Paarsynthese

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Paarsynthese bezeichnet im umfassenden Sinn eine psychologische Beziehungs- und Liebeslehre. Im engeren Sinn ist sie ein dynamisches Paartherapiekonzept, das aus der Synthese verschiedener klassischer Therapiemethoden hohe Effektivität bei der Behandlung und Entwicklung von Beziehungs- und Liebesfähigkeit bereitstellt. Aus der Verbindung von Psychologie, therapeutischer Praxis und spirituellem Lernen entsteht ein lebendiges Modell für Partnerschaft, Liebe und Erotik. Innerseelische, paardynamische und umweltrelevante Kräfte werden in ständiger Wechselwirkung zu einem heilsamen Handlungskonzept verbunden.


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1 Geschichte

Paarsynthese wurde seit 1975 von Michael Cöllen und Mitarbeitern zunächst als therapeutische Behandlung von Paaren, dann auch zur Einzel-, Familien- und Gruppentherapie, heute darüber hinaus generell zur Erwachsenenbildung und Familienpädagogik, weiterentwickelt. Sie wird in Form von Einzelseminaren, Basiscurricula und berufsbegleitend als 4jährige therapeutische Weiterbildung gelehrt und im klinischen Bereich, in therapeutischer und ärztlicher Praxis, in verschiedenen Beratungsfeldern und der Betriebsführung angewandt. In der über 30-jährigen Entwicklungszeit wurde außerdem intensiv nach den Bedingungen und Regeln einer konstruktiven Paardynamik und deren Übertragbarkeit auf andere soziale Systeme geforscht. Die Ergebnisse führten zur Entwicklung eines umfassenden Konzeptes: „Liebe als Lernmodell“.

2 Grundannahmen

Die Paarsynthese entwirft eine Lehre vom Menschen, die das Menschsein aus den Gesetzen der Polarität von Frau und Mann ableitet (dyadische Anthropologie) und daraus zentrale Grundannahmen gewinnt: Das Paar* ist Ausgang aller Menschlichkeit und bildet die Grundform humaner Existenz: Identität wird durch Intimität, Individuation in der Bindung gewonnen, Menschwerdung vollzieht sich in Partnerschaft. Liebe als menschliche Seinsform ist Mikrokosmos im Makrokosmos. Das Paar als kleinstes soziales System ist mit derselben Dynamik ausgestattet wie das Ganze. Liebe und Intimität sind notwendiges privates und öffentliches Gut, unerlässlich zur Ganzwerdung und damit zur Heilung von Mensch und Gesellschaft[1]. Wir Menschen verstehen uns per se als Wesen, die in Beziehung zueinander und miteinander leben. Die Liebe ist die intensivste Lebensform von Beziehung, weil sie uns Menschen total erfasst in der Einheit von Körper, Geist und Seele. Intimität zwischen Partnern vollzieht diesen Austausch und bewirkt gegenseitige Vervollständigung. Sehnsucht und Fähigkeit zu lieben sind in jedem von uns angelegt, deren Entfaltung und Vertiefung sind aber ein lebenslanger Lernprozess. (Hier und im Folgenden sind hetero- und homosexuelle Paare gleichermaßen gemeint.)

3 Psychologie der Liebe bzw. des Paares

„Eine Psychologie der Liebe, hier eingegrenzt auf das Paar, versucht im Lebensraum des Paares wesentliche Erscheinungen, Prozesse, Regeln und Gesetze zu erkennen, die das Verhalten der Partner zueinander und das des Paares zu seiner Umwelt beschreiben und erklären“

Auf der Grundlage der „dyadischen Anthropologie“ unterscheidet die Paarsynthese fünf Merkmale oder Bausteine einer Psychologie der Liebe[2]

3.1 1. Baustein: Liebe als Energie

Datei:Paarmodell.jpg
Paarmodell in der Paarsynthese

Fragen stellen sich: Aus welchem Stoff ist Liebe? Was ist Liebe? Wie entsteht sie? Welche Dynamik kennzeichnet sie? Paarsynthese arbeitet zur Charakterisierung von Liebe mit dem Begriff der Energie, weil er wichtigste Vorgänge zwischen Liebenden verdeutlicht. Im fließenden Austausch dieser Energie kommt es zu gegenseitiger Formung und Deformierung, Aufladung, Entladung, Kraft und Wärme zwischen den Liebenden[3]. Durch die gemeinsame Entfaltung dieser Energie entsteht Verdichtung bis zu einem Höchstmaß von Entladung. Die Richtung dieser Entladung allerdings oszilliert zwischen Konstruktion und Destruktion. Die Steuerung dieses immensen Austausches verlangt, wie aller Umgang mit Energie, sensible Strategien: Jede Energie kann aufbauen, aber auch zerstören. Sie gedeiht nur nach den Regeln von Ökonomie und Ökologie. Die Umverteilung dieser Kräfte muss in ausgleichendem Verhältnis für die Liebenden stehen. Ohne auf Ressourcen zu achten, kommt es zu Erschöpfungs- und Zerstörungsvorgängen oder zur Ausbeutung eines der Partner. Die bildliche Vorstellung eines Atommodells erleichtert das Verstehen: Das Paar befindet sich im Zentrum und bewegt sich ständig zwischen den Polen der verschiedenen Lebenskräfte: Zwischen Körper und Seele, Alltag und Kosmos, Gesellschaft und Individuum, Zukunft und Vergangenheit, Hingabe und Trennung, Schöpfung und Tod, Mann und Frau. Das Paar bildet ein polares Energiezentrum. Diese Vielfalt der Liebesenergie aber erst einmal zu ordnen, in ihren Vernetzungen darzustellen und ihre Dynamik zu erklären, ist Voraussetzung für den konstruktiven Umgang damit. Dies wird im zweiten Wesensmerkmal von Liebe erfüllt – durch Polarität.

3.2 2. Baustein: Liebe als Polarität

Datei:Liebes-Konfliktdynamik.png
Liebes- und Konfliktdynamik

Hier steht am Anfang die Frage, welche Regeln, Gesetzmäßigkeiten oder Strukturen die Liebe ausmachen. Die oben genannten sieben Grundpolaritäten sind das Ergebnis aus den Untersuchungen zur Paarsynthese. Sie erfassen die am häufigsten genannten Aspekte der Paardynamik. Diese Gegensätzlichkeiten, die damit verbundenen Ambivalenzen und zyklischen Veränderungen führen das Paar oft in die Zerreißprobe.

Wie aus dem Tao hervorgeht, tragen alle Lebenskräfte auch einen Kern des Gegenpols in sich. Sie treten niemals in absoluter Reinheit auf. Vom Wesen her können sie nur in dieser Einheit mit dem entgegengesetzten Pol existieren[4]. Damit scheinen die Strukturen im Hintergrund auf, verdeutlicht am Atommodell: Die Energievorgänge sind in das Ganze einzuordnen und das Paar ist Teil des Ganzen. Polarität ist ein im ganzen Universum allgemeingültiges Ordnungsgesetz. Danach sind alle Kräfte des Lebens und des Universums immer in ihrer jeweils gegensätzlichen bzw. polaren Anordnung in einem Kreisganzen zu sehen. In dessen Zentrum, nämlich im Brennpunkt aller Kräfte, lebt das Paar. In der Dynamik des Paares bündeln sich somit alle Gegensätze und heben sich doch wieder auf. Die Lehre von der Einheit der Gegensätze gilt gerade und besonders auch für die Liebesdynamik des Paares. Mit den polar angeordneten Liebeskräften verfügt das Paar über einen sehr geordneten Lebensraum. Er zeigt nämlich die gleichberechtigte Beziehung aller Lebenspole zueinander, ihr spannungsgeladenes Wirken durch deren Gegensätze, drittens die rhythmische Abfolge der Bedürfnisse, viertens das Ausmaß an Intimität in der Überschneidung der Bedürfnisse von Frau und Mann und fünftens schließlich die mögliche Störung des Paares durch zu unterschiedliche Umsetzung dieser Lebenskräfte.

3.3 3. Baustein: Liebe im Zyklus

Datei:Paarzyklen.png
Paarzyklen und Krisenanfälligkeit

Jetzt stellt sich die Frage, wie sich diese Lebenskräfte des Paares einander zuordnen, sich gegenseitig beeinflussen, wie die Partner sich darin begegnen oder unterscheiden. Der gesamte Liebes- und Lebenszyklus eines Paares unterteilt sich in fünf Paarzyklen. Paare durchlaufen in ihrer Liebes- und Konfliktdynamik Prozesse, die sich nach dem „Paar-Alter“ ordnen lassen. Alte Bedürfnisse treten in den Hintergrund, neue treten in den Vordergrund. Alle Liebenden sind dem Rhythmus dieser Zyklen unterworfen. Sie lauten: Hingabe, Aufbau, Lebensmitte, Altern, Neue Zweisamkeit. Kein Paar kann an einem Zyklus festhalten, die Lebensdynamik fließt weiter. Jeweils an der Schwelle zum nächsten Zyklus geraten die Paare in teils schwere Krisen, da sich Ziele und Formen der Liebe jeweils ändern. Die Partnerwahl, die während der vorangegangenen Zeit für die anstehende Entwicklungsperiode stimmig war, wird überprüft und durch teils heftige Auseinandersetzung in Übereinstimmung mit den veränderten Lebenszielen gebracht. Gelingt das nicht, weichen manche aus in Erstarrung oder Seitenbeziehung, trennen sich.

Hier wird bewusst von Zyklen gesprochen, weil mit diesem Begriff gekennzeichnet wird, dass es sich dabei nicht um scharf abgetrennte Lebensprozesse handelt. Vielmehr greifen sie ineinander, überschneiden sich und können auch von Zeit zu Zeit wieder fast von vorn beginnen. So kann ein Paar im Zyklus des Alterns durch neue und tiefe Auseinandersetzung zumindest zeitweilig wieder in den Rausch der jungen Jahre finden.

3.4 4. Baustein: Intimität und Liebe – die fünf Dialogsäulen

Hier tritt die Frage in den Vordergrund, in welchem Medium die Liebe ihre Verwirklichung findet und zwischen den Liebenden ausgetragen wird. Abstrakt ausgedrückt, vollzieht sich Liebe durch Intimität. Intimität meint den realen Vollzug im Austausch von Körper, Geist und Seele. Untersuchungen zur Paarsynthese zeigen, dass die entsprechende Vielfalt von Worten, Signalen, Gefühlen, Fragen, Suchen und Gesten, die dem intimen Dialog eigen sind, sich in fünf große Gruppen einteilen lassen. Sie werden als Dialogsäulen bezeichnet und unterteilen sich in: Körperdialog, Gefühlsdialog, Sprachdialog, Sinndialog und Zeitdialog[5]. Je intensiver sich das Paar auf allen Dialogebenen austauscht desto tiefer wird die Intimität erlebt. Diese Grunddialoge bilden die realen Austauschebenen von Liebe und dienen somit als Säulen der Partnerschaft. Sie werden zum Brennpunkt aller Zuneigung und Lust, aber auch aller Blockierungen und Streitigkeiten. Sie bilden die Waffen im Geschlechterkrieg, sie sind aber auch Zentrum des Glücksempfindens. Zwischen den Dialogformen muss es zu einem fließenden Gleichgewicht kommen. Überlastung oder Unterversorgung einer Säule schädigt die anderen. Die im Alltag der Paare häufig beklagte Verflachung der Intimität ist eine Folge der Ausdünnung dieser fünf Dialogformen. Umgekehrt ist Vertiefung des Empfindens, Aufbau von Paarsubstanz und Dynamisierung von Liebe dadurch möglich, dass der Austausch zwischen den Partnern gepflegt und geübt wird.

3.5 5. Baustein: Strategien der Liebe – die fünf Partnerstile

Datei:Partnerstile.png
Partnerstile der Paarsynthese

Zum Schluss stellt sich die Frage, mit welchem Steuerungsinstrument all die Energien, Einflüsse und Bedürfnisse von den Liebenden in die richtige Richtung gelenkt werden können. Sind die fünf Dialogsäulen der Austragungsort der Liebe, dann sind die fünf Partnerstile das Steuerungsinstrument der Liebe. Sie heißen: Intuition, Anpassung, Durchsetzung, Planung, Integration[6]. Auf welche Weise geliebt, gestritten und mit welchen Mitteln individuelle und gemeinsame Bedürfnisse befriedigt werden, entscheiden diese Partnerstile. Sie sind die persönlichen Instrumente zur Steuerung der Liebesdynamik. Erworben werden diese Partnerstile schon in der Kindheit, in Abhängigkeit vom Bindungsstil an Mutter und Vater[7][8]. Sie werden entwickelt als eine Art von Überlebensstrategie, geprägt von der jeweiligen Erziehungssituation. Was sich damals als erfolgreichste bzw. am wenigsten gefährliche Verhaltensweise bewährte wurde verinnerlicht und verkörpert, engrammartig in das eigene Verhalten fixiert. Jeder Mensch hat auf diese Weise einen bevorzugten Stil in seinem Leben herausgebildet, auf den er im Krisenfall wieder zurückgreift. Das tritt besonders in der Paarkrise ein. Partnerstile wirken wie eine persönliche Visitenkarte. Sie verbinden sich mit denen des Partners zu einer für das Paar sehr typischen Liebes- und Konfliktdynamik. Je nach Kompetenz des einzelnen Partners oder nach Bedrohung in der Konfliktdynamik werden diese hilfreich oder zerstörend eingesetzt. Im Streit wird daraus: Reaktanz, Manipulation, Projektion, Delegation und Dominanz. Ein Ziel der Paararbeit besteht darin, dass beide Partner durch Integrationsarbeit alle Partnerstile gleichermaßen erwerben, um so zu einer ausgewogenen Dialogkompetenz zu gelangen, nämlich stimmig zur jeweiligen Situation den adäquaten Partnerstil einsetzen zu können statt sich auf den fixierten Stil zurückzuziehen.

4 Methodik

Datei:Therapeutische Treppe in der Paarsynthese.jpg
Therapeutische Treppe in der Paarsynthese

Die Wirksamkeit der Paarsynthese beruht auf einer inneren Logik. Zentraler Gedanke ist, dass Lieben und Leben drei Dimensionen umfassen: das geschichtliche Gewordensein und die dazugehörige tiefenpsychologische Dimension jeder einzelnen Persönlichkeit; die dialogische Dimension im Hier und Jetzt zum Partner und zur Mitwelt; die feinstoffliche Dimension mit ihrer seelischen, spirituellen Verankerung. Um der Lebensvielfalt von Liebe und der Lebenswirklichkeit von Paaren gerecht zu werden, arbeitet Paarsynthese methoden- und schulenübergreifend. Dies geschieht auf der Basis eines überlegten Zusammenwirkens mehrerer klassischer Psychotherapieverfahren und sie ergänzender neuer und spezifisch paar-dynamisch wirkender Basistechniken. Insbesondere zu benennen sind: Gestalttherapie, aktive Tiefenpsychologie, Verhaltenstherapie, Tao und Tantra. Die Anwendung der Paarsynthese vollzieht sich in fünf Therapiezyklen:

4.1 1. Therapiezyklus: Paargestalt – Muster, Rituale, Strategien

Am Anfang jeder Paartherapie präsentieren die Partner sich mit ihrer je eigenen Wahrnehmung vom Partner, vom Paarkonflikt und ihrer eigenen Rolle dabei. Die Störungen im Kontakt und im Dialog des Paares werden überwiegend schuldhaft beim Anderen angesiedelt. Die Partner wollen nicht mehr einander verstehen, sondern selbst verstanden werden. Wichtiges Phänomen dabei: Die Art, wie die Streitenden ihr Recht auf Verstandenwerden einfordern, verhindert genau das. Die Partnerstile von Intuition, Anpassung, Durchsetzung und Planung führen nicht mehr in die Integration, sondern, wie oben erwähnt, zu Reaktanz, Manipulation, Projektion, Delegation und Dominanz. Oberste Leitlinie der Therapie: Die Partner wählen sich, um aneinander und miteinander zu wachsen, einander hilfreich herauszufordern und voneinander zu lernen. Diese Herausforderung wird aber infolge eigener Blockierungen oft nicht angenommen. Dann verkehrt sie sich ins Gegenteil: statt Heilung tritt Zerstörung ein. Die Liebe zeigt damit ebenso die Kraft zur Heilung wie zur Zerstörung[9]. Zu Beginn dieser Arbeit ist entscheidend, was die Partner jeweils als Liebe wahrnehmen und was als Kränkung. Passiv und aktiv Streitende, sie stellen sich ganz verschieden dar, und doch geht es um das gleiche Phänomen: Die Liebe wandelt sich um in Enttäuschung, schließlich in Aggression oder Depression. Emotion und Kognition finden nicht mehr zusammen, Geist und Seele sind blockiert im Austausch und tragen dies im Körperdialog aus. Schon den Andern anzusehen, wird oft vermieden, geschweige denn, ihn zu berühren. Die Kontaktgrenze zwischen ihnen wird jetzt unüberwindbar. Hilfreich und wichtig zu Beginn der Paararbeit sind Begegnungsübungen und Gefühlsexperimente anzubieten statt Wortgefechte und Anklagenduelle anzuhören. Das würde verstärkt zur Konditionierung dieser Negativmuster beitragen. Nicht Sachverhalte sind zu klären, sondern dahinter verborgene Gefühle. Die Streitmuster, nicht die Streitobjekte entscheiden. Am Schluss steht die Selbsterkenntnis, auf welche Weise beide jeweils am anderen zum Täter werden.

4.2 2. Therapiezyklus: Partnerwerdung - Ursache und Wirkung – Geschichten der Liebe

Jeder konstruiert seine eigene Wirklichkeit sprich Wahrheit über den Konflikt mit dem Partner. Der andere scheint der Täter. So gilt es jetzt, im zweiten Schritt der Paartherapie, Ursachen und Hintergründe für diese (Fehl-) Konstruktion zu finden, um so die Fehlwahrnehmung vom Partner in eine reale umzuwandeln.

Die Therapeuten lenken daher den Fokus nicht auf den vermeintlich schuldigen Partner, sondern suchen nach den Gründen für die entstellte Wahrnehmung vom Partner. Sie suchen nach Phänomenen und Mustern, die sich zwischen Kindheit und Partnerschaft wiederholen. Sie vergleichen Verletzungen, Defizite und Ängste von damals mit der Paardynamik heute. Sie überprüfen auf diese Weise die Wahrnehmung der Partner voneinander, aber besonders die Eigenwahrnehmung. Es kommt zur Selbsterfahrung darüber, was für ein Partner jeder geworden und auf welche Weise er zu solch einem Partner geworden ist. Diese Tiefenarbeit zeigt auf, welche Ahnenbotschaften und Altlasten die Betroffenen mit sich bringen. Gesucht wird danach, wie die einzelnen Partner die Liebe gelernt haben. Deutlich wird, auf welche Weise Eltern, Geschwister, Freunde, Lehrer, das Elternhaus, die Schule, andere Kinder, Erwachsene, Vorgesetzte und Autoritäten und frühe Beziehungen die eigene Seele ge- und verformt haben. Unauslöschliche Spuren, Verhaltensmuster und Partnerstile resultieren daraus. Sie prägen sich ein und bilden gleichsam Engramme, reflexartige Nervenbahnen. Besonders natürlich die intimen und engen Beziehungen der Kindheit konnten im negativen Fall Dauerschäden anrichten, da vom Kind her noch keine Abgrenzung möglich war. Die narzisstische Kränkung damals erzeugte bestimmte, starke Grundgefühle, nämlich: Angst, Aggression (Trotz), Kränkbarkeit, Scham, Selbstzweifel und Bedürftigkeit. Den verletzten kindlichen inneren Anteilen zum Ausdruck zu verhelfen, ihnen Bewusstsein und eine Sprache die inneren Empfindungen zu ermöglichen, das ist das Hauptziel dieses zweiten therapeutischen Schrittes in der Paartherapie[10]. Dann erst wird Selbstbefreiung möglich. Die bis dahin vorherrschende Selbsttäuschung wird aufgehoben. Die Arbeit konzentriert sich hier auf das Bergen und Nachnähren der verletzten kindlichen Anteile. Dies geschieht immer in Anwesenheit des Partners. Selbsttäuschung und das daraus resultierende Partnerbild werden durch den stets anwesenden Partner unmittelbar hinterfragt, mehr als jeder Therapeut das könnte. Die wechselnde Begleitung in die Tiefe der eigenen Geschichte verbindet die Partner auf besondere Weise zu einem Solidarpakt. Sie werden Entwicklungshelfer füreinander.

4.3 3. Therapiezyklus: Paardynamik - Der intime Dialog - Lernen von Liebe

Die bisherige Konfliktarbeit der Vergangenheit geht jetzt über in Konfliktarbeit mit dem Partner. Die Paardynamik ist immer noch davon gekennzeichnet, dass die Altlasten zunächst unbewusst, jetzt zunehmend bewusst, trotzdem weiter auf den Partner abgewälzt werden. Ging es zuvor um Selbstzweifel, Bedürftigkeit, Angst, Aggression und Scham, treten jetzt die Streitmuster in den Vordergrund. Defensives und offensives, passives und aktives, gehemmtes und ungehemmtes Streiten stehen häufig einander gegenüber. Natürlich gibt es auch Paare mit gleichem Streitverhalten, je nach Aufeinandertreffen ihrer Partnerstile[11]. Streit hat eine bestimmte Funktion. Er geschieht kaum zufällig, sondern dient bestimmten, meist verborgenen Zwecken. Hier herrschen, vereinfacht gesagt, zwei Tendenzen vor: Streit dient zum einen der Vermeidung von Intimität. Das klingt paradox, aber die Angst vor intimer Auslieferung, die wieder in die hilflose und heillose Abhängigkeit führen würde, wie sie früher zu den Eltern bestand, provoziert den Streit mit dem Partner. Das Öffnen der eigenen Grenzen ist so bedrohlich, dass der Partner viele Prüfungen bestehen muss, bevor er eingelassen werden kann. Streit dient zum anderen dazu, die Verantwortung für die eigene innere Unfriedlichkeit auf den Partner zu wälzen. Die eigenen Wunden verwunden nun den Partner. Gelingt eigene Reifung und inneres Wachstum nicht, wird der Partner dafür missbraucht, die Defizite im eigenen Selbst auszugleichen. Um aber Streiten aufzugeben, braucht es mehr als Einsicht und Verstehen.

Schon als Kinder bilden wir tiefsitzende Gewohnheitsreaktionen aus, die zu Reflexen werden. Diese Reaktionsmuster schleifen sich hirnphysiologisch ein und werden zu Engrammen (Embodiment). Allein der gute Wille und auch der Integrationsprozess in der Therapie reichen nicht aus, diese Reflexe abzulegen. Ein Training zur Verhaltensänderung ist nötig. Die soziale Herkunft und das soziale Umfeld sind zudem mit entscheidend darüber, welche Reichtümer oder Mangelzustände in die Liebe mitgebracht werden. Um eine neue Paarkultur entwickeln zu können müssen Tiefen, Anreichern, Entfalten, Üben und Lernen gleichermaßen in den Paarprozess mit eingeschlossen sein. Dabei sind es vor allem fünf Wege, die in der Arbeit zum Tragen kommen: Wahrnehmung, Tiefenarbeit, Dialog, Spiritualität und Kreativität. Dialog ist jetzt im dritten Zyklus der zentrale Weg, der alles andere miteinander verbindet.

Um der Besonderheit des Paares gerecht zu werden, wird mit dem intimen Dialog gearbeitet. Er umfasst die fünf Dialogsäulen die das Paar miteinander gestalten. Sie tragen die ganze Partnerschaft. Alle zusammen gleichzeitig auszutauschen, bedeutet höchste Intimität. Intimität ist der eigentliche und wesentliche Dialog des Paares. Der kritische Dialog ist hier mit eingeschlossen. In der Hier-und-Jetzt – Arbeit dieses dritten Zyklus wird der ganze Spannungsbogen des Paares ausgetragen. Alle Partnerstile werden dabei eingeübt: Intuition, Anpassen, Durchsetzen, Planen und Integration. Ebenso wird das Zusammenwirken aller Dialogsäulen geübt: Körper, Gefühl, Sprache, Seele und Zeitgestaltung. Zur Anwendung kommen hier viele klassische Techniken.

4.4 4. Therapiezyklus: Paarkonfliktanalyse - Sinn der Liebe - durch Fehler Würde finden

Gerade die Paartherapie ist darauf angewiesen ist, mit den Sinnen zu arbeiten. Unsere Sinne sind die Tore zur Welt – und zum Partner. Durch Sinnlichkeit zum Sinn und zur Kreativität – das ist der Weg der Liebenden. Seit jeher ist die Suche nach dem Sinn zentrales menschliches Thema[12]. Die Liebe ist sinnliche Selbst-Erfahrung und Du-Erfahrung gleichermaßen. Sie ist das sinnlichste Erleben überhaupt. Deshalb steht sie im Zentrum menschlicher Sehnsucht. Da die Energie des Paares jetzt nicht mehr gebunden ist in Kräfte raubenden Streitigkeiten, öffnen sich die Wege für die sinn - volle Gestaltung von Liebe. Nicht mehr kämpfen, sondern Verstehen tritt in den Vordergrund. Die Paarkonfliktanalyse dient dann nicht mehr dazu, Recht und Unrecht, Schuld oder Versagen zu bilanzieren, sondern die Sinnhaftigkeit der Streitdynamik im Hintergrund zu erkennen. Erst hier ist das Paar in der Lage sich mit Fragen, wie: Was ist Sinn unserer Liebe, - auch ohne Kinder und Existenzbewältigung? Was ist unsere gemeinsame Aufgabe im Leben? Deine und meine Fehler – wozu sind sie gut? Was habe ich durch Dich zu lernen? Indem die Partner lernen, ihren Streitigkeiten und Fehlern sinnvolle Bedeutung zu geben, würdigen sie dieses kritische Potential. Es darf nicht einfach zur Seite geschoben werden. Es geht nicht darum, dass Streitigkeiten beendet oder Fehler ausgemerzt werden, sondern zu erkennen, wozu sie nutzen sollten. Partner wählen sich unbewusst auch ihrer Fehler und Schwächen wegen. Gerade seine Fehler bilden später die entscheidende Herausforderung zur eigenen seelischen Weiterentwicklung. Ohne diese dadurch notwendige Konfrontation mit dem Partner bestünde gar nicht die Not, sich selbst zu verändern. Auf diese Weise reifen sie dahin, sich gegenseitig nicht nur Fehler aufzuzeigen, sondern letztendlich auch, Fehler zu verzeihen. In diesem Zyklus werden die Paare zu einem positiven Umgang mit Fehlern ebenso angeregt wie zu Übungen, Briefen, Gesten und Ritualen, um Verzeihung zu bitten und Verzeihung zu gewähren.

4.5 5. Therapiezyklus: Paargestaltung - Ich und Du – Liebe in dieser Welt

Es sind die drei Schwerpunkte Streitkultur, Kreativität und erotische Kultur, die die Entwicklungsarbeit des Paares durch die vorherigen Zyklen, abrunden.

Streitkultur Liebe schafft u.a. eine Ethik, die von der Verantwortung füreinander getragen ist. Zu differenzieren ist, dass dieser Sorge für den Anderen die Sorge für sich selbst genauso verantwortlich gegenübersteht. Sinnvoller Streit ist ein wichtiger Weg, die Verantwortung für die Beziehung angemessen wahr zu nehmen. Er kann helfen, den Partner in seinem Fehlverhalten zu korrigieren. Er dient auch dazu, sich selbst abzugrenzen und zu schützen. Um einen gesunden Ausgleich zu ermöglichen, braucht es Regeln, die dem Partner erlauben, sein Gesicht und seine Würde zu wahren. Die Paarsynthese stellt dazu Übungen und Rituale bereit, die einen Rahmen bilden, die es dem Paar ermöglichen aus einer Streitunkultur eine konstruktive Streitkultur zu entwickeln[13].

Kreativität und Sinnlichkeit: Die Früchte der Liebe Für jede Liebesbeziehung gelten vor allem Erfindungsgeist, Gefühlsreichtum, Neugier, Spieltrieb, Gedankenblitze, Schöpfungskraft und Sinnlichkeit als Stimuli und Früchte zugleich. Jungverliebte besitzen sie während sie zerstrittenen Paaren i.d.R. vollkommen fehlen. Die Zukunftsfähigkeit jedes Paares hängt davon ab. Das Erwachen der Kreativität scheitert aber oft an inneren Blockierungen aus der Kindheit[14]. Dabei ist Kreativität nicht als Selbstgänger zu verstehen. Sie ist eine menschliche Fähigkeit in uns, die wie alle anderen angeregt, geübt und geschult werden muss. Ein Paar kann auf Dauer nicht allein aus sich heraus kreativ sein, sondern braucht auch Reizzufuhr von außen. Das Paar ist ein halboffenes System. Es liegt im Energieaustausch mit seiner Umwelt und ist darauf angewiesen, auch von außen her inspiriert zu werden. Der praktische Weg zu mehr Entfaltungsreichtum und Kreativität im Dialog der Liebenden führt in der Paarsynthese über verschiedene Stationen in denen das Paar ermutigt wird den eigenen Impulsen Raum zu geben, tiefende Fragen zu stellen und das Sinnes- und Sinnerleben zu vertiefen.

Erotische Kultur Die Paarsynthese verwendet zur Schaffung einer erotischen Kultur u.a. auch die Liebeslehren und -weisheiten aus anderen Traditionen wie Tao und Tantra. Hier wird die erotische Kraft als Entwicklungspotential verstanden das Transformation ermöglicht. Sexuelle Energie wandelt sich dann von der rein körperlichen über die emotionale zur geistigen und schließlich zur spirituellen Vereinigung von Frau und Mann. In der Tiefe dieser gegenseitigen Durchdringung entsteht wiederum Sehnsucht nach neuer körperlicher Verbindung. Der Kreis schließt sich. Sexuelle Kraft führt auf diese Weise zur Ganzwerdung und damit auch zur Heilung. Die Stimulierung der Sinne (tasten, hören, sehen, riechen, schmecken) mit Körper, Geist und Seele, ist in der Paarsynthese der Weg zur Vielfalt der erotischen Liebe[15].


5 Einzelnachweise

  1. Cöllen, M.: Paartherapie und Paarsynthese - Lernmodell Liebe, Springer, 1997, S. 51
  2. Cöllen, M.: Paartherapie und Paarsynthese - Lernmodell Liebe, Springer, 1997, S. 103
  3. Serge K. D. Sulz (Hrsg.): Paartherapien, Ist Liebe heilbar?, CIP-Medien, 2000, S.254, ISBN 3-932096-06-1
  4. Cöllen, M., Jung, M.: Liebe in den Zeiten der Unverbindlichkeit, Kreuz Verlag, 2002, S.110
  5. Cöllen, M.: Lieben, Streiten und Versöhnen, Kreuz Verlag, 2003, S.25
  6. Cöllen, M.: Das Verzeihen in der Liebe, Kreuz Verlag, 2009, S. 21
  7. Bowlby, J.: Attachment and Loss, Volume 2. Separation, London, Pelican Books, 1975
  8. Bowlby, J.: A secure base - clinical applications of attachment theory, Bristol, Arrowsmith, 1988
  9. Cöllen, M.: Liebe deinen Partner wie dich selbst, Gütersloher Verlagshaus, 2005, S.153, ISBN 3-579-06509-2
  10. Cöllen, M.: Liebe deinen Partner wie dich selbst, Gütersloher Verlagshaus, 2005, S.173
  11. Cöllen, M.: Das Verzeihen in der Liebe, Kreuz Verlag, 2009, S. 30
  12. Cöllen, M.: Liebe deinen Partner wie dich selbst, Gütersloher Verlagshaus, 2005, S 221
  13. Cöllen, M.: Lieben, Streiten und Versöhnen“, Kreuz Verlag, 2003, S. 123
  14. Cöllen, M.: Liebe deinen Partner wie dich selbst, Gütersloher Verlagshaus, 2005, S 233
  15. Cöllen, M.: Lieben, Streiten und Versöhnen, Kreuz Verlag 2003, S. 189


6 Weblinks



7 Init-Quelle

Entnommen aus der:

Erster Autor: RudolfSimon angelegt am 21.11.2009 um 23:08,
Alle Autoren: Anaxo, LKD, MonikaBertsche, Sprachpfleger, Howwi, Drahreg01, RudolfSimon, WiesbAdler


8 Andere Lexika

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