Beobachtung (Systemtheorie)

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Der Ausdruck Beobachtung wird als Fachterminus in origineller Ausprägung auch von der Systemtheorie herangezogen. Beobachtung ist hier „das Treffen einer Unterscheidung und der Hinweis[1] auf den so unterschiedenen Inhalt.“[2]

1 Systemtheorie

In einem von George Spencer Brown entwickelten Kalkül[1] spielt der Begriff der Unterscheidung eine zentrale Rolle. Es werden damit nicht nur durch eine Grenzziehung (die sich im Kalkül durch Aufzeichnen einer Art „Haken“ widerspiegelt) zwei Seiten einer Unterscheidung auseinandergehalten, sondern je zugleich eine Seite besonders ausgezeichnet („markiert“). Niklas Luhmann hat diesen Grundgedanken in seine allgemeine Systemtheorie aufgenommen. Die Systemtheorie rekonstruiert Funktion und Genese beliebiger Systeme u.a., indem sie deren Ausdifferenzierung beschreibt. Eine solche Ausdifferenzierung kann dann als Unterscheidung im Sinne Spencer Browns charakterisiert werden. Die späte Systemtheorie Luhmanns bezieht jeweils Unterscheidungsoperationen auf eine Adresse („der Beobachter“), welcher der Vollzug der Unterscheidung zurechenbar ist. In dieser Hinsicht ist eine Unterscheidung eine „Beobachtung“. Damit wird „Beobachtung“ zu einem Grundbegriff der Systemtheorie; Beobachtung ist Unterscheidung und anschließende Bezeichnung; letztere ermöglicht, die Unterscheidung für weitere Operationen („Anschlüsse“) verfügbar zu machen. Dies kann auch auf psychische Systeme (Bewusstseine, „Subjekte“) angewendet werden. Eine konkrete Veranschaulichung aus dem Kontext sinnlicher Wahrnehmung: Die mit einer Unterscheidung einhergehende Akzentuierung hebt auch hier das Unterschiedene gegenüber dem Ununterschiedenen hervor, beispielsweise eine Augenbraue gegenüber dem Rest des Gesichts. Auch in Anwendung auf das gesellschaftliche Teilsystem der Wissenschaft ist der Beobachtungsbegriff zentral. Luhmann versteht Beobachtung der Natur als Grundoperation des Wissenschaftssystems.[3]

In keinem dieser Kontexte kann „Beobachtung“ als alltagssprachlicher Begriff verstanden werden und etwa mit „Betrachtung“ gleichgesetzt werden. Im Kontext des Wissenschaftssystems schon deshalb nicht, weil hier „empirische Beobachtungen“ immer auf dem Hintergrund bereits etablierter theoretischer Unterscheidungen stattfinden. Gegenüber frühen wissenschaftstheoretischen Unterscheidungen wie derjenigen zwischen Theorie- und Beobachtungssätzen besteht Luhmann wie viele Wissenschaftstheoretiker daher grundsätzlich auf der Unmöglichkeit, „reine“ Beobachtungen zu unterscheiden: Beobachtungen seien immer schon „theoriegesättigt“. Ein weiterer Unterschied zu alltagssprachlichen Verwendungsweisen ist, dass auch „Beobachter“ ein Fachterminus ist, dessen Bedeutung sich zunächst nur durch die theoretische Rolle innerhalb der Systemtheorie ergibt; zwar kann die Systemtheorie auch auf Bewusstseine Anwendung finden, aber damit sind nicht automatisch bereits bestimmte Voraussetzungen gegeben, wie sie klassische Subjekttheorien für notwendig halten würden.

Die Systemtheorie Niklas Luhmanns fängt damit viele wissenschaftstheoretische Probleme empirischer „Beobachtung“ von vorneherein ein, indem sie, wie einleitend beschrieben, jede Beobachtung auf einen Beobachter relationiert. Diese Relationierung ist iterierbar, wobei dann von einer Beobachtung zweiter Ordnung gesprochen wird. Die Systemtheorie macht sich einen solchen Aufstieg besonders insoweit zu Nutze, als damit die „blinden Flecke“ des Beobachters erster Ordnung in den Blick geraten: der zweite Beobachter kann prinzipiell sehen, dass der erste Beobachter nicht alles sehen kann.

Dabei kann zwischen theoretischer oder prinzipieller Beobachtbarkeit und experimentatorischer, also praktischer Beobachtbarkeit unterschieden werden. Unbeobachtbares[4] kann durch eine Hierarchie von Beobachtungsebenen beobachtbar gemacht werden. Beispielsweise können durch die unbewusste oder willentliche Vermeidung der Beobachtung eines Prozesses auch Aspekte des Prozesses selbst beobachtet werden.

Allerdings ist für die Systemtheorie ausreichend, dass ein Beobachter eine Beschreibung des Systems erhält, mit der er weiterarbeiten kann, etwa einen standardisierten Beobachtungswert. Die Frage nach dem wahren Zustand eines Systems ist insofern irrelevant. Ähnliches hatte bereits der klassische Operationalismus (wie er u.a. von Percy Williams Bridgman entwickelt wurde) vertreten. Auch sonst gerät in systemtheoretischer Betrachtungsweise jeweils nur in den Blick, was von einem System unterschieden wird - so dass über eine in sich bereits differenzierte Außenwelt allenfalls insoweit begründet gesprochen werden kann, als diese Unterschiede sich abbilden in Unterschieden, die auf der Beobachterebene getroffen werden. Die meisten Systemtheoretiker tendieren darüber hinaus zu einem mehr oder weniger radikalen Konstruktivismus.

Diese Voraussetzungen fügen sich nach Ansicht vieler Systemtheoretiker gut zu antirealistischen Interpretationen der Quantenmechanik. Nach den Kopenhagener Deutungsvorschlägen beispielsweise kann ein quantenmechanisches System nicht beobachtet werden, ohne es zu beeinflussen. Siehe hierzu ausführlich das Philosophiekapitel in Quantenmechanik und thematisch angrenzende Artikel wie Wigners Freund. Die moderne Astronomie hat diverse praktische Beoachtungsgrenzen deutlich gemacht: so verknüpft die endliche Lichtgeschwindigkeit – unabhängig vom kosmologischen Modell – das Alter des Universums mit dem Bereich des beobachtbaren Raumes, was durch einen Vergangenheitslichtkegel veranschaulichbar ist; man spricht daher von einem Beobachtungshorizont. Dieser existiert auch im mikroskopischen Bereich; im „täglichen Leben“ ist dieser jedoch vernachlässigbar klein.[5]

2 Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. 1,0 1,1 George Spencer Brown: Gesetze der Form, 2004, ISBN 3890943217 (Laws of Form, 1969)
  2. Holm von Egidy: Beobachtung der Wirklichkeit, Dissertation, LMU München (Doktorvater: Matthias Varga von Kibéd), 2003, ISBN 3-89670-328-5
  3. Niklas Luhmann: Die Wissenschaft der Gesellschaft, 1990, ISBN 3518286013
  4. Oliver Jahrhaus, Nina Ort (Hg.): Beobachtungen des Unbeobachtbaren. Konzepte radikaler Theoriebildung in den Geisteswissenschaften. Unter Mitwirkung von Benjamin Marius Schmidt, Weilerswist, 2000
  5. Bei 1 m beträgt die „Vergangenheitsstrecke“ zwischen Beobachter und Objekt etwa 3 Nanosekunden (eine 300 Millionstel Sekunde).


3 Init-Quelle

Entnommen aus der: Wikipedia

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