Helmold II. von Plesse
Helmold II. von Plesse (* 1191; † 1226) war der Sohn von Bernhard I. von Höckelheim/Plesse und dessen Frau Mechtildis.
Durch eine Urkunde des Jahres 1226 ist bekannt, dass „Bernhardo et Mechtildis parentibus“ (Eltern) vier Söhne hatten, denen sie die Namen Helmold (II.), Werner, Bernhard (II.) und Poppo gaben. Die Urkunde ist auf Initiative der beiden jüngeren Söhne entstanden und behandelt die Aufnahme ihrer Eltern und deren Nachkommen in eine Gebetsgemeinschaft des Klosters Reinhausen. Weil in diesem Familiendokument, außer Mechtild (Mutter) und Adelheid (Frau Bernhards II.), keine weiteren weiblichen Vornamen erscheinen, sind für Helmold II. folgende genealogische Aussagen möglich: Er war der Erstgeborene, er hatte keine Schwestern, er war 1226 ungefähr sechsundfünfzig Jahre alt und war weder verheiratet noch verwitwet und hatte auch keine legitimen Nachkommen, weil sonst – wie bei Bernhard II. - seine Frau und Kinder als Angehörige der Gebetsgemeinschaft mit erwähnt worden wären. Er war vermutlich der älteste Enkel von „Helmolt de Huchelem“ (1144), denn entsprechend einem bis heute üblichen Brauch, erhielt er als Erstgeborener seiner Generation den Vornamen des väterlichen Großvaters. Aus den vorliegenden Nachrichten kann man schließen, dass Helmold II. um das Jahr 1175 geboren wurde, eine standesgemäße Ausbildung (Page, Knappe) erhielt, den Ritterschlag empfangen hat und zeitlebens ein Gefolgsmann des Welfenkaisers Otto IV. geblieben ist. Die erste Nachricht über Helmold II. von Plesse stammt aus dem Jahr 1191. Im Jahr 1226 lebte er noch. Wann er gestorben ist und wo er beigesetzt wurde, ist nicht überliefert.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Der Beginn einer Karriere - am Hof Heinrichs des Löwen
- 2 Der erste staufisch-welfische Thronstreit
- 3 Königsmord, Königswahl und Königsumritt
- 4 Das Quedlinburger Reliquiar
- 5 Die Kaiserkrönung Ottos IV.
- 6 Die Christianisierung des Baltikums
- 7 Der Livlandkreuzzug von 1211
- 8 Der zweite staufisch-welfische Thronstreit
- 9 Nobilis homo
- 10 Init-Quelle
- 11 Andere Lexika
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1 Der Beginn einer Karriere - am Hof Heinrichs des Löwen
Helmold II. von Plesse hielt sich 1191 am Hof Heinrichs des Löwen in Braunschweig auf. Der Zugang zum welfischen Herrscherhaus wird für ihn, den jungen Edelherren und Mitbesitzer der Burg Plesse, nicht sonderlich schwer gewesen sein, zumal sich sein Vater, Bernhard I. von Plesse und Herzog Heinrich der Löwe persönlich kannten.
Helmold II. von Plesse nahm am 6. Juni 1191 an einer Beurkundung teil, mit der Herzog Heinrich der Löwe zusammen mit seinem Sohn Heinrich - dem späteren Pfalzgrafen bei Rhein - einigen Grundbesitz an das Kloster Walkenried übertrugen. In der Zeugenreihe zu dieser Urkunde erscheint Helmold II. von Plesse an letzter Stelle. Vor ihm testieren acht kirchliche und dreizehn weltliche Persönlichkeiten, gleichwohl wird Helmold II. durch die Formulierung „et alli quam plures, Helmoldus de Plesse unus testium“ besonders hervorgehoben und gehörte damit trotz seiner Jugend fortan zum engsten Kreis der Welfen-Partei. Damals begegnete Helmold II. nicht nur dem Herzog und dessen Sohn Heinrich, sondern auch den Äbten der Klöster von Braunschweig und Riddagshausen, den Pröpsten von Sterburg, Halberstadt, Fritzlar, Einbeck und Lübeck, sowie dem Kaplan und Kanoniker Balduin, der zugleich auch Notar Heinrichs des Löwen war. Zu diesem Kreis gehörten so berühmte weltliche Herren wie die Grafen Bernhard II. von der Lippe, Bernhard von Wölpe, Konrad von Roden (Vater und Sohn), Konrad von Poppenburg, Ludolf von Wohldenberg, Ludolf von Hagen sowie der Truchsess (Leiter der Hofverwaltung) und der Marschall (Befehlshaber der Reitertruppen) Heinrichs des Löwen. Diese Männer bildeten mehr oder weniger die Führungsriege, die auch nach der Acht und Verbannung des Herzogs noch zu ihm hielt - allen voran der bedeutende und faszinierende Bernhard II. von der Lippe. Seine und die Wege Helmolds haben sich vermutlich in den nächsten zwanzig Jahren mehrfach gekreuzt, wobei von einer besonderem Begebenheit des Jahres 1211 im fernen Riga noch zu berichten sein wird.
Der junge Helmold II. von Plesse traf am Braunschweiger Hof einflussreiche Männer seiner Zeit. Unter ihnen war Bernhard II. von der Lippe zweifellos eine ganz außergewöhnliche politische Begabung, denn er vermochte es, zeitlebens ein Freund der Welfen zu bleiben ohne es jemals mit den Staufern nachhaltig verdorben zu haben. Vielleicht war seine politische Navigationskunst ein Vorbild für die Herren von Plesse, die selber darauf bedacht sein mussten, mit ihrem Besitz an der Leine nicht auf die Riffs mächtiger nachbarschaftlicher Interessenten aufzulaufen.
2 Der erste staufisch-welfische Thronstreit
Kaiser Heinrich VI. führte in jenen Jahren die staufische Weltmonarchie auf einen Machtgipfel, doch er überzog, indem er eine universale königliche Machtstellung mit der Lehnshoheit über alle abendländischen Reiche anstrebte. Zum Ausgleich bot er den weltlichen Fürsten die Erblichkeit ihrer Lehen - auch in weiblicher Linie - an und verzichtete auf das königliche Spolienrecht am Nachlass der Reichskirchen. Der Kaiser wollte Deutschland zum staufischen Erbreich machen und zugleich Sizilien dauerhaft mit dem Kaiserreich verbinden. Dieser Plan scheiterte natürlich aus sehr unterschiedlichen Gründen am Widerspruch der Fürsten und des Papstes. Als Heinrich VI. im Jahr 1197 auf seinem Dritten Italienzug mit zweiunddreißig Jahren dem Sumpffieber erlag, brach sein Herrschaftskonzept zusammen und die zentrifugalen Kräfte im Reich gewannen endgültig die Oberhand. In Deutschland zeigte sich dies 1198 in der Doppelwahl von zwei Königen. Die alte volksrechtliche Wahl eines Königs nach Geblütsrecht wurde jetzt endgültig von der freien Fürstenwahl verdrängt und mit ihr begann die Auflösung der Kaisermacht nach innen und nach außen. Als Parallelkönige traten an: Philipp von Schwaben, der politisch begabte, ritterliche, tatkräftige, diplomatische, zwanzig Jahre alte Sohn von Kaiser Barbarossa und Otto IV. von Braunschweig, der dreiundzwanzigjährige Sohn Heinrichs des Löwen, am Hofe seines Onkels Richard I. von England (Löwenherz) aufgewachsen, finanzstark durch königlich-englische Geldquellen, Besitzer der französischen Grafschaft Poitou und Herzog von Aquitanien, ein normannicher Ritter, tapfer, tollkühn und einer der großen Förderer der höfischen deutschen Kultur.
Dieses Doppelkönigtum von 1198 spaltete nicht nur die Anhänger der Staufer und Welfen, sondern es spaltete sogar das Welfenhaus selber, denn als es um die Wahl Ottos IV. ging, ließ sich sein Bruder Heinrich, Pfalzgraf bei Rhein und nur noch nomineller „dux Saxonie“, das Votum für seinen Bruder und die Abtretung von Braunschweig schlichtweg abhandeln. Er muss deshalb und wegen ähnlicher Vorkommnisse in der Folgezeit der Partei der Staufer zugerechnet werden. Seither stand Helmold II. von Plesse fest auf Seiten des Welfenkönigs. Bis 1197 testierte er zwar noch in verschiedenen Urkunden des Pfalzgrafen, aber nach der Doppelwahl von 1198 hält er konsequent zum König. Beispielsweise ist er im Januar 1199 in Braunschweig als Zeuge dabei, als der König die Bürger der Stadt in seinen Schutz stellt und sie von allen Schatzungen und Zöllen im Reich befreit. Dieser Privilegierung sollte 1204 notgedrungen noch eine weitere folgen (Übertragung der Pfarrkirche St. Martin mit dem Recht der Pfarrerwahl), um die Braunschweiger vom Übertritt auf die Seite des Pfalzgrafen bei Rhein abzuhalten, denn ohne die Stadt und ohne die Feste Lichtenberg, die dem König den Zugang nach Hildesheim und in das erzreiche Goslar sicherte, wäre der Welfe schon jetzt und nicht erst 1205 ein weitgehend entmachteter König gewesen.
Zwischen 1199 und 1207 – es sind die Jahre des politischen Abseits von König Otto IV. - gibt es nur spärliche Informationen über Helmold II. von Plesse. Bekannt ist z. B., dass er 1203 bei einer Beurkundung des Erzbischofs Siegfried II. von Mainz mitwirkte und 1205 Zeuge einer Güterübertragung von Abt Detmar von Corvey auf Propst Konrad von Kemnade war. Erst 1207 begab er sich – nun wieder im Auftrag von König Otto IV. - mit elf weiteren Zeugen in den Dom zu Minden, um eine Schenkung an das Kloster Marienwerder zu bezeugen - zusammengenommen war dies keine große Politik, sondern eher Handlungen, die das politische Abseits verdeutlichen, in dem sich König Otto IV. in jenen Jahren befand.
3 Königsmord, Königswahl und Königsumritt
Am 21. Juni 1208, wurde König Philipp von Schwaben durch den bayerischen Pfalzgrafen Otto VIII von Wittelsbach ermordet. Ob es aus privater Rache geschah oder der Staatsstreich einer organisierten Gruppe war, kann hier dahinstehen. Jedenfalls gerieten nunmehr die ohnehin schon bürgerkriegsähnlichen Zustände nördlich und südlich der Alpen gänzlich außer Kontrolle und erzwangen ein energisches Zusammengehen der bisher verfeindeten Seiten. König Otto IV., „der seine Hände beim Königsmord mit Sicherheit nicht im Spiel hatte“ und die verwaiste staufische Reichsministerialität erkannten - jeweils mit Blick auf die Dinge aus ihrer Perspektive - die sich bietenden Chancen. Dabei war hilfreich, dass der erst zwölf Jahre alte Staufer Friedrich II. von Sizilien noch keine tragfähige Alternative war - vorerst jedenfalls. Folglich lief fortan alles mit kräftigem militärischem Druck, vielfältigem ölen und salben mit schwerer Silbermark aus königlich englischen Schatullen und den Tresoren der am Fernhandel mit England interessierten Kölner Kaufmannschaft auf König Otto IV. zu.
Auf dem Hoftag zu Frankfurt am 11. November 1208 wurden folgende Weichen für die (nochmalige) Königswahl des Welfen gestellt: Anerkennung Ottos IV. durch die Fürstenversammlung, Übergabe der drei Reichsinsignien an Otto IV., Verurteilung des Königsmörders und die Verlobung Ottos IV. mit Beatrix von Schwaben (Tochter des Ermordeten). Schon am 15. November 1208 begann Otto seinen Königsumritt, die symbolische Besitzergreifung im Reich. Die erzbischöfliche Metropole Mainz war die erste Station. Weiter ging es nach Worms zum Bruder Heinrich, dem Pfalzgrafen bei Rhein. Hier erneuerte der König ein Schutzprivileg für das Kloster Berchtesgaden. Zu den zehn Zeugen der Privilegierung gehörte Helmold II. von Plesse. Am ersten Advent war der königliche Tross in Speyer. Hier begünstigte Otto IV. die Bürgerschaften der Städte Worms und Speyer und bestätigte das schon von Kaiser Heinrich V. der Stadt erteilte und an der Vorderseite der Domkirche „mit goldenen Buchstaben angeschriebene Privileg in gleicher Weise, wie Kaiser Friedrich es interpretiert hat.“ Mit dieser Geste gelang es dem König das, das bis dahin stauferfreundliche Speyer für sich einzunehmen. Auch an dieser feierlichen Rechtshandlung in der salischen Kaiserkirche nahm Helmold II. von Plesse teil. Es war ein ausgewählter Kreis, der die Zeremonie umrahmte: Erzbischof Siegfried II. von Mainz, Abt Wolfram von Weißenburg, Herzog Walram von Limburg, die Grafen Friedrich von Leiningen, Burghard von Mansfeld, die Herren von Eppstein, von Bolanden, von Wolfenbüttel (Truchsess) und nicht zuletzt Heinrich von Kalden (Reichsmarschall), der im Frühjahr 1209 den Fürstenbeschluss von Frankfurt vollstreckte, indem er Otto VIII. von Wittelsbach, den Königsmörder, persönlich stellte und tötete.
Nach Speyer waren die nächsten Stationen des Umrittes Köln, Bonn und Augsburg (Hoftag). Die Termine bis dort lagen eng beieinander. Alles musste in schrfem Ritt bewältigt werden. Es folgten Memmingen, die Abtei Weingarten (Grablege seiner welfischen Vorfahren), Ulm, Aufkirchen, Nürnberg (Hoftag), Bamberg, Höchstadt, Neustadt an der Aisch, Windsheim, Rothenburg ob der Tauber. „Schon am 24 Februar ist er hier nachweißbar, und erst am 4. März in dem drei Tage entfernten Esslingen.“ Weiter ging es über den Rhein (keine Brücke) ins Elsaß, nach Hagenau (Hoftag) und nochmals am 22. März nach Speyer. „Wie es scheint, etwas sprunghaft, führte der Königsumritt vom Rhein nach Altenburg in Thüringen (2. Mai) … Mit Merseburg (7. Mai) erreichte Otto den östlichsten Punkt des Umritts“. Zehn Tage später beendete der König seine Reise in Braunschweig.
Es ist nicht überliefert, ob Helmold II. sich bereits am 11. November 1208 im Gefolge des Königs auf dem Hoftag in Frankfurt befand und ob er den anschließenden Königsumritt vollständig mitmachte. Aus welchem Grund sollte er aber nur bei dem zweiten und dritten Etappenziel in Worms und Speyer und schließlich beim letzten, dem einundzwanzigsten in Braunschweig zum Gefolge des Königs gehört haben? Gleich wie es war: Die überragende körperliche Leistung des Königs und aller am Umritt Beteiligten können heute allenfalls noch Vielseitigskeitsreiter nachempfinden und würdigen. Die Reise dauerte insgesamt 182 Tage bei einer Gesamtstrecke von ca. 2700 km. Zu Pferd saßen der König und seine Begleiter davon vermutlich nur insgesamt 60-80 Tage, denn die übrige Zeit war Hoftagen, Amtsgeschäften und Pausenzeiten vorbehalten, woraus sich eine mittlere Reitdistanz von 30 bis 50 km je Tag ergibt - und das in den eher unwirtlichen Monaten zwischen November und Mai. Ein großer Tross bewegte sich durch das Land, alles musste vorausgeplant und Tag für Tag neu organisiert werden und mancher Gastgeber wird über die Kosten des hohen Besuch und seiner Begleiter gestöhnt haben.
4 Das Quedlinburger Reliquiar
„Ihren ideellen Gipfel erreichte die Reise zu Pfingsten – der Pfingstsonntag fiel auf den 17. Mai – in Braunschweig. Hier versammelte Otto nur seine vertrauten Freunde um sich, was mit der Konstituierung einer Ritter- oder Artusgesellschaft zusammenzuhängen scheint.“ Bernd Ulrich Hucker bezieht sich damit auf das Quedlinburger Wappenkästchen, eines der bedeutenden heraldischen Monumente aus der Zeit König Ottos IV, „das in seiner Art singulär ist“ und heute zu den herausragenden Ausstellungsstücken in der Quedlinburger Stiftskirche gehört. Auf dem ovalen Kästchen aus Bast-Korbgeflecht sind einunddreißig Wappen in Schildform sowie zwei Wappen auf einem Ritterpaar dargestellt, das in Turnierart aufeinander zureitet. Es ist nicht zu bezweifeln, dass die Herstellung der Wappenabbildungen mit Bezug auf den Hoftag zu Pfingsten des Jahre 1209 in Braunschweig erfolgte, denn nur dort war eine so große Anzahl treuer oder jedenfalls zeitweiliger Anhänger des Königs versammelt. Nathali Kruppa ist es gelungen, aus der Anordnung der Wappen eine klar erkennbare Ordnung abzuleiten: „Den Mittelpunkt bildet das Wappen Ottos IV., der von seinen Getreuen umgeben wird - symbolisiert durch ihre Wappen. In seinem Rücken befinden sich die Reichsfürsten, der Landgraf von Thüringen, Ottos Bruder Heinrich als Pfalzgraf bei Rhein und Herzog Bernhard von Sachsen. Rechts und links dann Ottos Freund, Dietrich von Meißen und Ludolf II. von Hallermunt, der Anführer des Livland-Kreuzzuges des Jahres 1209. Diese fünf Edlen bilden den inneren Machtkreis um den König, wobei sein Bruder direkt hinter ihm steht. Die restlichen sechs Wappen auf dem Deckel, ausgenommen das seines Schenken Jusarius von Blankenburg, bilden den Schild- oder Schutzwall um die Majestät. Die restlichen einundzwanzig Wappen der Grafen, Edelherren und Ministerialen bilden den äußeren Kreis um Otto IV. und die ihn unmittelbar umgebende Gruppe.“
Zu diesem „äußeren Kreis“ gehörte der Ritter Helmold II. von Plesse. Sein auf dem Reliquiar abgebildetes Schild ist die frühste farbliche Darstellung eines Wappens der Herren von Plesse überhaupt. Die Wappenfarben sind Rot und Silber, denn auf dem roten Schild befindet sich ein in Silber gehaltener, zweiteiliger Maueranker, dessen beiden spiegelbildlich angeordneten Teile zweifach miteinander verbunden und deren vier Enden nach innen eingerollt sind. Die Fragen, aus welchem Anlass das Reliquiar in den Schatz der Stiftskirche gelangt ist und ob das Wappenkästchen „nur“ zum Andenken an das prächtige königliche Ritterturnier vom 17. Mai 1209 geschaffen wurde oder sogar als das Kleinod einer exklusiven königlichen Rittergesellschaft angesehen werden muss, können hier unbeantwortet bleiben, denn dieses zierliche heraldische Monument gewährt uns – so oder so – tiefe Einblicke in das Selbstverständnis einer weit zurückliegenden Zeit der deutschen Geschichte. Das Quedlinburger Wappenkästchen ist ein bedeutendes Dokument, weil der (oder die) Auftraggeber des Kunstwerkes ein Gruppenbild in zeitlos verständlicher Bildersprache hat anfertigen lassen, aus dem man Rittertum, Kunst- und Ordnungssinn oder – zusammengenommen - adeliges Selbstverständnis im hohen Mittelalter nachempfinden kann. Auch am Quedlinburger Wappenkästchen zeigt sich, dass König Otto IV. in Wahrheit nicht jener tumbe Haudrauf war, zu dem ihn eine geschickte staufische Propaganda für lange Zeit abzustempeln vermochte, sondern er war trotz des Scheiterns seiner imperialen Politik – erfolglose Kreuzzugspläne, erfolglose Rückeroberung der nordelbischen Gebiete von den Dänen, erfolglose Eroberungspläne gegen Frankreich, Sizilien und Verlust des bereits unterworfenen Apulien – seit dem Jahr 1208 vor allem als ein bedeutender Gönner von Kunst und Literatur hervorgetreten. Von ihm wurden die Pfalzen in Aachen und Goslar sowie die Harzburg erweitert, für Kathedralen und Stiftskirchen stiftete er Reliquiare. Zu seinem Hofkreis gehörten Dichter wie Walther von der Vogelweide oder zum Beispiel der unbekannte Gestalter des Quedlinburger Wappenkästchens.
5 Die Kaiserkrönung Ottos IV.
Auf dem Hoftag in Hagenau vom 11. März 1209 hatten die Fürsten den Romzug des Königs beschlossen. Diese Heerfahrt sollte nicht nur dessen größte militärische Leistung werden, sondern ihm auch die höchste weltliche Würde eintragen, die die Christenheit zu vergeben hatte – die Krönung zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Zu seiner Begleitung stellten die Fürsten wenigstens dreißig Teilnehmer und das Aufgebot der Reichsministerialität umfasste „6000 Panzerreiter(n) und eine unbekannte Zahl Schützen, darunter 450 Braunschweiger Bürger.“ Der Italienzug begann anlässlich eines Hoftages in Augsburg. Die Route berührte Innsbruck, führte über den Brennerpaß hinab nach Brixen, sie verlief weiter entlang der Etsch und vorbei an Trient, Verona (Kämpfe), Mantua, Cremona (Querung des Po), Parma, Pontrémoli, Siena, Bolsena und folgte dann der alten Kaiserstraße von Pavia nach Rom. Mehr als 1000 km betrug die klug gewählte Wegestrecke von Augsburg bis Rom. „Am 2. Oktober 1209 erreichte Otto mit seinem Heer den Monte Mario vor Rom, von wo aus er die Ganze Stadt überblicken und auch schon den ´rechten Ort´ seiner Krönung, die Petersbasilika, sehen konnte. Nun standen der festliche Einzug in die Stadt und die Krönung durch den Papst unmittelbar bevor.“ Am 4. Oktober 1209 wurde Otto IV. von Papst Innozenz III. zum Kaiser gekrönt. „Die aufwendige Kaiserkrönung führte aller Welt Aufgaben und Stellung des römischen Kaisers vor Augen. Als Festakt kommt ihr nur noch die Inthronisation des Papstes gleich.“ Wir wissen, dass Helmold II. von Plesse den König nach Rom begleitet hat. Ob er aber das Krönungsritual persönlich miterleben konnte oder im Heerlager der Truppen auf dem Monte Mario - ca. 3 km nördlich vom Vatikan - anderweitige Aufgaben wahrzunehmen hatte, ist unbekannt.
Das Festmahl nach der Kaiserkrönung, an dem Papst Innozenz III. teilnahm, gab Kaiser Otto IV. in seinem Heerlager. Schon bald danach wurden Spannungen zwischen beiden mehr und mehr sichtbar, insbesondere wegen ihrer unterschiedlichen Positionen zum Kaiserrecht über Mittelitalien und zum Königreich Sizilien. Im Dezember 1209 verlegte der Kaiser seine Truppen in das Herzogtum Spoleto und verbrachte die Weihnachtszeit mit nobler Begleitung in und bei Terni, etwa 70 Kilometer nördlich von Rom. Dort beging er offensichtlich nicht nur das christliche Fest, sondern waltete auch seines Herrscheramtes. Beispielsweise ließ Kaiser Otto IV. am 24. Dezember 1209 zwei Urkunden ausfertigen, in denen er das heimatliche Walkenried in seinen Schutz nimmt, Schenkungen Kaiser Friedrichs I. (Barbarossa) an das Kloster bestätigt und diese noch zusätzlich vermehrt. Die dritte Urkunde wurde am 26. Dezember 1209 ausgestellt. In ihr nimmt der Kaiser das Zisterzienserkloster Pforte (Schulpforta) in seinen Schutz, bestätigt dessen Besitzungen (u. a. Weinberge) und Rechte und gestattet ihm, von Freien und Reichsministerialen Güter zu erwerben, ohne vorher um eine kaiserliche Sondererlaubnis nachsuchen zu müssen. In diesen drei Urkunden erscheint Helmold II. von Plesse als Zeuge.
Es war eine illustre Gesellschaft, die der Kaiser in Terni um sich versammelte. Eine herausragende Persönlichkeit in dieser Runde war Wolfger von Erla (1140–1218), der vormalige Bischof von Passau, der Konfliktlöser nach der Geiselnahme von Richard Löwenherz (Onkel des Kaisers), der Förderer des Deutschen Ordens, der Teilnehmer des Kreuzzuges von 1197/98, der Reichslegat und mächtige Patriarch von Aquilea oder – wie der Kaiser selber – ein Gönner und Förderer Walters von der Vogelweide. Zum Kreis um den Welfenkaiser gehörten auch der Erzbischof von Pisa, die Bischöfe von Cambrai und Mantua (Hofvikar) oder beispielsweise die Grafen von Vienne, von Friaul oder der Markgraf von Este. Von den kaiserlichen Reichsministerialen waren der Marschall, Mundschenk, Kämmerer, Küchenmeister und drei Hofrichter bei den Beurkundungen anwesend.
6 Die Christianisierung des Baltikums
Kaiser Otto IV. machte seit dem Königsumritt in Deutschland und seinem Zug nach Italien nicht nur in diesen Kernlanden aktive Politik, sondern bei ihm setzte 1209 auch ein deutliches Interesse an den „Kreuzfahrerstaaten“ ein, die seit Beginn des Jahrhunderts im Baltikum entstanden waren. Der erste Missionar dort war seit 1184 der Mönch Meinhard von Segeberg, der 1186 vom Bremer Erzbischof zum ersten Bischof von Livland geweiht wurde. Die Missionierung der Eingeborenen hatte bis 1196 nur bescheidene Erfolge. Sein Nachfolger als zweiter Bischof von Livland wurde im Jahr 1197 Berthold, der bis dahin Abt des Zisterzienserklosters Loccum war. Er hatte nicht das Vertrauen der Liven und versuchte es im Jahr 1189 mit der Macht von ca. 1000 Kreuzfahrern. Bei diesen Kämpfen kam er am 24. Juli 1198 selbst um und die aufständischen Liven, die sich wieder vom Christentum lossagten, wiesen im März 1199 sämtliche Priester aus. Daraufhin handelte der Erzbischof zu Hamburg und Bremen schnell und ernannte nun Albert von Buxhoevede schon am 29. März 1199 zum dritten Oberhirten von Livland. Papst Innozenz III. unterstützte dessen Berufung durch eine Bulle vom 5. Oktober 1199, mit der er die Gläubigen zum Schutz der livländischen Kirche aufrief, den Bischof weihte, ihm den Auftrag erteilte, Livland zu christianisieren, die Region zum „Marienland“ erklärte, die Einwanderung dorthin den Kreuzzügen gleichsetzte und sogar zu allem die Zustimmung und Unterstützung von König Philipp von Schwaben erhielt. Bischof Albert von Buxhoevede kam gut informiert und vorbereitet nach Livland und bewies dies durch zügiges, gezieltes und kluges politisches Handeln. An der Spitze von 23 Koggen und einem angeworbenen Kreuzfahrerheer begann er die Missionierung. Bereits 1201 begann er mit den ersten Vorbereitungen für die Gründung Rigas und des Schwertbrüderordens als Stütze bei der Eroberung und Kultivierung Livlands. Sein militärischer Fachmann dafür war Theoderich von Treiden, der als Anhänger des Templerordens von Jerusalem die notwendige Kompetenz mitbrachte. Das Hauptquartier des neuen Ordens der Kreuzritter wurde in den Stadtkern Rigas gelegt. Seine Mitglieder mussten unter spartanischen Bedingungen leben, sich in Keuschheit üben und waren dem Ordensmeister zu Gehorsam verpflichtet. Der Schwertbrüderorden organisierte sich in drei Klassen, die sich auch durch ihre Kleidung unterschieden: Die Ritter trugen einen weißen Mantel, die Priester eine weiße Kutte und die dienenden Brüder schwarze oder braune Kleidung, aber alle waren am roten Schwertkreuz unterhalb der linken Schulter zu erkennen. Der Orden betrieb Landnahme mit dem Schwert in Gebieten, die nach damaliger Rechtsauffassung Niemandsland waren, weil sie keine christlichen Bewohner hatten. Papst Innozenz III. bestätigte im Jahr 1204 den Schwertbrüderorden und verpflichtete dessen Meister zum Gehorsam gegen den Bischof. Im Jahr 1206 unterwarfen sich die Liven endgültig. Der Orden errichtet erste Burgen im Land und erobert ganz Livland und Estland. Entgegen der päpstlichen Anordnung machte sich der Schwertbrüderorden vom Bischof unabhängig, denn im Jahr 1207 wurden alle Eroberungen zwischen Bischof Albert von Buxhoevede, seinem Bruder Hermann I. und dem Orden aufgeteilt. Jeder erhielt ein Drittel des Landes. Unermüdlich war Bischof Albert von Buxhoevede darauf bedacht, durch neue Pilgerscharen aus Norddeutschland, für die er vom Papst völligen Sündenerlass erwirkte, die Kolonie zu stärken, auszubreiten und die Eingeborenen zum Christentum zu bekehren. Er reiste insgesamt dreizehnmal nach Deutschland und mehrmals nach Italien, um immer neue Kreuzfahrer nach Livland zu holen. Es war Ehrensache für die edelsten und kühnsten Männer Norddeutschlands, seinem Ruf zu folgen und für die Sache des Glaubens zu kämpfen. Am 1. April 1207 hat König Philipp von Schwaben schließlich dem Bremischen Bischof das eroberte Livland als „aufgetragenes“ Lehen übergeben. Livland wurde staatsrechtlich ein geistliches Fürstentum des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und Bischof Albert von Buxhoevede wurde Reichsfürst. Er weihte das „Marienland“ Livland der Mutter Gottes. Der erste Ordensstaat des Hochmittelalters war entstanden.
7 Der Livlandkreuzzug von 1211
Kaiser Otto IV. setzte diese imperiale Politik seiner staufischen Vorgänger fort. Im Reich waren es die Bischöfe von Paderborn, Verden und Ratzeburg, die sich als Parteigänger des Kaisers nunmehr der baltischen Sache annahmen. Dabei konnte Bischof Bernhard III. von Paderborn auf die Herren von Plesse zurückgreifen, die ihm wegen ihres umfangreichen Paderbornerlehens zu Lehnsdiensten verpflichtet waren. Bald nach der Kaiserkrönung – die Machtkämpfe zwischen dem Papst und Otto IV. hatten zunehmend turbulente Züge angenommen - scheint der Bischof Helmold II. von Plesse zur Erfüllung seiner Lehnspflichten angefordert zu haben. Welchen Rückweg aus Italien der Ritter genommen hat, wissen wir nicht. In Deutschland finden wir ihn 1210 zunächst zusammen mit seinen Vettern Ludolf I. und Gottschalk II. von Plesse als Zeugen in einer Belehnung der Grafen von Dassel durch Bischof Bernhard III. von Paderborn. Dann wird er sich auf die Livland-Expedition vorbereitet haben, ehe er im Frühling 1211 ins Baltikum aufbrach. Darüber berichtet die zeitgenössische „Henrici Chronicon Livoniae“ :
„Es war das 13. Jahr des Bischofs und die Kirche fand keine Ruhe vor dem Krieg. Deshalb kam der deutsche Bischof (Albert von Buxhoevede, Bischof von Livland) zurück und mit ihm kamen drei Bischöfe, Phillip von Ratzeburg, Yso von Verden und der Bischof von Paderborn, Helmold von Plesse, Bernhard von Lippe und andere Adelige und so viele Kreuzfahrer, deren Ankunft von allen ersehnt worden war, dass sie diejenigen befreien konnten, die sich in Gefahr befanden.“ Die drei Kirchenfürsten und die beiden Ritter kamen gemeinsam 1211 nach Riga. Sie hatten sich mit ihrem Tross vermutlich in Lübeck eingeschifft, dem Auswandererhafen für Livland. Genau zwanzig Jahre nach ihrer letzten Begegnung am Hof Heinrichs des Löwen traten Helmold II. von Plesse und Bernhard II. von Lippe noch einmal gemeinsam im Auftrag des welfischen Kaisers an. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: „Beide teilten sich den Oberbefehl über das Kreuzheer und trugen einen großen Sieg davon“. Die Begeisterung und innere Überzeugung, mit der das alles geschah, lässt sich kaum besser als daran erkennen, dass Bernhard II von Lippe immerhin schon siebzig Jahre alt war, als er diesen Kraftakt auf sich nahm. Seine Herrschaft hatte er seinem Sohn Hermann II. bereits im Jahr 1194 übergeben und pilgerte nun als Zisterzienser-Mönch - „frater Bernhardus de Lippa“ - in die baltischen Länder, wurde dort Abt des Marienfelder Filialklosters Dünamünde, bekämpfte als Verbündeter des Schwertbrüderordens mit Erfolg die heidnischen Esten und wurde schließlich von seinem Sohn, Bischof Otto von Utrecht, zum Bischof des livländischen Selonien (Seiburg) geweiht. Im Alter von weit über achtzig Jahren starb Bernhard II. von Lippe im Jahr 1224 und wurde in Dünamünde beigesetzt. Für jeden - auch für Helmold II. von Plesse - wird es ein Erlebnis und eine Ehre gewesen sein, gemeinsam mit diesem Edelmann die baltische Sache entscheidend vorangebracht zu haben. Mit ihrem militärischen Erfolg haben nicht zuletzt diese beiden Ritter einen Markstein der Eroberung des Baltikums gesetzt. Über das Ereignis selbst führt Heinrich von Livland folgendes aus:
„Über den großen Feldzug der Rotalier, Reveler und Osilier nach Treiden. Unterdessen riefen die Osilier, Revelenser und Rotalier ein großes und tapferes Heer zusammen aus allen wiekischen Provinzen; unter ihnen waren alle älteren Kriegspflichtigen aus Osilien und Rotalien und aus ganz Estland und sie hatten viele Tausend Reiter und mehrere Tausend kamen mit dem Schiff und sie rückten nach Livland vor. Und die Reiter kamen mit ihren Fußsoldaten nach Metsepole und eitlen nach Treiden. Die anderen kamen über das Meer mit ihren Kriegsschiffen und fuhren die Koiwa hinauf und an einem Tag kamen sie alle gleichzeitig mit ihren Reitern nahe bei der großen Burg Kaupos , die die Livländer damals wegen ihrer Furcht vor den Heiden bewohnten, zusammen und belagerten sie ringsum und von allen Seiten, indem sich die Reiter im vorderen Teil der Burg, die anderen im hinteren Teil nahe bei ihren Kriegsschiffen am Fluss niederließen. Und auf dem Schlachtfeld traten ihnen die aus Riga geschickten Armbrustschützen entgegen, die die Burg zusammen mit den Livländern bewachten und sie verwundeten und töteten viele von ihnen, nämlich die Unbewaffneten, die den Gebrauch der Waffen nicht so sehr kannten wie es die anderen Völker taten. Danach schickten die Estländer einige von ihren Tapfersten durch die Provinz um zu plündern. Sie setzten Dörfer und Kirchen in Brand und töteten von den Livländern diejenigen, die sie ergreifen konnten, nahmen die anderen gefangen und machten viel Beute und trieben Rinder und Kleinvieh bei ihrem Sammelplatz zusammen und opferten die Rinder und das andere Kleinvieh und flehten ihre Götter an und baten um ihre Gunst. Aber das durchbohrte Fleisch (=Vieh) fiel auf die linke (=schlechte, dunkle, böse) Seite, was eine Beleidigung für die Götter und ein schlechtes Vorzeichen bedeutete. Sie selbst ließen aber von ihrem Vorhaben nicht ab, griffen diejenigen an, die in der Burg waren, richteten Holzhaufen auf, unterminierten den Berg um die Burg; dort würden sie magetac, das heißt auf ewig bleiben, bis sie entweder die Burg zerstört oder die Livländer zur Zustimmung erweicht hätten, dass sie geloben würden, denselben Weg mit ihnen zu gehen um Riga zu zerstören. Und es sagt ein Live von der Burg: „Maga magamas“, d.h. „Du wirst hier ewig sein!“ Die Brüder der Ritterschaft in Sygulda sahen also alles, was die Heiden machten, gaben den Riganern ein Zeichen und forderten die Hilfe der Kreuzfahrer. Boten der Livländer, die in der besetzten Burg waren, kamen und erzählten ihnen unter Tränen von all dem Leid, das die Livländer und Letten durch die Heiden erfahren mussten und baten die Bischöfe demütig, ihre Männer zu schicken um ihre Kirche zu befreien. Unverzügliche ermahnten die Bischöfe ihre Ritter, und erlegten den Kreuzfahrern und dem ganzen Volke zur Vergebung der Sünden auf, ihren livländischen Brüdern zu Hilfe zu kommen und mit Gottes Zutun sich an den estländischen Völkern zu rächen. Und die Brüder der Ritterschaft standen auf mit den Kreuzfahrern und Helmold von Plesse und die Ritter legten sich ihre Waffen und den Pferden den Brustschmuck an und brachen mit ihren Fußsoldaten und den Livländern und alle ihrem Gefolge auf zur Koiwa; sie überquerten die Koiwa und schritten die ganze Nacht voran, und schon näherten sie sich den Heiden; sie stellten ein Heer auf um Krieg zu führen und sie schickten Fußsoldaten auf dem großen Weg voraus, der bei Wendekulla war; die Reiter aber folgten auf dem Weg, der auf der rechten Seite war. Und die Fußsoldaten gingen behutsam und ordentlich und als es morgen war, stiegen sie den Berg herab, sahen die Burg und das Heer der Heiden und ein Tal war zwischen ihnen. Und nachdem die Pauke sofort mit Freuden geschlagen wurde, erheiterten sie mit Musikinstrumenten und mit den Gesängen die Herzen der Männer und riefen den milden Gott über ihnen um Hilfe an; sie näherten sich hastig den Heiden und nachdem sie das Bächlein überschritten hatten um sich zu sammeln, ließen sie sich ein wenig nieder. Beim Anblick der Heiden und durch gewisse Dinge erschreckt, rannten sie los und ergriffen die Rundeschilde; die einen eilten zu Pferd heran, die anderen sprangen über den Zaun; sie kamen gleichzeitig in einem Ort zusammen, die Luft war erfüllt von ihrem Geschrei, sie traten in großen Mengen den Christen entgegen, schickten Lanzen über sie obgleich es Regen wäre, die Christen fingen die Lanzen mit ihren Rundschilden auf. Nachdem keine (=Lanzen) mehr übrig waren, rissen sie die Schwerter an sich, näherten sich und begannen die Schlacht; die Verletzten fielen, die Heiden kämpften wie Männer. Als sie ihre Tapferkeit sahen, stürzten die Ritter eilig mitten durch die Feinde und jagten ihnen mit ihren mit Brustschmuck geschmückten Pferden Angst ein, streckten viele auf der Erde nieder, die anderen jagten sie in die Flucht, sie verfolgten die Fliehenden auf der Strasse und durch die Äcker, ergriffen und töteten sie. Die Livländer aus der Burg traten mit Armbrustschützen den fliehenden Heiden entgegen, sie scheuchten sie auf dem Weg hin und her, umringten sie und töteten sie, folgten ihnen so sehr bis zu den Deutschen, so dass wenige von ihnen entkamen und dass die Deutschen sogar einige von den Livländern, die den Esthen ähnelten, töteten. Aber einige von ihnen flohen auf einem anderen Weg, der um die Burg herum Richtung Koiwa führte, und kamen zum anderen Teil des Heeres und sie entkamen. Aber viele von ihnen sind, als sie vom Berg herabstiegen, von den Rittern, die sie verfolgten, getötet worden. Dort ist Everhard, ein Bruder der Ritterschaft, getötete worden und etliche von unseren Rittern sind verletzt worden. Bisweilen sah der andere Teil des Heeres den Tod der Seinigen und sie kamen auf dem Berg, der zwischen der Burg und der Kowa liegt, zusammen und bereiteten sich auf die Verteidigung vor. Die Livländer und die christlichen Fußsoldaten aber plünderten, raubten die Pferde, von denen es dort viele tausend gab und vernachlässigten den Kampf gegen die restlichen Heiden. Aber die Soldaten und Armbrustschützen überfielen sie während sie auf dem Berg saßen und töteten viele von ihnen. Deswegen baten sie diese um Frieden und versprachen, das Sakrament der Taufe zu empfangen. Die Soldaten glaubten ihren Worten und zeigten es den Bischöfen an, damit sie kamen um diese aufzunehmen. In der Nacht aber flüchteten sie sich zu ihren Kriegsschiffen und sie wollten ans Meer gelangen, aber die Armbrustschützen hinderten sie von allen Seiten der Koiwa daran, hinab zu fahren. Andere Kreuzfahrer mit Bernhard von Lippe aus Riga kamen zur Koiwa und schlugen eine Brücke über den Fluss und bauten oberhalb Holzgerüste, fingen die kommenden Kriegsschiffe mit Pfeilen und Lanzen ab und verschlossen den Heiden den Fluchtweg zu allen Seiten. Daher haben sie, nachdem sie in der tiefen Stille der folgenden Nacht all ihre Habseligkeiten zurückgelassen hatten, heimlich ihre Kaperschiffe verlassen und sind geflohen und einige verhungerten in den Wäldern, andere nahe beim Weg und wenige von ihnen entkamen in ihr Heimatland, um es daheim zu melden. Aber ebenda waren ungefähr zweitausend ihrer Besitztümer/Pferde (=acquisitorum?) und gleichzeitig auch andere zweitausend tote Männer. Die Kreuzfahrer und alle, die im Krieg umgekommen waren, kehrten nach Riga zurück und die Seeräuberschiffe der Heiden führten sie mit sich, ungefähr dreihundert ohne die kleineren Schiffe; Pferde und die ganze Beute teilten sie gerecht untereinander auf, gaben den Kirchen Teile davon ab und zusammen mit den Bischöfen und dem ganzen Volk lobten sie Gott, der bei der ersten Ankunft vieler Bischöfe einen so glorreichen Triumph über die Heiden zugelassen hatte. Denn dann erkannte die Kirche der Livländer, dass Gott wahrhaft für sie kämpfte, weil in diesem Krieg durch ihn die obersten Köpfe Estlands fielen, d. h. die Ältesten der Osilsier und die Ältesten der Rotalier und der andren Provinzen die ebenso alle getötet wurden. Und so ließ der Herr deren Hochmut sterben und demütigte die Arroganz der Tapferen.“
Die missionarischen Aktivitäten im Baltikum waren in Norddeutschland und im Ostseeraum logistisch, militärisch und kommerziell bestens abgesichert. So gab es beispielsweise in der Stadt Paderborn ein Hospital für Pilger mit einer eigenen Verfassung, die im Jahr 1211 vom Bischof Bernhard III. von Paderborn bestätigt und u.a. von Ludolf I. von Plesse, einem Vetter Helmolds II., testiert wurde. In einem anderen Fall erteilte Bischof Albert von Buxhoevede den gotländischen Kaufleuten, welche nach Livland handeln, verschiedene Privilegien (Zollfreiheit). In dieser Urkunde erscheint Helmold II. als Graf („comes de Plessa“). Am heiligen St. Jakobstag, dem 25. Juli 1211, legte Bischof Albert in Riga den Grundstein für den Dom „St. Marien“; Helmold II. dürfte es miterlebt haben. Dass in Livland aber nicht nur missioniert, sondern auch handfeste Besitz- und Machtpolitik betrieben wurde, ergibt sich aus zwei anderen Dokumenten der Jahre 1211/12. Zunächst beurkunden die Bischöfe von Riga, Paderborn, Verden und Ratzeburg die Teilung Livlands zwischen dem Bischof und dem Orden, was Helmold II. von Plesse - diesmal als „nobilis homo“ (Edelherr) - bezeugt Dann beurkunden - wie zur Absicherung der vorherigen Teilungsfeststellung - verschiedene Bischöfe und Kleriker im Jahr 1211/12 über diese Sache nochmals und wieder unterschreibt Helmold II. Edelherr von Plesse als Zeuge. Dass die Teilung Livlands zunächst nicht den Vorgaben des fernen Papstes in Rom entsprach, werden die Teilnehmer gewusst und - ebenso wie Kaiser Otto IV. - ignoriert haben. Bald danach, vermutlich im Frühling des Jahres 1212 hat Helmold II. vom Plesse Livland wahrscheinlich verlassen.
8 Der zweite staufisch-welfische Thronstreit
Die politischen Verhältnisse hatten sich im „Alten Reich“ während der Abwesenheit Helmolds II. grundlegend verändert. Äußerer Anlass für die Wende war ein Hilfegesuch sizilianischer Adliger gegen das dortige Regiment des Papstes Innozenz III. Dieser Ruf war für Kaiser Otto IV. der willkommene Anlass, den Versuch zu unternehmen, das von ihm 1201 in Neuß leichtfertig hergegebe Kaiserrecht über Mittelitalien und Sizilien durchzusetzen. Otto IV. rückte aus Terni ab, kämpfte sich mit seinem Heer den Weg in den Süden erfolgreich frei und hatte den Papst damit in eine prekäre Lage manövriert. Als Otto IV. im Herbst 1210 die Grenze des staufischen Königreiches Sizilien überschritt, überzog er den Welfen mit dem Kirchenbann und brachte Friedrich II. – den Enkel Kaiser Barbarossas und Sohn Kaiser Heinrichs VI. – auf geheimen Wegen nach Deutschland, um ihn dort als Gegenkönig wählen zu lassen. Diese Rechnung ging auf, denn der Bann gab den Reichsfürsten einen rechtlichen Vorwand, sich politisch neu zu positionieren. Friedrich II. wurde im Spätsommer 1211 - vornehmlich von einem anti-welfisch gesinnten Kreis süd- und mitteldeutscher Fürsten - in Nürnberg zum Kaiser gewählt. Die Wahl eines Kaisers durch deutsche Fürsten war etwas Neues und ging wohl unmittelbar auf Innozenz III. zurück, denn üblicherweise wählten sie Könige. Zu denen, die die welfische Seite nun verließen, gehörten viele - auch der Erzbischof Siegfried II. von Mainz und der Landgraf Hermann I. von Thüringen. Das neue Parallelkönigtum zerriss aufs Neue die Reichsfürsten bis mitten hinein in die Gefolgschaft des Welfen; auch die Herren von Plesse blieben davon nicht verschont.
Helmold II. behielt seinen welfentreuen Kurs bei. Nach seiner Rückkehr aus Livland traf er im Juli 1212 Kaiser Otto IV. in Nordhausen anlässlich einer Beurkundung zugunsten des Klosters Walkenried. Im Januar des Jahres 1213 findet man ihn am Hof in Braunschweig, als Kaiser Otto IV. der Kirche bei Scheverlingsburg verschiedene Güter schenkte und dessen Bruder Heinrich dies bestätigte. Dann werden die Nachrichten über Helmold II. spärlich. Ob er - der erfolgreiche Kämpfer - am 27. Juli 1214 in die große, aber für Kaiser Otto IV. verheerende Schlacht von Bouvines nach Flandern gezogen ist, wissen wir nicht. Immerhin sollen zweihundert rheinische und sächsische Edelherren dem Ruf des Kaisers gefolgt sein. Helmold II. war inzwischen annähernd vierzig Jahre alt. In den uns bekannten Quellen über diese Zeit wird er nicht erwähnt. Seinen Vetter, den Ritter Gottschalk II. von Plesse, finden wir auf staufischer Seite: In den Jahren 1214/1215 gehörte er im böhmischen Eger und in Gelnhausen zum Gefolge Kaiser Friedrichs II.; zwischen 1215 und 1224 erscheint er mehrfach in Zeugenlisten des Erzbischofs Siegfried II. von Mainz oder des Landgrafen Hermann I. von Thüringen. Sie gehörten zu jenen Reichsfürsten, die politisch von der welfischen (1209) zur staufischen Partei wechselten; Gottschalk II. fiel dadurch auf, dass er im Auftrag des Landgrafen am 8. September 1215 sogar am Hoftag „nostri regis (!) Friderici“ in Würzburg teilnahm.
Wie geschickt sich die beiden führenden Köpfe der Bernhard- und Gottschalk-Linie in dieser für ihren Besitz gefährlichen Lage verhalten haben, ergibt sich aus folgendem: Wirtschaftlich-militärisch waren die Herren von Plesse im großen Konzert der Mächte unbedeutend, aber ihre Burg war für andere Herren durchaus attraktiv - das hatte bereits Kaiser Heinrich VI. im Jahr 1192 so gesehen. Indem Helmold II. seinen welfenfreundlichen Kurs beibehielt und sich Gottschalk II. ins Zentrum der Staufermacht begab, hatten die beiden Vettern ihre diplomatischen Einwirkungsmöglichkeiten zugunsten der Plesse bestmöglich austariert. Peter Augebauer erwähnt in diesem Zusammenhang, dass Gottschalk II. den Wohnsitz auf der Plesse wegen seiner engen staufischen Parteinahme sogar aufgeben musste. So kann es gewesen sein. Jedenfalls war es Helmold II. und Gottschalk II. von Plesse gelungen, ihr Paderborner Burglehen zu neutralisieren und damit haben sie ein durchaus politisches Meisterstück vollbracht.
9 Nobilis homo
Helmold II. von Plessen trat in Angelegenheiten seines Mitbesitzes - im Vergleich zu seinen Brüdern und Vettern – selten in Erscheinung, sondern ließ sich dabei von seinen Brüdern vertreten. Dies belegt z.B. die eingangs erwähnte Urkunde von 1226, denn in ihr handeln seine beiden jüngeren Brüder Bernhard II. und Poppo für sich und im Namen ihrer beiden älteren Brüder Helmold II. und Werner. Wenn man zwischen jenen Urkundenzeilen liest, dann schwingen Molltöne mit, denn die Brüder erklären „den Verzicht auf das ihnen zustehende Recht am dritten Teil des Berges (zu Reinhausen) zugunsten des Klosters Reinhausen, erlangen für sich und die ihren die Aufnahme in die dortige Gebetsgemeinschaft und bestätigen die Verpfändung der von ihnen zu Lehen gegebenen anderthalb Hufen in † Bettenrod unter angegebenen Bedingungen.“
Helmold II. von Plesse hat in Urkunden, auf dem Reliquiar von Quedlinburg und in dem Kriegsbericht des Missionars und Priester Heinrich aus den baltischen Kolonien erstaunliche Spuren hinterlassen. Sogar etwas von seiner Persönlichkeit ist in den Quellen zu erkennen, wenn man etwa seine langjährige Verbundenheit zu Kaiser Otto IV., seine Ritterlichkeit oder seinen Kampfesmut bedenkt. Er erwarb sich zu Lebzeiten und posthum großes Ansehen. Die Quellen lassen Helmold II. von Plesse als einen Adeligen erscheinen, der dem Ritterideal seiner Zeit nahe kommt. Besonders die authentische Kriegsberichtserstattung ist dafür ein beredter Beleg. Durch Geburt gehörte Helmold II. einem edelfreien Geschlecht an. Folglich besaß er gruppenspezifische Privilegien gegenüber anderen sozialen Schichten, aber innerhalb jeder dieser Gruppen war der Konkurrenzkampf selektiv, hart und oft gefährlich. Wenn Helmold II. etwas für sich und seine Familie erreichen wollte, dann musste er Leistung bringen und die hat er nach dem Urteil seiner Zeitgenossen gebracht und sie wurde anerkannt. Er war eine Person der damaligen Zeitgeschichte.
Helmold II. und seine Angehörigen besaßen zwar umfangreichen alten (Höckelheim) und neuen (Plesse) Grundbesitz, der aber mit vielfältigen Abgaben vorbelastet war, insbesondere durch Verpflichtungen gegenüber Kirchen und Klöstern. Ob die verbliebenen Überschüsse ausreichten, um nicht nur die Lebenshaltung seiner Generation (drei Brüder und zwei Vettern) zu tragen, sondern auch seine Bedürfnisse problemlos darstellen konnten, darf bezweifelt werden. Mit Sicherheit waren die Kosten seiner Einsätze zeitweilig ganz erheblich, insbesondere wenn er sich im Umfeld des Kaisers aufhielt, und das alles war noch harmlos im Vergleich zu den finanziellen Mitteln, die er für seine Rüstung, Lebenshaltung und Dienstmannen anlässlich der militärischen Züge nach Italien und Livland aufwenden musste. Zur Normalausstattung eines Ritters gehörten je ein Marschpferd, Streitross, Lastpferd und die Bewaffnung mit kostspieligem Kettenpanzerhemd, Lanze, Schwert und Schild. Diese Ausrüstung entsprach einem Gegenwert von ungefähr 120-150 Ochsen. Nimmt man hinzu, dass Helmold II. nie ohne Dienstmannen unterwegs gewesen sein wird und für die Züge nach Italien und Livland vielleicht sogar ein eigenes Kontingent ritterlicher Vasallen mitbrachte, dann zausten diese Aufwendungen durchaus an der Geldschatulle der Herren von Plesse.
Zum Ausgleich dieser Lasten trugen sie umfangreichen Grundbesitz - unter anderem vom Bistum Paderborn - zu Lehen. Ob Helmold II. für seinen Einsatz weiteren Lehnsbesitz, Vogteirechte oder ähnliche Vergütungen empfangen hat, ist nicht überliefert. Es existieren keine Urkunden, aus denen sich ergibt, dass er etwa im Herzogtum Sachsen, im Fürstentum Mecklenburg oder zum Beispiel – was ja am nächsten läge – in Livland entsprechend bedacht worden wäre. Besonders im Baltikum wurden Ritter, die sich um die Christianisierung und Kolonisierung verdient machten, großzügig mit Lehen durch den Bischof von Riga entschädigt – einschließlich eines erbetenen Sündenerlasses.
Weil die Urkunde des Jahres 1226, die wichtige genealogische Informationen über ihn und seine nächsten Verwandten enthält, erst in jüngster Zeit die ihr gebührende Beachtung gefunden hat, konnten bisher allerlei Spekulationen über ihn und seine angebliche Nachkommenschaft kräftig wuchern. Über die letzten Lebensjahre Helmolds II. von Plesse ist nichts bekannt, insbesondere fehlen Informationen darüber, wann er gestorben ist und vor allem wo er beigesetzt wurde. Mangels verlässlicher Nachrichten aus der Schlussphase seines Lebens wurden immer wieder Mutmaßungen über den Verbleib Helmolds II. angestellt. Die Grenzen zwischen schwungvoller Phantasie, gut begründeten Annahmen und nicht belegten Tatsachenbehauptungen sind dabei fließend und werden im weiteren Verlauf noch behandelt.
10 Init-Quelle
Entnommen aus der:
Erster Autor: Plessen angelegt am 05.09.2010 um 01:23,
Alle Autoren: Ottomanisch, Bwag, Codc, WWSS1, Plessen
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