Atomunfall von Lucens

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Der Atomunfall von Lucens war ein Unfall von 1969 im Versuchsatomkraftwerk Lucens im schweizerischen Kanton Waadt. Entgegen einer vor allem auch aus politischen Gründen innerhalb der Schweiz verbreiteten Meinung war es aber keine Kernschmelze, sondern nur das Schmelzen einzelner Brennelemente. Zudem wurden unzutreffende Vergleiche mit dem Vorfall im Kernkraftwerk Three Mile Island angestellt, der sich rund 10 Jahre später ereignete. Gleichwohl wurde das Ereignis 2012 in der INES-Stufe 4 bis 5 kategorisiert,[1] obwohl es diesen Maßstab zum damaligen Zeitpunkt noch nicht gab.

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1 Vorgeschichte

Träger des Projektes Versuchsatomkraftwerk Lucens (VAKL) waren die am Reaktorbau interessierte Schweizer Industrie, die Schweizer Elektrizitätswirtschaft und einige Kantone und grössere Schweizer Städte, welche 1961 die Nationale Gesellschaft zur Förderung der industriellen Atomtechnik (NGA) gründeten. Der Schweizer Staat (Bund) leistete bei der Projektentwicklung und -realisierung bis zu maximal 50 Prozent Kostenbeiträge. Unter anderem weil die Schweiz damals gleichzeitig noch ein Projekt zur allfälligen Entwicklung einer Kernwaffe verfolgte, lief des Projekt unter relativ strenger Geheimhaltung.

Der Kernreaktor wurde von der Firma Sulzer AG entworfen. Es war ein mit Schwerwasser moderierter und mit Kohlendioxid gekühlter Druckröhren-Reaktor. Er hatte eine thermische Leistung von 28 Megawatt[2] und sollte versuchsweise mit einer Leistung von 9 Megawatt Strom erzeugen. Platziert wurde er in einer Felskaverne, was sicherheitstechnisch als sehr fortschrittlich galt.

2 Der Unfall

Im Januar 1969 wurde eines der Brennelemente ausgewechselt. Am 21. Januar 1969 wurde der Betrieb nach einer Revision wieder aufgenommen. Während der Steigerung der Reaktorleistung kam es zur Überhitzung mehrerer Brennelemente. Ursache war ein beschädigtes Graphitrohr,[3] so dass Kühlmittel entweichen konnte. Dies wurde durch Korrosions-Produkte verursacht, die durch einen unbemerkten Wassereinbruch ins Rohr vor längerer Zeit entstanden waren. Brennelement Nr. 59 erhitzte sich so stark, dass es schmolz und schliesslich auch das Druckrohr zum Bersten brachte. Es kam zu einem Brand und zu einer Explosion im Reaktor. Dabei wurden schweres Wasser und geschmolzenes radioaktives Material durch die Reaktorkaverne geschleudert. Die aus dem geschmolzenen Uran freigesetzten Aktivstoffe lösten wenige Sekunden vor dem Bersten des Druckrohres eine Schnellabschaltung des Reaktors aus. Das anwesende Betriebspersonal konnte aus den im Kommandoraum verfügbaren Informationen innerhalb der ersten Minuten feststellen, dass der Primärkreislauf unterbrochen war, der Reaktor jedoch sicher abgestellt und die Kühlung des Reaktorkerns gewährleistet war. Sie leiteten die gemäss dem entsprechenden Notfallplan nötigen Massnahmen ein und konnten dabei einen vorläufig sicheren Zustand der Anlage und deren Umgebung feststellen. Nach einer Stunde wurde auch in den übrigen Kavernenanlagen eine erhöhte Radioaktivität festgestellt, was bedeutete, dass die Reaktorkaverne nicht dicht war. Bei Messungen in den umliegenden Dörfern konnte ein Anstieg der Radioaktivität festgestellt werden. Personen sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Anlage erlitten durch den Unfall keine unzulässigen Strahlendosen.

Die Reaktorkaverne hielt die ausgetretenen Radionuklide des Unfalls weitgehend zurück. Sie wurden in der Folgezeit in sukzessiven Chargen, an die Umgebung abgegeben.

3 Die Folgen

Der Unfall verursachte Schätzungen zu Folge 26 Millionen Dollar Schaden.[4] Es wurde eine Untersuchungskommission eingesetzt, die die Ursache für den Unfall ermitteln sollte. Erst nach zehn Jahren publizierte diese 1979 einen Schlussbericht. Man kam zu dem Schluss, dass sich während der Revisionsarbeiten vom Herbst 1968 bis zum Januar 1969 in einigen Brennelementen Wasser angesammelt haben musste, was die Elemente teilweise von innen korrodieren liess. Durch Korrosionsablagerungen hatte sich der Platz für das Kühlgas an einigen Stellen stark verengt. Die verminderte Kühlleistung hatte eine Überhitzung mehrerer Elemente zur Folge, was schliesslich zur partiellen Kernschmelze führte.[5][6] Das Eindringen von Wasser in den Reaktorkühlkreislauf und den Reaktorkern war eine Folge von Problemen mit der Sperrwasserdichtung der Kühlgas-Umwälzgebläse. Die Erprobung von neuen Dichtungsringen erfolgte in der Anlage Lucens, nachdem der Versuchsstand beim Gebläsehersteller nicht mehr zur Verfügung stand; dabei gelangte unbemerkt eine unerwartet grosse Menge Wasser in den Kreislauf. Die Möglichkeit eines Unfallablaufes der eingetretenen Art war in den Sicherheitsdokumenten beschrieben worden und sowohl den Projektanten als auch den Sicherheitsbehörden bekannt. Massnahmen zur Begrenzung des Unfallausmasses – insbesondere verstärkte Kalandriarohre und Berstscheiben des Kalandriatanks – wurden realisiert und haben sich im eingetretenen Fall bewährt.

Die Dekontamination und Zerlegung des Reaktors zog sich bis Ende 1971 hin. Seit 2010 gab es vereinzelt leicht erhöhte Werte der Radioaktivität in der Umgebung. Signifikant zugenommen haben die Werte aber erst seit Ende 2011 (bis zu 230 Bq/L).[7]

Insgesamt fielen 250 Fässer radioaktiver Abfälle an.[8] 2003 wurden diese Fässer von Lucens ins Zwischenlager nach Würenlingen im Kanton Aargau transportiert.[9]

Der Reaktor wurde rückgebaut, und im Jahr 2004 wurde das Areal definitiv aus der Kernenergie-Gesetzgebung entlassen.

4 Bewertung

Nach Ansicht von Hans Michaelis handelte es sich um einen „typischen Reaktorunfall“. Zudem würden an solche Versuchsanlagen nach wie vor nicht so hohe Sicherheitsanforderungen gestellt.[3] Die 2012 erfolgte Bewertung gemäß der INES-Skala erscheint im Vergleich zu hoch, Stufe 3 erscheint eher als angemessen.[10]

5 Literatur

  • Hans Michaelis: Handbuch der Kernenergie, 2 Bände, dtv 1982
  • A. Meichle: Das ehemalige Versuchsatomkraftwerk Lucens, 1989
  • J. Wolters: Kernreaktoren: Aufgetretene Unfälle mit Kernschäden (die Ausführungen zu Lucens abgestützt auf den Bericht der schweizerischen Kommission für die sicherheitstechnische Untersuchung des Lucens-Unfalls von 1979); in: atomwirtschaft, Juni 1987

6 Einzelnachweise

  1. Hochspringen Teil 9 der Serie Lucens des ENSI.
  2. Hochspringen https://pris.iaea.org/PRIS/CountryStatistics/ReactorDetails.aspx?current=966
  3. Hochspringen nach: 3,0 3,1 Michaelis, S. 712.
  4. Hochspringen http://www.tagesschau.de/wirtschaft/atomunfaelle-schadenskosten102.html
  5. Hochspringen Schlussbericht über den Zwischenfall im Versuchs-Atomkraftwerk Lucens. 1979.
  6. Hochspringen G. Bart: Jubiläums-Jahresbericht Hotlabor – Abklärungen zum Zwischenfall im Kernkraftwerk Lucens vom 21.1.69. Paul Scherrer Institut, Juli 1989, S. 37-39. Abgerufen am 14. März 2011. (de)
  7. Hochspringen Bundesamt für Energie: Medienmitteilung (vom 4. April 2012)
  8. Hochspringen Wildi 2001, S. 421.
  9. Hochspringen Bundesamt für Energie: Versuchsatomkraftwerk Lucens
  10. Hochspringen siehe [https://de.wikipedia.org/wiki/Internationale_Bewertungsskala_f%C3%BCr_nukleare_Ereignisse Wikipedia, Tabelle zu bekannten Reaktorunfällen

7 Andere Lexika

Wikipedia kennt dieses Lemma (Atomunfall von Lucens) vermutlich nicht.




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