hohe Rath im Einverständniß mit den Geistlichen an, daß jedes Jahr an diesem Tag ein feierliches Klag-, Buß-, Bet- und Dankfest soll gehalten werden, wobei dieses so großen Jammers nimmermehr vergessen werden sollte. An diesem Gedächtnißtage stellt sich die Gemeinde in großer Zahl, wie billig, im Hause Gottes ein, demüthige Gebete werden dem Herrn vorgetragen, und dann singt die Gemeinde den tief wehmüthigen Psalm 137 von Wolfgang Dachstein mit seiner herrlichen Melodie. Eine entsprechende Predigt schließt sich an, und so geht dieser Gottesdienst nicht ohne viele reichliche Thränen, wie bei Israel, zu Ende."[6]

Im Laufe des 18. jahrundert verschwand jedoch der Text aus den Gesangbüchern. Das Lied mit nicht wenigen ungelenken Stellen, und ohne die volle Neutestamentliche Verklärung[7] kehrte auch später und bis heute nicht in diese zurück.

Das galt jedoch nicht für die Melodie mit ihrem charakteristischen pentatonischen Motiv[8], die mit 84 Tönen zu den umfangreichsten Kirchenliedmelodien gehört. Schon bald nach ihrer Entstehung wurde sie als melodia suavissima (lat.: süsseste Melodie) gerühmt. Im 17. Jahrhundert wurden eine ganze Reihe von Texten im Thon: An Wasserflüssen gedichtet.[9]

2 Orgelmusik

Die im 17. Jahrhundert verbreitete und beliebte Melodie diente einer ganzen Reihe von Orgelstücken als Grundlage. Eins der bekanntesten und wirkungsgeschichtlich bedeutendsten ist eine Choral-Fantasie des Hamburger Organisten Johann Adam Reincken. Sie umfasst 320 Takte; eine Aufführung dauert ca. 19 Minuten. Jede Zeile ist verschiedenartig durchkomponiert, und Reincken verwendet balle Stilmittel der Norddeutschen Orgelschule. Reinckens Ruf veranlasste den jungen Johann Sebastian Bach während seines Lüneburger Aufenthalts, ihn 1701 in Hamburg zu besuchen, um sich im Orgelspiel bei ihm ausbilden zu lassen. Bach war zutiefst von Reinckens Improvisationen über den Choral „An Wasserflüssen Babylon“ beeindruckt. Erst 2005 wurde in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek eine eigenhändige Abschrift Bachs aus dieser Zeit von Reinckens An Wasserflüssen Babylon entdeckt.

Später, in seiner Köthener Zeit, kam Johann Sebastian Bach 1720 noch einmal nach Hamburg, um sich um die Organistenstelle an St. Jakobi zu bewerben. In diesem Zusammenhang spielte er auf der Orgel der Katharinenkirche zwei Stunden lang. Auf Verlangen der Zuhörer soll er fast eine halbe Stunde lang über An Wasserflüssen Babylon improvisiert haben, was den greisen Reincken[10] zu dem Lob vernlasste: Ich dachte, diese Kunst wäre gestorben; ich sehe aber, daß sie in Ihnen noch lebet.[11]

Ein Zusammenhang dieses Besuchs mit Bachs eigener Fassung des Chorals, dem dritten der Achtzehn Choräle (BWV 653), wurde in der Bachforschung früher angenommen, wird aber heute eher bezweifelt.[12] Ursprünglich fünfstimmig und mit Doppelpedal, überarbeitete Bach sie wohl schon in Weimar zu einer leichter zu spielenden vierstimmigen Fassung. Diese Fassung revidierte er nochmals und erweiterte sie um sechs Takte mit einem erneuten Einsatz der ersten Choralzeile für die Veröffentlichung.[13] Eine Chorfassung findet sich in den Vierstimmigen Choralsätzen (BWV 267).

3 Literatur

  • Elke Axmacher/Michael Fischer: Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld, In: Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch, Heft 5, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2002, ISBN 3-525-50326-1, S. 60-70, zur Melodie S. 69-70
  • Eduard Emil Koch: Geschichte des Kirchenlieds und Kirchengesangs der christlichen, insbesondere der deutschen evangelischen Kirche. Band 8: Zweiter Haupttheil: Die Lieder und Weisen. 3. Auflage, neu bearbeitet von Richard Lauxmann. Stuttgart: Belser 1876 (Digitalisat), S. 526-528

4 Weblinks

5 Einzelnachweise

  1. siehe Ps 137 EU
  2. nach Fischer (Lit.), S. 70
  3. Charles Sanford Terry: Bach’s Chorals. Part III: The Hymns and Hymn Melodies of the Organ Works. Vol. 3.
  4. Modernisierte Rechtschreibung, für wortgetreue Edition siehe Philipp Wackernagel: Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des 17. Jahrhunderts Band III (Digitalsiat), Nr. 135
  5. Koch (Lit.), S. 527
  6. Koch (Lit.) S. 127
  7. Koch (Lit.), S. 528
  8. Fischer (Lit), S. 70
  9. Siehe das VD 17
  10. in den Berichten wird er als fast hundertjährig beschrieben; das aber beruht auf der inzwischen als falsch erkannten Darstellung des Geburtsjahres bei Johann Mattheson; tatsächlich war Reincken 77 Jahre alt.
  11. Bach-Dokumente, hrsg. vom Bach-Archiv Leipzig, Band 3, Leipzig 1972, S. 84.
  12. Martin Geck: Bach. Leben un Werk. Reinbek: Rowohlt 2000, ISBN 3-498-02483-3, S. 555
  13. Konrad Küster (Hrsg.) Bach-Handbuch. Kassel: Bärenreiter/Metzler 1999 ISBN 3-7618-2000-3, S. 576.


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