Gleichgestellte Movierung

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Gleichgestellte Movierung bzw. Gendern 2.0 fasst verschiedene gendergerechte Sprachansätze mit symetrischer Movierung zusammen, die im Gegensatz zu anderen Genderformen der deutschen Sprache kompatibel zum generischen Maskulinum sind und mit der morphologischen Systematik des Deutschen konform gehen.

Movierung ist die Wortableitungsmethode, mit der die Bedeutung eines Substantivs auf ein bestimmtes Geschlecht eingeschränkt wird. Im Deutschen ist seit einigen Jahrhunderten die Movierung mit dem Suffix -in üblich, um die Bedeutung weiblich hinzuzufügen. Ein solches Movierungssuffix wird auch als Movem bezeichnet.

Aus einseitiger Movierung nur für Frauen entstand bisher eine Doppeldeutigkeit der Grundform. Leser sind, da unmoviert, zunächst alle Leser, egal welchen Geschlechts. Durch die Gegenüberstellung Leserinnen und Leser ergab sich aufgrund einer rein binären Geschlechtervorstellung als Umkehrschluss, dass hier diejenigen, die nicht Leserinnen sind, logischerweise die männlichen Leser sein müssten. Kulturell unter anderem geprägt durch die Genesis-Erzählung vom Urmenschen Adam, aus dessen Rippe der Nebenmensch Eva entstanden sei, gilt in einem androzentrischen Menschenbild zudem der Mann als Norm und daher nicht speziell auszeichnungsbedürftig. Die Frau ist in diesem Menschenbild "das andere Geschlecht" (Simone de Beauvoir) und daher einzig gesondert zu markieren.

Abweichend von diesen als veraltet empfundenen Denkmodellen soll die gleichgestellte Movierung dazu dienen, die Neutralität der Grundform eindeutig klarzustellen. Ihre Doppeldeutigkeit wird mit gleichgestellter Movierung aufgelöst, indem Männer, analog zu Frauen, eine eigene Endung bekommen. Die gezielte Adressierung Nonbinärer kann auf gleiche Weise erfolgen. Da so alle Geschlechter bzw. Genderidentitäten sprachlich völlig gleichartig behandelt werden, wird dieser Ansatz von seinen Befürwortern als optimale geschlechtergerechte Handhabung von Personenbezeichnungen gesehen.


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1 Movemsets

Die Grundidee ist seit einiger Zeit immer wieder von verschiedener Seite aufgekommen und konkretisiert worden. Folgende Tabelle demonstriert die verschiedenen vorgeschlagenen Movemsets exemplarisch an den morphologisch unterschiedlich gebildeten Wörtern Leser, Koch, Kunde, Pastor, Polizist.

Singular Plural
Bezeichnung
Autor Jahr
Moveme Person Frau Mann nonbinäre Person Personen Frauen Männer nonbinäre Personen
Gerechtes Deutsch
(Matthias Behlert 1998)
-in/-is die Leser die Leserin die Leseris Leser Leserinne Leserisse
die Koch die Köchin die Köchis Köche Köchinne Köchisse
die Kunde die Kundin die Kundis Kunden Kundinne Kundisse
die Pastor die Pastorin die Pastoris Pastoren Pastorinne Pastorisse
die Polizist die Polizistin die Polizistis Polizisten Polizistinne Polizistisse
Inverses Gendern
(Josef Gnadl 2018)
-in/-on/-ix der Leser die Leserin der Leseron die Leserix Leser Leserinnen Leseronnen Leserissen
der Koch die Köchin der Köchon die Köchix Köche Köchinnen Köchonnen Köchissen
der Kunde die Kundin der Kundon die Kundix Kunden Kundinnen Kundonnen Kundissen
der Pastor die Pastorin der Pastoron die Pastorix Pastoren Pastorinnen Pastoronnen Pastorissen
der Polizist die Polizistin der Poliziston die Polizistix Polizisten Polizistinnen Polizistonnen Polizistissen
MO4= (movier gleich)
(Christian Melsa 2021)
-in/-an/-on der Leser die Leserin der Lesaran das Leseron Leser Leserinnen Leserannen Leseronnen
der Koch die Köchin der Köchan das Köchon Köche Köchinnen Köchannen Köchonnen
der Kunde die Kundin der Kundan das Kundon Kunden Kundinnen Kundannen Kundonnen
der Pastor die Pastorin der Pastoran das Pastoron Pastoren Pastorinnen Pastorannen Pastoronnen
der Polizist die Polizistin der Polizistan das Poliziston Polizisten Polizistinnen Polizistannen Polizistonnen
Klassisch Gendern
(unabh. voneinander
Cyril Robert Brosch 2021 und
Bernhard Thiery 2022)
-in/-(er)ich der Leser die Leserin der Leserich optional Leser Leserinnen Leseriche optional
der Koch die Köchin der Köch(er)ich optional Köche Köchinnen Köch(er)iche optional
der Kunde die Kundin der Kund(er)ich optional Kunden Kundinnen Kund(er)iche optional
der Pastor die Pastorin der Pastorich optional Pastoren Pastorinnen Pastoriche optional
der Polizist die Polizistin der Polizist(er)ich optional Polizisten Polizistinnen Polizist(er)iche optional
Basisneutrales Gendern
(Anka Lüthe 2023)
-in/-un/-an das Leser die Leserin der Leserun das Leseran Leser Leserinnen Leserunnen Leserannen
das Koch die Köchin der Köchun das Köchan Köche Köchinnen Köchunnen Köchannen
das Kunde die Kundin der Kundun das Kundan Kunden Kundinnen Kundunnen Kundannen
das Pastor die Pastorin der Pastorun das Pastoran Pastoren Pastorinnen Pastorunnen Pastorannen
das Polizist die Polizistin der Polizistun das Polizistan Polizisten Polizistinnen Polizistunnen Polizistannen
  • Der Vorschlag von Matthias Behlert[1] geht weit über eine eigene Form für Männer hinaus. Unter anderem werden die verschiedenen Genera abgeschafft. Der Nominativ-Artikel entspricht bei allen Substantiven dem des bisherigen Femininums. Auch die Unterscheidung der Artikel nach Numerus entfällt (weshalb die Grundform hier sowohl in Singular als auch Plural die Lehrer lautet). Behlert stellte den Versuch, seine Sprechweise zu verbreiten, mangels Unterstützung ein.[2] Seine Idee wurde von Luise Pusch auf den Seiten 23 - 27 ihres Buches "Die Frau ist nicht der Rede wert: Aufsätze, Reden und Glossen." von 1999 Frankfurt/M. Suhrkamp TB 2921. vorgestellt. (Frankfurt/M. Suhrkamp TB 2921). Er wird außerdem mehrfach von Luise Pusch bei fembio.org erwähnt.
  • Inverses Gendern von Josef Gnadl ist zu finden auf seiner Website[3] und auf einer öffentlichen Facebook-Seite.[4]
  • MO4= wird vom einstigen Vorsitzenden des Vereins für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege Christian Melsa vorgeschlagen.[5] Das Design der Moveme ist auf Gleichartigkeit ausgelegt, nur der Vokal unterscheidet sich. Von den so in Frage kommenden Movemen wird -an als das männliche vorgeschlagen basierend auf der These, dies komme intuitiver Assoziation am nächsten, da es als Endung von Vornamen am typischsten für männliche ist (Adrian, Fabian, Ivan, Julian, Maximilian, Stefan, Sebastian usw.). -on sei leicht mit Nonbinarität verknüpfbar (auch wegen der Ähnlichkeit zu ohne).
  • Klassisch Gendern greift auf das schon lange bekannte männliche Movem -(er)ich zurück (Wüterich, Elferich, Gänserich). Es wurde unabhängig voneinander von verschiedenen Menschen als Lösungsansatz im Gendersprachenstreit ausgegraben. Die Autoren betonen, dass beim klassischen Gendern auch ein gleichberechtigtes Movem für nonbinäre Menschen möglich ist, welches aber von interessierten Betroffenen selbst entwickelt werden sollte. Vorschläge sind das "-ix" oder das "-is (siehe oben, Behlert). Die Idee des klassichen Genderns wurde 2021 vorgestellt[6] und seit 2022 unter dem Begriff "Klassisch Gendern" in Petitionen[7][8] und Zeitungsartikeln veröffentlicht.
  • Zwei Videos zu Basisneutrales Gendern ("-un-Gendern") von Anka Lüthe finden sich auf YouTube.[9] Ähnlich wie Behlerts Vorschlag geht auch dieses Konzept mit seiner Genusverschiebung der Grundform ins Neutrum über reine gleichgestellte Movierung hinaus. Die Anordnung der Moveme stützt sich aufs Vokaldreieck: gegenüber vom (gesetzt weiblichen) Vokal i liegt der hier männlich positionierte Vokal u, in der Mitte dazwischen das als nonbinär eingeordnete a.

2 Gendern 2.0

Fünf der oben erwähnten Akteure schlossen sich seit 2022 zu einer Arbeitsgruppe zusammen und tauschten sich über ihre Idee mit Luise F. Pusch aus. Sie erwähnte diese Arbeitsgruppe erstmalig am 23. 7. 2023 im Podcast "Die Gender-Frage" von Gerd Buurmann mit dem Namen Gendern 2.0. Seither dient diese Bezeichnung als Synonym für "gleichgestellte Movierung".

3 Vorteile

Oberbegriff Untergruppe 1 Untergruppe 2
Standard (deutsch, englisch, französisch)
Wolken Schäfchenwolken Dampfwolken
Schraube Riesenschraube Schräubchen
Bürger Staatsbürger Wutbürger
klären erklären aufklären
cloud thundercloud digital cloud
vin vin rouge vin blanc
generisches Maskulinum mit einseitiger Movierung
Leser männlicher Leser Leserin
Gap-Gendern (Bsp Gendern mit *- und :)
Leser*innen Leser Leserinnen
Bürger:in Bürger Bürgerin
Gendern 2.0 (Beispiele für verschiedene männliche Moveme)
Leser Leseron Leserin
Leser Leseran Leserin
Leser Leserich Leserin
Leser Leserun Leserin
  • Frauen werden nicht mehr dadurch diskriminiert, dass ihre Form von einer männlichen Grundform abgeleitet, also untergeordnet wird ("Leserin" war vorher abgeleitet vom angeblich männlichen "Leser").
  • Durch die kurzen Oberbegriffe und auf gleiche Art abgeleitete Unterbegriffe erhält die Sprache wieder die logische Grundstruktur, die praktisch in allen Sprachen Standard ist (siehe Tabelle). Daraus ergibt sich:
    • Frauen und Männer werden gleich behandelt, weil sie auf die gleiche Art benannt werden.[10]
    • Die Sprache wird logischer und damit einfacher lern- und sprechbar. Das kommt vor allem Menschen mit eingeschränkter Literalität und Menschen, die die deutsche Sprache erlernen wollen, entgegen.
    • Es ermöglicht der Gruppe der nonbinären Menschen, ebenso einfach gezielt adressiert zu werden wie Menschen mit binären Genderidentitäten, durch eine positiv präsente eigene Form, nicht wie beim Gendersternformat nur durch ein unaussprechliches Sonderzeichen und somit lautliche Auslassung, in einer Sammelbezeichnung immer nur mitgemeint.
  • Die Sprache vereinfacht sich dadurch, dass die Kurzbegriffe kürzer und einfacher sind als Doppelnennungen (Leserinnen und Leser) oder die aufwendigen Wortkonstruktionen mit dem Gendergap (Leser:innen, Bürger*innenmeister*innen).
  • Die Sprache vereinfacht sich zusätzlich, weil die sexualisierten Formen viel seltener genannt werden müssen. Denn die movierten Formen werden nur verwendet, wenn das Geschlecht relevant ist. Das ist im Plural sehr selten der Fall.
  • Es ist ein Kompromiss in einem massiven Streit und kann die beiden gegnerischen Lager zusammenführen.
  • Die am Gendersternformat häufig kritisierte permanente Sexualisierung bei allgemeiner Adressierung entfällt bei gleichgestellter Movierung. Die Grundform ist sexusneutral und enthält daher auch keine Sexusmarker.
  • Keine sexistische Andronormativität durch Indentifikation der Grundform als männlich.

4 Öffentliche Erwähnungen

5 Weblinks

6 Quellen

  1. Internetpräsenz Matthias Behlert auf pauker.at
  2. Interview mit Matthias Behlert im Untergrundblättle bzw. Transgenderradio
  3. bo8h.de/Offtopic/
  4. Facebook-Seite "Antigendern statt Gendern"
  5. sprachforschung.org
  6. Erstveröffentlichung der Idee des Klassischen Genderns durch Cyril Robert Brosch
  7. https://www.openpetition.de/petition/online/klassisch-gendern-reden-wie-frueher-mit-einem-kleinen-unterschied-3Petition "Klassisch Gendern" auf openpetition.de]
  8. umfangreichere Petition auf change.org
  9. Youtube-Video von Anka Fiedler
  10. Deutschland ist besessen von Genitalien: Gendern macht die Diskriminierung nur noch schlimmer. Wer will, dass Männer und Frauen gleich behandelt werden, der muss sie gleich benennen. Ein Gastbeitrag im Tagesspiegel von Nele Pollatschek. 30.08.2020

7 Andere Lexika

Wikipedia kennt dieses Lemma (Gleichgestellte Movierung) vermutlich nicht.




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