Überzeugungskrankheiten
Überzeugungskrankheiten wurden vom Schweizer Psychiater und Psychoanalytiker Mario Gmür (in seinem Buch ‚Die Unfähigkeit zu zweifeln’ 2006) definiert als psychische Störungen, die als Folge der Unfähigkeit zu zweifeln entstehen.
Gmür unterscheidet 2 Grundkategorien von Überzeugungskrankheiten: 1. solche, bei denen die Krankheit krankhafte Überzeugungen hervorbringt (meistens biologisch resp. organisch bedingt wie bei endogenen Psychosen oder Hirnkrankheiten) und 2. solche, bei denen die Überzeugung (durch Übersteigerung „Überüberzeugung“) sich zur Krankheit entwickelt wie z.B. bei der Sektenabhängigkeit.
Gmür beschreibt 1. Überzeugungskrankheiten i. engeren Sinne: 1. Amok, 2. endogene Depression, 3. neurotische Hemmung, 4. Pseudologia phantastica, 5. multiple Persönlichkeit, 6. False-memory-syndrome, 7. Satanismus, 8. Wahnkrankheiten (Schizophrenie, Eifersuchtswahn resp. Othello-Syndrom, Grössenwahn, Folie à deux) und 2. Überzeugungskrankheiten i. weiteren Sinne: 1. Sektenabhängigkeit, 2. Fanatismus, 3. Mitläufertum, 4. Selbstmordattentate, 5. Antisemitismus.
Die Symptome sind für jede Überzeugungskrankheit spezifisch.
Die Psychodynamik der Überzeugungskrankheiten ist i. G. zur Symptomatik einheitlicher. Nach Gmür ist die Überzeugung v. a. in ihrer übersteigerten krankhaften Form Folge und Ausdruck eines Überzeugungsbedürfnisses.
Überzeugung entsteht aus 5 Motiven (denen unterschiedliche Überzeugungskrankheiten entsprechen): 1. Ich will glauben (Leidensabwehr), 2. ich will wissen (Abwehr von Unwissenheit), 3. ich will dabei sein (Anpassung, Abwehr von Isolation), 4. Ich will gut sein (Ablenkung von eigener Unmoral), 5. Ich will ganz sein (Wahrung von Integrität und Würde, Abwehr von Desintegration).
Gmür postuliert, dass neben den von der Psychoanalyse definierten sog. Abwehrmechanismen bei der Überzeugungsbildung die von ihm definierten Identität stiftenden Mechanismen (ISM) der Ich-Instanz dauernd am Werk sind, die unbewusst die Integrität des Ichs in selbstreferentieller Weise stützen. Die Identität stiftenden Mechanismen manifestieren sich in folgenden 8 Formen: 1. schliessen statt offenlassen (als grundlegender ISM, entsprechend der Verdrängung bei den Abwehrmechanismen), 2. bilanzieren statt im Ungewissen lassen, 3. limitieren (abgrenzen) statt expandieren, 4. selbst vergewissern statt unbekümmert bleiben, 5. konservieren (bewahren) statt riskieren, erneuern, verändern 6. etikettieren (benennen) statt unbestimmt lassen, 7. kohärieren statt auseinander fallen lassen, 8. akzentuieren (verstärken) statt vage-unbestimmt, undeutlich bleiben.
1 Literatur
- Mario Gmür: Die Unfähigkeit zu zweifeln, S. 336, Stuttgart: Klett Cotta Verlag 2006, ISBN 3-608-94093-6
2 Andere Lexika
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Autoren: ³²P, Crazy-Chemist, Johnny Controletti, Drahreg01, Medozed
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