Theorien zur Lernbehinderung
Es gibt unterschiedliche Theorien zur Lernbehinderung, insbesondere zu den Ursachen. Dies liegt vor allem daran, dass die Entstehung von Lernbehinderungen vielfältig und sehr unterschiedlich bedingt ist. Der Begriff Lernbehinderung existiert im englischsprachigen Raum seit 1948 mit dem ICD-6-WHO als „specific learning defect“ (reading mathematics and strephosymbolia).[1] Eine neuere Übersetzung lautet Learning disability.[2] Zudem bestehen fließende Übergänge zur geistigen Behinderung und Lernschwäche. Die früher geltende Einstufung anhand eines Intelligenzquotienten (IQ) hat sich als wissenschaftlich überholt erwiesen. Nach dem internationalen ICD-10-System galt ein IQ zwischen 70 und 85 als Lernbehinderung. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft behauptete 2011: „Schulen für Lernbehinderte gibt es nur in den deutschsprachigen Ländern.“[3] Um sich einen Überblick über die verschiedenen Ansichten zu verschaffen, sind im folgenden einige Definitionen und Thesen von Autoren zusammengefasst. Vor allem in den 1970er Jahren wurde darüber diskutiert, nicht nur die verschiedenen Formen von Sonderschulen, sondern sogar die Sonderpädagogik abzuschaffen, da diese Begriffe eine abwertende Bedeutung bekommen hatten.
Inhaltsverzeichnis
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1 Bach 1971
Heinz Bach war ein Vertreter der These, Lernbehinderung sei eine (prinzipiell) „nicht korrigierbare Lernbeeinträchtigung“. Er unterscheidet aber zwischen behinderten Kindern und Kindern mit vorübergehenden, behebbaren und begrenzten Beeinträchtigungen. Zum Personenkreis der seiner Meinung nach Lernbehinderten gehören jene, welche in mehreren der folgenden Bereiche ein wesentliches und dauerndes Leistungsversagen aufweisen: Körperliche Entwicklungsrückstände und -anfälligkeiten, Sinnesbeeinträchtigungen, hirnorganische Schäden, sozio-kulturelle Benachteiligung, familiäre Belastungssituationen, emotionale Beeinträchtigungen und Verhaltensstörungen. Darüber hinaus zieht er auch eine Parallele zwischen IQ und Lernbehinderung: Weist ein Kind eine Intelligenzminderung von 1/6 bis 2/6 unterhalb des Normbereiches auf (entspricht einem IQ zwischen 60 und 80), gilt es laut Bach als lernbehindert. Zusammen mit den Eingangs aufgezählten Bereichen des Leistungsversagens kennzeichnet diese Kombination Bachs Definition von Lernbehinderung. Die geistige Fähigkeit des Aufnehmens, Verarbeitens und Speichern von Informationen ist bei Lernbehinderten umfänglich und dauerhaft beeinträchtigt.
2 Bleidick 1968-1972
Argumentierte Ulrich Bleidick zu Beginn seiner Arbeiten noch, ein angeborenes, schwaches Begabungspotential sei die Ursache für Schulversagen und damit zugleich Ursache einer Lernbehinderung, korrigierte er sich im Laufe der Zeit und kam zu dem Ergebnis, dass Lernbehinderung kein Produkt angeborener oder genetisch bedingter Schädigungen ist. Vielmehr sei es zu einem großen Teil auch ein Ergebnis sozio-kultureller Benachteiligung. Bleidick unterscheidet grob drei verschiedenen Ursachen, welche Lernbehinderung bedingen (können). „Stabilisierende Ursachen“, worunter ein schwaches Elternhaus („Anregungsloses Milieu“) zu verstehen wäre; „auslösende Ursachen“, darunter fällt z. B. der Leistungsdruck in einer Schule. Als drittes nennt der Autor die „chronifizierenden Ursachen“, welche das langanhaltende Versagen von Schule und Elternhaus beinhaltet, so dass u.a. keine rechtzeitige Bereitstellung eines optimalem leistungsförderndem Umfeldes geschaffen wird. Bleidick räumt allerdings ein, dass Lernbehinderung als Etikett relativ ist, da in unterschiedlichen Regionen verschiedene Erfassungskriterien angelegt werden. Außerdem kritisiert er das Problem der (negativen) Selektivität, in welcher die spezielle und gezielte Förderung benachteiligter Kinder als negative Etikettierung verstanden werden kann. Darüber hinaus kritisiert Bleidick das Bildungssystem, welches Chancenungleichheit hervorruft und somit das Problem der Lernbehinderten nicht ihre Intelligenzschwäche, sondern die Bildungsbehinderung sei. So setzt Bleidick zwar Lernbehinderung mit einer IQ-Schwäche in unmittelbare Abhängigkeit und unterscheidet sich auf den ersten Blick kaum von Bachs Abgrenzungsvorschlag, jedoch weisen beide darauf hin, dass es sich bei den Ursachen von Lernbehinderung eindeutig um ein Ursachengeflecht („mehrperspektivische Konstruktion“) und nicht um eine Einzelursache handelt.
3 Klauer 1975
Karl Josef Klauer sieht Lernbehinderung als ein mehrfach bedingtes Phänomen an, in welches Erbeinflüsse, Erfahrungen und neurologische Faktoren hinein spielen. Lernbehinderung ist nach Klauer ein Phänomen, das auch Intelligenzmängel beinhaltet. Darüber hinaus aber weist Klauer auf die milieubedingten Schulversager hin, welche oftmals von der Gesellschaft als lernbehindert etikettiert werden, an einem anderen Ort und unter anderen Umständen aber keinesfalls als solche eingestuft werden würden. Er weist also auf die unterschiedlichen Leistungserwartungen, die Problematik der Etikettierung und die milieubedingten Ursachen hin und steht ihnen kritisch gegenüber. Nach Klauer ist es sinnvoll, bei als lernbehindert eingestuften Personen zwischen zwei Stufen des Lernens zu unterscheiden, dem primären (notwendige Grundlagen) und dem sekundären Lernen (über Grundlagenwissen hinaus). Es muss gesichert sein, dass jeder die erste Stufe erreicht, um ein mündiger und selbstverantwortlicher Mensch zu sein. Alles was darüber hinausgeht ist sekundär, Klauer bezeichnet es als positiv und wünschenswert, nicht aber als notwendig. Klauer hängt zudem nicht an einem statischen Begabungsbegriff.
4 Wegener 1969
Hermann Wegener definiert Lernbehinderung als Form intellektueller Subnormalität, welche schon in den ersten Lebensjahren vorhanden ist und einen dauernden Rückstand (Lernleistungen) sowie eine Störung des Anpassungsverhaltens zur Folge hat. Bei dieser Definition stützt sich Wegener auf empirische Kriterien und vermeidet eine Begründung, welche auf biologische Verursachung aufbaut.
5 Begemann 1970
Ernst Begemann macht deutlich, dass er als wesentlichen Bedingungsfaktor für das Entstehen von Lernbehinderung sozio-ökonomische Belastungsfaktoren sieht. So seien Lernbehinderte oftmals angehörige der Unterschicht und leiden unter vielen der folgenden milieubedingten Faktoren. Sie haben Eltern rangniederer Berufsgruppen, hohe Quote an Trennungskindern, hohe Kinderzahl in den Familien, beengter und ungünstiger Wohnraum sowie eine überhöhte Rückstellungsquote (5 mal mehr als „normale Kinder“). Eine spezielle Pädagogik muss diesen Bildungshemmenden Faktoren entgegenwirken so Begemann. Der These IQ-Wert und Lernbehinderung stünden in enger Beziehung zueinander steht der Autor kritisch gegenüber, denn die Hälfte aller Lernbehinderten haben einen IQ > 80. Eine genauso große Anzahl an Schülern normaler Schulen unterschreiten aber den IQ Wert von 80 (ca. 2%). Er weist hier auf den starken Überlagerungseffekt der Gruppen Lernbehinderte und nicht Lernbehinderte hin und begründet ihn in einer vorwiegend, nicht aber alleinigen sozialisationsbedingten Schulunfähigkeit der Lernbehinderten.
6 Jantzen 1973
Wolfgang Jantzen greift wie Begemann den Bedingungsfaktor der sozio-ökonomischen Belastung als zentral für das Entstehen von Lernbehinderung auf und definiert, dass Behinderung stets gesellschaftlich mitbedingt ist. Er weist aber darauf hin, dass Behinderung erst durch das abweichende Auftreten von gesellschaftliche Vorstellungen („normalem Verhalten“) existent wird. Daraus resultieren die Zuschreibungsprozessen (Etikettierung), welche die beeinträchtigten Menschen als behindert definieren.
7 Sovák 1970
Sovák entwickelte den „offenen Reflexkreis“ um eine Beziehung zwischen sozialen und biologischen Faktoren im Entwicklungsprozess des geschädigten, Lernbehinderten Kindes aufzuzeigen. Nach dem offenen Reflexkreis besteht die Ganzheit des menschlichen Organismus aus biologischen Gegebenheiten und der Wechselwirkung zwischen Organismus und Umwelt. Lernbehinderung, so Sovák, sei kein punktuell zu lokalisierendes Problem, sondern ein individuelles Verhaltens- und Leistungsbild, welchem ein komplexes Wirkungsgefüge zugrunde liegt.
8 Cruickshank 1974
Cruickshank ist ein Befürworter der qualifizierten Einzeldiagnose, das bedeutet, er vertritt den Standpunkt, dass Kinder mit speziellen Defekten nicht in nach „pseudopädagogischen Einteilungspunkten“ gegliederte Spezialschulen geschickt werden dürfen, sondern pädagogische Maßnahmen und einen Ausgleich ihrer Behinderung nur auf Grundlage einer qualifizierten Einzeldiagnose erfahren sollten. Er beschäftigt sich mit den Basisproblemen und Ursachen der Lernbehinderung und ist somit gegen die symptom-orientierte Klassifizierung der Sonderschulen.
9 Andere Lexika
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- Erster Autor: Dr.jones.s; weitere Autoren: Cholo Aleman, Carolin, ChristianBier, Sebbot, WikipediaMaster, Cjesch, Catrin, Cecil, Dinah, AHZ, Wahldresdner
10 Einzelnachweise
- ↑ World Health Organisation: Manual of the international Statistical Classification of diseases, injuries, and causes of death. Six Revision of the International Lists of Diseases and Causes of Death. Adopted 1948. World Health Organisation, 1949. Abgerufen am 10.07. (englisch)
- ↑ https://en.wikipedia.org/wiki/Learning_disability
- ↑ Aktionsrahmen zur Inklusion (Archivversion vom 3. Februar 2011), Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
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