BANCOR (Währung)

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BANCOR ist der Name der von John Maynard Keynes in den Jahren 1940-42 entworfenen und nach dem Zweiten Weltkrieg neu zu schaffenden supranationalen Währung, die den Nationen im internationalen Handel als Abrechnungseinheit eines ebenfalls neu zu schaffenden Güterclearings – der International Clearing Union – dienen sollte. Der BANCOR sollte durch Gütertausch gedeckt und sein Wert in Gold ausgedrückt sein.

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1 Gütertausch mit internationaler Währung als Recheneinheit

Der Kerngedanke von Keynes bestand darin, dass der Handel zwischen den Nationen auf einem Clearingsystem beruhen sollte, bei dem die weltweit gehandelten Güter nicht in der Währung einer privilegierten Nation, sondern in der neu einzuführenden internationalen Währung Bancor miteinander verrechnet würden. Durch den internationalen Bancor würde keine Nation eine bevorzugte Sonderrolle einnehmen und das System somit allen die gleichen Vorteile bieten.

Für die Lieferung von Gütern würden den Nationen jeweils Bancor gutgeschrieben, um diese wiederum beim Bezug von Gütern anderer Nationen auszugeben. In diesem System sollten also keine direkten Tauschgeschäfte "Güter gegen Güter" abgewickelt werden, sondern "Güter gegen Bancor gegen Güter": Der Vorteil in einem solchen Barter-Clearingsystem bestünde dann darin, dass jeder Handel früher oder später durch einen Handel in entgegengesetzter Richtung ausgeglichen werden müsste:

Dieser Ausgleich im internationalen Handel könnte dann auch das Problem des Ungleichgewichts zwischen den Nationen lösen, das erst durch die Verwendung von Geld entstanden war – denn dieses Ungleichgewicht kann sich nur bilden, wenn Güter nicht gegen Güter, sondern gegen Geld getauscht werden. Denn solange Güter gegen Güter getauscht werden, ist bereits jedes Tauschgeschäft in sich selbst ausgeglichen. Das Ungleichgewicht wird erst ermöglicht, wenn Güter gegen bloße Versprechen (Geld, Wechsel oder dergleichen) getauscht werden:

2 Die ganze Welt als ein in sich abgeschlossenes System

Die von Keynes vorgeschlagene Struktur beruhte auf einem einfachen Grundgedanken: die ganze Welt als ein in sich abgeschlossenes System zu betrachten und nicht wie bisher als eine Anhäufung unzähliger nationaler Parallelsysteme. In einem solchen globalen System ließe sich das Funktionsprinzip nationaler Banken dann auf die globale Ebene übertragen, und die Nationen der Welt würden bei der International Clearing Union ihre jeweiligen Konten führen. Das System als Ganzes wäre dann per Definition stets ausgeglichen: Die Vorzüge dieses Grundgedankens erläuterte Keynes auf sehr plastische Weise am 26. Februar 1943 in einer Rede vor europäischen Verbündeten:

3 Wachstum der Weltwirtschaft durch

3.1 1. Gleichgewicht der Nationen

Die Nationen der Welt miteinander ins Gleichgewicht zu bringen und dieses Gleichgewicht dauerhaft aufrechtzuerhalten, war das wichtigste Ziel von Keynes. Denn die Weltwirtschaft könnte am besten in einem Zustand des Gleichgewichts zwischen den Nationen wachsen – weil das Wachstum der einen Nationen dann auch das der jeweils anderen fördern würde. Eine Wirtschaftsordnung hingegen, in der das Wachstum der einen Nationen zu Lasten des Wachstums der anderen geht, würde Abschottungstendenzen fördern und letztlich allen Nationen schaden; eine Erfahrung, die man gerade zwischen den beiden Weltkriegen – also in den Jahren nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 – gemacht hatte: Der Plan zielt darauf ab, die auf den Welthandel kontrahierend wirkenden Kräfte durch Kräfte der Expansion zu ersetzen, besonders in den ersten Jahren.

3.2 2. Internationale Kredite statt nationales Horten

Durch die Übertragung des Bankenprinzips auf die globale Ebene könnten die Nationen der Welt von der International Clearing Union Kredite erhalten. Daher müssten die Nationen dann selber keine eigenen Reserven mehr aufbauen, und das wachstumsfeindliche Horten der Nationen könnte durch wachstumsförderliche Kredite ersetzt und "Stein in Brot verwandelt" werden:

3.3 3. Starke statt schwache Schultern

Keynes führte das Versagen des internationalen Goldstandards auf eine einzige Ursache zurück: war das System erst einmal aus dem Gleichgewicht geraten, konnte es nicht mehr zurück in sein Gleichgewicht gebracht werden, weil diese Aufgabe stets ausschließlich den Schuldnernationen auferlegt wurde. Konnten diese ihre Schulden dann nicht bezahlen, vergrößerte sich das Ungleichgewicht, denn arme Nationen wurden immer ärmer und schließlich zahlungsunfähig. Keynes sah als Störer des Gleichgewichts daher nicht einseitig nur die Schuldner, sondern in gleichem Maße auch die Gläubiger – denn Schuldner und Gläubiger bedingen sich gegenseitig. Die Pflege des Gleichgewichts ausgerechnet alleine den schwächeren Nationen zu übertragen, erachtete Keynes daher als groben Systemfehler. Vielmehr müsste in einem funktionierenden System diese Aufgabe in erster Linie "von den stärkeren Schultern" der Gläubigernationen getragen werden:

3.4 4. Ausgleich und Umlaufsicherung durch negativen Zins

Damit die Pflege des Gleichgewichts sowohl von den schwachen Schultern der Schuldnernationen als auch den starken Schultern der Gläubigernationen getragen wird, ersann Keynes einen verblüffend simplen, aber überaus wirksamen Mechanismus: Die Nationen müssten sowohl auf übermäßige Guthaben, wie auch auf allzu hohe Schulden an die International Clearing Union Zinsen zahlen. Nur jene Nationen, die im Gleichgewicht mit dem System stünden, könnten diese Zinszahlungen vermeiden. Zudem sah Keynes einen progressiven Zinssatz vor: Je weiter sich eine Nation also von ihrem jeweiligen Gleichgewicht entfernen würde – sei es durch übermäßige Schulden, oder durch ebensolche Guthaben – desto höher wäre der anfallende Zinssatz. Auf diese Weise würden reiche Nationen einen starken Anreiz erhalten, sowohl vermehrt Güter von ärmeren Nationen zu importieren als auch das wachstumshinderliche Ansparen ("Horten") von Ressourcen zu vermeiden: Sobald der Kontostand um ein Viertel von der Quote abweicht, fällt eine Jahresgebühr in der Höhe von einem Prozent des von der Quote abweichenden durchschnittlichen Kontostandes an, zahlbar an den Reservefonds der Clearing Union – unabhängig davon, ob die Abweichung das Schuldenkonto oder das Guthabenkonto betrifft. Die Gebühr erhöht sich um ein weiteres Prozent, sobald die Abweichung – ob Schulden oder Guthaben – mehr als die Hälfte der Quote beträgt. Daher kann ein Land dieser Gebühr nur entgehen, wenn es seine über das Jahr gemittelte Handelsbilanz so nah wie möglich in einem Zustand des internationalen Gleichgewichts hält.

4 Wachstum durch Nachhaltigkeit – statt erzwungen durch Zinslast

Der Plan von Keynes entsprach also einem Nullzins- und Nullsummenspiel, bei dem die Nationen zinsfreie Darlehen erhalten hätten, solange die Schuldenhöhe noch in einem angemessenen Verhältnis zur Größe der jeweiligen nationalen Wirtschaft stand. Da auf Guthaben ebenfalls keine positiven Zinsausschüttungen vorgesehen waren (sondern Zinszahlungen), hätten sich die Bancors auch nicht durch Zinsen vermehrt. Heutzutage ist dies besonders vor dem Hintergrund der Debatte über Nachhaltigkeit und die Grenzen des Wachstums interessant: In unserem heutigen Finanzsystem muss die Wirtschaft wachsen, um die Zinsen zu erwirtschaften; bei Keynes kann die Wirtschaft wachsen, weil das System als Ganzes im Gleichgewicht gehalten wird.

5 Geldschöpfung durch Gütertausch

Eine weitere Besonderheit des Bancor ist sein Schöpfungsvorgang. Sie werden nicht "aus dem Nichts geschöpft", sondern kommen erst durch den Gütertausch selbst in die Welt: eine exportierende Nation erhält Bancor gutgeschrieben, sobald sie Güter an eine importierende Nation liefert, während die importierende Nation dem System nun dieselbe Menge Bancor (oder Güter) schuldet. Auf diese Weise entspricht die Menge an Bancor stets der Menge an gelieferten Gütern (zuzüglich der Kredite, die das System als Ganzes noch vergeben kann). Die Deckung des Bancor durch Güter mag ein wenig an die durch Arbeitswechsel gedeckte Reichsmark Nazi-Deutschlands erinnern; sie entspricht sehr genau den von modernen Tauschringen verwendeten Systemen wechselseitigen Kredits (LETS, Local Exchange Trading Systems).

6 Die Goldfrage

Da letztlich Güter gegen Güter getauscht würden, hätte man im alltäglichen Handel auf Gold (oder Geld) weitgehend verzichten können. Seine Bedeutung als Wertspeicher und zweifelsfreies Zahlungsmittel hätte Gold aber dennoch beibehalten:

Der Bancor sollte in Gewicht Gold definiert sein, wobei sein Verhältnis zu Gold von der Clearing Union angepasst werden könnte. Die Nationalwährungen stünden wiederum in einem festen (genauer: nur nach Vereinbarung und in Grenzen veränderlichen) Wechselkurs zum Bancor:


Die Nationen könnten gegen Einzahlung von Gold bei der Clearing Union Bancor erhalten – nicht jedoch im umgekehrten Sinne gegen Zahlung von Bancor Gold erhalten. Diese einseitige Konvertibilität wäre zwingend notwendig, weil andernfalls die Nationen dem System Ressourcen entnehmen könnten, anstatt die eingenommenen Bancor für den Handel mit anderen Nationen zu verwenden – schließlich sollte das System sicherstellen, dass jeder Gütertausch früher oder später durch einen entgegengesetzten Gütertausch ausgeglichen würde:

7 Die Rolle der USA

Ein Problem stellten die USA dar, die durch ihre unausgeglichene Handelsposition das Gleichgewicht in der Welt empfindlich störten. Falls diese weiterhin darauf bestünden, Guthaben anzuhäufen, indem sie mehr exportierten als importierten, gäbe es keine andere Wahl, als den Handel mit den USA mit Beschränkungen zu belegen:

8 Die Clearing Union als Grundstein einer "supranationalen" Regierung

Keynes sah in der Clearing Union die Möglichkeit, den Grundstein einer "supranationalen" Regierung zu legen, die sich um die nach dem Weltkrieg anstehenden globalen Belange kümmern sollte – etwa den Wiederaufbau, die Entwicklungshilfe oder den Erhalt des Weltfriedens. Zur Verfolgung dieser Ziele könnte die Clearing Union aus den Rücklagen der Weltwirtschaft entsprechende Programme und Organisationen finanzieren, ohne dass durch die anfallenden Kosten einzelne Nationen belastet würden: Die hierzu notwendigen Kredite würden ausschließlich aus den ungenutzten Guthaben der Überschussnationen und den Zinseinnahmen der Clearing Union gespeist werden.


Die Clearing Union könnte supranationale Ziele jedoch nicht nur im positiven Sinne finanzieren. Sie könnte ihre zentrale Machtstellung auch dazu nutzen, Nationen zu sanktionieren, die etwa den Weltfrieden gefährdeten oder sich in einer anderen Weise den übergeordneten und legitimen Zielsetzungen der Weltgemeinschaft widersetzten. Ein besonders wirkungsvolles Mittel würde dabei sicherlich die Sperrung des Kontos darstellen; denn einer Nation mit gesperrtem Clearingkonto würde die Finanzierung eines Krieges sicherlich erhebliche Schwierigkeiten verursachen:


Ein wesentlicher Vorteil in der Finanzierung weltpolitischer Interessen aus den Rücklagen der gesamten Weltwirtschaft bestünde darin, dass diese sozusagen 'anonym' von der Weltgemeinschaft erbracht würde und nicht erst von einzelnen Nationen erbettelt werden müsste – deren Beiträge dann ja die jeweiligen nationalen Wirtschaften belasten würden:

9 Die Machtfrage

Die Machtkonzentration auf die Clearing Union stellt sicherlich einen gleichermaßen herausragenden wie bedenklichen Aspekt dar. Diese Macht würde es der Clearing Union ermöglichen, globale Ziele nicht nur zu finanzieren, sondern sie auch durchzusetzen. Im gleichen Maße würde es Nationen entsprechend schwerfallen, sich mit ihren jeweiligen Nationalinteressen gegen die Interessen der Clearing Union zu behaupten – wie etwa das Führen und Finanzieren von Kriegen. Über den hierzu notwendigen teilweisen Verzicht auf nationale Souveränität führte Keynes aus: Es wurde darauf hingewiesen, dass ein derartig ehrgeiziger Vorschlag der Kritik ausgesetzt ist, von den Mitgliedern der Währungsunion einen größeren Verzicht ihrer souveränen Rechte zu fordern, als diese einzuräumen bereit sind.

Bei der kritischen Betrachtung dieser Machtfrage sollte man jedoch nicht vergessen, dass sich jeder Entwurf einer Weltfinanzordnung stets auch der Frage nach der in der Weltwährung steckenden Macht stellen muss. Nazi-Deutschland wollte die "Neuordnung Europas" mithilfe der Reichsmark für seine Zwecke missbrauchen. Ganz anders Keynes: Er wollte mithilfe des Bancors diese Macht im Sinne einer Weltgemeinschaft für die Durchsetzung "supranationaler" Ziele nutzbar machen. Die Frage nach der Legitimierung dieser Macht bleibt jedoch auch bei Keynes – trotz moralisch vermeintlich "guter" Ziele – nur unbefriedigend beantwortet. Denn wer entscheidet über "gut" und "schlecht"? Keynes hatte vorgesehen, dass Großbritannien und die USA als die beiden Gründungsmitglieder der Clearing Union das letzte Wort haben sollten – während die übrigen Nationen sich mit ihrem Beitritt den gemeinsamen Regeln unterordnen würden:

Dass sich die Frage der Macht letztlich nur unbefriedigend beantworten ließ, war Keynes natürlich bewusst. Hierzu hatte er am 8. Mai 1942 in einem Brief an den Ökonomen Sir Roy Harrod angemerkt:

10 Wie sonst, wenn nicht so?

Keynes erachtete seinen Plan der Clearing Union jedoch nicht als einzig mögliche Lösung, sondern lediglich als einen Entwurf, der die wesentlichen Probleme klar benennt und an dessen Lösungsansatz sich andere Vorschläge messen lassen müssten:


11 Zusammenfassung

Der von Keynes entwickelte britische Plan der "International Clearing Union" stand auf zwei Säulen:

(1) Im Handel zwischen den Nationen sollten Güter nicht mehr gegen Geld, sondern im Austausch gegen Güter gehandelt werden.

(2) Die getauschten Güter sollten in der neu zu schaffenden internationalen Währung Bancor abgerechnet werden.

zu (1): Durch den multilateralen Gütertausch sollte gewährleistet werden, dass die Länder mit ihren Güterlieferungen und -bezügen jeweils zu der Gesamtheit des Systems im Gleichgewicht stehen. Da Geld nur noch als Verrechnungseinheit für die getauschten Güter dienen würde, käme ihm nur noch eine untergeordnete Rolle zu. Entsprechend könnte auf Gold als Zahlungsmittel weitgehend verzichtet werden.

zu (2): Durch die Einführung der internationalen Währung Bancor würde das Funktionsprinzip nationaler Banken auf die internationale Ebene übertragen werden. Die Nationen der Welt könnten dann aus den ungenutzten Guthaben der Überschussnationen Kredite erhalten.

Durch das Zusammenwirken von multilateralem Clearing und internationalem Kreditwesen sollte ein von Zinsen weitgehend entlastetes und nachhaltiges Wachstum der Weltwirtschaft ermöglicht werden, das seinen Ursprung im Gleichgewicht der Nationen und nicht in deren Ungleichgewicht hat.

Um das "Horten" von Guthaben zu verhindern und um Gläubiger- wie Schuldnernationen gleichermaßen an der Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen den Nationen in die Pflicht zu nehmen, würden sowohl Guthaben und Schulden mit Zinsen belegt (= negativer Zins auf Guthaben).

In der Einführung einer internationalen Währung sah Keynes den Grundstein für eine "supranationale" Regierung, die sich globalen Belangen annehmen könnte (etwa dem Erhalt des Weltfriedens).

12 Fußnoten


13 Andere Wikipedia Sprachen



14 Init-Quelle

Entnommen aus der:

Erster Autor: Robertsan angelegt am 17.09.2010 um 08:17,
Alle Autoren: Kungfuman, Inkowik, Lady Whistler, GeorgZoche, MBq, Krd, Robertsan


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