Klassisch Gendern
Klassisches Gendern ist eine gendergerechte Form der deutschen Sprache, die eine hohe Gendergerechtigkeit mit einer guten Sprechbarkeit verbindet.
Inhaltsverzeichnis
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1 Kennzeichen
Das klassische Gendern erreicht die Gendergerechtigkeit, indem die Männer, analog zu den Frauen, eine eigene Endung bekommen.
Dadurch wird die Doppeldeutigkeit der Kurzbegriffe (Leser, Sänger, Student) aufgelöst. Sie werden wieder zu den Oberbegriffen, die sie vor dem binären Gendern wenigstens teilweise waren.
Die Begriffe für die Männer werden, analog zu den Begriffen für Frauen, von diesen kurzen Oberbegriffen abgeleitet. Statt der weiblichen Endung "-in" bzw "-innen" wird ein "-ich" bzw "-iche" angehängt.
Beispiele: "Leser" sind alle, die lesen, wirklich alle. Weibliche Leser sind "Leserinnen", männliche Leser sind "Leseriche". Auch "Sänger" sind alle, die singen. Männliche, weibliche und alle Non-Binären. Auch Studenten sind alle, die studieren: Studentinnen, Studentiche und die vom dritten Geschlecht.
Weil es in der Alltagssprache fast immer um gemischten Gruppen geht, werden beim Klassischen Gendern in den allermeisten Fällen die kurzen Oberbegriffe verwendet. Die Sprache wird wieder einfacher, kürzer und klarer.
Sexualisierende Endungen tauchen nur noch dann auf, wenn absichtlich ein bestimmtes Geschlecht benannt werden soll.
2 Historische Entwicklung
Die "-rich"-Endung zur Kennzeichnung des männlichen Geschlechts ist schon seit vielen Jahrhunderten ein Bestandteil der deutschen Sprache:
- In Johann Friedrich Schillers "Bürgschaft" von 1798 heißt es: "Was wolltest du mit dem Dolche, sprich! Entgegnet ihm finster der Wütherich." [1]
- Im von Heinrich Hoffmann 1844 geschriebenen "Struwwelpeter" heißt es in der Geschichte vom bösen Friederich: Der Friederich, der Friederich, das war ein arger Wüterich. [2]
- Belege für die Ursprünge des Wortes Wüterich gehen zurück ins 9. Jahrhundert. [3]
- Weitere Belege für die Verwendung der alten Endung "rich" für das männliche Geschlecht finden sich in Elferich, Zwergerich, Alberich, Gänserich, Enterich usw..
In ihrem Buch "Das Deutsche als Männersprache"[4] erwähnt die Linguistin Luise F. Pusch 1984 die "-rich"-Endung als Möglichkeit für eine übergreifende Kennzeichnung von männlichen Gruppen. Im Aufsatz "Der Piloterich" beschreibt sie die Ungerechtigkeit, die sich durch die Ableitung der weiblichen Begriffe aus den männlichen ergibt. Zur Verdeutlichung vertauscht sie dazu die Geschlechter und leitet aus einer weiblichen Grundform die männliche Form ab: die Pilot und der Piloterich. Diese Wortschöpfung wurde allerdings nicht als Vorschlag zur Veränderung der deutschen Sprache vorgestellt, sondern sollte per Überspitzung die Ungerechtigkeit verdeutlichen, die sich aus der Unterordnung der weiblichen Formen unter die männlichen ergibt.
Die "-rich"-Form als Endung für männlichen Gruppen tatsächlich übergreifend zu etablieren wurde im August 2022 von Bernhard Thiery et al. in der Petition "Klassisch Gendern - Reden wie früher, mit einem kleinen Unterschied" [5] vorgeschlagen
3 Vorteile
Oberbegriff | Untergruppe | Untergruppe |
---|---|---|
Standard und klassisches Gendern | ||
Wolken | Schäfchenwolken | Dampfwolken |
Bürger | Staatsbürger | Wutbürger |
Cloud | Thundercloud | Digital cloud |
Leser | Leserich | Leserin |
binäres Gendern | ||
----- | Leser | Leserin |
Gap-Gendern, zum Beispiel mit * | ||
Leser*in | Leser | Leserin |
- Das klassische Gendern taucht nur sehr selten in der Sprache auf, denn es gendert nur dort, wo es wirklich um Geschlechter geht, und nicht immer schon bei Gruppen ohne Geschlechtsbezug. Da aber die Geschlechter meistens keine Rolle spielen, genügt grundsätzlich die elegante Kurzform (z.B Leser). Bei den aktuellen Genderformen werden auch in diesen Fällen ohne Geschlechtsbezug immer die sexualisierten Begriffe genannt (Leser und Leserinnen, oder Leser*innen).
- Es ist ein Kompromiss in einem massiven Streit und kann die beiden gegnerischen Lager zusammen führen.
- Es fügt sich sehr gut in die deutsche Sprache ein, denn die alte Form für Männer ist seit über 1000 Jahren Bestandteil der deutschen Sprache.
- Es gibt keinen harten Bruch in der Sprache, der die bisherige Literatur entfremdet oder ihre Umschreibung nach sich zieht.
- Originalgetreue, verständliche Übersetzungen aus Sprachen mit einfachen Oberbegriffen werden wieder möglich.
- Die Sprache der Menschen, die nicht gendern können bzw. wollen und derjenigen, die durch eine gendergerechte Sprache die Geschlechtergerechtigkeit voranbringen wollen, bleiben sehr ähnlich und in beide Richtungen nicht kompromittierend. Die Gefahr eines sozialen Backlashs[6] wird damit ausgeschlossen.
- Das klassische Gendern ist nicht diskriminierend. Im Gegensatz zum binären Gendern, wo Menschen des dritten Geschlechts nicht mit genannt werden, und den Gendergap-Sprechformen, wo den Menschen mit einfacher Sprachfähigkeit eine weitere Hürde beim Mitreden in den Weg gelegt wird.
- Die an den modernen Genderformen häufig kritisierte Sexualisierung der Sprache bzw. der damit verbundene Sexismusvorwurf findet beim klassischen Gendern mit seinen kurzen Oberbegriffen ohne geschlechtliche Konnotation nicht statt.[7]
- Durch die kurzen Oberbegriffe und auf die gleiche Art abgeleitete Unterbegriffe erhält die Sprache wieder die logische Grundstruktur, die in der deutschen und praktisch allen Sprachen Standard ist (siehe Tabelle). Daraus ergibt sich eine einfachere Lern- und Sprechbarkeit, was Menschen mit eingeschränkter Literalität und Menschen, die die deutsche Sprache erlernen wollen, entgegen kommt.
- Die Männer haben nicht mehr den ungerechten Vorteil, die elegante Kurzform zu besitzen.
- Die Frauen müssen sich nicht mehr mit einer von der "männlichen" Form abgeleiteten Endung begnügen. Statt dessen wird die männliche Form auf die gleiche Art vom gemeinsamen Oberbegriff abgeleitet, und orientiert sich im Zweifelsfall an der weiblichen.
- Weitere Formen für weitere Geschlechter können auf analoge Art vom kurzen Oberbegriff abgeleitet werden. So könnte z.B. die Endung "-ix" für die Gruppe der non-binären Menschen stehen, da das "x" - ähnlich wie der Genderstern * mit den vielen Richtungen seiner Arme - für die Vielfalt in dieser Gruppe steht. Die Gendergap-Sprachformen bieten diese Möglichkeit nicht. Dort haben non-binäre Menschen keine eigene Endung. Sie können nur indirekt mit dem neuen Oberbegriff, z.B. Leser*in angesprochen werden. Wodurch auf die gleiche Art Missverständnisse passieren, wie es bei der alten Sprache mit der Doppeldeutigkeit der Kurzbegriffe (Leser) passiert ist.
4 Nachteile
- Auch beim Klassischen Gendern wird der deutschen Sprache eine neue Form - hier für Männer - hinzugefügt.
- Viele tun sich mit der Verwendung der Kurzbegriffe ausschließlich als Oberbegriffe, also nicht für rein männliche Gruppen, schwer. Dabei geht es weniger um Männer, die "ihre" Kurzform abgeben müssen, sondern vor allem um Menschen, die die Logik des binären Genderns verinnerlicht haben:
- Menschen, die sich schon länger mit der Logik des binären Genderns für eine höhere Geschlechtergerechtigkeit einsetzen.
- häufig jüngere Menschen, die erst nach den Beschlüssen und Gerichtsurteilen in den 90'er Jahren ihre Schulzeit erlebten.
- Das klassische Gendern taucht bei der Verwendung im Alltag so selten auf, dass es sich nicht dazu eignet, auf Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen bzw. Korrekturen einzufordern.
5 Klassisches Gendern in der Praxis
Erste Feldversuche zeigen, dass sich das klassische Gendern ohne Brüche und auf eine unspektakuläre Art in den alltäglichen Sprachgebrauch integriert:
- Die neue bzw. uralte Form für männliche Gruppen taucht praktisch nie auf. Was offensichtlich daran liegt, dass es bei der Nennung von Menschengruppen praktisch immer um die Gemeinschaft aller geht. Selbst wenn es um Fußballspieler einer Herrenmannschaft geht, wird immer noch von Fußballspielern und nicht von Fußballspielerichen gesprochen; der Oberbegriff passt auch hier. Von einem Fußballerich würde nur dann gesprochen, wenn sein männlich-Sein betont werden soll.
- Wenn die "-rich"-Form auftaucht, wird sie sofort verstanden und löst keine Empörung, sondern eher ein Schmunzeln aus ("Der Ronaldo, was für ein Sportlerich")
- Eine größere Umstellung ergibt sich bei der weiblichen Form. Vor allem für Menschen, die inzwischen das binäre Gendern verinnerlicht haben und die weibliche Form auch dann verwenden, wenn nicht um das Geschlecht geht. Wenn zum Beispiel Amanda Goremans "Where a skinny Black girl ... can dream of becoming president" übersetzt wird mit "In der ein dünnes schwarzes Mädchen... davon träumen kann, Präsidentin zu werden", dann widerspricht dies dem klassischen Gendern. Denn sie redet davon, in einer Reihe mit allen Präsidenten, egal welchen Geschlechts, zu stehen. Beim Klassischen Gendern würde also übersetzt, dass sie davon träumt, Präsident zu werden. In solchen Situationen ergibt sich für viele, die das binäre Gendern bereits verinnerlicht haben, die größte Hürde beim klassischen Gendern.
- Bei Konversationen fällt auf, dass es nicht zu kompromittierenden Situationen kommt. Jemand, der klassisch gendert, spricht die selbe Sprache und praktisch die selben Worte wie jemand, der nicht gendert. Und auch wie jemand, der binär gendert.
- Senioren und Menschen mit einfachem Sprachgebrauch erzeugen mit ihrer "alten" Sprache bei klassisch gendernden Menschen nicht das Gefühl, dass sie anders oder sogar ungerecht reden.
Zusammenfassend: das Klassische Gendern fällt entweder bei Alltagsgesprächen nicht auf, oder es löst, wenn es auffällt, beim Gegenüber keine Irritationen aus. Zum Beispiel fällt bei längeren Gesprächen auf, dass ein klassisch gendernder Gesprächspartner nur selten die weibliche Form nutzt. Wo eine binär gendernde Frau sagt, sie ist "Abteilungsleiterin", sagt eine klassisch gendernde Frau "Ich bin Abteilungsleiter", und drückt damit aus, dass sie nicht "nur" eine von vielen Frauen mit Leitungsfunktion ist, sondern eine von vielen Menschen mit dieser Funktion. (vgl. das Beispiel mit Amanda Goreman's Gedicht)
Die größte Herausforderung bei der alltäglichen Nutzung des klassischen Genderns ist es offensichtlich weniger, die neue männliche Form anzuwenden, sondern die weibliche Form ähnlich oft, bzw. besser gesagt ähnlich selten zu gebrauchen wie die männliche. Sie also nur dann zu nutzen, wenn der weibliche Aspekt betont werden soll.
6 Rolle des Generischen Maskulinums und der Zeit
Beim Klassischen Gendern bleiben die grammatischen Geschlechter zunächst wie sie sind. Wörter mit generischem Maskulinum behalten den männlichen Artikel (der Hörer, der Arzt), Wörter mit generischem Femininum behalten ihren weiblichen Artikel (die Person, die Geisel), Wörter mit generischem Neutrum behalten ihren sächlichen Artikel (das Kind, das Mitglied).
Beim Klassischen Gendern wird davon ausgegangen, dass es Jahrzehnte dauern wird, bis es sich zeigt, ob die Einrichtung einer eigenen Endung für die Männer und die Rückgewinnung der Kurzformen als Oberbegriff ausgereicht hat, um Geschlechtergerechtigkeit herzustellen. Erst dann kann festgestellt werden, ob das generische Maskulinum wirklich so störend ist, wie viele vermuten, und gleichzeitig viele bezweifeln [8].
Daher sollte unsere Sprachgemeinschaft erst nach der Etablierung der kurzen Oberbegriffe und der Endung für Männer feststellen, ob generisches Maskulinum und generisches Femininum "neutralisiert werden" sollten. Also in Zukunft, ähnlich wie beim Entgendern nach Phettberg [9] "das Lehrer" und "das Person" statt "der Lehrer" und "die Person" gesagt wird.
7 Öffentliche Erwähnungen des Klassischen Genderns
- Erste Erwähnung in einer Petition am 30. 8. 2022 openpetition.de/!whmxs
- Am 10. 11. 2022 eine zweite, umfangreichere Petition https://chng.it/xL5MMNfm
- Ersterwähnung in einer Zeitung: "Die Rheinpfalz", Onlineauftritt 17.10.2022: https://www.rheinpfalz.de: Lassen wir den Baum der Sprache doch einfach wachsen. Nachdenken über das Gendern
- Ersterwähnung in "Die Rheinpfalz", Printversion: Die Säge am Ast der Sprache. Erschienen am 18. 10. 2022 auf S. 7, Kultur.
- Erster Zeitungsartikel exclusiv über das Klassische Gendern in den Badischen Neuesten Nachrichten, Printversion: Der Lehrerich als Kompromiss. Erschienen am 23.11.2022 auf S.9 (Südwestecho)
- Online-Version des BNN-Artikels "Der Lehrerich als Kompromiss" vom 23.22.2022: https://bnn.de/nachrichten/pfalz/lehrerich-als-kompromiss-pfaelzer-startet-online-petition-fuer-klassisches-gendern
8 Ähnliche Formen mit kurzen Oberbegriffen
Ähnliche Formen unterscheiden sich von Klassisch Gendern im wesentlichen durch die Wahl der männlichen Endung:
Eine männliche Endung -is mit Plural -isse wurde vorgeschlagen von Matthias Behlert.[10][11] Der Vorschlag wird mehrfach erwähnt von Luise F. Pusch.[12] [13]
Eine männliche Endung -us mit Plural -i wird vorgeschlagen von Anka Fiedler.[14]
Eine männliche Endung -an mit Plural -annen wird vorgeschlagen von Christian Melsa. Er nennt seinen Vorschlag Gleichgestellte Movierung.[15][16]
Eine männliche Endung -on mit Plural -onnen wird vorgeschlagen von Josef Gnadl.[17][18] Den gleichen Vorschlag bringt Max Neumann.[19] Der Vorschlag wird unterstützt von Anka Fiedler.[20]
Eine männliche Endung -er wurde vorgeschlagen von der Satire-Website Der Postillon.[21]
9 Links und Quellen
9.1 Weblinks
- ↑ Die Bürgschaft von Friedrich Schiller
- ↑ Die Geschichte vom bösen Friederich von Heinrich Hoffmann
- ↑ Wiktionary "Wüterich"
- ↑ Das Deutsche als Männersprache von Luise F. Pusch
- ↑ Klassisch Gendern - Reden wie früher, mit einem kleinen Unterschied
- ↑ Online-Diskussion beim Einsteinforum, Leitung Prof. Dr. Susan Neiman am 8. 6. 2021, Beitrag von Nele Pollatschek ab Min. 0:58:38 bis 1:08:00
- ↑ Deutschland ist besessen von Genitalien: Gendern macht die Diskriminierung nur noch schlimmer. Wer will, dass Männer und Frauen gleich behandelt werden, der muss sie gleich benennen. Ein Gastbeitrag im Tagesspiegel von Nele Pollatschek. 30.08.2020
- ↑ Navid Kermani in der Zeit: Mann, Frau, völlig egal
- ↑ Entgendern nach Phettberg, vorgetragen von Thomas Kronschläger
- ↑ Interview mit Matthias Behlert im Untergrundblättle bzw. Transgenderradio
- ↑ Internetpräsenz Matthias Behlert auf pauker.at
- ↑ fembio.org - Blog von Luise F. Pusch
- ↑ jetzt.de - Interview mit Luise F. Pusch
- ↑ Youtube-Video von Anka Fiedler
- ↑ Gendern-Aendern - Seite derzeit nur eingeschränkt erreichbar
- ↑ Gendern-Aendern bei Twitter
- ↑ Antigendern statt Gendern
- ↑ Antigendern statt Gendern - Öffentliche Facebook-Seite
- ↑ dasfotobus - Blog von Max Neumann
- ↑ [Geplantes Video von Anka Fiedler]
- ↑ Gleichberechtigung: Männer fordern eigene Geschlechtsendung
10 Andere Lexika
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