Stripped - Ein Leben in Kontoauszügen

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1 Der Autor

Stefan Weigl wurde 1962 in München geboren. Dort studierte er Germanistik, Orientalistik und Organisationspsychologie. Er arbeitete von 1989 bis 1999 als Texter und Creative Director für unterschiedliche Werbeagenturen in München, Düsseldorf und Köln. Stefan Weigl lebte von 1992 bis 2004 in Köln, zog aber 2004 aus privaten Gründen zurück nach München. [1] Dort ist er als Autor für Hörfunk, Film und TV tätig. Stefan Weigl ist Preisträger des Hörspielpreises der Kriegsblinden.
Sein erstes Hörspiel trägt den Namen „Stripped – Ein Leben in Kontoauszügen“ und wurde von der Filmstiftung des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert.


2 Das Hörspiel

2.1 Hintergrundinformationen:

Stripped – Ein Leben in Kontoauszügen wurde, mit Unterstützung der Filmstiftung NRW, vom WDR produziert und dort erstmals am 24.05.2004 gesendet. Der Titel ist dabei ambig. Er referiert zum einen auf maschinell erstellte Kontoauszüge, die im englischen „Strip“ heißen und zum anderen auf die uneingeschränkte Offenheit und das Ausmaß der Selbstentblößung, die Stefan Weigl mit „Stripped – Ein Leben in Kontoauszügen“ betreibt. Weigl sagt in Fazit (einem Kultur-Nachrichtenmagazin in den Programmen von Deutschlandradio Kultur und Deutschlandfunk), er habe die Idee zu „Stripped“ sei ihm gekommen, als er seine Kontoauszüge suchen und vorlegen musste um Sozialhilfe zu beantragen. [2] In „Stripped – Ein Leben in Kontoauszügen“ werden die oben genannten Kontoauszüge Weigls vorgelesen und gelegentlich von eingeschobenen Mahnschreiben, Werbung und der Elaboration eines Wirtschaftsjournalisten zum Thema Ökonomie und Banken begleitet. Weigl zufolge könne man über Mitgliedschaften in Vereinen, Ebaykäufen und anderen Bankbewegungen erkennen welche Person sich hinter den Kontoauszügen verbirgt. Weigl sagt außerdem, er stelle sich mit „Stripped“ als „finanziellen Loser“ dar und er könne das Stück immer noch nicht seinen Eltern vorspielen. [3]


2.2 Inhalt

In dem 47-minütigen Hörspiel wird Stefan Weigls Weg in die Verschuldung durch die Offenlegung seiner Kontoauszüge und erhaltenen Mahnungen dokumentiert. Dabei beschreibt Weigl den Verarmungsprozess ohne sich Randgruppen oder stereotypischer Beispiele zu bedienen.[4] Das Hörspiel ist in acht Abschnitte unterteilt, die Zeiträume von ein bis zwei Monaten abdecken: „10 EC Automat Flettenberg“ (30.10 - 18.11), „Sehr Geehrte Kundin, Sehr Geehrter Kunde“ (18.11 - 15.01), 1. Industriepensionsverein“ (16.01 - 11.02), „Geldautomat Parisbar“ (14.02 - 31.03), „GEZ 48, 45“ (01.04 - 22.05), „Der Kontoinhaber ist verpflichtet…“ (23.05 - 27.06), „6. Darlehen Restschulden“ (30.06 - 25.08), „Kontostand am 26.8“ (26.08 - 03.11). Im Folgenden werden die einzelnen Abschnitte kurz zusammengefasst und die Ausgaben und Einnahmen tabellarisch dargestellt. Da das Vorlesen der Kontoauszüge häufig von Mahnschreiben oder Werbung überlagert wird, wodurch einzelne Passagen nicht zu verstehen sind, erhebt die Tabellen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.


Datei:Weigelausgaben2.jpg


2.2.1 10 EC Automat Flettenberg (5:38)

Das Hörspiel beginnt nicht mit dem Nennen des Titels sondern fängt unvermittelt mit dem Vorlesen der Kontoauszüge an. Auffällig sind im ersten Abschnitt die hohe Summe, die Weigl trotz eines Kontostands von ca. -4900€ zur Freizeitgestaltung ausgibt. Auch der Ebay-Umsatz ist hoch. Die Einnahmen sind bereits hier geringer als die Ausgaben.
In der Mitte des ersten Abschnitts komm ein Wirtschaftsjournalist zu Wort, der über Kapitalismus und Ökonomie elaboriert. Er fordert zur Reflexion über das eigene Leben auf, um sich bewusst zu machen, was alles passieren kann, wenn jemand Kapitalismus nicht verstanden habe. Der einzige, der einem Kapitalismus erklären könne, sei man selbst. Er beginnt außerdem zu erklären, wie seiner Ansicht nach das Konzept Bank funktioniert.


2.2.2 Sehr Geehrte Kundin, Sehr Geehrter Kunde (5:16)

Im zweiten Abschnitt fällt auf, dass Weigl seine Kosten zwar zu senken versucht, er hat die Ausgaben zur Freizeitgestaltung um mehr als 50% gesenkt und hat von weiteren Einkäufen bei Ebay abgesehen, andererseits aber kaum Einnahmen verbuchen kann. Anhand der Abhebungen am Geldautomaten, offenbart sich außerdem, dass Herr Weigl im Urlaub auf Mallorca war und ihm dort seine EC Karte abhandengekommen ist (es wird eine Gebühr zur Sperrung der Karte erhoben). Der Rückgang der Kosten für Vereine kann damit erklärt werden, dass im ersten Abschnitt teilweise Jahresbeiträge abgebucht wurden, die in diesem Abschnitt daher nicht mehr anfallen. Auch musste Weigl ein Bußgeld von über 100€ begleichen.
Auch in diesem Abschnitt kommt tritt der Wirtschaftsjournalist auf. Er erläutert, Ökonomie habe in der Gesellschaft einen schlechten Ruf. Die Menschen seien der Ansicht, Ökonomen seien undurchschaubare Menschen, mit einem „Masterplan“. Der Journalist bezeichnet es als „erste Bürgerpflicht“ zu verstehen, was Ökonomie ist um sie zu entmythologisieren. Geschehe dies nicht, bleibe Ökonomie Esoterik.
Herr Weigl erhält in diesem Abschnitt das erste Mal ein Schreiben seiner Bank, in dem er gebeten wird, sich mit einem Kundenberater in Verbindung zu setzen, um über seine finanzielle Situation zu sprechen. Weigls Kontostand steht am Ende des Abschnitts bei ca. -7000€


2.2.3 1. Industriepensionsverein (5:10)

Im dritten Abschnitt verringert Weigl die Ausgaben zur Freizeitgestaltung weiter. Auch das Geld, das per Geldautomat vom Konto abgehoben wird, ist deutlich geringer. Im Kontrast dazu, sind die Ebay-Ausgaben wieder angestiegen. Die Einnahmen können seine Ausgaben nicht decken.
Weigl hat vor geraumer Zeit offensichtlich Unterstützung vom Staat angefordert, er erhält das erste Mal Wohngeld, sowie eine Wohngeldnachzahlung. Der Wirtschaftsjournalist startet diesmal eine philosophische Diskussion. Er spricht über Glaube und Wissen, definiert die Begriffe als Gegensätze. Wissen schaffe Freiheit und Glauben Abhängigkeit, es sei deshalb eine Frage der Würde sich selbst gegenüber sich zu fragen, wie man sich verkaufen könne. Dies sei nichts Schlechtes, sondern sichere Respekt. Er erklärt außerdem, Banken wollen Seriosität vermitteln, indem sie in den Farben des Staates auftreten. Dies sei aber nicht der Fall. Ihm zufolge versuchen Banken, bei Normalbürgern „Kredite loszuschlagen“, da dort die Zinsen am höchsten seien. Diese „Maschinerie“, die Privatverschuldung fördere, sei zu einer der mächtigsten im Land geworden und suggeriere gleichzeitig, dass es sich bei Krediten um Hilfe handle.
Der Kontostand steht am Ende des Abschnitts bei ca. -9000€. Die Bank fordert nun etwas energischer über Weigls finanzielle Situation zu sprechen.


2.2.4 Geldautomat Parisbar 3:16 (4:47)

Das vierte Mal in Folge senkt Weigl die Kosten für seine Freizeitgestaltung. Das erste Mal sind beachtliche Einnahmen zu verzeichnen. Trotzdem erhält Weigl ein weiteres Schreiben von der Bank, das ausführlicher ausfällt als die vorangegangenen. Die Bank fordert Informationen darüber ein, was die Ursache der „rückläufigen Habenumsätze“ ist und wie Weigl die Rückführung plane.
Dieses Mal spricht der Journalist über die Auffassung der Menschen des Staates. Der Staat werde von den meisten Menschen als „Wohlfahrtsinstitution“ betrachtet, die als vertrauenswürdig eingestuft wird, „Vati tut uns nix“. Diese Auffassung sei falsch, der Staat betreibe Betrügereien und sorge nicht dafür, dass die Menschen, die in dem Land leben eine Zukunft haben.
Er stellt als nächstes die Frage, was es bedeutet, nicht gelernt zu haben mit Ökonomie umzugehen. Er behauptet, Menschen die ökonomisch unfrei sind, seien auch allgemein unfrei. Man sei in dem Fall ständig Kräften ausgesetzt, die man nicht verstehe.


2.2.5 GEZ 48, 45 Minus (6:07)

Weigl hat seine Ausgaben auf ein Minimum reduziert. Er gibt nochmal weniger in seiner Freizeit aus und ist offensichtlich aus den Vereinen, die einen monatlichen Mitgliedsbeitrag fordern, ausgetreten oder hat die Mitgliedschaft eingefroren. Eine Überweisung mit dem Verwendungszweck „Weigl in Not“ weist darauf hin, dass Weigl sich Geld von einem Bekannten geliehen hat. Bei einem Kontostand von ca. -9400€, erfährt der Rezipient, dass Weigl eine Umschuldung in die Wege geleitet hat. Ein großer Teil des Abschnitts wird zur Erläuterung der Bedingungen zur Umschuldung verwendet.
Dem Wirtschaftsjournalisten ist der Auffassung, die Tatsache, dass sich Banken mit „dem Nimbus des wohlmeinenden Vaters“ umgeben ein Existenzvernichtendes System ist, da es dazu führt, dass die Menschen ihre ökonomische Situation nicht selbst gestalten.


2.2.6 Der Kontoinhaber Ist Verpflichtet… (6:49)

Weigl gibt offenbar nur noch Geld für die notwendigsten Dinge aus. Er gibt kein Geld bei Ebay, zur Freizeitgestaltung und für Vereine aus. Sein Kontostand liegt in diesem Abschnitt bei ca. 300€. Weigls Kreditkarte wird gesperrt, er erhält aber ein Werbeschreiben eines anderen Kreditkartenunternehmers.
Der Wirtschaftsjournalist bezeichnet die Gesellschaft als „Taschengeldgesellschaft“. Sie verliere dadurch, dass sie dem Staat erlaube, ihr ein Taschengeld zuzuweisen, ihre Freiheit. Er fordert, der Staat müsse leichter und weniger Autorität werden


2.2.7 6. Darlehen Restschuld (6:10)

Zu Beginn des Abschnitts erfährt man, dass die Restschulden ca. 9898€ betragen. Weigls Ausgaben bleiben auf niedrigem Niveau, der Kontostand steigt auf ca. 600€ fällt im Laufe des Abschnitts aber auf ca. 100€. Weigl muss eine Mahngebühr für eine Rücküberweisung der Kredittilgung zahlen Weigl versucht in diesem Abschnitt mehrfach Kleinstbeträge vom Geldautomaten abzubuchen, bekommt aber kein Geld ausgezahlt.
Dem Journalisten zufolge, sollte das Wissen, dass die Bank für jeden Euro, der von ihr kommt, noch einen dazu nimmt. Dies sei eine Volksweisheit, die sich zurückentwickelt habe. Als Gründe führt er den Druck zum Konsumieren, die Tatsache, dass Banken mit Privatkunden das beste Geschäft machen und der vorherrschende Eindruck, große Strukturen würden nicht betrügen, an. Er behauptet außerdem, der Zustand der deutschen Banken spiegle den Niedergang des Industriegroßkapitalismus. Die eigentliche Funktion einer Bank sei es, Selbstständigkeit zu fördern und dabei ein wenig mitzuverdienen, da sie Risiko mittrage.


2.2.8 Kontostand Am 26.8. (7:07)

Der Abschnitt beginnt mit der Nennung des Kontostands. Weigl hat nur noch ca. 10€ auf dem Konto, während seine Darlehensrestschulden 9700€ betragen. Des Weiteren konnte er die Rechnung seiner neuen Kreditkarte nicht bezahlen, was zu ihrer vorläufigen Sperrung führte.
Trotz positiven Kontenstands wird Weigls Kredit mit sofortiger Wirkung von Seiten der Bank gekündigt, da Weigl offenbar in Zahlungsverzug gekommen ist. Er wird aufgefordert den Gesamtbetrag zeitnah zu zahlen, man droht ihm mit dem gerichtlichen Mahnverfahren.
Nachdem Weigl in den letzten Abschnitten darauf bedacht war wenig Kosten zu genieren, fällt nun auf, dass er sich ein Auto für 300€ gemietet hat und sich ein persönliches Horoskop hat erstellen lassen. Der letztendlichen Kontoauflösung geht ein Besuch beim Schuldnerberater voraus.
Der Wirtschaftsjournalist spricht in diesem Abschnitt über Chancen. In Deutschland genießt das Erkennen von Chancen keine hohe Priorität, deshalb wissen die meisten Menschen nicht, wie Chancen aussehen. Die Lösungen zu großen gesellschaftlichen Problemen seien immer die Gleichen. Dies reflektiere die Hoffnung, alles werde irgendwann wieder so, wie es mal war. Es denke niemand darüber nach, wie es anders funktionieren könne.


3 Analyse

3.1 Allgemein

Stefan Weigl dokumentiert mit Stripped - Ein Leben in Kontoauszügen seinen sozialen Abstieg. Schaut man sich Weigls Ausgaben an, so kann daraus geschlossen werden, dass er sich seine Situation lange Zeit nicht vollkommen bewusst gemacht hat. Er verringert seinen Konsum in Abschnitt 1-5 zwar zunehmend, stellt ihn aber nicht völlig ein. Das Hörspiel beginnt bei einem Kontostand von ca. -4000€. Zu diesem Zeitpunkt gibt Weigl viel Geld zur Freizeitgestaltung und bei Ebay aus (insgesamt ca. 1400€) und ist Mitglied in mindestens sieben Vereinen (ca. 736€). Dass er den Ernst seiner aller Wahrscheinlichkeit nach verdrängt hat, kann beispielsweise von der Mitgliedsschaft in einem Fitnessstudio hergeleitet werden. Für die Mitgliedschaft bezahlt Weigl bis zu seiner Umschuldung. Ein weiteres Indiz ist die Tatsache, dass er kurz vor der Umschuldung 120€ für ein Tippspiel ausgegeben hat. Von dieser Art der Ausgaben sieht Weigl erst ab, als er die erste Mitteilung über einen auf Grund mangelnder Kontodeckung, nicht ausgeführten Abbuchungsauftrag erhält. Auch die Tatsache, dass Weigl mindestens zwei von drei Aufforderungen seiner Bank, mit ihr in Kontakt zu treten, um die Schuldensituation zu besprechen, ignoriert, spricht für dafür, dass ihm seine Schuldensituation erst dann in ihrem vollen Ausmaß bewusst wurde, als die Umschuldung bevor stand.
Nach der Umschuldung wird deutlich, dass Weigls Bewusstwerden nur von kurzer Dauer ist. Das wird vor allem dann deutlich, wenn er mehrfach versucht Geld vom Bankautomaten abzuheben, obwohl sein Konto nicht ausreichend gedeckt und ein Überziehen nicht erlaubt ist. Auch dass er sich kurz vor der Kontoauflösung ein Horoskop zum Preis von 65€ ausstellen lässt, bestätigt diese Vermutung. Zuletzt scheint es ebenfalls merkwürdig, dass Weigl erst knapp vor der Kontoauflösung einen Schuldnerberater aufsucht. Mit "Stripped - Ein Leben in Kontoauszügen" gelingt es Weigl die Funktionsweise und Auswirkungen von Konsumzwängen aufzuzeigen, ohne dass er stereotypische, wie zum Beispiel Jugendliche, die sich durch hohe Handyrechnungen verschulden, bemühen muss.
Da das Hörspiel auf literarische Erzählformen fast völlig verzichtet, wird die zunehmend prekärer werdende Situation auch akustisch dargestellt. Zum Ende des Hörspiels hin, wird die Hintergrundmusik dunkler und die Kontoauszüge werden etwas schneller und hektischer vorgelesen, die Pausen zwischen den einzelnen Buchungen scheinen kürzer zu sein. Auch die Mahnschreiben werden werden in dunklerem und bedrohlich wirkenden Tonfall vorgelesen. Wie um den Autor zu verhöhnen, bleibt dabei nur die Werbung in freundlichem und hellem Tonfall.

3.2 Wirtschaftsjournalist

In jedem Abschnitt wird der Kommentar eines Wirtschaftsjournalisten aus den Themenbereichen Ökonomie, Bankenwesen, Staat, Gesellschaft und Verschuldung eingespielt. Dieser Kommentator hat nicht nur kommentierenden sondern auch erläuterten Charakter. Dabei ist festzuhalten, dass er im Hörspiel nicht als seriöser Experte präsentiert wird. Das wird unter anderem beim ersten Auftreten des Kommentators deutlich. Sein erster Beitrag wird von zwei Werbemitteilungen eingeschlossen, woraus Weigls Einstellung abgeleitet werden kann. Des Weiteren zeichnet sich der Journalist durch undifferenzierte und teils inkohärente Aussagen aus, wobei letzteres natürlich daran liegen kann, dass offenbar nur Teile eines größeren Beitrags in das Hörspiel integriert wurden.

4 Preise

4.1 54. Hörspielpreis der Kriegsblinden

Die Jury begründet die Vergabe des Preises an Stefan Weigl und Stripped - Ein Leben in Kontoauszügen folgendermaßen:
„Mit dem 47-mi­nü­ti­gen, rhyth­misch-mu­si­ka­lisch zu­ge­spitz­ten Vor­trag der ei­ge­nen Kon­toauszüge, wagt Ste­fan Weigl nicht nur einen Strip­tease, der den letz­ten Hort der Privat­heit – das ei­ge­ne Gi­ro­kon­to – der me­dia­len Öf­fent­lich­keit preis­gibt. Er kehrt darin die Me­ta­pher von der Nackt­heit des Men­schen als einen auf das We­sent­li­che re­du­zier­ten Ur­zu­stand um, indem sich das spre­chen­de Ich al­lein aus sei­nen öko­no­mi­schen Rahmen­bedingungen de­fi­niert. Der ma­schi­nell er­stell­te Pa­pier­strei­fen (Strip), wird so zum ei­gent­li­chen Do­ku­ment mensch­li­cher In­di­vi­dua­li­tät und zu­gleich ihrer fort­wäh­ren­den Auf­he­bung durch öko­no­mi­sche Zwän­ge.

So geben die Kon­to­be­we­gun­gen ei­ner­seits er­schre­ckend de­tail­liert Aus­kunft über Be­dürfnisse, In­ter­es­sen, Ver­pflich­tun­gen und Ge­wohn­hei­ten des Au­tors und füh­ren ihn in die­sem Sinne nackt vor. Auf der an­de­ren Seite ent­wi­ckelt sich aus dem Vor­trag je­doch auch die Ge­schich­te eines Stre­bens nach Ge­sell­schafts­fä­hig­keit, deren Tempo – fremdbe­stimmt, durch Kon­sum­zwän­ge– im Hör­spiel von Elek­tro­beats des Klang­kunst-Du­os „Ho­losud“ dik­tiert wer­den. Sie endet mit jedem Mo­nats­ab­schluss in drü­cken­der Stil­le, wenn das Saldo der Le­bens­füh­rung ge­nannt wird. Eine ih­rer­seits nack­te Zahl mar­kiert die exis­tentielle Be­dro­hung, die sich wie ein Schat­ten über die Jagd nach Wert­hal­tig­keit legt. Jedes neue Minus, grö­ßer als das im Monat zuvor, löscht die Kon­to­be­we­gun­gen aus und damit ge­ra­de die ein­zi­gen Zeug­nis­se, die das spre­chen­de Ich von sei­ner Iden­ti­tät gibt. Auf dem dra­ma­ti­schen Wen­de­punkt, der In­sol­venz, än­dert der kaf­ka­es­ke Kreis le­dig­lich die Lauf­rich­tung ohne einen Aus­weg zu bie­ten: Nun wird das Kon­sum­ver­hal­ten nicht mehr von in­di­vi­du­el­len Be­dürf­nis­sen be­stimmt, son­dern durch die Kre­dit ge­wäh­ren­de Bank ge­maß­re­gelt. Nackt, in sei­nem Ur­zu­stand, ist der mo­der­ne Mensch als Homo oe­co­no­mi­cus ent­larvt.

‚Strip­ped – ein Leben in Kon­to­aus­zü­gen’ ist ein Glücks­fall für das Me­di­um Radio, denn die künst­le­ri­sche Ver­dich­tung eines Su­jets der So­zi­al­re­por­ta­ge bei gleich­zei­ti­gem Ver­zicht auf li­te­ra­ri­sche Aus­ge­stal­tung konn­te in die­ser Ein­dring­lich­keit nur mit akus­ti­schen Mit­teln ge­lin­gen. Weigl the­ma­ti­siert die Ver­ar­mung in­mit­ten einer Wohl­stands­ge­sell­schaft, ohne dabei so­zi­al be­nach­tei­lig­te Rand­grup­pen auf­zu­su­chen, er zeigt den Me­cha­nis­mus von Kon­sum­zwän­gen auf, ohne Ju­gend­li­che vor­zu­füh­ren, die sich durch den ex­zes­si­ven Ge­brauch ihres Han­dys ver­schul­det haben, und er spielt gleich­zei­tig mit dem Voy­eu­ris­mus des Rea­li­ty-TV, ohne sich mit ihm ge­mein zu ma­chen. Der Vor­trag der ei­ge­nen Kontoaus­züge eines Au­tors bricht auf ra­di­ka­le Weise mit der „hei­len“ (schein­hei­li­gen) Me­di­en­welt und er­laubt erst die vi­ru­len­te, nicht nur be­trach­tend-bei­spiel­haf­te Dar­stel­lung ak­tu­el­ler Miss­stän­de. Dass dies über­zeu­gend ge­lingt, ist we­sent­lich der mu­ti­gen Ge­stal­tung eines künst­le­ri­schen Ex­pe­ri­ments zu­zu­schrei­ben, das in sei­ner Mach­art Uni­kat blei­ben dürf­te.“ [5]


5 Mitwirkende

Autor: Stefan Weigl
Regie: Thomas Wolfertz
Musik: Holosud
Darsteller: Hüseyin Michael Cirpici, Axel Milberg, Esther Hausmann, Wolf Lotte
Produktion: Westdeutscher Rundfunk 2004


6 Fußnoten

  1. http://www.filmstiftung.de/index.php?we_objectID=375
  2. http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/fazit/360602/
  3. http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/fazit/360602/
  4. http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,348576,00.html
  5. http://www.filmstiftung.de/index.php?we_objectID=375


7 Hauptquelle

Stefan Weigl. "Stripped. Ein Leben in Kontoauszügen". Random House Audio.

8 Weblinks

54. Hörspielpreis der Kriegsblinden geht an Stefan Weigl. Abgerufen am 10. August 2010.
Ein Leben in Kontoauszügen. Abgerufen am 10. August 2010.
Ehrung für "Ein Leben in Kontoauszügen". Abgerufen am 10. August 2010.
Gewinner ARD Online Award und Deutscher Hörspielpreis der ARD. Abgerufen am 10. August 2010.



9 Init-Quelle

Entnommen aus der:

Erster Autor: Fünfsechssiebenacht angelegt am 16.08.2010 um 09:36


10 Andere Lexika

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