Spätmittelalterliche Agrarkrise

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Als Spätmittelalterliche Agrarkrise bezeichnet man eine Theorie zur Konjunkturkrise der europäischen Landwirtschaft im 14. und 15. Jahrhundert. Diese Theorie beruht großteils auf den Überlegungen des deutschen Wirtschaftshistorikers Wilhelm Abel und dessen Veröffentlichungen in den 1930er Jahren. Abel definierte die spätmittelalterliche Agrarkrise als Häufung von ländlich-landwirtschaftlichen Notständen. Diese äußerten sich laut Abel in Form von verlassenen Höfen und Häusern, rückgängigem Getreideanbau, abfallenden Grundrenten und im langfristigen Missverhältnis zwischen Erlös und Kosten des Landbaues.

Die Bevölkerung hatte sich zwischen dem 10. und 14. Jahrhundert etwa verdoppelt.[1] Laut Abels Theorie führte das starke Bevölkerungswachstum zu einer erhöhten Getreidenachfrage. Durch diese erhöhte Nachfrage stiegen die Getreidepreise, was wiederum die Erschließung bisher ertragsschwacher Ackerflächen rentabel machte. Um ca. 1300 wurden deshalb auch minderwertige Böden bearbeitet, welche nur in normalen oder guten Erntejahren ausreichende Erträge abwarfen und sich nach wenigen Jahren erschöpften.[2]. In den Jahren 1315 bis 1317 kam es zu mehreren Missernten, welche Hungersnöte und somit auch einen starken Bevölkerungsrückgang, Landfluchten und Wüstungen mit sich brachten. Zudem wurde der Bevölkerungsrückgang durch die Pest, die Mitte des 14. Jahrhunderts in ganz Europa ausbrach, verschärft. Insgesamt sank die Bevölkerung zu dieser Zeit um gut ein Drittel. Durch diesen Bevölkerungsrückgang brach die Getreidenachfrage drastisch ein. Da zuerst die ertragsärmeren Böden aufgegeben wurden, sank das Angebot nicht in gleichem Maße, wodurch es zu einem Preisverfall für Getreide kam. Gleichzeitig entstand infolge des Bevölkerungsrückgangs ein Arbeitskräftemangel, der die Reallöhne ansteigen ließ. So entstand zwischen den Getreidepreisen und Löhnen eine dramatische Preisschere, welche laut Abel die Landwirtschaft unrentabler machte.

Infolge der Agrarkrise entwickelten sich andere Wirtschaftszweig. Die vergleichsweise niedrigen Lebenshaltungskosten ermöglichten den Erwerb anderer Güter. Dadurch stieg die Nachfrage nach Handwerksprodukten aller Art, deren Angebot jedoch aufgrund des Arbeitskräftemangels überschaubar blieb. Zwar stiegen aufgrund der erhöhten Nachfrage die Löhne der verbliebenen Arbeitskräfte, gleichzeitig sanken jedoch die Einkommen der Bauern drastisch. Die gesteigerte Nachfrage und die steigenden Löhne verursachten eine Inflation. Die Landwirtschaft musste sich der geänderten Nachfrage anpassen, sodass sie ihre Produktion umstellen musste. So breitete sich beispielsweise in Gebieten mit weniger ertragreichen Böden die Viehwirtschaft aus. Innerhalb der mittelalterlichen Städte hatte die Agrarkrise jedoch kaum Auswirkungen. Dem Landadel hingegen schadete die Agrarkrise zum Teil enorm, da die niedrigen Getreidepreise und die Landflucht der Bauern die wirtschaftliche Basis des Adels unterhöhlten. Am schlimmsten traf es laut Abel den Ritterstand, der noch recht unmittelbar von seinen Gütern lebte und einen großen Rückgang seiner Einnahmen erfuhr. Um den Einkommensverlust zu kompensieren, erhöhte der Ritterstand teilweise die Abgabenlast, was zur Verschärfung der Krise und zu erhöhter Konfliktbereitschaft der Bauern führte. Auch bezüglich der mittelalterlichen Deutschen Ostsiedlung wird ein Zusammenhang mit der Agrarkrise vermutet.

1 Kritik

Der von Abel hergestellte Zusammenhang zwischen Pest und Siedlungsaufgabe wurde kritisiert. Der Historiker Josef Dolle bemängelte, dass dieser Zusammenhang weder zeitlich noch ursächlich nachgewiesen sei.[3] Zusätzlich bemerkte Dolle, dass die Situation des Adels zu dieser Zeit wesentlich differenzierter war, als es Abel darstellt und somit von einer Krise des Adels nicht die Rede sein konnte. Zudem wurde darauf hingewiesen, dass Abel die regionalen Unterschiede in der Konjunkturentwicklung zu wenig beachtet habe.[4]

2 Vergleich zu Wikipedia




3 Einzelnachweise

  1. Harald Müller: Mittelalter, Akademie Verlag, Berlin 2008, S. 55.
  2. Josef Dolle: Zu der Theorie einer ‚spätmittelalterlichen Agrarkrise‘. Eine kritische Untersuchung am Beispiel des Altkreises Göttingen. In: Göttinger Jahrbuch Bd. 42, 1994, S. 55.
  3. Josef Dolle: Zu der Theorie einer "spätmittelalterlichen Agrarkrise". Eine kritische Untersuchung am Beispiel des Altkreises Göttingen. In: Göttinger Jahrbuch Bd. 42, 1994, S. 57.
  4. Werner Rösener: Agrarwirtschaft, Agrarverfassung und ländliche Gesellschaft im Mittelalter" (Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 13), Oldenbourg, München 1992, S. 102.

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