Indogermanische Sprachen
Der Bezeichnung indogermanische Sprachen (auch indoeuropäische Sprachen) stammt aus der Sprachwissenschaft und ist ein Oberbegriff für mehrere Sprachfamilien. Durch Völkerwanderungen im Laufe der Jahrtausende und zuletzt auch den europäischen Kolonialismus seit dem 15. Jahrhundert bilden die zugehörigen Sprachen heute die anzahlmäßig sprecherreichsten Sprachfamilien der Welt mit etwa drei Milliarden Muttersprachlern. In Europa gehören mit Ausnahme von finnisch, ungarisch und baskisch alle wichtigen Sprachen zum Indogermanischen.
1 Forschungsgeschichte
1786 erkannte der englische Orientalist William Jones aus Ähnlichkeiten des Sanskrit mit Griechisch und Latein, dass es für diese Sprachen einen gemeinsamen Ursprung geben müsse. Er deutete bereits an, dass dies auch für Keltisch und Persisch gelten könnte. Als Begründer der indogermanischen Sprachwissenschaft gilt Franz Bopp mit seinem 1816 erschienenen Werk Über das Conjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache. Mit dem darin vorgestellten Konjugationsystem erbrachte Bopp den methodischen Beweis für die von William Jones postulierte Verwandtschaft der indogermanischen Sprachen. Die ersten Versuche, eine hypothetische indogermanische Ursprache zu rekonstruieren, unternahm dann August Schleicher Mitte des 19. Jahrhunderts. Er zog dabei außer den noch gesprochenen indogermanischen Sprachen auch schriftlich belegte ausgestorbene Sprachen hinzu und erstellte einen der ersten Stammbäume, der die angenommene Verwandtschaft der Sprachen untereinander darstellte.
Den Begriff langues indo-germaniques prägte der dänisch-französische Geograf Conrad Malte-Brun 1810,[1] während die Bezeichnung Indo-European languages 1813 von Thomas Young eingeführt wurde.[2] Der deutsche Begriff indogermanisch wurde erstmals von Heinrich Julius Klaproth gebraucht,[3] ein sich zwar im deutschen Sprachraum bald durchsetzender Begriff,[4] der jedoch von Franz Bopp vermieden wurde. Er bevorzugte ab 1833 die Bezeichnung indo-europäisch.[5]
Die anatolischen und die beiden tocharischen Sprachen konnten erst im 20. Jahrhundert nach ihrer Entdeckung und Entzifferung als zugehörig erkannt werden.
Zu der indogermanischen Sprachfamilie werden in Europa alle germanischen, slawischen, baltischen, keltischen und italischen Sprachen sowie Albanisch, Armenisch und Griechisch gezählt. In Asien gehören die indoarischen und die indoiranischen sowie die Nuristani-Sprachen dazu. Ausgestorben sind die anatolischen, illyrischen und tocharischen Sprachen.
Populationsgenetiker wie Cavalli-Sforza[6] versuchen, Herkunft und Verwandtschaft von Völkern und Sprachen durch molekulargenetische Methoden, insbesondere durch Erforschung der Verbreitung von Genmutationen (Haplogruppen), zu erhellen. Seit 2015 kann erstmals genetisches Material aus archäologisch gewonnenen menschlichen Knochenfunden aus ganz Europa (Kleinasien, Mitteleuropa, Russland westlich des Ural, Spanien und England) in größerer Zahl ausgewertet werden. Das Ergebnis ist eine sogenannte Ancient-DNA. Die Indogermanen entstanden, wie der US-amerikanische Populationsgenetiker. David Reich 2017 in einem Vortrag äußerte,[7] wahrscheinlich durch Vermischung osteuropäischer Jäger und Sammler mit frühneolithischen Bauern des Iran. In seiner 2018 erschienenen Veröffentlichung schrieb er: „Die Lokation der Bevölkerung, die erstmals indogermanisch sprach, liegt wahrscheinlich im heutigen Iran oder Armenien“.[8] Eine im Ergebnis ähnliche Meinung vertritt der Paläogenetiker Johannes Krause.[9] Diese Meinung entspricht im Ergebnis in etwa der Armenien-Hypothese. Mit diesen Erkenntnissen kann jedoch kein Beweis zur tatsächlichen Herkunft einer indogermanischen Sprache erbracht werden.
2 Vergleich zu Wikipedia
3 Einzelnachweise
- ↑ Conrad Malte-Brun: Précis de la géographie universelle. Band 2. Fr. Buisson, Paris 1810, S. 577–581 (Google Book); siehe zur Herkunft des Begriffs auch Fred R. Shapiro: On the Origin of the Term 'Indo-Germanic'. In: Historiographia Linguistica. International Journal of the History of Linguistics. Band 8, 1981, S. 166.
- ↑ Thomas Young: Adelung's General History of Languages. In: Quarterly Review. Band 10 Nr. 19, 1813, S. 250–292, hier: S. 255 f. 264 f.; Harald Haarmann: Die Indoeuropäer. Herkunft, Sprachen, Kulturen. C.H. Beck, München 2012, ISBN 978-3-406-60682-3, S. 9.
- ↑ Heinrich Julius Klaproth: Asia polyglotta. Paris 1823, S. 42–44. 62. 74 f. 82 und öfter; siehe auch Gustav Meyer: Von wem stammt die Bezeichnung Indogermanen? In: Indogermanische Forschungen. Band 2, 1893, S. 125–130 (Digitalisat).
- ↑ Vergleiche etwa Wilhelm von Humboldt: Über den Dualis. Verlag der Königlichen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1828, S. 16 Anm. 1 (Digitalisat).
- ↑ Franz Bopp: Vergleichende Grammatik des Sanskrit, Zend, Griechischen, Lateinischen, Litthauischen, Gothischen und Deutschen. Band 1. 1. Auflage. Bei Ferdinand Dümmler, Berlin 1833, (Google Books) S. 1199: in dem indo-europäischen Sprachstamm, S. 1410 in den Indo-Europäischen Sprachen, doch S. 1021: zur indogermanischen Causalbildung; 2. Auflage als Vergleichende Grammatik des Sanskrit, Send, Armenischen, Griechischen, Lateinischen, Litauischen, Altslavischen, Gothischen und Deutschen. Ferd. Dümmler's Verlagsbuchhandlung, Berlin 1857, S. XXIV (Google Books).
- ↑ Luigi Luca Cavalli-Sforza: Geni, Popoli e Lingue (= Piccola Biblioteca Adelphi. Vol. 367). Adelphi, Mailand 1996, ISBN 88-459-1200-0 (In deutscher Sprache als: Gene, Völker und Sprachen. Die biologischen Grundlagen unserer Zivilisation. Hanser, München u. a. 1999, ISBN 3-446-19479-7; in englischer Sprache: Genes, Peoples and Languages. Allen Lane, London u. a. 2000, ISBN 0-7139-9486-X)
- ↑ David Reich: Ancient DNA and the new science of the human past. Midsummer Nights' Science, 12. Juli 2017, Broad Institute Youtube
- ↑ Reich, David (Of Harvard Medical School),: Who we are and how we got here : ancient DNA and the new science of the human past. First edition Auflage. New York, ISBN 978-1-101-87032-7.
- ↑ Johannes Krause mit Thomas Trappe: Die Reise unserer Gene. Eine Geschichte über uns und unsere Vorfahren. Propyläen Verlag, Berlin 2019, ISBN 978-3-549-10002-8, S. 148 ff.
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