Weihnukka

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Weihnukka ist ein Begriff, der teilweise ironisch in Bezug auf das jüdische Chanukka-Fest gemeint ist und ein „Jüdisches Weihnachten“ bezeichnen soll. Ein jüdisches Weihnachten als originäres Fest aus traditionell jüdischer Religion bzw. Tradition gibt es nicht. Gewisse Formen von an an das christliche Weihnachtsfest angelehnten Feierlichkeiten entstanden unter assimilierten und häufig weitgehend säkular lebenden Juden im Europa des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Zahlreiche jüdische Familien begingen damals - obwohl beide Feste von der jeweiligen religiösen Bedeutung und historischen Entwicklung gesehen nichts gemeinsam haben [1] [2] - das Weihnachtsfest anstatt bzw. zusätzlich zu Chanukka als völlig säkulares Winterfest inklusive Weihnachtsbaum, Festessen, Bescherung, dem Singen von Liedern und anderen traditionell Weihnachten zugeordneten Tätigkeiten und Symbolen. [3] [4] Der Bezug zum jüdischen Chanukka-Fest besteht lediglich darin, dass dieses auch im Dezember stattfindet, manchmal sogar fast auf den selben Tag wie das Weihnachtsfest fällt, [5] dass es an Chanukka auch Süßigkeiten und Geschenke gibt, und einem vagen Zusammenhang zwischen beiden Festen als Hoffnungssymbolen bzw. Ereignissen - welche symbolisch in Form von Licht mittels Kerzen dargestellt werden - besteht. Viele jüdische Familien [6] und selbst der Begründer des Zionismus, Theodor Herzl, feierten allerdings trotzdem diese Art von Weihnukka. [7] [8] Schalom Ben-Chorin schrieb z.B. über Walter Benjamins Familie:

"Dort stand ein großer Weihnachtsbaum, wie das in vielen liberalen jüdischen Familien üblich war. Ich kannte das aus meiner Kindheit und beschwerte mich bei Benjamin über das, was ich als offenkundige Geschmacklosigkeit des Milieus, aus dem wir stammten, empfand. Ich hörte von ihm dieselbe Erklärung, mit der auch mein Vater, als ich ihn darob attackierte, mich abgespeist hatte. Benjamin erzählte, dass schon seine Großeltern Weihnachten als ‚deutsches Volksfest’ gefeiert hätten." [9]

Eine Umfrage der Time von 1940 ergab, dass in den USA, dem Land mit dem höchsten jüdischen Bevölkerungsanteil außerhalb Israels, fast die Hälfte der Juden ihre Kinder an Weihnachten beschenkten, ihnen Geschichten von Santa Claus erzählten, Weihnachtsbäume aufstellten und auch nichtjüdische Freunde beschenkten. Während viele Juden diese Übernahme christlicher Gebräuche eher locker sehen, lehnen andere es als übertriebene Anpassung an die christliche Mehrheitsgesellschaft und Preisgabe eigener jüdischer Identität ab. [10] [11] [12] In den 1990er-Jahren wies eine soziologische Studie in den USA allerdings nach, dass das Chanukka-Fest inzwischen eine Aufwertung erfahren hat, und 82% der jüdischen Haushalte nie einen Weihnachtsbaum zu Hause aufgestellt hatten. [13] In den USA fingiert die Mischung der beiden Feste unter dem Namen Chrismukkah und wurde als Begriff durch die populäre Fernsehserie The O.C. zusätzlich bekannt. [14] Dort wird inzwischen mit Chrismukkah-Karten und anderem Zubehör an Weihnachten auch ein Geschäft gemacht. Die Catholic League verdammte Chrismukkah in einer gemeinsamen Erklärung mit dem New York Board of Rabbis als gleichermaßen beleidigend für Juden wie Christen. [15] Das Jüdische Museum Berlin beschrieb das Dilemma von Juden in christlichen Mehrheitsgesellschaften an Weihnachten anlässlich einer Ausstellung "Weihnachten und Chanukka" im Jahr 2005/2006 in folgenden Worten:

"Wenn die christlich dominierte Mehrheitskultur alljährlich in weihnachtliche Stimmung verfällt, beginnt für viele Juden ein Konflikt, der in den USA mit dem Begriff »December Dilemma« bezeichnet wird. Der Umgang mit dem Dilemma führte zu neuen Festtraditionen: interreligiöse Familien feiern beide Feste und schmücken z.B. einen Chanukka-Busch." [16]

Das Oberrabbinat von Israel sah die Verwendung von weihnachtlicher Symbolik durch Juden weniger positiv. Es gab im Jahr 2009 eine Empfehlung heraus in Hotels, Restaurants und Clubs in Israel keine Weihnachtsbäume, Weihnachtsmänner oder andere christlichen Symbole mehr einzusetzen. Eine Rabbinergruppe namens "Lobby für jüdische Werte" ging sogar noch weiter und kündigte an, "..., die Namen der Einrichtungen zu veröffentlichen, die christliche Symbole aus Anlass der christlichen Feste aufstellen und zu einem Boykott gegen sie aufzurufen." [17]

Strengläubige Christen und Juden in Deutschland können der synkretistischen Form der Vermischung beider Feste weniger abgewinnen. Dennoch veranstalten regionale Gruppen der Gesellschaften für christlich jüdische Zusammenarbeit (GcjZ) in mehreren deutschen Städten Weihnukka-Feiern, die auch dem interkulturellen und interreligiösen Dialog dienen sollen. [18] So schreibt die Berliner Gruppe z.B.:

"Dem Wunsch vieler Mitglieder nach Gesprächen, nicht nur nach Information, wird mit einer alljährlichen Weihnachts-Chanukka-Feier und regelmäßigen Jour Fixen entsprochen." [19]

Der Begriff Jüdisches Weihnachten unterlag im osteuropäischen Judentum einer unschönen Nebendeutung. Er wurde dort von ultraorthodoxen Juden seit dem 17. Jahrhundert zusätzlich auch als eine Art von "Anti-Weihnachten" namens "Nital" bzw. "Nittel" gefeiert, welcher allerdings ganz anders als Weihnukka deutlich antichristliche Untertöne und Verhaltensweisen aufwies. [20] [21] Das "einfache Volk" innerhalb des Judentums hielt Jesus teilweise für einen Anti-Heiligen, der an Weihnachten aus Abwasserrohren gekrochen komme, um Ketzer zu bestrafen und Kinder zu ängstigen. Bei jüdischen Kabbalisten wurde dabei besondere Aufmerksamkeit auf mögliche schädliche, magische Auswirkungen dieses zentralen christlichen Ereignisses gelegt. [22] Dabei kam es auch häufig zu Verunglimpfungen von christlichen Glaubensinhalten und Symbolen. Die Mehrheit der jüdischen Orthodoxie wandte sich allerdings entschieden gegen solche andere Religionen abwertenden Gebräuche und Auswüchse. [23]

1 Einzelnachweise

  1. Den unüberbrückbaren religiösen Widerspruch zwischen den jüdischen und christlichen Vorstellungen in Bezug auf Jesus von Nazareth und damit auch die Bedeutung des Weihnachtsfestes an sich und speziell von Weihnukka beschreibt z.B. Hans Erler folgendermaßen: "Die ganze christliche Welt feiert an Weihnachten die Geburt eines Juden, kann man wohl sagen, nur ausgerechnet die Juden nicht. Weihnukka war ein ebenso kurzlebiger wie tragischer Witz unter assimilierten deutschen Juden vor 1933. Die Grenze zwischen Jehoschua-Jesus und "Christus" ist und bleibt für Juden absolut unüberbrückbar."; in Hans Erler: Erinnern und Verstehen - Der Völkermord an den Juden im politischen Gedächtnis der Deutschen, Campus Verlag, Frankfurt a. M., 2003, S. 72
  2. Die wenigen eher äußerlichen Gemeinsamkeiten aber auch die fundamentalen Unterschiede zwischen Chanukka und Weihnachten beschreibt z.B. Yael Kupferberg auf www.hagalil.com in folgenden Worten: "Was auf den ersten Blick gegensätzlich wirkt, hat doch Gemeinsamkeiten. Es geht um das Licht. Sowohl die Chanukkia wie auch der Weihnachtsbaum spenden es in der menschenfeindlichen Dunkelheit unserer Breitengrade. Licht, Süßes und Leckereien gehören ebenso dazu wie geselliges Beisammensein, Singen und Schenken. Doch es werden andere Gebete gesprochen, andere Lieder gesungen. (...) Die Mischung von Weihnachten und Chanukka, im Volksmund Weihnukka, ist meine Sache nicht."; auf Yael Kupferberg: Mit Jesus fremdgehen - Um nichts in der Welt beneiden Juden die Nichtjuden - Außer um Weihnachten, ein Fest des Lichts und Kitsches
  3. Hans Peter Althaus: Chuzpe, Schmus & Tacheles - jiddische Wortgeschichten, C. H. Beck, 2. Aufl., München, 2006, S. 29 und 30
  4. Anm.: Wohl auch ausgelöst durch den durchaus verständlichen Wunsch vieler jüdischer Kinder, die nicht verstehen konnten, dass ihre christlichen Schulkameraden und Freunde ein Fest mit reichlicher Beschenkung erleben dürfen, während sie am Jahresende doch in punkto Genschenken relativ leer ausgehen.
  5. Weihnachten und Chanukka sind auch aus einem weiteren Grund schwer kompatibel. Während die Christen die Geburt des Religionsstifters Jesus von Nazareth feiern, der für Juden nur einer von vielen (falschen) Propheten ist, geht es bei den Chanukka begründenden Ereignissen/Texten primär nur um rein dynastische und militärische Konflikte ohne übergreifende ethische Bedeutung, die selbst in der Rangordnung der jüdischen Feste eine eher geringere Bedeutung haben.; nach Alfred Pfaffenholz: Was macht der Rabbi den ganzen Tag, Patmos-Verlag, 1995, S. 102 - 106.
  6. Anm.: Begünstigt wurde diese Ersetzung/Übernahme von Chanukka durch Weihnachten auch durch in religiöser Hinsicht und im jüdischen Brauchtum doch relativ geringe Bedeutung des Chanukka-Festes speziell im 19. Jahrhundert. (Nach Susanne Galley: Das jüdische Jahr - Feste, Gedenk- und Feiertage, C. H. Beck, München, 2003, S. 101)
  7. Klaus Davidowicz: Eine kulturhistorische Reminiszenz - Chanukka und Weihnachten auf der Seite der Jüdischen Kulturzeitschrift David
  8. Rabbi Joshua E. Plaut: Jews & Christmas - What attitudes toward Christmas tell us about modern Jewish identity, auf www.myjewishlearning.com
  9. Klaus Davidowicz: Eine kulturhistorische Reminiszenz - Chanukka und Weihnachten auf der Seite der Jüdischen Kulturzeitschrift David
  10. Jonathan D. Sarna: Is Juadaism Compatible with American Civil Religion? - The Problem of Christmas and the "National Faith"; in Rowland A. Sherrill: Religion and the life of the nation - American recoveries; University of Illinois, 1990, S. 152 - 173
  11. So schreibt z.B. Bettina Völter in Judentum und Kommunismus - Deutsche Familiengeschichten in drei Generationen, leske + budrich, Opladen, 2002, auf Seite 129: ""Cahnukkabaum". Das ist die Bezeichnung für den Tannenbaum, den jüdische Familien in einer christlichen Mehrheitsgesellschaft aufstellen, um damit am alles dominierenden Weihnachtsfest teilzuhaben, Weihnukka zu feiern. Das Chanukka-Fest, das in zeitlicher Nähe zu Weihnachten liegt, wird nicht begangen oder geht gleichsam ins christliche Weihnachten über."
  12. So lehnt z.B. Dr. Ron Wolfson die Übernahme von Weihnachten durch Juden mit folgenden Worten ab: "To appropriate Christmas into our homes would give posthumous victory to Antiochus. Christmas does not belong in a Jewish home."; Dr. Ron Wolfson in The December Dilemma - Hanukkah's proximity to Christmas has greatly affected the way the holiday is viewed, auf www.myjewishlearning.com
  13. Rabbi Joshua E. Plaut: Jews & Christmas - What attitudes toward Christmas tell us about modern Jewish identity, auf www.myjewishlearning.com
  14. Definitionen von Chrismukkah auf www.urbandictionary.com
  15. Michael McCarthy: Have a merry little Chrismukkah; in USA Today auf www.usatoday.com
  16. Abschnitt zu "Weinukka" aus der Internetpräsenz Weihnukka - Geschichten von Weihnachten und Chanukka des Jüdischen Museums Berlin.
  17. Ulrich W. Sahm: Weihnachtsbäume verletzen religiöse Gefühle in Israel - "Empfehlung" des Oberrabbinats an Hotels und Restaurants, auf www.ureader.de vom 24.12.2009
  18. Esther Braunwarth: Der christlich-jüdische Dialog in Deutschland am Beispiel der Gesellschaften für christlich jüdische Zusammenarbeit (GcjZ), Dissertation, Tübingen, 2009, S. 205 ff.
  19. GcjZ/DKR: Gesicht zeigen, Themenheft 2006, Hannover 2006, S. 65
  20. Ulrich Sahm: Ultraorthodoxe Juden begehen Anti-Weihnachten
  21. Auch nachzulesen in der Zeitschrift Jüdische Allgemeine auf www.juedische-allgemeine.de
  22. "Bei den Kabbalisten gebe es sogar ein Verbot, in der Weihnachtsnacht Geschlechtsverkehr zu haben. Dem daraus geborenen Kind drohe, ein Mumar zu werden, ein Konvertit zum Christentum, weil in dieser Nacht die Klipot, parasitenhafte böse Kräfte, besonders intensiv umherschwirren."; auf Ulrich W. Sahm: Ultraorthodoxe Juden begehen Anti-Weihnachten der Homepgae des deutschen Journalisten und Nahost-Korrespondenten Ulrich W. Sahm
  23. Ulrich W. Sahm: Ultraorthodoxe Juden begehen Anti-Weihnachten

2 Andere Lexika

Wikipedia kennt dieses Lemma (Jüdisches Weihnachten) vermutlich nicht.




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